Protocol of the Session on November 14, 2007

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Behindertengleichstellungsgesetz umfasst folgende

wesentliche Regelungen: Es wird ein Anspruch auf eine umfassende Herstellung barrierefrei gestalteter Lebensbereiche gesetzlich gewährleistet. Dazu zählte die Beseitigung von Barrieren für Rollstuhlfahrer und Menschen mit Gehbehinderung sowie die kontrastreiche Gestaltung der Lebensumwelt sehbehinderter Menschen. Für blinde und sehbehinderte Menschen bedeutet dies die barrierefreie Kommunikation bei der Darstellung von Verwaltungsbescheiden und anderen Rechtakten. Der

Zugang zu elektronischen Medien ist grundsätzlich so zu gestalten, dass eine uneingeschränkte Nutzung möglich ist. Menschen mit Hör- und Sprachbehinderung können mittels eines Gebärdendolmetschers oder anderer Hilfen mit den Behörden kommunizieren. Die Deutsche Gebärdensprache wird in Verwaltungsverfahren sowie bei Prüfungen an Hochschulen gesetzlich anerkannt.

Das Amt eines Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung wird auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und damit gestärkt. Für einen Landesbeirat für Menschen mit Behinderung oder vergleichbare Gremien als Teilhabeforen in den Landkreisen und kreisfreien Städten wird eine verbindliche Rechtsgrundlage geschaffen.

Die Verwendung von Stimmzettelschablonen wird in das Wahlgesetz und in die Landeswahlordnung aufgenommen. Das Verbandsklagerecht wird eingeführt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Landesregierung hat im Zuge der parlamentarischen Beratungen an einigen Punkten noch Verbesserungen erfahren. Ich denke hierbei insbesondere an die Ansprüche von Menschen mit Behinderungen hinsichtlich des Einsatzes von Gebärdendolmetschern, die Kostenerstattung bei der Herstellung von Wahlschablonen und die Erstattung von Kosten an kommunale Gebietskörperschaften. Hierfür danke ich den Regierungsfraktionen ausdrücklich. Ich möchte mich aber auch bei den Damen und Herren von den Oppositionsfraktionen, die die Gesetzesberatung kritisch, aber gleichwohl im Ergebnis konstruktiv begleitet haben, herzlich bedanken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, dass es heute gelingt, dieses Gesetz zu verabschieden. Das ist die richtige Antwort auf die zuletzt häufiger geäußerte Befürchtung, es könnte in dieser Legislaturperiode nicht mehr klappen. Wir geben vor allem damit ein deutliches Signal an die Menschen mit Behinderungen in Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Für die SPDFraktion hat sich Herr Kollege Schwarz zu Wort gemeldet. Bitte schön!

(Zurufe: Er ist nicht da!)

- Herr Kollege Schwarz wird noch gesucht.

(Bernd Althusmann [CDU]: Dann wei- ter! - Zuruf von der CDU: Dann kön- nen wir abstimmen! - Weitere Zurufe)

- Nur keine Sorge, ich werde die Diskussion nicht abbrechen. Mir liegt eine weitere Wortmeldung vor. Frau Kollegin Helmhold, Sie haben das Wort.

(Uwe Schwarz [SPD] betritt den Ple- narsaal - Uwe Schwarz [SPD]: Ich ha- be gar keinen Zettel abgegeben, dann kann ich auch nicht aufgerufen wer- den!)

Das ist mir jetzt egal, Uwe. Die Uhr läuft, und deshalb fange ich an.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verabschieden heute als letztes Bundesland ein Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung. Die Geschichte dieses Gesetzes reicht bis ins Jahr 1996 zurück. In diesem Verlauf haben sich die jeweils Handelnden wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Die damalige SPD-Regierung legte ihren Gesetzentwurf nach langem Hin und Her im Dezember 2002 vor. Damit war klar, dass er wegen des kurz bevorstehenden Endes der Wahlperiode nicht mehr beschlossen werden konnte, d. h. er verschwand erst einmal sofort im Papierkorb.

Nach dem Regierungswechsel kündigte Frau von der Leyen forsch an, jetzt komme aber bald ein Gesetzentwurf zur Gleichstellung behinderter

Menschen. Aber daraus wurde nichts.

(Norbert Böhlke [CDU]: Sie wurde in Berlin gefordert!)

Sie entschwand nach Berlin und hinterließ ihrer Nachfolgerin ein sozialpolitisches Chaos, u. a. die Großbaustelle Landesblindengeld und die Leerstelle des nicht vorhandenen Gleichstellungsgesetzes. Frau Ross-Luttmann kam nun die Aufgabe zu, die Hinterlassenschaften aus dem Feuer zu holen: erst das Landesblindengeld, dann das

Gleichstellungsgesetz.

Das ging zwar auch nicht ganz reibungslos, aber am Ende haben wir heute einen Gesetzentwurf, der akzeptabel ist. Allerdings gleicht es eher einem Wunder, dass das bis heute noch geklappt hat;

denn wer den ersten Gesetzentwurf der Landesregierung aus dem Frühjahr gelesen hat, der konnte nur noch mit dem Kopf schütteln. Es war ein Entwurf für ein Gleichstellungsgesetz light, der, wie es das Bündnis für ein Gleichstellungsgesetz sehr richtig formuliert hat, eine sozialpolitische Bankrotterklärung gegenüber den Belangen behinderter Menschen darstellte. Kritik fand insbesondere die Aussparung der Kommunen von jeglichen Verpflichtungen, z. B. zur Herstellung von Barrierefreiheit. Auch gab es mehr Kann- als Sollvorschriften. Ein Verbandsklagerecht war nicht vorgesehen.

Nach Vorlage dieses zahnlosen Entwurfes gab es einen Sturm der Entrüstung, und, was ich richtig finde, der Gesetzentwurf wurde geändert, sehr verbessert. Gemeinsam mit den Verbänden, mit dem Landesbehindertenbeauftragten und der Opposition wurde dieser Gesetzentwurf so nachgefüttert, dass man jetzt davon sprechen kann, dass es ein echtes Gleichstellungsgesetz ist.

(Beifall bei den GRÜNEN - Norbert Böhlke [CDU]: So ist es!)

Endlich werden nun auch die Kommunen in die Ziele des Gesetzes verbindlich eingebunden. Örtlich sollen Behindertenbeiräte eingerichtet werden, Stimmzettelschablonen werden obligatorisch, das Verbandsklagerecht ist enthalten, das Anrecht auf Gebärdendolmetscher wurde präzisiert. Dieser

neue Entwurf wurde vom Landesbehindertenbeauftragten wie auch vom Landesbehindertenrat ausdrücklich begrüßt. In den Beratungen wurde deutlich, dass die Koalitionsfraktionen auch sehr offen für Vorschläge der Opposition waren. Ich danke ausdrücklich für die Zusammenarbeit in vielen Punkten.

Mehrere Präzisierungen und Klarstellungen erfolgten auf unseren Vorschlag hin, u. a. dass Hochschulen jetzt verbindlich Menschen mit Hör- und Sprachbehinderung eine besondere Art der Prüfung ermöglichen müssen. Sogar noch nach den Beratungen im Ausschuss wurden seitens der Koalitionsfraktionen Verbesserungen in den Entwurf eingearbeitet. Inzwischen können wir davon sprechen, dass dieses Gesetz den berechtigten Forderungen der Menschen mit Behinderungen Genüge tut.

Gleichwohl fanden einige behindertenpolitische

Anliegen keinen Eingang in den Gesetzentwurf. Das Thema der integrativen Erziehung in Kindergärten und Schulen ist leider vollständig ausge

spart worden. Hierbei werden wir darauf achten, dass dieser Anspruch in der nächsten Wahlperiode bei den anstehenden Änderungen des Niedersächsischen Schulgesetzes weiter verfolgt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Antwort auf unsere Anfrage zur Integration behinderter Kinder in die Regelschulen erbracht hat, dass in den letzten Jahren sogar mehr Kinder an Förderschulen überwiesen wurden als zuvor. Das können wir naturgemäß nicht gutheißen.

Bei der Herstellung von Barrierefreiheit lässt das Gesetz noch relativ viele Ausnahmen und Relativierungen zu. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Barrierefreiheit tatsächlich auf den Sankt

Nimmerleins-Tag verschoben werden könnte. Wir hätten uns gewünscht, dass es hier mehr Verpflichtungen gegeben hätte und vor allen Dingen auch Zielvereinbarungen.

(Glocke der Präsidentin)

Letztlich sind wir aber bereit, diese Bedenken zurückzustellen und mit unserer Zustimmung zu diesem Gesetz deutlich zu machen, dass es jetzt mit Hilfe der Betroffenen und der Opposition gemeinsam gelungen ist, ein vernünftiges Gesetz zu schreiben, das sich nicht hinter den anderen Landesgesetzen zu verstecken braucht.

Die aus unserer Sicht noch nicht hinreichend gelösten Probleme sollten bei der vorgesehenen Überprüfung des Gesetzes besondere Aufmerksamkeit finden.

Frau Helmhold, kommen Sie bitte zum Schluss!

Bei Abwägung aller Gesichtspunkte haben wir uns als Oppositionsfraktion daher entschlossen, dem Gesetzentwurf - bei Berücksichtigung der in unserem Änderungsantrag vorgeschlagenen zwei Änderungen- zuzustimmen. Über weitere Änderungen werden wir sicherlich in der nächsten Wahlperiode sprechen müssen.

„Wir sind nicht behindert, wir werden behindert“, erklären uns die Betroffenen seit Jahrzehnten. Mit der heutigen Abstimmung werden wir in Niedersachsen zumindest einen großen Schritt zu mehr

gleichberechtigter Teilhabe gemeinsam gehen

können. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Mundlos. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Behindert“ - was heißt das eigentlich? Die Definition im vorliegenden Gesetzentwurf ist zwar eindeutig, aber natürlich juristisch nüchtern. Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Und was heißt „behindert“ im täglichen Leben? Immer noch passiert es zu oft, dass Menschen mit Behinderung durch pure Gedankenlosigkeit oder Oberflächlichkeit der Gesellschaft vor Barrieren stehen, die für Gesunde nicht spürbar oder unsichtbar sind. Da gibt es Bahnhöfe ohne Fahrstühle, Eingänge ohne Rampen, zu enge Sanitäranlagen, fehlende Handläufe, akustische und optische Hürden und sogar Veranstaltungen für Menschen mit Hörbehinderung ohne Gebärdendolmetscher. All diese Dinge erschweren eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben oder machen sie gar unmöglich. Damit werden Menschen isoliert. Sie werden zum zweiten Mal im wahrsten Sinne des Wortes behindert.

Die Benachteiligungen sind so vielfältig wie die Arten der Behinderung. Dabei müsste sich jeder darüber im Klaren sein, dass es durch Krankheit oder Unfall jederzeit auch ihn treffen kann. Nicht behindert zu sein, ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann, aber eben auch ein Geschenk, das verpflichtet.

(Beifall bei der CDU)

Gerade deshalb ist heute ein guter Tag für Menschen mit Behinderungen; denn mit der Verabschiedung dieses Gesetzes machen wir einen großen Schritt nach vorne für eine bessere Teilhabe gerade dieser Personen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)