Protocol of the Session on March 23, 2006

Meine Damen und Herren, ich rufe nun auf

Tagesordnungspunkt 15: Dringliche Anfragen

Es liegen zwei Dringliche Anfragen vor. Wir beginnen mit

a) Will die Landesregierung das Volksbegehren zur Wiedereinführung des Landesblindengeldes durch Verfahrenstricksereien ins Leere laufen lassen? - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 15/2752

Die Dringliche Anfrage wird von der Abgeordneten Weddige-Degenhard eingebracht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits seit Oktober 2005 prüft die Landesregierung die rechtliche Zulässigkeit des Volksbegehrens zur Wiedereinführung des Landesblindengeldes. Nach nunmehr einem halben Jahr hat die Prüfung offenbar immer noch kein Ergebnis gebracht. Gleichzeitig sollen laut Presseberichten vom 11. März 2006 verschiedene Kompromissmodelle zwischen Landesregierung und Landesblindenverband diskutiert werden. Es verstärkt sich der Eindruck, dass die Landesregierung das Volksbegehren mit einer Verzögerungstaktik „aussitzen“ will.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Bis wann ist mit einem Ergebnis der Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit des Volksbegehrens zur Wiedereinführung des Landesblindengeldes durch die Landesregierung zu rechnen?

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

2. Welchen Stand haben die laut Presseberichten laufenden Gespräche zwischen der Landesregierung und den Initiatoren des Volksbegehrens zur Wiedereinführung des Landesblindengeldes erreicht?

3. Wird die Landesregierung im Zuge dieser Gespräche die seit 2005 vorgeschriebene und zahlreiche Blinde in die Sozialhilfe treibende Bedürftigkeitsprüfung aufgeben, um blinden Menschen die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen?

Danke schön. - Die Dringliche Anfrage wird für die Landesregierung von der Sozialministerin beantwortet. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung nimmt die Initiative des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Niedersachsen für ein Volksbegehren zur Wiedereinführung des Landesblindengeldes sehr ernst. Wir sind weit davon entfernt, mit der Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit des Volksbegehrens leichtfertig umzugehen. Aus diesem Grunde werden auch die in der Anfrage erwähnten Gespräche mit den Initiatoren des Volksbegehrens vertraulich geführt.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Dringliche Anfrage der Fraktion der SPD namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Mit Schreiben vom 14. Oktober 2005 hat der niedersächsische Landeswahlleiter den Antrag der Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens „Gesetz über ein Landesblindengeld für Zivilblinde in Niedersachsen“ - § 19 Abs. 1 des Niedersächsischen Volksabstimmungsgesetzes der Landesregierung zugeleitet. Die zuständigen Ressorts bereiten zurzeit die Entscheidung der Landesregierung über die Zulässigkeit des Volksbegehrens vor. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist eine Reihe von komplexen verfassungsrechtlichen sowie haushaltswirtschaftlichen und rechtlichen Fragestellungen zu klären. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Wie in vergleichbaren früheren Fällen - ich verweise insoweit auf das Volksbegehren zum Kindertagesstättengesetz überlegt die Landesregierung, vor ihrer Entscheidung den Vertreterinnen und Vertretern des Volksbegehrens eine Anhörung anzubieten.

Zu Ihrer voreiligen Unterstellung einer Verfahrensverschleppung erlauben Sie mir einen kurzen Exkurs in Ihre Regierungszeit. Ihre Prüfung zur Zulässigkeit des Volksbegehrens zum Kita-Gesetz dauerte auch beinahe sechs Monate. Dazu haben Sie noch ein externes Gutachten benötigt. Trotzdem hat der Staatsgerichtshof Ihre Entscheidung verworfen. Angesichts dieser Fakten ist der Vorwurf einer Verzögerung völlig abwegig.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir prüfen gründlich, sorgfältig und sachgerecht und wägen mit dem Landesblindenverband ab, ob eine einvernehmliche Lösung möglich ist.

Zu Frage 2 und Frage 3: Meine Damen und Herren, mit der Verabschiedung des Haushaltsplanes 2005 durch den Niedersächsischen Landtag ist die Entscheidung getroffen worden, ab 2005 das Landesblindengeld als einkommens- und vermögensunabhängige Leistung für blinde Menschen über 27 Jahre grundsätzlich abzuschaffen. Junge blinde Menschen bis 27 Jahre erhalten jedoch nach wie vor ein einkommens- und vermögensunabhängiges Landesblindengeld, und zwar in Höhe von 300 Euro monatlich. Gleichzeitig wurde beschlossen, einen Betrag von 3 Millionen Euro in Form des so genannten Blindenhilfefonds zum Ausgleich von Härten, die durch den Wegfall des Landesblindengeldes entstanden sind, zur Verfügung zu stellen. Da die Antragsmöglichkeit trotz entsprechender Öffentlichkeitsarbeit offensichtlich zunächst nicht hinreichend bekannt war, waren die Antragszahlen in den ersten Monaten relativ niedrig. Daher haben wir die Öffentlichkeitsarbeit weiter verstärkt. Insbesondere durch das Auslegen entsprechender Informationsblätter in den Praxen der Augenärzte hat sich die Situation seit Dezember 2005 erheblich verändert. Die Inanspruchnahme des Blindenhilfefonds hat sich entscheidend verbessert. Trotzdem hat die Landesregierung in den Gesprächen mit dem Landesverband der Blinden und Sehbehinderten auch über mögliche Änderungen, gegebenenfalls eine Ausweitung der Kriterien, gesprochen. Wir haben vereinbart, dass mit den Inhalten unserer Erörterung in absolut vertraulicher Weise umgegangen wird. Ich werde diese Verabredung nicht verletzen. Nur so wird es möglich sein, die Gespräche in vertrauensvoller, fairer und sachlicher Weise wie bisher weiterzuführen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Norbert Böhlke [CDU]: Sehr gut!)

Bevor ich der Abgeordneten Helmhold Gelegenheit zur Zwischenfrage gebe, stelle ich die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Frau Helmhold, Sie kennen die neue Geschäftsordnung; ich brauche Sie nicht mehr darauf hinzuweisen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, dem Landesblindenverband geht es bei der Auseinandersetzung um die Abschaffung des Landesblindengeldes und das Volksbegehren nicht darum - das ist jedenfalls nicht der wesentliche Bestandteil -, an den Kriterien des so genannten Blindenhilfefonds herumzuarbeiten, sondern der Hauptstreitpunkt und auch das sozialpolitische Hauptfeld, auf dem wir uns hier bewegen, ist die Frage: Gibt es einen Nachteilsausgleich oder nicht? Ohne die Vertraulichkeit der Gespräche zu verletzen, sind Sie sicherlich in der Lage - deswegen frage ich Sie -, uns zu sagen, in welcher Weise Sie bereit sind, in den Gesprächen mit dem Landesblindenverband wieder zu einem echten Nachteilsausgleich zurückzukommen, d. h. das einkommensunabhängige Landesblindengeld als echten Nachteilsausgleich und als Teilhabegeld wieder einzuführen und, wenn ja, in welcher Höhe.

Frau Ministerin Ross-Luttmann!

Ich habe eben deutlich gemacht, dass wir uns in Gesprächen mit dem Blindenverband befinden, dass diese Gespräche in sehr sachlicher und harmonischer Atmosphäre verlaufen und dass wir Vertraulichkeit vereinbart haben. Es ist ganz wichtig, dass wir diese Vertraulichkeit nicht verletzen. Sie werden auch vom Blindenverband gehört haben, dass diese Gespräche in harmonischer Atmosphäre verlaufen. Es ist ein gutes Recht der Regierung, Gespräche zu führen und erst nach Abschluss der Gespräche die Entscheidungen mit den Fraktionen zu besprechen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Dr. Harald Noack [CDU]: Damit ist doch eigentlich alles gesagt!)

Die Abgeordnete Frau Groskurt hat das Wort.

Frau Ministerin, meiner Meinung nach hinkt der Vergleich zwischen der Wiedereinführung des KitaGesetzes und dem Blindengeld sehr. Bei der Wie

dereinführung des Blindengelds geht es um die Existenzsicherung von Menschen, die darauf angewiesen sind, dass sie das Geld bekommen;

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist doch genau unser Ansatz!)

bei den Kitas ging es um die baulichen Standards. Das miteinander zu vergleichen, finde ich sehr an den Haaren herbeigezogen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Deswegen frage Sie: Können Sie konkret sagen, wann die Prüfungen abgeschlossen sind, damit man sich darauf einstellen kann?

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das muss sie sagen können!)

Herr Ministerpräsident!

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Groskurt, beim Kita-Gesetz ging es nicht um die Standards, sondern es ging um den Systemwechsel bei der finanziellen Förderung. Beim Landesblindengeld und bei der Landesblindenhilfe geht es gerade nicht um die Gruppe derer, die das Geld zur Existenzsicherung brauchen; denn für diejenigen, bei denen es um existenzielle Fragen geht, hat sich die finanzielle Förderung durch den Anspruch auf die Landesblindenhilfe verbessert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es geht vielmehr um die erblindeten Mitbürgerinnen und Mitbürger, die über gewisse eigene Einnahmen, über gewisses eigenes Vermögen verfügen und deswegen keinen Antrag auf Landesblindenhilfe stellen, aber gern wieder das Landesblindengeld erhalten würden.

Das Instrument einer Anfrage beim Staatsgerichtshof in Bückeburg, um dort die rechtliche Einschätzung zur Zulässigkeit des Volksbegehrens vorab zu erfragen, ist 1995 im Staatsgerichtshofgesetz geändert worden, nachdem die damalige SPDLandesregierung dieses Instrument missbräuchlich genutzt hatte.

(Widerspruch bei der SPD)

Der Staatsgerichtshof hat damals in seine Entscheidung geschrieben, das Vorlagebegehren der damaligen Landesregierung habe offenkundig keinen anderen Zweck verfolgt, als eine Entscheidung zeitlich zu verzögern und damit parteipolitischen Anwürfen zu entgehen. Darauf hat der Gesetzgeber hier in einer einmütigen Entscheidung das Staatsgerichtshofgesetz geändert. Wir könnten aber jetzt noch eine Anhörung zur Zulässigkeit durchführen. Die Anhörung zur Zulässigkeit müssen wir aber nur dann durchführen, wenn nicht der Betreiber des Volksbegehrens vorher selber sagt, dass er sich mit dem Parlament und der Regierung einvernehmlich geeinigt hat. Insofern haben wir diese sechs Monate bisher gebraucht, und ich gehe davon aus, dass wir innerhalb der nächsten zwei Monate zu einer Entscheidung kommen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine Nachfrage stellt der Abgeordnete Albers.

Ich frage die Regierung: Welche Auffassung vertritt denn der Landeswahlleiter zur Zulässigkeit des Volksbegehrens?

Herr Ministerpräsident!

Ich kann nur sagen, dass jetzt die Regierung gefordert ist, eine Einschätzung vorzunehmen. Innerhalb der Regierung sind vor der abschließenden Entscheidungsfindung verschiedene Stellungnahmen eingegangen. Letztlich geht es um die Bewertung der Frage, ob es sich um ein Gesetz über den Landeshaushalt im Sinne von Artikel 48 Abs. 1 Satz 3 der Niedersächsischen Verfassung handelt. Diese Bestimmung unserer Verfassung schützt das unbestrittene Budgetrecht des Parlaments und soll die Leistungsfähigkeit des Landes sichern. Das Parlament soll bei finanziellen Spielräumen Prioritäten setzen. Man muss bei dieser Prüfung zur Kenntnis nehmen, dass die für freiwillige Leistungen verfügbaren Massen im Haushalt immer kleiner geworden sind, dass wir uns im Bereich der Überschreitung von eigenfinanzierten Investitionen befinden, der 1,26 Milliarden Euro beträgt, und dass es um eine dauerhafte zusätzliche Belastung

des Haushaltes ginge. Insofern wird innerhalb der Landesregierung zum Teil die Meinung vertreten, das Volksbegehren sei unzulässig - das ist die Meinung, die Sie zum Kita-Gesetz vertreten haben -, während andere zu der Auffassung neigen, es sei zulässig. Wegen dieser strittigen Einschätzung bedarf es einer Entscheidung über diese Frage. Diese Entscheidung wird in den nächsten zwei Monaten fallen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine Zusatzfrage stellt die Abgeordnete Krämer.

Ich frage die Landesregierung, in welchem Umfang der so genannte Blindenhilfefonds bisher in Anspruch genommen worden ist.

Frau Ministerin Ross-Luttmann für die Landesregierung!