Protocol of the Session on September 13, 2007

Eine Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Briese.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz genau darum geht es ja in dieser Debatte, Herr Minister. Ich meine, Sie haben jetzt die richtigen Fragen angesprochen, aber Sie haben nicht die Ziele formuliert, die diese Landesregierung bei der Privatisierung der Bahn verfolgt. Die Menschen und auch dieses Parlament wollen wissen, mit welchen Zielvorgaben, mit welchen politischen Zielen Sie in diese Verhandlungen gehen. Denn bei der Privatisierung gibt es ja einen Zielkonflikt - darüber besteht gar kein Streit -: Wenn private Investoren in die Bahn investieren werden, wollen Sie - das liegt in der Logik der Sache - eine gewisse Rendite erwirtschaften. Das ist ja auch legitim. Gleichzeitig allerdings wollen Menschen insbesondere in ländlichen Räumen, aber auch insgesamt im Land eine vernünftige Verkehrsinfrastruktur, eine Daseinsvorsorge. Deswegen meine Frage an diese Landesregierung: Welche Ziele werden Sie bei der Privatisierung der Bahn vertreten, werden Sie sich also dafür einsetzen, dass in Niedersachsen weiterhin ein vernünftiges, breites Schienenangebot vorhanden sein wird, oder werden Sie die

Linie vertreten, bei der Privatisierung möglichst viel privates Kapital locker zu machen und hier dann eine sehr viel mehr an der Rendite orientierte Verkehrspolitik durchzusetzen?

Herr Minister Hirche antwortet für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal stelle ich fest: Es hat der Deutschen Bahn gut getan, dass sie von einer reinen Staatsbahn in eine privatwirtschaftliche Aktiengesellschaft umgewandelt worden ist. Ich sage auch gerne öffentlich, dass daran der jetzige Vorstandsvorsitzende Mehdorn und sein Team zusammen mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Bahn den Riesenanteil hat.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Das ist gut so, das ist richtig so, und das ist auch sehr anzuerkennen. In diesem Zusammenhang gibt es aber nicht nur zwei Spieler, nämlich das Land Niedersachsen und die Deutsche Bahn, sondern auch noch den Bund. Das, was die Bahn machen kann oder nicht machen kann, hängt maßgeblich davon ab, wie die Bedingungen gestaltet werden.

Es gibt für mich im finanziellen Bereich zwei Dinge, Herr Briese, damit wir im vollen Umfang das heutige Flächenangebot der Bahn erhalten oder - siehe RegioStadtBahn Braunschweig und andere Beispiele - verbessern können.

Wenn wir das erreichen wollen, dann ist zunächst einmal der finanziellen Rahmen entscheidend. Bis jetzt ist in der Diskussion, dass der Bund der Bahn bis zu 2,5 Milliarden Euro für die Instandhaltung und Reparatur überweisen soll. Wenn man weiß, dass heute nur für diese Position Jahr für Jahr 4 Milliarden Euro aufgewendet werden und der Rest im Augenblick aus Eigenmitteln der Bahn aufgebracht wird, dann stellt sich die Frage, ob diese 2,5 Milliarden Euro auf Dauer reichen und ob eine Reduzierung dieser Finanzausstattung, wie sie der Bund nach den Bekundungen des Bundesfinanzministers anstrebt, letzten Endes dazu führen würde, dass die Kosten als Treppeneffekt bei den Ländern landen. Das wollen wir im Interesse

des Landes Niedersachsen verhindern. Wir können das aber erst dann beurteilen, wenn die Texte auf dem Tisch liegen.

Es gibt bei den Finanzen eine zweite Stellschraube. Das ist das Thema Regionalisierungsmittel, das man hier mit einführen muss. Wenn der Bund parallel dazu auch noch die Regionalisierungsmittel nicht mehr dynamisiert - diese Diskussion findet auch parallel statt -, werden sie de facto infolge der Inflation abgeschmolzen, sodass wir auch an dieser Stelle gekniffen wären. Deshalb müssen wir uns über alle Finanzströme und im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Finanzen und den Wettbewerb auch über die jeweiligen Stellschrauben unterhalten. Zu klären ist u. a.: Wie und von wem werden die Trassenpreise festgelegt? Wie ist dabei der Ländereinfluss? - Wir als Land Niedersachsen möchten bei allen Entscheidungen, die die Fläche und den öffentlichen Personennahverkehr in Niedersachsen betreffen, in Zukunft ein Mitspracherecht haben. Das ist der Punkt, der in die Debatte eingebracht worden ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eine Zusatzfrage stellt die Abgeordnete Steiner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer der Hauptkritikpunkte an diesem Privatisierungspaket, den viele äußern, ist doch, dass das Netz quasi durch die kalte Küche mitprivatisiert wird, sogar wenn die Bedingungen so formuliert werden, als wäre das irgendwann wieder rückkaufbar. Jeder kann sich vorstellen, dass für 100 Milliarden Euro in 15 Jahren nichts zurückgekauft wird und so etwas insofern reine Zukunftsmusik ist. Zu Beginn der Debatte, z. B. bei der Einbringung des Gesetzentwurfes, hatte auch Minister Hirche dahin gehend Kritik geäußert, sodass man eigentlich annehmen musste, dass auch diese Landesregierung im Bundesrat dafür eintritt, dass das Netz in öffentlicher Hand bleibt und nicht in dieser Form privatisiert wird. Die Äußerungen und die Diskussionen, die wir jetzt hören, veranlasst mich zu der Frage, ob wir erwarten müssen, dass in entsprechenden Verhandlungen und nach entsprechenden Zuckerstücken, die einzelnen Ländern und auch Niedersachsen angeboten werden, dieser Form der Privatisierung auch des Netzes durch die

kalte Küche nicht letzten Endes doch zugestimmt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Hirche!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir lassen uns in dem Zusammenhang nicht von einer Politik der Zuckerstückchen beeinflussen. Ich dachte, dass ich deutlich genug klargemacht hätte, dass wir wollen, dass der Bund und die Länder ihre öffentliche Verantwortung für das Schienennetz auch in Zukunft wahrnehmen können. Dabei ist die Frage, ob 49 % des Netzes an Private gehen, für mich noch kein Ablehnungsgrund. Entscheidend ist für mich vielmehr, wie die Kompetenzen in diesem Zusammenhang ausgestaltet sind. Insofern hat sich hier keine Veränderung der Position ergeben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Abgeordnete Janßen hat eine Frage:

(Hans-Joachim Janßen [GRÜNE]: Ich ziehe zurück!)

- Okay.

(Enno Hagenah [GRÜNE] geht zum Mikrofon)

- Herr Hagenah kann eine Zusatzfrage nicht mehr stellen. Herr Präsident Gansäuer hat mir Aufzeichnungen übergeben, wonach Sie zwei Fragen gestellt haben.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Ich habe eine einzige Frage gestellt!)

- Ich habe diese Information bekommen, sodass ich davon ausgehen muss, dass das so ist.

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen für Fragen - -

(Stefan Wenzel [GRÜNE] meldet sich - Dorothea Steiner [GRÜNE]: Ich habe auch noch eine Frage!)

- Herr Wenzel und Frau Steiner. Zuerst fragt Herr Wenzel.

Herr Minister, man schaue sich einmal das ganze Vorhaben an und führe sich einmal die verschiedenen Werte und Bewertungen und die Dimension der Grundstücke in unseren Innenstädten, die im Besitz der Bahn sind, vor Augen! Diese Grundstücke könnten, wenn sie gegebenenfalls einer anderen Nutzung zugeführt würden - über die Stilllegung von Strecken oder die Zerschlagung von Unternehmensteilen -, vielleicht einen ganz anderen Wert erlangen. Bei solchen Privatisierungsvorhaben kann es für die jeweils regierende Mehrheit - in diesem Fall für die Fraktionen von SPD und CDU im Bundestag - einen gewissen Anreiz darstellen, kurzfristig eine Summe in die Kasse zu bekommen, die es erlaubt, den Haushalt besser in den Griff zu bekommen, was aber langfristig Folgen hat, die mit den Ländern, den Kommunen und den Nutzern sehr viele treffen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Halten Sie es nicht für notwendig, noch einmal intensiver das Gesamtvermögen der Bahn zu bewerten, und zwar auch bezogen auf das Land Niedersachsen, damit man von unserer Seite aus die Folgen besser einschätzen könnte?

Herr Minister Hirche!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine schon, dass die deutsche Öffentlichkeit ein Recht hat, genau zu wissen, um welche Vermögenswerte es sich handelt und zu welchen Konditionen ein Teil davon - 49 % des Netzes - privatisiert wird. Das ist gerechtfertigt.

Aber die Deutsche Bahn ist eine Einrichtung des Bundes. Die Länder haben daran keine Anteile. Deswegen ist diese öffentliche Diskussion im Zweifelsfall vom Bundesrechnungshof zu beurteilen und nicht vom Landesrechnungshof, selbst wenn es sich um Bereiche handelt, die in Niedersachsen liegen. Ich möchte hier keine Vermischung haben. Das bedeutet überhaupt nicht, dass ich die Berechtigung und die Notwendigkeit Ihrer Fragen bestreite. Ich meine aber, dass diese Fra

gen an anderer Stelle beantwortet werden müssen.

Für mich als Landesminister ist die Frage wichtig, wie bei einer solchen Neuregelung die Einflussnahme des Landes und die Möglichkeiten für die Bürger, das Angebot der Bahn in der Fläche auch zukünftig zu nutzen, aufrechtzuerhalten sind. Ich will, weil ich an anderer Stelle vehement für Vollprivatisierung bin, sagen, dass ich zu dieser Infrastrukturverantwortung, zu dieser öffentlichen Aufgabe, die sich hier stellt, in vollem Umfang stehe.

Deswegen werden auch die kritischen Fragen zu dem Thema Diskriminierung gestellt; denn wir haben in anderen Zusammenhängen erlebt, dass z. B. Strecken in der Fläche, siehe NordWestBahn und Metronom, erst über Wettbewerb und Alternativangebote wieder attraktiv geworden sind. Insofern darf es an dieser Stelle keine Diskriminierung geben.

Außerdem muss natürlich geklärt sein, dass kein Mechanismus eintreten kann, aufgrund dessen am Ende, nach 10 oder 20 Jahren, die Bundesländer in vollem Umfang oder auch nur zur Hälfte für die Verkehre in der Fläche finanziell verantwortlich sind. Das können wir nicht zulassen.

Alle anderen Fragen sind meines Erachtens gegenüber diesen beiden Kardinalfragen, die sich dort stellen und im Gesamtzusammenhang wichtig sind, zweitrangig. Manche Fragen sind allerdings nicht so einfach zu klären. So haben wir z. B. im Augenblick eine Kollision von Europarecht und unseren Vorstellungen von öffentlichem Personennahverkehr, dem wir in Ballungsräumen einen bestimmten Vorrang zubilligen. Ich habe von Juristen den Hinweis, dass aufgrund von Europarecht europäische Güterzüge in dem Zusammenhang Vorrang hätten. Wenn diese Frage nicht geklärt wäre, hätten wir mit unserem Personennahverkehr faktische Probleme. Das ist aber ein Nebenfeld.

Vermögensfragen sind Sache des Bundes. Haushaltsangelegenheiten in Bezug auf deren laufende Finanzierung, sowohl was die Instandhaltung und den Neubau als auch das Stichwort „Regionalisierungsmittel“ betrifft, sind im eminenten Interesse des Landes Niedersachsen und der anderen Bundesländer. Bevor man ein endgültiges Urteil trifft oder gar eine endgültige Zustimmung signalisieren könnte, muss darüber absolute Klarheit bestehen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eine Zusatzfrage und damit ihre zweite stellt die Abgeordnete Steiner.

Herr Minister Hirche hat gerade eine Negativvision gezeichnet, wonach ein Resultat dieses Privatisierungsgesetzes darin bestehen könnte, dass sich in mehreren Jahren die Länder plötzlich für das Netz und den Betrieb in der Fläche verantwortlich sähen und sich die privatisierte Bahn bis dahin elegant herausgezogen hätte. Das ist das, was wir bei dieser Privatisierung des Netzes durch die kalte Küche befürchten. Herr Minister Hirche weist darauf hin, dass die Bahn eine Einrichtung des Bundes ist. Wir gehen jetzt davon aus, dass bei entsprechender Umsetzung der Pläne 49 % des Netzes privatisiert werden. Herr Minister Hirche vergisst dabei, dass das Privatisierungsgesetz in dieser Form überhaupt erst mithilfe der Zustimmung der Länder im Bundesrat abgesegnet werden kann. Ihre Antwort auf meine Frage war wirklich nicht aufschlussreich genug. Sie hätten doch die Möglichkeit, genau diese Netzprivatisierung durch die „kalte Küche“ zu verhindern, indem Sie sagen: Wir Länder machen das nicht mit. Wir sagen an, dass wir eine andere Form und dass wir einen stärkeren Verbleib unter staatlicher Kontrolle und unter Kontrolle des Steuerzahlers haben wollen, wenn wir es bezahlen. - Warum tun Sie das nicht?

Herr Minister Hirche antwortet für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Steiner, dahinter steht in der Tat eine verfassungsrechtliche Frage, die wir durch die Gutachter prüfen lassen. Das Ergebnis wird uns Ende dieser Woche - es ist bedauerlich, dass es nicht schon Ende letzter Woche da war - vorliegen. Wir werden das dann zu diskutieren haben.

Ich sage noch einmal: Ungeachtet dessen, dass möglicherweise 49 %, also die Minderheit, privatisiert wird - insofern sprechen wir von einer „Teilprivatisierung“ -, ist es notwendig und wäre es auch zu leisten, dass die Länder ihren Einfluss behalten. Ob die Operation, die der Bund vorhat, für einen

privaten Investor überhaupt ausreichend interessant ist - man soll Geld dazugeben, ohne dass man das Sagen hat -, lasse ich einmal dahingestellt sein. Diese Frage hat die Große Koalition in Berlin aber offenbar von vornherein positiv beurteilt. Ich lasse das einmal bewusst offen. Ich sage nur: Wir werden nichts machen dürfen, wenn das Land Niedersachsen dafür Rechte an der Kasse abgeben muss. Wir werden auch nicht - dies ist der jetzige Stand - die Katze im Sack kaufen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eine zweite Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Briese.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle wollen doch mehr Wettbewerb im Schienenverkehr. Die Frage ist tatsächlich nur, wie dieser Wettbewerb zukünftig organisiert werden wird. Mehdorn beispielsweise will die integrative Privatisierung, die gemeinsame Privatisierung, weil er weiß: Wenn ich das Schienennetz in meiner Hand behalte, dann habe ich einen deutlichen Wettbewerbsvorteil.

Ich möchte von der Landesregierung ganz konkret wissen: Welche Linie verfolgt sie da? Will sie die getrennte Privatisierung von Netz und Betreiber? Oder will sie die Mehdorn’sche Linie unterstützen, der sagt, er wolle den Gesamtkonzern privatisieren? - Wenn Sie 49 % privatisieren, dann hat der Staat noch immer die Mehrheit in der Hand. Aber auch ein 49-prozentiger Anteilseigner hat sehr wohl schon ganz gravierende Mitspracherechte. Das wissen wir bereits von der Beteiligung - mit oder ohne VW-Gesetz - in Bezug auf Volkswagen.

Meine ganz konkrete Frage: Welche Privatisierungslinie verfolgt die Landesregierung, oder würde sie bei der Privatisierung der Bahn stützen bzw. ablehnen?