Protocol of the Session on June 26, 2003

Nein. - Herr Nahrstedt!

Frau Ministerin, Sie haben angekündigt, dass Sie in Niedersachsen eine partnerschaftliche Sozialpolitik betreiben wollen. Was glauben Sie, welche Auswirkungen die geplanten Kürzungen im Sozialbereich auf diese partnerschaftliche Zusammenarbeit haben werden? „Partnerschaftlich“ heißt ja, in Augenhöhe zu verhandeln und keine Vorgaben zu diktieren. Hierzu würde mich Ihre Sichtweise interessieren.

Das ist eine gute und richtige Frage. Gestern Abend hat Herr Schwarz - wahrscheinlich unwissentlich - bestätigt, dass er alle Wohlfahrtsverbände abtelefoniert habe und dass diese ihm gesagt

hätten, dass sie in den letzten Tagen nichts anderes gehört hätten als das, was sie mit dem Land seit Wochen besprächen. Richtig ist das. In der Tat: Wir reden seit Wochen nicht nur mit den Wohlfahrtsverbänden, sondern auch mit den Verbänden und Organisationen in der zweiten Reihe darüber, was auf sie zukommt. Wir haben mit ihnen ausführlich darüber diskutiert, wo noch Luft gesehen wird. Das ist genau das, was Ihnen in Ihren Telefonaten gesagt worden ist. Es sind keine neue Forderungen auf sie zugekommen; denn wir haben mit ihnen seit Wochen ausführlich über ganz bestimmte Kriterien gesprochen. Ich meine, wir befinden uns hier auf dem richtigen Wege. Das ist partnerschaftliche Sozialpolitik.

(Uwe Schwarz [SPD]: Sie haben doch gestern zugegeben, dass Sie mit den Verbänden nicht gesprochen haben!)

- Ich habe gestern zu Protokoll gegeben, dass ich mit ihnen gesprochen habe und dass Ihr Telefonat beweist, dass die freien Wohlfahrtsverbände und auch die Organisationen darunter wissen, worüber wir sprechen. Sie wissen, worüber wir diskutieren. Sie wissen, was auf sie zukommt. Genau das war Ihre Aussage gestern. Sie sagten, sie hätten aus dem Sozialministerium nichts anderes gehört. Das ist richtig.

(Uwe Schwarz [SPD]: Von den 156 Millionen Euro haben die nichts gehört!)

Wir haben mit ihnen darüber gesprochen. Genau das setzen wir im Augenblick um.

(Beifall bei der CDU)

Frau Hemme!

Frau Ministerin, wir haben gestern im Zusammenhang mit dem Nachtragshaushalt eine Reihe von Kürzungen verabschiedet. Mir geht es jetzt aber um weitere Kürzungen in Höhe von mehr als 150 Millionen Euro. Frau Ministerin, Sie haben gestern davon gesprochen, dass Sie neue Wege gehen wollten. Ich vermute, dass sich diese Aussage auf diese Kürzungen bezieht. Als Beispiel für die neuen Wege haben Sie die Mehrgenerationenhäuser angesprochen. Vor diesem Hintergrund

frage ich Sie, wie die Zukunft für die bestehenden Mütterzentren aussieht.

Sie unterschätzen mich bei weitem, wenn Sie meinen, „neue Wege“ hieße für mich nur Kürzungen. Das ist etwas, was Ihnen im Augenblick Probleme bereitet. Man muss Sozialpolitik tatsächlich neu denken. Bezüglich der Mehrgenerationenhäuser und der Mütterzentren haben wir ausdrücklich gesagt: Ein Kriterium für Mehrgenerationenhäuser ist, dass wir vor Ort bestehende Strukturen nicht zerschlagen oder zu ihnen in Konkurrenz treten. Vielmehr lautet das Stichwort hier „Integration“ bzw. „Bündeln unter einem Dach“. So weit zur Zukunft der Mütterzentren.

(Beifall bei der CDU)

Frau Krämer!

Frau Ministerin, welche Auswirkungen werden die Mittelkürzungen im Suchtbereich auch auf das von Ihnen sehr gelobte Projekt der Landeshauptstadt Hannover zur Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige haben?

(Beifall bei der CDU)

Herr Dr. Matthiesen!

Frau Ministerin, wir stehen in der Sozialpolitik vor gewaltigen Herausforderungen, beispielsweise im Bereich der Pflege und der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Diese Probleme haben sich nicht von einem Tag auf den anderen ergeben. Haben Sie bei Ihrem Amtsantritt ein sozialpolitisches Konzept der damaligen SPD-Landesregierung vorgefunden?

(Ulrich Biel [SPD]: Selbstverständ- lich! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Ich glaube, das ist eine Aufbaufrage!)

Gefunden haben wir es nicht. Wir suchen noch.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU - Wolfgang Jüttner [SPD]: Haben Sie denn keine Ordnung in Ihrem Hause? - Beifall bei der SPD)

- Wir haben Ordnung im Hause; deshalb suche ich ja noch.

(Bernd Althusmann [CDU]: Wer su- chet, der findet!)

- Wer suchet, der findet. Das ist richtig.

Ich meine, man sollte grundsätzlich aufrichtig miteinander diskutieren, ob das Selbstverständnis „Hauptsache wir halten unser Geld eisern fest“ - als Beispiel - die Art von Sozialpolitik ist, die auch ihr Ziel erreicht. Wir müssen doch die Frage stellen, wie das knappe Geld, das wir haben, eingesetzt ist. Erreicht es auch tatsächlich die Menschen vor Ort, die Hilfe brauchen, und zwar hinsichtlich Schlankheit und Geschwindigkeit? Es kann also nicht nach der Vorstellung gehen: Je mehr ich nach außen verteidige, desto richtiger ist es. Denn wir haben auch im Sozialenhaushalt eine Gesamtverantwortung für dieses Land. Wir sollten nicht annehmen, dass der Sozialhaushalt von dem Wohlergehen des Landes völlig abgekoppelt ist.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich habe gestern mit Herrn Schwarz die Auseinandersetzung darüber geführt, was die Grundhaltung ist, ob man sagt, wir halten eine Geldsumme aus Prinzip aufrecht, obwohl sie in diesem Jahr nicht mit einem Projekt unterlegt ist, oder ob man sagt, dass es aufrichtiger ist, dieses Geld, das zurzeit nicht mit einer Leistung unterlegt ist, in diesem Jahr abzuliefern, sodass dann das Geld anders eingesetzt werden kann. Nur die Vorstellung „Meine Ressortgrenzen sind das Einzige, was ich sichern muss“, macht noch lange keine effiziente Sozialpolitik, zeigt noch lange nicht Gesamtverantwortung für das Land und zeigt noch lange nicht, dass man verstanden hat, wie die Wechselwirkungen zwischen dem Land und dem Sozialhaushalt sind.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Harden!

Frau Ministerin, Sie haben hier deutlich gemacht, dass die Kosten der Jugendhilfe sowohl beim Land als auch bei den Kommunen ein gravierendes Problem ausmachen. Wenn Sie schon kein Konzept vorgefunden haben, welches Konzept haben Sie denn mitgebracht, um die Kosten für die Jugendhilfe langfristig zu reduzieren und sie nicht nur durch Erhebung einer Gebühr zu decken?

Wir werden gemeinsam mit den anderen Bundesländern, denen es genauso geht wie uns, also den A- und den B-Ländern, die Grundprinzipien in diesen Gesetzen wieder darauf überprüfen, ob sie noch erfüllt werden. Das erste Grundprinzip bei sozialen Leistungen des Staates ist Bedürftigkeit, das zweite ist Subsidiarität, also dass sich die kleinere Einheit zunächst einmal helfen soll und danach die größere Einheit einspringt, aber dann springt die größere Einheit auch zuverlässig ein. Der nächste Punkt ist aktivierende Hilfe zur Selbsthilfe, also nicht Bestände zu zementieren, sondern immer wieder danach zu suchen, ob die Hilfe aktivierend ist, damit man das Ziel verfolgen kann, damit zum Schluss die Selbständigkeit, die Eigenverantwortung auch wieder hergestellt wird. Und der vierte Punkt ist ein ganz entscheidender: die Deregulierung, die Entbürokratisierung. Es kann nicht sein, dass wir unendliche Zeit durch Bürokratie binden. Mir sagen die Pflegekräfte, dass sie am Tag die Hälfte ihrer Zeit damit verbringen, über Formularen zu sitzen, anstatt die Zeit für Zuwendung nutzen zu können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Helmhold, bitte!

Frau Ministerin, bislang habe ich Ihre Einlassungen so verstanden, dass Sie sich aus der Bündelung von Förderaufgaben Einsparpotenziale erhoffen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Welche Förderrichtlinien und Fördertöpfe werden in Zukunft überflüssig, z. B. im Bereich Altenhilfe, Altenbetreuung, Jugendgruppen und Krabbelgruppen, Schülerbetreuung, wenn diese Aufgaben unter dem Dach des Mehrgenerationenhauses gebündelt werden?

Frau Helmhold, es geht nicht darum, in Konkurrenz zu treten. Es geht darum, diese Dinge unter einem Dach zu bündeln. Die Frage, welche Fördertöpfe überflüssig werden, ist ganz unsinnig. Wir wollen die Professionalisierung in den einzelnen Sparten, die Trennung von den einzelnen Angeboten zu den nächsten Angeboten aufheben, weil es dazwischen ein soziales Potenzial gibt, das wir inzwischen unbedingt in unsere Gesellschaft - auch zur Bereicherung unserer Gemeinschaft - einsetzen müssen, und wir wollen die Kräfte, die es zwischen den Generationen gibt, die sprachlos und inzwischen getrennt miteinander umgehen, mobilisieren. Das heißt nicht, dass man Dinge zusammenstreichen will - im Gegenteil: Man will die Dinge bereichern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Weddige-Degenhard stellt jetzt ihre zweite Frage.

Frau Ministerin, „soziale Hilfen für Bedürftige“ klingt gut. Aber wie definieren Sie „Bedürftigkeit“?

(Dr. Harald Noack [CDU]: Jetzt kommt der Nachhilfeunterricht!)

Dazu gibt es ein gewaltiges Regelwerk in unserer Gesellschaft und Spielregeln, die ich weiß Gott nicht innerhalb von fünf Minuten definieren kann.

(Beifall bei der CDU)

Frau Heiligenstadt, bitte!

Frau Ministerin, Sie haben angekündigt, dass Sie die gewachsenen Strukturen im Land Niedersachsen trotz der Kürzungen im Sozialhaushalt erhalten wollen. Welche Strukturen bleiben trotz der Kürzungen ganz konkret erhalten? Bitte konkret!

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Konkret ist nicht ihre Stärke!)

Wir haben gesagt, wir werden keine flächendeckenden sozialen Strukturen zerschlagen, und Sie werden das nach Vorlage des Haushaltsentwurfs 2004 auch überprüfen können.

Herr Möhrmann, bitte!

Frau Ministerin, wir lernen heute Morgen, dass Sie mit Ihrem Konzept noch nicht an die Öffentlichkeit gehen wollen. Aber vielleicht gibt es die Möglichkeit, uns die Frage zu beantworten, welche von den Kürzungen, die das alte Kabinett Gabriel schon im November vorgeschlagen hatte - Sie haben gestern zu Recht darauf hingewiesen, dass Sie es möglicherweise nicht umsetzen wollen -, Sie vornehmen wollen. Dann würde es ja deutlicher werden, wo Sie andere Schwerpunkte setzen. Vielleicht können Sie dazu einmal etwas sagen.

(Zuruf von der SPD: Die hat sie noch nicht gefunden!)

Herr Möhrmann, Sie wissen doch ganz genau, dass wir im Kabinett noch in dem Stadium der Meinungsbildung sind und dass Sie dazu von mir jetzt noch keine Antwort im Detail bekommen werden. Sie werden das nach Vorlage des Haushaltsplanentwurfes 2004 bekommen.