1. Was sind für sie die entscheidenden Punkte, die zu einer Ablehnung des Privatisierungsgesetzes im vorliegenden Entwurf führen, und wie will sie im Vorfeld die Informationstiefe und die Eignung des Messkonzepts des seit 2004 angekündigten Netzzustands- und -entwicklungsberichts überprüfen?
2. Hält die Landesregierung es für möglich und nötig, einen konkreten Netzumfang für die Regionalnetze von Niedersachsen in der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit der DB AG zu verankern, und teilt sie die Auffassung, dass der Abschluss einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung auch dann sinnvoll und überfällig ist, wenn es keine Kapitalprivatisierung der DB AG gäbe?
3. Wie steht die Landesregierung zu der Forderung einiger Länder und von Experten, dass die Länder für ihre Regionalnetze eine gesonderte Leistungsund Finanzierungsvereinbarung abschließen sollten, und wie bewertet die Landesregierung den Vorschlag, den Ländern eigene Kündigungsrechte für die Regionalnetze in der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung einzuräumen? - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vom Bundesverkehrsminister vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes begegnet in der Tat erheblichen Bedenken. Diese Bedenken sind nicht allein politischer Natur, sondern sie sind auch in hohem Maße fachlich substanziell unterlegt. Ich erinnere nur an die Anhörung im Deutschen Bundestag, in der die meisten Experten erhebliche, auch verfassungsrechtliche Zweifel am Gesetzentwurf geäußert haben. Diese Bedenken teilen im Kern unisono die Verkehrsminister aller Länder: zum einen, weil wir Länder schlicht und einfach Informationsdefizite haben, zum anderen, weil wir die Erwartungen des Bundesverkehrsministerium inhaltlich nicht teilen.
Die erste Frage lautet, ob der Gesetzentwurf des Bundesverkehrsministeriums faire Wettbewerbschancen für alle - die Betonung liegt auf „alle“ Eisenbahnunternehmen eröffnet. Denn die Öffnung dieses Marktes und fairer Wettbewerb zwischen den Eisenbahnen waren der Grundgedanke der Bahnreform 1993. Daran muss sich dieser Gesetzentwurf messen lassen. Das habe ich Herrn Mehdorn und Herrn Wiesheu übrigens gestern Abend in einem Gespräch noch einmal ausdrücklich gesagt. Wir alle in diesem Hause wissen, welche Fortschritte wir in Niedersachsen dank des Wettbewerbs im Schienenpersonennahverkehr gemacht haben.
Die zweite Frage, wie wir die Infrastrukturverantwortung des Bundes möglichst effektiv organisieren können, ist von großer Bedeutung für die Interessen des Wettbewerbs, aber auch für die ureigensten Interessen Niedersachsens als Flächenland. Es besteht kein Zweifel, dass das operative Geschäft der Netzinstandhaltung und der Netzvermarktung teilprivatisiert werden kann - ja sogar soll.
Für mich stellt sich im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf aber die Frage, ob gewährleistet ist, dass der Bund dieser ureigenen Aufgabe auch künftig tatsächlich nachkommen kann, wenn er beispielsweise auf seine Stimmrechte als Mehrheitseigner völlig verzichtet, wenn er weitere Kontrollinstrumente im Zusammenhang mit der Infrastrukturförderung aus der Hand gibt und wenn er der Bahn bzw. den privaten Investoren nach Ablauf der 15-jährigen Übereignungsfrist einen Wertausgleich zubilligt, der so hoch ist, dass ihn ein Bundesfinanzminister kaum wird aufbringen können. Was für die Straße und andere Verkehrsinfrastrukturen selbstverständlich ist, nämlich die Verantwortung des Staates für Umfang und Bestand einer Infrastruktur als Ausfluss der Daseinsvorsorge, muss auch für die Eisenbahn gewährleistet werden.
Diese Bedenken haben die Verkehrsminister auf ihrer Sonderkonferenz am 2. August einstimmig formuliert. Sie haben beschlossen, den Gesetzentwurf des Bundesverkehrsministers darauf überprüfen zu lassen, ob er den Vorgaben der Verfassung und der Aufgabenverantwortung der Länder Rechnung trägt.
Zu Frage 1: Die Landesregierung hat bisher keine Ablehnung des Privatisierungsgesetzes beschlossen; denn der Gesetzentwurf ist gerade erst in die parlamentarischen Beratungen eingespeist worden. Derzeit gibt es noch eine Vielzahl von Informationsdefiziten und Unklarheiten. Deswegen haben wir im Verkehrsausschuss des Bundesrates für eine Fristverlängerung zur Abgabe der Stellungnahme des Bundesrates votiert. Ich versichere Ihnen: Niedersachsen wird sich im Bundesrat - ebenso wie die übrigen Länder - bei Klärung aller offenen Fragen rechtzeitig positionieren.
re interne Meinungsbildung einfließen. Sie wissen, dass der Abgabetermin für das Gutachten der 15. September ist. Erst in der Woche danach können wir uns positionieren.
Als guter Demokrat und aus langjähriger Erfahrung weiß ich im Übrigen, dass Gesetzentwürfe im Gesetzgebungsverfahren häufig noch Änderungen erfahren. Diese Chance wollen wir nutzen. Wir sind dazu im intensiven Gespräch mit der Bundesregierung, anderen Ländern und auch der DB AG.
Zu Frage 2: Die Inhalte der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, der sogenannten LuFV, die die Finanzströme zwischen Bund und Bahn sowie Umfang und Qualität des Schienennetzes regeln soll, sind der Landesregierung noch nicht bekannt. Aussagen darüber zu treffen, was in Bezug auf eine Verankerung in dieser Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung sinnvoll und möglich erscheint, hieße, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Das wird im Bundesverkehrsministerium als Geheimnis gehandelt. Deswegen gilt, dass der Bund zunächst die Inhalte dieser Vereinbarung offenlegen muss. Erst dann können wir über die Inhalte diskutieren und über die realen Folgen - z. B. für unsere Regionalverkehre - urteilen.
Zu Frage 3: Die Frage, ob Festlegungen zu den Regionalnetzen in der von der Bundesregierung vorgesehenen umfassenden oder einer separaten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung getroffen werden, ist formaler Natur und steht aus Sicht der Landesregierung nicht im Vordergrund. Wichtiger ist, dass es gelingt, die Infrastrukturverantwortung des Bundes abzusichern und Sanktionen für den Fall von Verfehlungen vorzusehen, und zwar nicht allein für die Regionalnetze. Diesen Fragen wollen wir in den kommenden Wochen gemeinsam mit anderen Ländern gezielt nachgehen.
Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren, wir sind einmal mehr mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit etwas in Schwierigkeiten. Ich darf Ihnen mitteilen, dass vor der Mittagspause auf jeden Fall noch die Tagesordnungspunkte 10 und 11 beraten werden, also die Diskussion über die Ergebnisse des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses stattfindet. Nach der Mittagspause folgt die Beratung des Tagesordnungspunktes 13. Anschließend fahren wir in der vorge
sehenen Reihenfolge der Tagesordnung fort. Ich teile Ihnen das mit, damit Sie sich darauf einstellen können.
Herr Minister Hirche, Sie beklagten eben die Geheimniskrämerei des Bundesverkehrsministers. In Ihrer Antwort haben Sie allerdings auch in gewisser Hinsicht Geheimniskrämerei betrieben - so unkonkret, wie sie ausgefallen ist.
Die Lockangebote von Herrn Mehdorn gestern Abend haben viele hier im Hause gehört, z. B. die Empfehlung, sich als Bundesland auf mögliche Erlöse des Bundes zu kaprizieren, um dann Lieblingsprojekte umsetzen zu können. Aber wie ist denn Ihr Hinweis nach dem Gespräch mit Herrn Wiesheu, in dem Sie u. a. einen ICE-Halt in der Heide und die Reaktivierung bzw. den Ausbau der alten Amerikalinie als wichtige Niedersachsenprojekte angesprochen haben, wirklich zu verstehen? - In diesem Zusammenhang haben Sie erwähnt, man müsse die Bahnreform und die von Ihnen genannten Projekte als ein Gesamtpaket begreifen. Ist das so zu verstehen, dass Sie, ähnlich wie andere Bundesländer, erwarten, dass die DB AG oder der Bund durch großzügige Finanzangebote die Zustimmung dieser Landesregierung zur Bahnreform sozusagen erkauft? Oder an welchen anderen inhaltlichen Punkten machen Sie eine Zustimmung fest, die tatsächlich den Gesetzentwurf und dessen Rahmenbedingungen betreffen? - Diese Antwort sind Sie schuldig geblieben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hagenah, das Erfreuliche bei solchen Fragen ist ja, dass man präzisieren darf, wenn nachgefragt wird.
wollen vor einer endgültigen Beurteilung z. B. Folgendes wissen: Wer legt die Qualitätskriterien fest? Wie sehen die Qualitätskriterien aus? Wer kontrolliert die Einhaltung der Qualitätskriterien? Wer veranlasst die Einhaltung von Qualität bzw. die Wiederherstellung von Qualität, die vielleicht verloren gegangen ist?
Dazu ist es erforderlich, dass vor Verabschiedung des Gesetzentwurfs und einer Beurteilung des Gesetzestextes zwei Dinge klar auf dem Tisch liegen: erstens ein Netzzustandsbericht, der Auskunft darüber gibt, wie das Netz aussieht, und im Übrigen auch im Hinblick auf Finanzbetrachtungen Auskunft darüber gibt, welchen Wert das Netz hat. Das ist später für den eventuellen Rückkauf wichtig.
Zweitens - das greift das Stichwort „Qualitätskriterien“ auf - wollen wir die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung kennen, bevor der Gesetzentwurf beurteilt wird bzw. bevor ihm zugestimmt oder er abgelehnt wird.
Diese beiden Punkte haben alle Länderverkehrsminister dem Bund deutlich gemacht. In der Sitzung am 2. August ist den Ländern gegenüber von dem beamteten und von dem Parlamentarischen Staatssekretär Großmann Entgegenkommen signalisiert worden. Umso mehr wundere ich mich, dass uns bis heute keine Kenntnisse über die LuFV vorliegen. Erst wenn dies der Fall ist, kann man konkret auf bestimmte Dinge eingehen.
Das ist die Grundlage, also nicht irgendwelche Einzelandeutungen, Einzelprojekte oder irgendetwas in der Art. Das ist schönes Beiwerk, wenn ich das so sagen darf. Aber niemand wird sich in dem Sinne, wie Sie es formuliert haben, irgendetwas abkaufen lassen. Möglicherweise wird ja auch im Norden der Republik mit so etwas wie dem Projekt Stuttgart 21 herumgefuchtelt. Wenn man hier die Weichenstellung betrachtet, die ja für Jahrzehnte entscheidend ist, dann muss man sich ein Urteil über die Grundlagen bilden. Das kann man bedauerlicherweise erst dann konkret, wenn die Texte auf dem Tisch liegen. Darum bitte ich um
Verständnis. Wir können ja jetzt nicht bestimmte Fiktionen in den Raum stellen und sagen: Da stimmen wir zu und da stimmen wir nicht zu. - Ich würde gerne diese konkreten Dinge sehen. Wie gesagt, in der nächsten Woche wird Gelegenheit sein, das Gutachten aufzugreifen und dazu etwas zu sagen. In dem Auftrag für die Gutachten sind ja die Positionen beschrieben, die die Länder einnehmen wollen. Der spannende Prozess ist, ob sich dann alle an die Kriterien halten, nachdem sie das Gutachten in Auftrag gegeben haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, das Vermögen der Bahn ist ja über Generationen hinweg angesammelt worden. Viele Kommunen haben immer wieder kostenlos Grundstücke zur Verfügung gestellt. Aktuelle Schätzungen und Gutachten besagen, dass sich das Vermögen der Bahn heute auf mehr als 180 Milliarden Euro beläuft. Bei dem anstehenden Verkauf sind aber Summen in der Größenordnung von 13 Milliarden Euro im Gespräch, also ein Fünfzehntel dieses Wertes. Dazu meine Frage: Gibt es in Ihrem Haus Analysen und Schätzungen über den Wert der Bahn in Bezug auf die unterschiedlichen Bewertungsverfahren, also Ertragswert, Immobilienwert? Wenn Ihnen weitere Untersuchungen vorliegen, hätte ich gerne die Zahlen, die Ihrem Haus hierzu zur Verfügung stehen - selbstverständlich vorbehaltlich des Gutachtens, das Sie angesprochen haben, welches uns sicherlich noch besser in die Lage versetzt, den Wert tatsächlich zu beurteilen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zu dem Zwischenruf von Herrn Jüttner in Bezug auf das Gutachten sagen: Es ist gar kein Problem und selbstverständlich, dass Ihnen das Gutachten zur Frage des Gesetzes zugeht.
Herr Wenzel hat jetzt einen etwas anderen Punkt angesprochen, nämlich die Frage der Vermögenslage. Die wird in dem Gutachten wohl nicht behandelt, sondern an anderer Stelle. Der Kollege Sarrazin in Berlin hat dazu eigene Berechnungen angestellt. Wir haben im Ministerium keine eigenen Berechnungen zur Vermögenslage der Deutschen Bahn durchgeführt. Es gibt Schätzungen aus verschiedensten Bereichen. Zuletzt soll die Commerzbank - ich sage das aber mit allem Vorbehalt den 49-%-Anteil auf 8 Milliarden Euro geschätzt haben.
Wie immer das sein mag: Für mich richten sich die Fragen, welchen Wert die Deutsche Bahn hat und zu welchem Wert das Ganze veräußert wird, vorrangig an den Bund. Damit muss sich der Bund beschäftigen. Für mich stellen sich die Fragen: Wie wirkt sich eine Neuordnung auf die Bahn insbesondere in der Fläche aus, d. h. was wird mit dem öffentlichen Personennahverkehr in Niedersachsen in der Fläche? Ist die Befürchtung gerechtfertigt - ich kann das heute nur als Frage formulieren -, dass bei verschärften Wirtschaftlichkeitskriterien der Druck zur Konzentration auf die Hauptstrecken noch stärker wird mit der Folge, dass Probleme in der Fläche auftreten? Wenn das so wäre, welche Vorkehrungen gibt es dagegen? Welche Risiken sind damit für die Länder verbunden, sodass nicht plötzlich bei dem berechtigten Anspruch der Bürger, dass hier eine öffentliche Verantwortung besteht, diese Verantwortung ganz leise vom Bund auf die Länder wandert und die Länder am Ende einen größeren Finanzanteil aufzubringen haben, der wahrscheinlich in die Nähe dreistelliger Millionenbeträge kommen kann? - All das kann man aber nur dann beurteilen, wenn man jetzt die Einzelheiten angibt und insbesondere den Stellhebel betrachtet, wer eigentlich die Netzentgelte und Trassenpreise festsetzt und dies insgesamt beeinflusst. Denn wir kennen die Diskussion im Strombereich, dass durchaus die Versuchung besteht, Netzmonopole zulasten der Wettbewerber zu nutzen. Auch darüber haben wir gestern mit Herrn Mehdorn und Herrn Wiesheu diskutiert. Es
könnte ja sein, dass sich Trassenpreise letzten Endes nachteilig auf Länderhaushalte auswirken. Das müssen wir uns im Einzelnen angucken, sobald die konkreten Formulierungen auf dem Tisch liegen.
Wir haben mit der Bahn und dem Bund einen fairen und offenen Dialog vereinbart. Dabei sollten wir uns auch nicht zeitlich so unter Druck setzen lassen, dass wir die Sachfragen nicht einzeln prüfen können. Das möchte ich hier anbieten. Weil mir das Letztere so wichtig ist, bitte ich um Verständnis dafür, Herr Wenzel, dass wir in der Frage der Vermögensbetrachtung keine gesonderten Erkenntnisse haben, dass wir nicht genau wissen, was da ist. Wir kennen auch den Netzzustandsbericht nicht im Einzelnen. Das separat für Niedersachsen zu machen, wäre sachlich eigentlich nicht besonders gerechtfertigt. Diese Frage ist auf Bundesebene zu klären. Demgegenüber haben wir als Landesregierung sehr wohl die Frage zu beantworten, welche Auswirkungen eine solche Reform auf die Bürger in Niedersachsen hat.