Protocol of the Session on March 29, 2017

Wer unmittelbar den Staat repräsentiert, darf sich nicht verhüllen. Der Staat ist weltanschaulich zu religiöser Neutralität verpflichtet, da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜ- NEN)

Zweitens: Wichtig und sinnvoll ist auch, dass eine Gesichtsverhüllung nicht an Grenzübergängen, bei Polizeikontrollen oder in Gerichtsverfahren getragen werden kann. Wir wollen, dass zur Identifizierung selbstverständlich ein Gesichtsschleier abgelegt werden muss. Diese beiden Punkte aber sind in den Anträgen heute überhaupt nicht sauber durchdekliniert. Schauen wir uns einmal an, was so ein unkonkreter Antrag wie von der CDU am Ende bedeuten kann. Sie bringen ein, wir sollten uns am bayerischen Gesetz orientieren, ohne irgendwie darauf Bezug zu nehmen oder uns vielleicht einmal selbst eine Gesetzesvorlage zu bringen. Ich habe jetzt einfach einmal hineingeschaut. Bayern will Mitgliedern einer Hochschule die Gesichtsverhüllung verbieten, somit auch Studenten. Bildung, auch Hochschulbildung, ist zentral für Integration. Der Zugang zur Bildung darf unserer Auffassung nach nicht durch Kleidungsvorschriften eingeschränkt werden. Das ist einfach falsch.

(Beifall bei der FDP)

Den Vorschlag aber nun, sich an dem Gesetzentwurf aus dem Bundestag zu orientieren, halten wir für absolut vernünftig. Er enthält genau die Punkte, auf die es ankommt und die wir auch fordern, ein Verhüllungsverbot bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten und bei der Identifizierung. So einfach kann das sein. Wenn das Bundesgesetz beschlossen ist, dann fordern wir, dass wir hier eine schnel

(Christiane Schneider)

le Umsetzung haben. Ich habe auch den Eindruck, das ist hier allseits Konsens.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Können wir mitklatschen?

(Urs Tabbert SPD: Wir sind auch liberal!)

Danke schön, ich merke das schon!

Weder AfD noch CDU schaffen es heute mit ihren Anträgen, eine sachgerechte und differenzierte Position vorzulegen, deswegen lehnen wir beide Anträge ab.

Fazit: Wir lehnen die Vollverschleierung grundsätzlich ab, da sie Ausdruck eines mittelalterlichen Verständnisses von Gesellschaft und Religion ist. Aber ein pauschales staatliches Verbot halten wir für integrationspolitisch völlig kontraproduktiv, genauso wie weitere Show-Debatten hier in diesem Hause dazu. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜ- NEN)

Das Wort bekommt der fraktionslose Abgeordnete Dr. Flocken.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Volksvertreter! Die Ausführungen von Propheten und Religionsstiftern gelten nicht als besonders geeignete Basis, um darauf eine sinnvolle Debatte aufzubauen, und deshalb freue ich mich sehr, dass keiner der Redner dieser Versuchung erlegen ist. Wir müssen aber versuchen, aus der Geschichte zu lernen. Das sagen Sie doch selbst auch immer. Da gibt es eine sehr, sehr zuverlässige Quelle, gerade für uns als gesetzgebendes Organ, und zwar die mittelassyrische Rechtssammlung. Mittelassyrisch bezieht sich hier auf die Zeit, also den mittleren Abschnitt des assyrischen Reiches, im späten zweiten Jahrtausend vor Christus,

(Dr. Monika Schaal SPD: Also am Ur- schleim!)

also im Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit.

Der Ort ist also eher der Norden des Irak, das heutige Siedlungsgebiet der Kurden. Und dort heißt es in einem Text, der ungefähr 1100 vor Christus geschrieben ist und den ich jetzt zitiere nach Professor Eckart Otto, ehemals Hochschullehrer für biblische Archäologie in Hamburg, später dann in München. Dort heißt es in Paragraf 40:

"Ehefrauen eines Aylo, Witwen oder assyrische Frauen, die auf die Straße hinausgehen, lassen ihren Kopf nicht unverschleiert. Wenn sie bei Tage allein auf den Platz gehen, verhüllen sie sich auf jeden Fall. Eine Priesterin, die einen Ehemann geheiratet hat, ist auf dem Platz verhüllt. Eine, die kei

nen Ehemann geheiratet hat, lässt auf dem Platz ihren Kopf unverhüllt. Eine Harimtu"

das ist also eine Prostituierte –

"verhüllt sich nicht. Ihren Kopf lässt sie unverhüllt. Eine Sklavin verhüllt sich nicht."

(Nebahat Güçlü fraktionslos: Was hat das mit dem Thema zu tun?)

Zitatende.

Es ist natürlich ein bisschen sperrig,

(Urs Tabbert SPD: Auch Ihr Text ist sehr sperrig!)

ein 3 000 Jahre alter Text.

(Zuruf von Jörg Hamann CDU)

Ja, es ist wichtig.

(Jörg Hamann CDU: Aktuell wie immer, Herr Kollege!)

Richard Haase schreibt in seiner kommentierten Ausgabe der keilschriftlichen Rechtssammlung von 1979:

"Das mittelassyrische Verhüllungsgebot für Prostituierte und Sklaven diente der sozialen Deklassierung und Stigmatisierung der nicht frei geborenen Ehefrauen. Ehefrauen und verheiratete Konkubinen galten als respektabel, was durch die Verschleierung in der Öffentlichkeit äußerlich sichtbar gemacht wurde. Prostituierte und Sklavinnen hingegen standen nicht unter dem Schutz eines Ehemannes und galten daher als nicht respektabel."

Zitatende.

Hier wird deutlich, dass es nicht um Unterdrückung der Frauen ging. Natürlich ging es um Unterdrückung der Frauen, aber die ist natürlich in einer durch und durch patriarchalen Umgebung auch ohne ein Textil möglich.

(Dennis Gladiator CDU: Ganz ohne?)

Es geht also zuerst um etwas anderes, und zwar darum zu signalisieren, die verschleierten Frauen stehen unter dem Schutz der herrenmenschlichen Ehemänner. Unverschleierte Frauen dagegen sind Arbeitssklavinnen, Huren oder Ehefrauen von Arbeitssklaven. Diese Botschaft haben die Menschen immer verstanden, auch zu Zeiten der Bibel und späterer Religionsgründer. Und diese Botschaft verstehen auch Sie und akzeptieren Ihre Unterwerfung und lassen sich von Merkels Gästen durch die Manege ziehen. – Vielen Dank.

Das Wort bekommt Herr Nockemann von der AfD-Fraktion.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

Verehrtes Präsidium, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Schneider, Sie führten vorhin aus, die AfD wolle mit ihrem Antrag Frauen in Burkas von den Straßen verbannen. Richtiger hätten Sie vielleicht formuliert, die AfD will die Burkas von den Straßen verbannen und möchte den Frauen ihre Rechte wiedergeben und möchte den Frauen ihre Erniedrigung ersparen.

(Zurufe von den GRÜNEN – Farid Müller GRÜNE: Das nimmt Ihnen doch niemand ab, Sie als Frauenpolitiker!)

Sehr geehrte Frau von Treuenfels-Frowein, Sie erwähnten eingangs Ihrer Rede, das sei doch wieder eine typische Show-Debatte der AfD, aber später sagten Sie dann, na ja, eigentlich seien Sie doch recht dankbar dafür, dass diese Debatte überhaupt geführt werde.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Stimmt doch gar nicht!)

Also erst einmal ist das ein Widerspruch in sich, und zweitens: Seien Sie uns doch einmal dankbar, dass wir überhaupt so eine Debatte noch anstoßen. Außer uns spricht niemand mehr diese Dinge an.

Angesichts des vorliegenden AfD-Antrags gegen die Vollverschleierung beschwören Sie wieder einmal den Untergang des freiheitlichen Rechtsstaates. Sie dürfen versichert sein, diese Anträge stellen wir nur, weil wir uns um die freiheitliche Kultur unseres Zusammenlebens sorgen.

(Beifall bei der AfD)

Und Sie erwidern hier immer nur mit Ihren einschlägigen und nichtssagenden Stereotypen. Wir hatten vorhin eine teilweise sehr hochwertige Debatte über das Thema Europa. Da wundert es mich sehr, dass Sie immer nur in bestimmten Angelegenheiten auf Europa schauen und europäische Regelungen wollen. Dass die Deutschen Europa bezahlen sollen, ist doch positiv für Sie. Aber wenn es einmal darum geht, den Blick zu heben, über die Grenzen zu schauen und zu sehen, wie es die anderen Staaten machen, beispielsweise Frankreich, beispielsweise Österreich, beispielsweise Belgien, dann sagen Sie, na ja, so könne man es nicht machen, das interessiere Sie nicht. Frau Prien, Sie sagten das auch, was die Franzosen machen, sei Ihnen eigentlich egal. Aber eine derartige Regelung in Deutschland sei eigentlich nicht rechtmäßig.

(Urs Tabbert SPD: Verfassungswidrig!)

Sind denn da in Ländern wie Frankreich und Österreich mit einer langen, freiheitlichen Rechtstradition wirklich nur finstere Populisten am Werk, die solche Regelungen durchsetzen? Sind Sie alle denn überhaupt nur die einzigen Wahrer von Religionsfreiheit? Wissen Sie, der Europäische Gerichtshof

für Menschenrechte hat bezüglich der französischen Regelung entschieden, dass diese rechtmäßig ist, und daran orientiere ich mich.

(Urs Tabbert SPD: Nicht am Verfassungsge- richt!)