Protocol of the Session on July 8, 2010

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das ist aber traurig. Das ist aber schade!)

da der Antragsteller seinen Antrag zwischenzeitlich zurückgezogen hat.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 15: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Europäische Richtlinie zum Gebrauch der Muttersprache im Strafverfahren rasch umsetzen, Drucksache 5/3569.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Europäische Richtlinie zum Gebrauch der Muttersprache im Strafverfahren rasch umsetzen – Drucksache 5/3569 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat des Bundesverfassungsgerichtes beginnen, das die Rechtslage und die Thematik verdeutlichen soll. Das Bundesverfassungsgericht stellte in einer Entscheidung aus dem Jahr 2003 fest, ich zitiere: „Jeder Ausländer hat im Verfahren vor Gerichten der Bundesrepublik dieselben prozessualen Grundrechte sowie denselben Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren wie jeder Deutsche... Das Recht auf ein faires Verfahren verbietet es, den der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen Angeklagten zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen; er muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können...“ Zitatende.

Neben dieser Rechtsprechung finden wir auch gesetzliche Regelungen in Deutschland wie in Paragraf 185 Gerichtsverfassungsgesetz, der besagt: „Wird unter Beteiligung von Personen verhandelt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, so ist ein Dolmetscher zuzuziehen.“ In Paragraf 464c Strafprozessordnung finden Sie Regelungen zu der Übernahme von Dolmetscherkosten.

Sie sehen, in Deutschland gibt es bereits viele gesetzliche Regelungen, die die Rechte der Richtlinie für Deutschland verbindlich vorsehen. Insofern könnte die Frage aufkommen: Wie praxisrelevant ist der Antrag der LINKEN nach einer raschen Umsetzung der Richtlinie zum Gebrauch der Muttersprache im Strafverfahren? Nun, die Frage ist ganz einfach zu beantworten, Herr Dr. Jäger. Unsere Gesetze regeln die Rechte von Dolmetscherleistungen nicht so umfassend, wie es die Richtlinie vorsieht.

(Michael Andrejewski, NPD: Gott sei Dank!)

Beispielsweise der Grundsatz, dass bereits im Ermittlungsverfahren ein Recht auf einen Dolmetscher besteht –

(Dr. Ulrich Born, CDU: Und das glauben Sie?)

natürlich ist dieser Grundsatz durch die Rechtsprechung anerkannt, aber er ist nicht in den entsprechenden Gesetzen niedergeschrieben.

(Reinhard Dankert, SPD: Das wird aber gemacht.)

Dies sollte aber im Sinne der Betroffenen und auch zur Umsetzung der entsprechenden europäischen Richtlinie geschehen.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Oder aber die Forderung der Richtlinie an die Mitgliedsstaaten, dass es ein Verfahren oder einen Mechanismus geben solle, mit dessen Hilfe festgestellt werden kann,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist Recht und Gesetz.)

ob die verdächtige oder beschuldigte Person die Sprache versteht. Auch das gibt es bisher nicht. Zugegeben, nach Paragraf 464c Strafprozessordnung gibt es die Möglichkeit, die Kosten dem Angeschuldigten aufzuerlegen, wenn sich herausstellen sollte, dass kein Dolmetscher benötigt worden wäre. Oder aber die Ausweitung der Rechte auf Dolmetscherleistungen, die halt nicht nur für das Vorverfahren, das eventuelle Rechtsmittelverfahren gelten sollen, sondern auch für die Kommunikation mit dem Rechtsanwalt.

Bedeutsam ist aus unserer Sicht, dass die Richtlinie jetzt auch vorsieht, dass eine Entscheidung des Gerichtes, wonach keine Übersetzung von Dokumenten oder Passagen notwendig ist, angefochten werden kann. Unser Gerichtsverfassungsgesetz sieht das gerade nicht vor, nachzulesen in Paragraf 185.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Darüber hinaus muss aus unserer Sicht auch in Bezug auf das Recht zur Übersetzung maßgeblicher Unterlagen in Deutschland nachgebessert werden. Das betrifft insbesondere zum Beispiel auch die Übersetzung der Urteilsgründe des schriftlichen Urteils. Diesen Anspruch gibt es bisher im Strafverfahren nicht. Wenn allerdings ein faires Verfahren angestrebt wird, so gehört das einfach dazu, denn schließlich muss ein Verurteilter auch wissen, welche Gründe zu diesem Urteil führten und ob er dann dagegen Rechtsmittel einlegt.

Und bevor Sie, meine Damen und Herren, auf die Idee kommen, uns auf die Bundesebene zu verweisen, sei an dieser Stelle gesagt, die Umsetzung der Richtlinie gibt genügend Ansatzpunkte, um auch in unserem Land tätig zu werden. Da wäre zum Beispiel der Artikel 6 der Richtlinie, wo es heißt: „Unbeschadet der Unabhängigkeit der Justiz und des unterschiedlichen Aufbaus der Justiz... fordern die Mitgliedstaaten von denjenigen, die für die Weiterbildung von an Strafverfahren beteiligten Richtern, Staatsanwälten und Justizbediensteten zuständig sind, ein besonderes Augenmerk auf die Besonderheiten einer dolmetschergeschützten Kommunikation zu legen, damit eine effiziente und wirksame Kommunikation sichergestellt wird.“ Aus unserer Sicht ist hier das Justizministerium in der Pflicht, diese Weiterbildung auch sicherzustellen. Und wir wollen wissen, wie.

Und noch einen zweiten Ansatz sehen wir, dies in Mecklenburg-Vorpommern umzusetzen. Wir haben im letzten Jahr hier im Landtag das Untersuchungshaftvollzugsgesetz verabschiedet. In dessen Paragraf 7 Absatz 1 ist vorgesehen, dass mit den Untersuchungsgefangenen unverzüglich ein Zugangsgespräch geführt wird, in dem ihre gegenwärtige Lebenssituation erörtert wird und sie über ihre Rechte und Pflichten informiert werden. Nach Absatz 2 kann eine Verständigung auch durch andere Gefangene erfolgen.

(Vizepräsident Hans Kreher übernimmt den Vorsitz.)

Dass wir bereits in der entsprechenden Debatte eine Lösung eingefordert haben, sei an dieser Stelle nur nebenbei bemerkt. Zur Erinnerung: Wir wollten, dass bei einem Zugangsgespräch ein Anspruch auf einen Dolmetscher bestanden hätte. Dieser Fall ist zwar von dem Anwendungsbereich der Richtlinie nicht erfasst, aber die Richtlinie sieht auch vor, dass die in der Richtlinie verankerten Rechte durch die Mitgliedsstaaten ausgeweitet werden können. Und auch das kann die Landesregierung mit in ihre Überlegungen einbeziehen.

Ich denke, dass es darüber hinaus noch weitere Anknüpfungspunkte gibt. Deshalb bitten wir um den Bericht der Landesregierung und um die Zustimmung zu unserem Antrag. Da der Landtag weiter in diesen Prozess einbezogen werden sollte, beantrage ich die Überweisung in den Europa- und Rechtsausschuss. Und mit unserer Forderung nach einer raschen Umsetzung sind wir auch nicht allein. Dazu werde ich in der Aussprache einiges sagen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Borchardt.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Um das Wort hat zunächst gebeten die Justizministerin des Landes Frau Kuder. Frau Kuder, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!

Sehr geehrte Frau Borchardt, in Ihrem Antrag fordern Sie die Landesregierung auf, über gesetzgeberischen Handlungsbedarf für Mecklenburg-Vorpommern zu berichten. Sie sagen, wir hätten Zeit bis zum 30. Juni dieses Jahres. Ich glaube aber, das können wir heute hier und jetzt auch erledigen, denn um das gleich vorwegzusagen – Sie haben es im Prinzip ja schon vorweggenommen –, aus meiner Sicht gibt es keinen Handlungsbedarf. Ich erläutere Ihnen das auch gerne noch mal:

Die Richtlinie des Europäischen Parlaments über die Rechte auf Dolmetscherleistungen und auf Übersetzungen in den Strafverfahren enthält Mindestvorschriften für das Strafverfahren. Danach ist Verdächtigen beziehungsweise Beschuldigten, die die Sprache des Verfahrens nicht sprechen oder verstehen, unverzüglich ein Dolmetscher zur Seite zu stellen. Zudem sollen sie auch Anspruch auf die Aushändigung einer schriftlichen Übersetzung der wichtigsten Verfahrensunterlagen haben.

In Deutschland entspricht die Beiordnung eines Dolmetschers im Ermittlungs- und Strafverfahren, also auch im Ermittlungsverfahren, dem Grundsatz des fairen Verfahrens. Dieser ergibt sich aus den Vorschriften der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, kurz auch Menschenrechtskonvention genannt. Seit der Ratifizierung der Menschenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland bereits im Jahre 1953 gelten diese Vorschriften bereits im Range von Bundesrecht.

Für das gerichtliche Verfahren sieht das Gerichtsverfassungsgesetz entsprechende Beschuldigtenrechte vor,

für den staatsanwaltschaftlichen Bereich enthält die bundeseinheitliche Richtlinie für das Straf- und Bußgeldverfahren diese verpflichtenden Vorgaben. Diese sind auch durch die Polizeibeamten als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaften zu beachten.

All diese bundesdeutschen Vorgaben beziehen sich – wie in der Europäischen Richtlinie gefordert – nicht nur auf fremdsprachige, sondern auch auf hör- und sprachgeschädigte Personen. Auch hinsichtlich der Kosten ist bereits alles geregelt. So besteht in Deutschland Kostenfreiheit für Beschuldigte und Angeklagte unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Und auch bei der Qualitätssicherung entsprechen wir in Deutschland bereits heute hohen Anforderungen.

Die Aufforderung, Register einzurichten, in denen unabhängige, angemessen qualifizierte Dolmetscher und Übersetzer geführt werden und die von den beteiligten Behörden und Rechtsbeiständen eingesehen werden können, ist in Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls bereits verwirklicht. Hier im Land führt der Präsident des Oberlandesgerichts Rostock zentral ein Verzeichnis aller im Land Mecklenburg-Vorpommern öffentlich bestellten Dolmetscher und Übersetzer, das von jedermann eingesehen werden kann. Erkenntnisse, dass die Zahl der geeigneten Dolmetscher und Übersetzer nicht ausreichen würde, liegen zumindest uns im Justizministerium nicht vor.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, Sie fordern die Landesregierung zum gesetzgeberischen Handeln auf. Tatsächlich gibt es aber keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Und, Sie haben es schon gesagt und quasi vorweggenommen, es gibt auch keine gesetzgeberische Handlungskompetenz der Landesregierung, denn diese Gesetzgebungskompetenz liegt beim Bund.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich unabhängig davon jedoch noch auf Folgendes hinweisen: Generell begrüße ich den Erlass der Richtlinie. Die Richtlinie trägt nämlich dazu bei, das in Deutschland bereits bestehende hohe Niveau an Verfahrensrechten auch EU-weit zu sichern.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig, genau das.)

Deutschen Staatsbürgern kann damit im EU-Ausland eine gleich hohe Verfahrensgarantie gewährleistet werden. Die Umsetzung der Richtlinie dürfte daher vor allem für andere europäische Staaten von großer Bedeutung sein. Für Deutschland beziehungsweise MecklenburgVorpommern läuft sie hingegen ins Leere. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Danke, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dankert von der Fraktion der SPD.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Eigentlich ist alles gesagt, Frau Borchardt. Die Ministerin hat klar und deutlich betont, dass wir es nicht brauchen. Deutschland ist faktisch Adressat der EU-Richtlinie, aber wir verfahren bereits danach. Der Antrag geht also ins Leere. Ziehen Sie ihn zurück, ansonsten lehnen wir ihn ab.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Danke, Herr Dankert.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Leonhard von der Fraktion der FDP.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag wirft die Frage auf, welche Konsequenzen die Umsetzung einer EU-Richtlinie auf Landesebene hat. Diese Frage stellt sich im Grunde immer bei Entscheidungen auf der europäischen Ebene, meine Damen und Herren. Gleiches gilt natürlich auch für Entscheidungen auf der Bundesebene. Und um es vorab zu sagen, meine Fraktion, die FDP-Fraktion, wird heute diesem Antrag zustimmen.