Protocol of the Session on September 16, 2010

... ganz im Gegenteil.

Aber eines hat die Diskussion eben gezeigt: Es ist sehr nötig, diese Diskussion zu führen, aber nicht nur in diesem Parlament, sondern weit darüber hinaus, denn ich denke mal, viele Menschen gucken sehr befremdlich auf den Umstand, dass die Wehrpflicht eingefroren werden soll. Wir haben in den letzten Jahren ja sowieso das ständige Zurückfahren miterleben können. Und der soziale Dienst an der Gesellschaft ist ein Gut, das sich nicht immer nur auf den Zivilersatzdienst beschränken soll. Das Freiwillige Soziale Jahr und auch andere freiwillige Dienste haben sich in der Tat sehr bewährt. Aber ich denke, in der Gesellschaft gibt es durchaus viel Verständnis dafür oder gäbe es durchaus viel Verständnis dafür, die jungen Menschen mehr in die Pflicht zu nehmen, als das bislang der Fall ist.

(Marc Reinhardt, CDU: Da sind wir uns ja einig.)

Aber man kann so einen Umbau überhaupt nur ins Auge fassen, wenn man einen ganz breiten gesellschaftlichen Diskurs auch in dieser Angelegenheit führt. Diesem „immer nur der Aspekt der Finanzierbarkeit“ – und das ist ja auch ein Grund mit, warum die Bundeswehrpflicht jetzt eingefroren wird, denke ich mal – darf man in diesem Zusammenhang nicht immer den Vorrang geben.

Herr Leonhard hat sich natürlich mit den Argumenten Berufsfreiheit und dem wirtschaftlichen Aspekt eindeutig positioniert, wo für ihn das Grundübel in einem Pflichtjahr liegt. Ich denke mal, ein Pflichtjahr hat natürlich Vor- und Nachteile, aber das freiwillige Engagement muss in jedem Fall auf stabilere Füße gestellt werden. Dazu hat die Sozialministerin hier konkrete Aussagen gemacht. Das kann man sich nur wünschen, dass das eine sehr breite Basis vom Bund mitfinanziert und mitorganisiert.

Ob man dann auf jegliche soziale Dienste junger Menschen an der Gesellschaft in Form von Zwang verzichten kann und will, das muss die Zukunft eigentlich zeigen. Festgestellt haben hier aber alle unisono, dass der freiwillige soziale Dienst am Gemeinwesen der Entwicklung junger Menschen sehr förderlich zugute kommt, das sehe ich ganz genauso. Trotz alledem würde ich zu diesem Zeitpunkt nicht für die Einführung eines sozialen Jahres als Pflichtjahr plädieren, glaube aber, die Diskussion ist in keiner Weise abgeschlossen. Deswegen kann man zum jetzigen Zeitpunkt so einem Antrag, den ich ganz schön schlicht gehalten finde, nicht zustimmen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Danke, Frau Tegtmeier.

Das Wort hat jetzt noch einmal der Abgeordnete Herr Leonhard von der Fraktion der FDP.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Dem Grunde nach, das will ich auch für meine Fraktion hier feststellen,

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

haben wir uns in den Ausführungen der Sozialministerin durchaus wiederfinden können als FDP-Fraktion, denn aus meiner Sicht hat sie durchaus klargestellt, warum wir eben die Unterstützung der Freiwilligendienste insbesondere hier in Mecklenburg-Vorpommern benötigen.

Allerdings will ich durchaus noch mal kurz auf die volkswirtschaftliche Betrachtung dieses Themas eingehen, denn es wird ja immer wieder von den Vorteilen der sogenannten kostengünstigeren Zivildienstleistenden gesprochen. Ich kann, die FDP-Fraktion kann keine Einsparungen erkennen, wenn ein Jugendlicher ein Jahr später mit dem Medizinstudium anfängt, also zwölf Monate später Patienten behandelt und Leben rettet.

(Udo Pastörs, NPD: Das ist aber ein eigenartiger Vergleich.)

Die FDP-Fraktion kann keine Einsparungen erkennen, wenn ein zukünftiger Ingenieur ein Jahr später Maschinen plant oder Erfindungen anmeldet. Und wir können keine Einsparungen erkennen, wenn ein junger Handwerksgeselle nach seiner Lehre ein Jahr ausbildungsfremd eingesetzt werden sollte.

(Marc Reinhardt, CDU: Der Zusammenhalt hat für die FDP keinen Wert. – Zuruf von Rudolf Borchert, SPD)

Angesichts des wachsenden Fachkräftemangels in allen Bereichen, gerade in unserem Bundesland – wir reden hier über Mecklenburg-Vorpommern –, ist die Forderung nach einem Pflichtjahr geradezu absurd. Es gibt Experten, die von – und lassen Sie uns einfach mal auf die Zahlen gucken – 20 Milliarden Euro jährlich entgangener Produktivität der jungen Dienstleistenden ausgehen und 7,5 Milliarden Euro Kosten für die notwendige Bereitstellung von Dienststellen errechnet haben. Und aus diesem Grund, meine Damen und Herren, ist ein verpflichtendes obligatorisches Dienstjahr weder ökonomisch noch gesellschaftspolitisch …

(Harry Glawe, CDU: Wir geben in Mecklenburg-Vorpommern 3,5 Milliarden für Gesundheit aus.)

Ich habe die Zahlen hier, denke ich, deutlich zum Tragen gebracht.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Es haben sich Leute mit diesem Thema beschäftigt und wir reden hier nicht über sechsstellige Summen, sondern wir reden über Milliarden, die hier offensichtlich im Rennen stehen.

(Harry Glawe, CDU: 3,5 Milliarden geben wir in Mecklenburg-Vorpommern aus. Das ist ja nicht zu glauben! – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Und aus diesem Grund, meine Damen und Herren, macht ein verpflichtendes Dienstjahr sowohl ökologisch als auch volkswirtschaftlich aus Sicht der FDP-Fraktion keinen Sinn

(Harry Glawe, CDU: Für FSJ geben wir 800.000 aus.)

und bewegt sich – und das will ich vielleicht auch noch mal ganz kurz ansprechen, weil es immer so unterschwellig gesagt wird – rein verfassungsrechtlich, rein juristisch auf ganz dünnem Eis. Und aus diesem Grund bitten wir Sie, uns zuzustimmen in unserer Auffassung, denn wir werden so ein Dienstjahr mit aller Deutlichkeit ablehnen, meine Damen und Herren.

(Marc Reinhardt, CDU: Wenn sich alle freiwillig entscheiden, dann sind die Kosten ja auch ganz schön.)

Danke, Herr Leonhard.

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 5/3731. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Danke. Die Gegenprobe. – Danke. Enthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 5/3731 bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE und der FDP, Ablehnung der Fraktion der SPD, der CDU und der NPD abgelehnt.

Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Es wurden 30 Minuten für die Mittagspause vorgesehen. Das heißt, wir fangen dann 13.45 Uhr hier wieder an.

Unterbrechung: 13.12 Uhr

Wiederbeginn: 13.49 Uhr

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 25: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Keine einseitige Belastung der Versicherten – solidarisches Gesundheitswesen stärken, Drucksache 5/3653.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Keine einseitige Belastung der Versicherten – solidarisches Gesundheitswesen stärken – Drucksache 5/3653 –

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 5/3772 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Dr. Linke von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich hoffe nicht, dass der Kreis, der jetzt hier ist, allein die gesetzlich Krankenversicherten des Landtages sind, denn um dieses Thema geht es ja hier.

(Reinhard Dankert, SPD: Ich bin es auf alle Fälle.)

Ja, ist okay, Herr Dankert, Herr Grabow, okay. Ich freue mich, wir sind schon drei.

Frau Präsidentin, Verzeihung, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Vertreter der CDU/CSU und der FDP haben es sich mit ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, die guten alten bismarckschen Regeln der Solidarität und Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung durch den ordnungspolitischen Grundsatz des Wettbewerbs zu ersetzen. Die in der Öffentlichkeit kontrovers und mitunter nebulös geführte Debatte der Koalitionspartner um die Kopfpauschale ist bekannt. Nun hat sich der Nebel gelichtet und das Ziel liegt in Gestalt des Entwurfs eines Gesetzes auf dem Tisch, woraus sich im Übrigen auch unser Änderungsantrag herleitet.

Das Bundesministerium für Gesundheit bekennt in diesem Gesetzentwurf, dass Deutschland ein gut funktionierendes Gesundheitswesen hat, das sich übrigens allen historischen Widrigkeiten zum Trotz in den vergangenen 130 Jahren durch eine starke gesetzliche Krankenversicherung, also beitrags- und nicht steuerfinanziert, sowie durch starke Selbstverwaltungen entwickelt hat. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll dieses Fundament, an dem ja schon die rot-grüne und schwarzrote Koalition gewaltig gekratzt haben, von den Politikern gesprengt werden, ungeachtet der hohen Wertschätzung durch die Betroffenen, die Versicherten nämlich.

In Deutschland sind 72 Millionen Menschen gesetzlich krankenversichert, die ihre Kasse, ihre Kassen gerade wegen des gesetzlich verankerten Solidarprinzips schätzen. Gesetzliche Krankenversicherung, das war bisher solidarische Umverteilung der Beiträge unter den Versicherten, von den Beziehern höherer Einkommen zu denjenigen Versicherten mit niedrigen Einkommen, von niedrigen zu hohen Gesundheitsrisiken, von Alleinstehenden zu Familien mit Kindern und von jungen zu älteren beziehungsweise alten Menschen. Einkommensumverteilung, Risikoausgleich, Familienlastenausgleich, Generationenausgleich gleich Solidarität. Jeder zahlt nach seinen finanziellen Möglichkeiten und erhält im Bedarfsfalle Leistungen entsprechend der Schwere seiner Erkrankungen und nicht nach der Höhe der eingezahlten Bei

träge. Solidarität, verehrte Abgeordnete, so wenige wir jetzt auch gerade sind, Solidarität, so merken wir uns beim Blick in den Gesetzentwurf, das war einmal.

Am zweiten Grundsatz, dem der Parität der Beitragszahlung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wurde ebenfalls schon seit Jahren herumgebohrt. Zuzahlungsregelungen großen Ausmaßes sind eingeführt worden, wodurch die Arbeitgeber immer weiter entlastet wurden und gegenwärtig weniger als 40 Prozent der Kosten für das Gesundheitswesen tragen. Eine Zahl: Im Jahr 2005 betrug das Gesamtaufkommen der gesetzlichen Krankenversicherung 150 Milliarden Euro. 15 Milliarden Euro zahlten die Arbeitgeber damals weniger als die Versicherten durch diese Schieflage.

Jährlich werden im Gesundheitswesen etwa 250 Milliarden Euro umgesetzt, davon im Jahr 2009 etwa 167 Milliarden allein über die gesetzliche Krankenversicherung. So, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, erschließt es sich schnell, dass das Gesundheitswesen nicht nur dem einzelnen Bürger lieb und teuer ist, sondern auch jedem im Gesundheitswesen tätigen Unternehmer, sei er Arzt, Apotheker, Hersteller von Arzneimitteln, Heil- und Hilfsmitteln und so weiter und so weiter. Wer möchte nicht gerade in Krisenzeiten gern und dauerhaft eine stabile Nachfrage, gesicherte Umsätze und hohe Gewinne erzielen?

Diesen Wunsch hat die neue Bundesregierung nun zu ihrer Herzensangelegenheit gemacht, sich auf zwei weitreichende, die Parität und die Solidarität zerstörende Eingriffe verständigt und sich dabei als Lobbyistin erwiesen sowohl der Arbeitgeber, die Beiträge entrichten, als auch der Unternehmer, die medizinische Leistungen unterschiedlichster Art erbringen und sich damit ihre Gewinne sichern. Anders als die vorhergehenden Regierungen, die ihre Maßnahmen des Sozialabbaus mit einer angeblichen Kostenexplosion im Gesundheitswesen und daraus erwachsenden Gefährdungen im Wettbewerb um den Wirtschaftsstandort Deutschland wegen zu hoher Lohnnebenkosten begründeten, bringen die gegenwärtig regierenden Parteien diese Prosa nur noch in Nebensätzen unter und kommen gleich zur Sache. Es heißt: „Die Versicherten sollen auf der Basis des bestehenden Leistungskatalogs soweit wie möglich ihren Krankenversicherungsschutz selbst gestalten können.“ Nachzulesen im Koalitionsvertrag, und so wird es im Gesetzentwurf umgesetzt.

Ja, verehrte Abgeordnete, ihren Gesundheitsversicherungsschutz selbst gestalten, heißt ja für die Versicherten nichts anderes, als selbst zu zahlen. Was soll denn der Versicherte, der kein Medizinstudium absolviert hat, im Krankheitsfalle sonst selbst gestalten? Ja, so hat sich die Regierung entschieden, die Beitragssätze gesetzlich festzuschreiben. Das ist ein Novum, seit es den Gesundheitsfonds gibt. Zuvor waren die Beitragssätze durch die Selbstverwaltungsorgane festgelegt, abgewogen, damit alle Belastungen vertretbar blieben, auch die Unterschiede zu anderen Krankenkassen.

Das war von unseren Altvordern klug eingefädelt. Solange die Arbeitgeber und die Versicherten selbst entscheiden, also aushandeln, was sie zu zahlen haben, werden sie Vorkehrungen treffen, die Kosten zu minimieren oder, noch besser, die Kosten zu optimieren, und zwar über die Möglichkeiten des betrieblichen Gesundheitsmanagements – wir hatten das Thema bereits heute, ich weiß, der Herr Innenminister ist leider nicht da –, also durch gesundheitsfördernde Vorsorgemaß

nahmen am Arbeitsplatz, und das kann man jetzt einfach noch mal einschieben, an den Herrn Innenminister, das heißt eben, auch bei der Polizei. Und das war aus vielerlei Gründen immer im gemeinsamen Interesse von Dienstherren und Beamten beziehungsweise von Arbeitgebern und Beschäftigten.

Wir erinnern uns, in den 70er-Jahren des vorvergangenen Jahrhunderts erlebte die Industrie einen gewaltigen Aufschwung bei katastrophalsten Arbeitsbedingungen. Und Bismarck, der schlaue Fuchs, brachte die allein von den Arbeitgebern zu entrichtende Unfallversicherung in dieser Zeit auf den Weg. Auch hieran wird ja heute kräftig die Axt angelegt, aber das soll später zu einem gesonderten Thema betrachtet werden.