Protocol of the Session on November 20, 2003

Die Landesregierung hat vier Punkte beantragt: erstens klare Regelung der Zumutbarkeit bei der Aufnahme neuer Arbeit, zweitens Befristung der Arbeitsverhältnisse auf drei Jahre, drittens Abweichung von Tarifen im ersten Beschäftigungsjahr und viertens betriebliche Bündnisse für Arbeit.

Meine Damen und Herren, die Möglichkeit betrieblicher Bündnisse für Arbeit dient nach unserer Einschätzung dem Erhalt von Betrieben und damit den Arbeitsplätzen, die durch Standortkonkurrenz gefährdet sind. Damit wird der Tarifvertrag flexibler gemacht.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Die Tarifautonomie wird gestärkt und nicht geschwächt, auch wenn die Vertreter der Tarifparteien anderes behaupten. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle weise ich noch einmal die Formulierung, dass es sich um einen Angriff auf die Tarifautonomie handele, als bloße Polemik zurück. Tarifautonomie bedeutet lediglich - aber das mit allem Nachdruck -, dass nicht der Staat in diesem Bereich die Bedingungen festsetzt. Es kann in keiner Weise heißen, dass damit alles gesetzlich geregelt bleibt, wie das heute der Fall ist.

Mich erinnert manches in diesem Zusammenhang an die Diskussion, die wir vor Jahren im Einzelhandel hatten, bei der die Einzelhändler anfangs glaubten, mit anderen Öffnungszeiten nicht leben zu können. Meine Damen und Herren, heute sind sie froh darüber, dass sie auf diese Weise ihre Existenz sichern können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die Tarifparteien haben zugegebenermaßen Tarifverträge abgeschlossen, die sehr flexibel und unterschiedlich sind. Dabei kann es in Zukunft auch bleiben. Aber es soll um betriebliche Bündnisse ergänzt werden, wo das sinnvoll und notwendig ist. Meine Damen und Herren, die derzeitige gesetzli

che Regelung verlangt längst von den Betriebsräten, dass sie sich im laufenden Geschäft mit der Betriebsleitung verständigen und dass sie eigenverantwortlich tarifliche Angelegenheiten regeln. Von daher bin ich der Meinung, dass diese neuen flexiblen Vereinbarungen richtig und wichtig sind, zumal wir das Widerspruchsrecht der Tarifpartner sicherstellen wollen.

Wir werden sehen, wie weit die Tarifparteien davon Gebrauch machen. Meine Damen und Herren, selbst wenn es nur zehn Fälle in der Bundesrepublik Deutschland pro Jahr sind, auch dann ist es sinnvoll, weil dann in zehn Fällen Arbeitsplätze gerettet werden können. Die Landesregierung wird deshalb bei ihrer Initiative bleiben. In der gesamten Diskussion sehen wir uns bestätigt, dass Flexibilität - und nicht stures Festhalten an alten Regelungen - das Gebot der Stunde ist. Wir freuen uns, dass auch der Bundeskanzler solche Ansätze verbal verkündet. Wir wollen ihn gern dabei unterstützen, indem wir im Vermittlungsausschuss Positionen einbringen, die die Bundesregierung in der SPD-Bundestagsfraktion nicht durchsetzen konnte.

Am Ende geht es aber nicht um ein Spielchen zwischen Parteien, sondern es geht darum, dass mit neuen Maßnahmen mehr für Arbeitsplätze in einer sich wandelnden Weltwirtschaft getan wird: Da kann in Deutschland nicht alles so bleiben, wie es ist. Die Tarifautonomie wird es auch in Zukunft geben, aber in anderer Ausgestaltung.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Der Kollege Lenz hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Herr Lenz, Sie haben noch knapp über drei Minuten Redezeit.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Schenk ihnen eine ein!)

Herr Minister Hirche, ich muss mich schon über Ihre doch sehr individuelle Auslegung von Grundrechten, was die Tarifautonomie betrifft, wundern.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben jedenfalls ein etwas anderes Verständnis, wenn Sie hier durch das Grundgesetz geschützte Rechte zur Disposition stellen.

Ich will mich auch davor verwahren, wenn darüber geredet wird, dass wir sozusagen nicht wissen, wovon wir reden. Ich nehme für mich in Anspruch, sehr genau zu wissen, wovon ich rede. Herr Rickert, ich meine, dass ich in diesem Geschäft ein bisschen länger als Sie unterwegs bin.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Aber zu einseitig!)

- Nein, das hat nichts mit einseitig zu tun. - Herr Rickert, ich kenne jede Menge Betriebe, die wegen falschen Managements oder falscher Unternehmensentscheidungen Pleite gegangen sind. Ich kenne aber keinen Betrieb, der den Bach runtergegangen ist, weil sich Betriebsräte und Gewerkschaften verweigert haben, die notwendigen Schritte zu tun. Das will ich noch einmal ganz deutlich betonen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU)

Schauen Sie sich einmal an, welche Flexibilität mittlerweile in den Betrieben herrscht und zu welchen Löhnen in den Betrieben gearbeitet wird.

(Bernd Althusmann [CDU]: Da lachen wir uns tot!)

Herr Minister Hirche, Sie kennen sich in Brandenburg ja aus. Gucken Sie sich doch bitte einmal an, welche Löhne dort mittlerweile gezahlt werden. Für diese Löhne von 5 oder 6 Euro die Stunde würden Sie und die meisten hier gar nicht mehr arbeiten gehen. Trotzdem haben wir eine Massenarbeitslosigkeit von teilweise bis zu 40 %. Damit ist das Problem nicht zu lösen.

Von daher lautet meine herzliche Bitte: Diskutieren Sie mit den Betroffenen - das haben Sie bisher abgelehnt -, mit den Betriebsräten vor Ort, für die Sie ja im Rahmen der betrieblichen Bündnisse etwas tun wollen, über mehr Selbstverantwortung. Reden Sie mit den Arbeitgeberverbandsvertretern, die zumindest erkannt haben, dass mit den Gewerkschaften auch flexible Tarifverträge zu gestalten sind. Das wollen wir ausdrücklich tun. Ziehen Sie daher Ihren Gesetzentwurf zurück!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Rickert hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Ich erteile Ihnen noch bis zu eineinhalb Minuten Redezeit.

Herr Lenz, daraus, dass wir beide fast die gleiche Frisur haben, lässt sich noch lange nicht schließen, dass Sie wahrscheinlich weniger oder mehr Erfahrung im Umgang mit dieser Thematik haben als ich. Ich verwahre mich nur dagegen, dass Sie so in meine Richtung “Management mit Insolvenzen” sagen. Ich selbst habe sehr umfangreiche Sanierungserfahrung hinter mir. Man nennt das auf Neudeutsch auch “turn around” zur Erhaltung von Arbeitsplätzen und zum Erhalt eines Unternehmens an einem ganz bestimmten Standort.

Was ich in diesem Sachzusammenhang meine, ist die Tatsache, dass mittelständische Unternehmen - die machen das immer mehr - nicht mehr reden, sondern handeln und ihre Arbeit ins Ausland, leider Gottes sogar ins europäische Ausland verlagern. Diese Arbeitsplätze sind weg, wenn wir hier nicht vernünftiges Rahmen- und Regelwerk schaffen, und kommen nicht mehr wieder. Darauf will ich hinweisen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Sehr gut!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Gabriel das Wort. Sie haben noch eine Minute und achtzehn Sekunden Redezeit.

Frau Präsidentin! Damit so eine Bemerkung nicht im Raum stehen bleibt, sage ich Ihnen in aller Klarheit: Wer versucht, die Arbeitslosigkeit in Deutschland auf das Niveau zu bringen, dass Betriebsräte und Mitbestimmung daran schuld seien, der hat wirklich keine Ahnung von der betrieblichen Realität.

(Zustimmung bei der SPD - Bernd Althusmann [CDU]: Das hat auch niemand gesagt!)

Dann sage ich Ihnen noch was: In Polkowice in Polen kostet die Facharbeiterstunde bei Volkswagen 5 Euro. In Salzgitter kostet die gleiche Fachar

beiterstunde 50 Euro. Wenn Sie wollen, dass Löhne und Gehälter mit Polen wettbewerbsfähig werden, dann wünsche ich viel Spaß dabei, in dieser Art und Weise mit den Beschäftigten umzugehen.

(Widerspruch bei der CDU)

Das ist doch dummes Zeug. Die Chance für Wettbewerbsfähigkeit besteht in Innovation, in Forschung, in Technologie und nicht darin, dass Sie die Mitbestimmung kaputtmachen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die zweite Beratung. Wir kommen zur Abstimmung.

Ich erinnere noch einmal daran, dass die Beschlussempfehlung des Ausschusses, über die ich gleich abstimmen lasse, auf Ablehnung lautet. Wer also der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 16: Einzige (abschließende) Beratung: Verbraucherberatung auch in Zukunft erhalten - Kein Kaputtsparen der Verbraucher-Zentrale Niedersachsen! - Antrag der Fraktion der SPD Drs. 15/374 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Drs. 15/539

Die Beschlussempfehlung lautet auf Ablehnung. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Zur Beratung erteile ich als erster Rednerin Frau Leuschner das Wort.

(Zuruf von der CDU: Das ist die Vor- standsvorsitzende der Verbraucher- zentrale!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben bereits in der Aktuellen Stunde im Septem

ber-Plenum über diese Thematik geredet. Der Sachverhalt hat sich in keiner Weise gebessert.

Ich habe Ihrem Zwischenruf die Aussage entnommen, dass ich die Vorstandsvorsitzende der Verbraucherzentrale bin. Das ist richtig. Ich bin aber auch gleichzeitig die verbraucherpolitische Sprecherin meiner Fraktion, und ich rede hier für die Fraktion.

Der Sachverhalt hat sich nicht verändert. Durch die vorgesehene Maßnahme der Landesregierung, die versucht, in den Jahren 2004, 2005 und 2006, also innerhalb dieses Zeitraumes, die institutionelle Förderung aus dem Bereich des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr von derzeit einem Niveau von 1,56 Millionen Euro auf 1 Million Euro herunterzufahren, wird der Bestand der Verbraucherzentrale in Niedersachsen gefährdet. Wir sind nicht mehr handlungsfähig. Das würde bedeuten, dass von den derzeit 19 Beratungsstellen viele geschlossen werden müssten.

Von den 65 hauptamtlichen Beschäftigten - das sind überwiegend Frauen -, die eine gute qualifizierte Arbeit in der Fläche leisten - darauf kommt es uns an -, würden viele entlassen werden. Ich meine, dass in diesem Hause durch Besuche der Abgeordneten unterschiedlicher Fraktionen klar ist, dass die Verbraucherzentrale in Niedersachsen in ihrer fast 50-jährigen Geschichte durch ihre gute, qualifizierte und unabhängige Beratung einen Beitrag dazu geleistet hat, dass präventive Verbraucherberatung stattfindet und dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher in allen Bereichen, z. B. der Daseinsvorsorge, und der Gesundheitsvorsorge, informieren können. Es ist auch notwendig, dass dafür ein finanzieller Mindestbestand vorgehalten wird, der auch in Zukunft gewährleistet werden muss. Aus diesem Grund haben wir unseren Antrag eingebracht.

Frau Konrath, wir haben über diesen Sachverhalt debattiert. Sie kennen - wie Ihre Kolleginnen und Kollegen - etliche der Beratungsstellen der Verbraucherzentrale, und Sie wissen auch, dass es von den jeweiligen Kofinanzierungen der Kommunen abhängig ist.

Machen wir uns doch nichts vor: Wenn dieses Signal gegeben wird, werden auch etliche Kommunen ihre Förderung einstellen. Das bedeutet, dass es in Zukunft, wenn man einen Rat haben will - viele können es nicht telefonisch oder per Internet; das sind ältere Verbraucherinnen und Ver