Und die SPD? Sie regiert in den meisten Bundesländern und in den meisten Städten, und ihre Vertreter machen vor Ort in vielen Fällen den Job, der nötig ist, um die Probleme zu bewältigen, über die wir heute schon den ganzen Tag sprechen. Sie ist quasi kommunal die deutsche Praxispartei und viele der SPD-Praktiker wissen, dass die Zuwanderung so nicht mehr lange weitergehen kann. Sie wissen um die Probleme wohl mehr als die Kanzlerin und ahnen zumindest, dass noch ganz andere Probleme auf sie zukommen werden. Und die SPD-Spitze? Die eiert wieder mal aus Angst vor den Parteilinken und anderem Unsinn herum. Aber ich sage Ihnen, liebe Kollegen von der SPD-Fraktion: Wenn Sie bei diesem existenziellen Problem der Zuwanderung nicht ohne ideologische Scheuklappen praktische Lösungen finden, die die Men
schen überzeugen und wirklich zu einer Begrenzung führen, dann werden Sie bei der Bundestagswahl noch lange dem schwarzen Kanzlerwahlverein hinterherlaufen.
Ich hoffe, Sie sorgen auch auf Bundesebene, wo Sie in der Regierung sind, für lösungsorientierte, nachhaltige Politik in der Zuwanderungsfrage, denn die Probleme werden nicht in Hamburg gelöst. Die Probleme werden in Berlin und in Brüssel gelöst. Und da müssen wir zumindest anfangen, sie zu lösen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren! Wir haben die erste Runde geschafft. Ich habe jetzt für die zweite Runde eine Wortmeldung von Frau Prien von der CDU-Fraktion.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte es ganz kurz machen, Herr Kruse, damit Sie wissen, wo die CDU in Hamburg steht: Frau Merkel hat selbstverständlich weder illegal noch unvernünftig gehandelt. Sie wissen selbst, dass es ein Gebot der Nothilfe war, das Selbsteintrittsrecht nach Dublin II auszuüben, als Menschen an der ungarischen Grenze unwürdig behandelt wurden. Deshalb, Herr Professor Kruse, war das richtig, und ich persönlich bin froh, dass die Bundeskanzlerin Deutschland und Europa an dieser Stelle ein humanes Gesicht gegeben hat. Ich kann nur, wie Herr Bosbach heute Morgen, sagen: Ich werfe mich für Frau Merkel in jede Schlacht – und so können Sie das auch von der CDU Hamburg erwarten.
Da Sie immer so akademisch unterwegs sind, würde ich Ihnen bei Gelegenheit einmal gern den Unterschied zwischen Zuwanderungspolitik und Asylpolitik erklären. Selbstverständlich muss Zuwanderungspolitik über ein Einwanderungsgesetz oder über unser jetziges Aufenthaltsrecht gesteuert werden, das übrigens, Frau Suding, nach Auffassung der OECD bereits jetzt das modernste der Welt ist. Insofern ist das Einwanderungsgesetz im Moment nicht so ganz das Entscheidende und würde unsere aktuellen Probleme nicht wirklich lösen – aber das würde ich Ihnen bei Gelegenheit einmal erklären. Im Zusammenhang mit der Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen und Asylbegehrenden wäre es auch wichtiger, ernsthaft über wirkungsvolle Maßnahmen zu sprechen und nicht Sprüche zu klopfen, wie es in Ihrer Partei gang und gäbe ist.
Aber das ist aus meiner Sicht eher ein Nebenschauplatz. Herr Bürgermeister, auch wenn Sie das vielleicht nicht gern hören, hätte ich mich heute gern hinter Sie gestellt, weil ich tatsächlich finde, dass wir in dieser Zeit eigentlich einen Schulterschluss suchen müssen und ihn auch finden sollten. Das wäre möglich und geboten, wenn alle in dieser Situation auf ihre Eitelkeiten verzichten würden.
Aber Eitelkeiten sind, wie uns heute gewahr wurde, nicht das Problem. Das Problem ist ein Ausmaß an Selbstgefälligkeit und Ignoranz, das seinesgleichen sucht. Sie feiern sich hier in einer Art und Weise, die angesichts der realen Verhältnisse in Hamburg wirklich kaum zu überbieten ist.
Wenn "Der Tagesspiegel" von gestern schreibt, Bayern könne es, Hamburg eher weniger, dann spiegelt das wohl eher die Realität insbesondere im Zusammenhang mit der Unterbringungsfrage wider. Bevor Sie, Herr Dressel, sich mit dem CSUBashing aufhalten, sollten Sie sich vielleicht einmal in Bayern ansehen, wie man operativ Flüchtlinge vernünftig unterbringt. Ich finde, die Bayern machen da einen großartigen Job, und deshalb gibt es überhaupt keinen Grund, sie hier abzuwatschen.
Sehen wir uns doch einmal an, wie die Realität tatsächlich aussieht. Hamburg hat immer noch über 4 000 Menschen in Zelten untergebracht. Das machen andere Städte deutlich besser. In Berlin sind es nur 1 000, in Bremen 700 und in dem großen Bayern, das in diesem Jahr mehr als 55 000 Flüchtlinge aufgenommen hat, sind genau 1 700 Menschen in Zelten untergebracht – und in Hamburg sind es 4 000. Das ist ein Armutszeugnis.
Herr Dressel, bevor Sie sich Gedanken über den Zustand der CDU und die Zustimmung zur Politik der Kanzlerin machen, machen Sie sich doch lieber Gedanken über Ihren Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, den Brummkreisel, der sein Fähnchen jeden Tag anders nach dem Wind hängt. Sie wissen doch selbst nicht, wo Sie in der Flüchtlingsdebatte stehen.
Es ist schon eine ziemliche Kargheit, wenn Sie selbstgefällig sagen, Fehler könnten überall passieren. Nein, Fehler können passieren, aber strukturelle Fehler muss man beseitigen. Sie haben
selbst gesagt, die Lage sei seit August eine andere geworden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten Sie die strukturellen Defizite Ihrer Flüchtlingspolitik beseitigen müssen, strukturelle Defizite, die sich auf die Frage der Zusammenarbeit zwischen den Behörden beziehen. Es ist richtig, Hamburg hat den Riesenvorteil, zugleich Kommune und Land zu sein. Sie aber schaffen sich Ihre Probleme selbst, indem Sie die Kooperation und die Koordination zwischen den einzelnen zuständigen Behörden bisher nicht hinbekommen haben und auch jetzt nichts dafür tun, um diesen Zustand zu verändern.
Sie haben strukturelle Defizite. Und es ist wiederum ziemlich unverschämt, Herr Dressel, Herrn de Maizière anzugreifen. Was ist denn eigentlich mit Ihren eigenen Kapazitäten im Bereich der Erfassung und Registrierung der Flüchtlinge? Wie kommt es eigentlich, dass wir in Hamburg in der öffentlichen Unterbringung über 28 000 Menschen haben, aber gleichzeitig nur gut 12 000 Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen? Ich will Ihnen sagen, wie es dazu kommt: Weil nämlich die Differenz offensichtlich bisher im System nicht erfasst ist. EASY ist nicht Aufgabe des Bundesamts, sondern es ist Ihre Aufgabe, es ist Aufgabe der Innenbehörde, die Menschen zuerst zu registrieren. Das klappt in Hamburg nicht, und das ist der wahre Flaschenhals, den wir in Hamburg zu beklagen haben.
Wirklich empört hat mich, Herr Bürgermeister, Ihr Zitat des lateinischen Rechtsgrundsatzes ultra posse nemo obligatur – man ist moralisch nicht dazu verpflichtet, das zu leisten, was unmöglich ist. Wollen Sie uns wirklich weismachen, dass Verhältnisse, wie wir sie momentan zum Beispiel in der Schnackenburgallee zu beklagen haben, Verhältnisse sind, die Sie nicht ändern könnten?
Es wäre Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, heute zu erklären, wie Sie diesen menschenunwürdigen Zustand, der in der Schnackenburgallee herrscht, verändern wollen. Wir haben heute von Ihnen erwartet, dass Sie dazu eine Erklärung abgeben.
Diese Erklärung sind Sie uns schuldig geblieben. Aber auch das ist nur ein Teil dessen, was Ihre Ignoranz und Ihre Überheblichkeit ausmacht. Schlimm ist, dass Sie die Hilfsbereitschaft der vielen Freiwilligen und Ehrenamtlichen in dieser Stadt mit Füßen treten. Sie treten sie mit Füßen, weil Sie etwa das Flüchtlingsforum, das wir gern gemeinsam mit Ihnen auf den Weg gebracht haben, nicht
dazu bringen, an die Arbeiten zu gehen. Ich dachte, mich trifft der Schlag, als Sie eben erzählten, das Flüchtlingsforum tage zum ersten Mal am 18. Dezember. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Was machen Sie denn die ganze Zeit?
Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Frau Abgeordnete, Sie haben noch 30 Sekunden Redezeit.
Vielen Dank. – Dann lassen Sie mich noch einen Satz zu Ihnen sagen, Herr Tjarks. Sie tragen einen ganz schön hohen moralischen Anspruch vor sich her. Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht an Ihren eigenen moralischen Anforderungen scheitern. Wenn Sie so weitermachen und diese Politik des Senats mittragen und Verhältnisse wie etwa in der Schnackenburgallee mit unterstützen, dann versagen Sie moralisch. Darüber sollten Sie nachdenken und schleunigst dafür sorgen, dass sich die Verhältnisse hier ändern.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin besorgt – und das habe ich auch aus den Redebeiträgen vieler meiner Vorrednerinnen und Vorredner herausgehört –, aber aus Besorgnis darf keine Resignation und auch keine wilde Schuldzuweisung werden. Mancher zeigt vielleicht aus Besorgnis mit dem Finger auf die anderen, um sich selbst davon freizusprechen, dass er keine andere Lösung findet. Aber das bringt uns nicht weiter. Und Frau Suding, rechtsfreie Räume werden hier nicht geduldet.
Frauen brauchen einen besonderen Schutz. Hierzu wird einiges gemacht und einiges ist noch in Vorbereitung; das muss jetzt intensiv angegangen werden. Aus der gemeinsamen Besorgnis um Menschen, die bei uns Schutz suchen, muss aber auch folgen, dass wir das schaffen, und da wiederum bin ich ganz bei der Kanzlerin, denn drehen wir
diesen Satz doch einmal ins Negative. Sollen wir etwa sagen, wir schaffen das nicht? Wollen wir denn eine Mauer um Deutschland bauen? Sobald ich diesen Satz ausgesprochen habe, müssten doch alle hier im Plenum sagen: Dieser Vorschlag ist absurd.
Klar, die aktuelle Situation mit täglich Hunderten Flüchtlingen, die nach Hamburg kommen, ist eine große Herausforderung. Aber große Herausforderungen meistert man am besten, wenn man versteht, womit man es zu tun hat. Niemandem ist geholfen, wenn Ängste geschürt, parteipolitische Interessen auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen oder verschiedene Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Wichtig ist, dass wir die Zuversicht, dass es gelingen kann, nicht verlieren, und das erfordert, dass gerade wir, die wir Verantwortung in der Stadt tragen, alle Anstrengungen unternehmen, damit sich die Lage verbessert.
Das ist auch als Signal für die freiwillig Engagierten wichtig. Sie sind nämlich nicht die Lückenbüßer für mangelndes staatliches Handeln, wie Sie immer sagen, sondern bringen zusammen mit den Hauptamtlichen wirklich alle Kraft auf, um die Situation zu meistern. Das ist auch gut so.