Protocol of the Session on May 18, 2006

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Dr. Axel Horstmann [SPD]: Das ist die Wahrheit!)

Da hilft es auch nichts, wenn Sie versuchen, das zu bagatellisieren. Das ist Fakt. Das haben bei dieser Volksinitiative 200.216 Menschen gesehen und unterstützt. Wenn Sie meinen, dass Sie auch darüber einfach so hinweggehen können, sollten Sie sich vergegenwärtigen, wer diese Unterschriften gesammelt hat: Es sind zum überwiegenden Teil Eltern gewesen, die ihre Kinder in Kindertageseinrichtungen haben. Diese Eltern haben erkannt, wohin Ihre Politik führt.

(Beifall von der SPD)

Sie sind nicht mehr bereit hinzunehmen, dass Sie auf der einen Seite fröhlich erzählen, dass Sie Kinder fördern wollen und dass es Ihnen gerade um die Kinder geht, Sie es aber auf der anderen Seite in diesem Bereich den Eltern und Kommunen unmöglich machen, die Infrastruktur weiter aufrecht zu erhalten, die sie brauchen, um als Familien Beruf und Kinder unter einen Hut bringen zu können.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Das ist ja unglaublich!)

Sie gründen Familienzentren in NRW und wollen sie aufbauen, kürzen aber bei der Familienbildung und bei der Beratung,

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Das wissen Sie doch viel besser!)

und zwar in einem Maße, dass man wirklich sagen muss, dass es diese Familienzentren mit einer kompetenten Beratung, Betreuung und Begleitung, geschweige denn Familienbildung in dieser Form doch gar nicht geben kann – jedenfalls nicht mit den Einrichtungen, die das heute machen und das auch können. Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt ist, dass Sie immer behaupten, Sie würden das alles zugunsten der kommenden

Generationen machen. Aber eines steht doch fest: Diese Kinder, die ein Jahr alt sind, sind die kommende Generation. Diesen Kindern nehmen Sie jede Möglichkeit und jede Lust, selber einmal Kinder zu haben.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU: Mehr Schulden, die wollen die Kinder ha- ben?)

Diese Kinder erleben, dass Sie überhaupt nicht anerkennen, dass sie eine Zukunft haben, für die sie Hilfe und Unterstützung brauchen – und zwar jetzt und nicht in 15 Jahren.

(Beifall von der SPD)

Sie kürzen bei den Kurzen. Das ist Ihre Priorität, die nicht nur wir, sondern über 200.000 Menschen falsch finden, die diese „Volksinitiative NRW 2006“ unterstützt haben.

Sie haben gerade schon gesagt, dass Sie im Haushaltsverfahren 23 Millionen € für ein Sonderprogramm „Frühkindliche Förderung“ eingesetzt haben. Das ist alles in Ordnung, wunderbar! Der Punkt ist aber: Diese 23 Millionen € kompensieren natürlich mitnichten die 104 Millionen €, die Sie aus der Struktur herausgenommen haben.

(Beifall von der SPD)

Wenn das Sonderprogramm ein einmaliges Strohfeuer ist, von dem Sie glaubten, damit die Menschen ein Stück zu beruhigen – quasi eine kleine Beruhigungspille –, und Sie es nur in diesem Jahr zur Verfügung stellen, kann ich Ihnen sagen: Dann hätten Sie es besser gelassen.

Ein weiterer Punkt ist, dass nicht hinnehmbar ist, woher Sie zum Teil die Deckung nehmen. Was machen Sie? Sie nehmen die Deckung zum Beispiel aus dem Migrationsbereich. Noch nie ist in Nordrhein-Westfalen so wenig Geld für die Integration und für die Migration ausgegeben worden wie in diesem Haushalt unter Ihrer Regierung.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sprachförderung ist sehr wichtig; da sind wir uns völlig einig. Aber eins ist klar: Unterstützende Hilfe und Beratung von Migranten und von den Eltern der Kinder, die Sprachförderung bekommen können, nehmen Sie weg. Insofern kann ich Ihnen sagen: Die Integration ist in Nordrhein-Westfalen nicht auf einem guten, sondern auf einem sehr bemerkenswert schlechten Weg – und das unter Ihrer Verantwortung.

Aber das dicke Ende in diesem Bereich kommt ja noch: Sie drohen eine GTK-Novelle an. Aber die Menschen in Nordrhein-Westfalen und insbeson

dere diejenigen, die diese Volksinitiative unterstützt haben – ich sagte: es sind sehr viele Eltern –, werden sehr genau gucken, ob sich diese Sparorgien, die Sie bei den Kindertageseinrichtungen und bei der Infrastruktur für Familien angefangen haben, unter dem Label GTK-Novelle fortsetzen werden.

(Ute Schäfer [SPD]: Das kündigt sich ja schon an!)

Wenn ich Ihre Grundüberlegung sehe, muss ich sagen: Den Eindruck habe ich ganz gewaltig. Das wird Ihnen einen heißen Herbst bereiten. Passen Sie schön auf!

(Beifall von CDU und GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Das ist ja ein ungeheuerlicher Vor- gang!)

Vielen Dank, Frau Altenkamp. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Asch das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es schon bemerkenswert, dass es diese Landesregierung geschafft hat, in einem Jahr Ihrer Tätigkeit zwei Volksinitiativen gegen sich aufzubringen. 500.000 Menschen sagen ganz klar: Die Politik, die die Landesregierung macht, ist falsch. Was Sie machen, muss korrigiert werden. Sie sind auf dem Irrweg. – Das sagen sie in einem Bereich, meine Damen und Herren, den genau diese Landesregierung und die beiden sie tragenden Fraktionen zum Kern ihres Handelns erklärt haben.

Die Volksinitiative, über die wir heute beraten, und auch die Volksinitiative Jugend, über die wir heute Morgen im Fachausschuss abgestimmt haben, berühren nicht irgendein marginales Politikfeld, sondern sie berühren Kernaufgaben dieses Landes. Sie berühren Zukunftsaufgaben, weil sie die Politik für Kinder, Jugendliche, Frauen und Familien betreffen.

Ich muss sagen, dass ich große Hochachtung vor all denjenigen habe, die in den letzten Wochen und Monaten Unterschriften gesammelt haben, die sich engagiert haben, die auf der Straße gestanden haben, die mit all den bürokratischen Hürden gekämpft haben und die die Menschen motiviert haben, sich aktiv in die Politik einzumischen, und die viel Zeit, Energie und Geld investiert haben.

Meine Damen und Herren, das ist nicht selbstverständlich. Es gibt allzu viele Menschen, die einfach sagen: Mit Politik haben wir sowieso nichts

zu tun. Das sollen die in Düsseldorf und Berlin machen. – Aber genau die Leute, die sich engagieren, die sich einmischen und sagen: „Was die da oben machen, gefällt uns nicht“, brauchen wir, damit Demokratie gelebt und damit Demokratie lebendig wird.

Die Volksinitiative, über die wir heute beraten – ich sage es noch einmal – ist schon die zweite; wir haben vor 14 Tagen über die Volksinitiative gegen die Kürzung bei der Jugend abgestimmt.

Diese Volksinitiativen richten sich nicht nur kurzfristig gegen die Kürzungen im Haushalt, sie richten sich nicht nur gegen die Kürzungen bei den Frauenhäusern, bei den Familienberatungsstellen, im Kindergartenbereich, sondern diese Botschaft richtet sich gegen einen Politikwechsel, einen Paradigmenwechsel, der sich hier vollzieht.

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Herr Stranz hat das sehr deutlich gesagt, als er der Präsidentin die Unterschriften übergeben hat. Er hat gesagt: Wir richten uns gegen eine Politik der sozialen Kälte. Wir wenden uns dagegen, dass sich hier ein Wechsel vollzieht: zu einer Politik, die nicht mehr die Verantwortung für die Schwachen in unserer Gesellschaft wahrnimmt, zu einer Politik, die vermeintlich Freiheit vor Verantwortung für die Schwächeren setzt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und das, meine Damen und Herren, ist im Kern eine neoliberale Politik. Ich kann mich manchmal nur wundern, dass die CDU-Fraktion, offenbar auch getrieben von ihrem liberalen Koalitionspartner, so weit geht und sich in dieser Frage von ihren eigenen christlich fundierten Werten entfernt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht um Entsolidarisierung, meine Damen und Herren. Das sind Zukunftsfragen, die auch die nächsten Jahre die Politik dieses Landes prägen werden. Ich kann nur hoffen, dass die Forderungen der Volksinitiativen zumindest Nachdenken provozieren. Noch heute Morgen wurde im Fachausschuss die Volksinitiative im Jugendbereich von CDU und FDP mit einem Federstrich abgelehnt. Die letzte Volksinitiative im Jugendbereich hat unter Rot-Grün dazu geführt, dass ein neues Gesetz entstand, nämlich das Jugendfördergesetz. Sie wischen diese 500.000 Stimmen, die sich gegen Ihre Politik im Lande wehren, einfach zur Seite.

Ihre Rechtfertigungsversuche, Frau Milz – Sie haben das heute noch einmal vorgetragen –, ändern daran nichts; Sie können es noch so oft sagen.

Die 250 Millionen €, die Sie angeblich für Kinder und Jugendliche in den Haushalt eingestellt haben – Sie wissen es selber, aber man muss es immer wieder sagen; Sie können es nachlesen –, befinden sich nicht im Einzelplan 15. Dort – ich kann es wiederholen – sind die Kindergartenförderung, die Förderung der Frauenhäuser, die Förderung der Erziehungsberatungsstellen etatisiert. Die 250 Millionen €, die Sie immer ins Feld führen, befinden sich im Schulhaushalt von Frau Sommer. Sie werden zum großen Teil genutzt, um Lehrerpensionen beziehungsweise Gehaltssteigerungen bei Beamten zu finanzieren. Das können wir alle nachlesen.

Genauso sieht es mit diesen kleinen Trostpflästerchen aus, die Sie hier als Nachbesserung angeführt haben, etwa die 23 Millionen € im Kindergartenbereich: Bis jetzt weiß kein Mensch, wofür sie eigentlich genutzt werden können. Kein Mensch weiß, wie die Gelder beantragt und abgerufen werden können. Dahinter steht kein Konzept. Das ist ein Trostpflästerchen, das de facto für ein halbes Jahr zur Verfügung steht. Diesem Trostpflästerchen stehen knapp 200 Millionen € an Kürzungen in diesem Haushalt gegenüber, meine Damen und Herren.

Ich kann Sie nur auffordern: Hören Sie auf die vielen hunderttausend Stimmen der Bürgerinnen und Bürger, die ihre Unterschrift geleistet haben! Nehmen Sie die Kürzungen in vollem Umfang zurück! Sonst glaubt Ihnen am Ende Ihrer Regierungszeit keiner mehr, und Sie werden es mit einem massiven Vertrauensverlust zu tun haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Asch. – Für die FDP spricht nun Herr Lindner.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weil wir einen besonderen Tagesordnungspunkt haben, eine Volksinitiative, will ich hier – wie bei der letzten auch – eingangs hervorheben, dass wir selbstverständlich mit besonderem Respekt das Anliegen, das von Hunderttausenden Menschen unterstützt worden ist, beraten haben und dass wir eine solche Initiative, die ehrenamtlichem Engagement zu verdanken ist, selbstverständlich ernst nehmen.

Aber als gewählte Parlamentarier nehmen wir auch Zukunftsverantwortung wahr. Es geht nicht darum, nur in der Gegenwart zu schauen auf das, was den Applaus des Tages findet, sondern es geht darum, denjenigen, die heute überhaupt

noch gar nicht protestieren können, weil sie vielleicht noch gar nicht geboren sind, eine lebenswerte Zukunft zu erhalten und einen handlungsfähigen Staat zu garantieren.

(Beifall von FDP und CDU)

Das ist auch soziale Politik. Es gibt eine Grenze des Mehrheitsprinzips. Die Grenze des Mehrheitsprinzips der Gegenwart ist genau da erreicht, wo es darum geht, die Chancen und die Handlungsfreiheit einer nachwachsenden Generation einzuschränken.

Vor diesem Hintergrund sind hier in NordrheinWestfalen vor wenigen Jahren kluge Dinge gesagt worden, die ich mit Erlaubnis der Frau Präsidentin noch einmal in Erinnerung rufen will. Ich zitiere: