Protocol of the Session on September 16, 2015

Als Letztes komme ich zu einem Punkt, wo ich ein klein wenig Wasser in den Wein gieße, den ich selbst produziert habe: Man kann mit zentralen Prüfungen nicht alle Fähigkeiten gleichermaßen gut abprüfen. Ich meine nicht nur Teaching to the Test, das ist immer ein Problem, ich meine, dass man auf diese Weise natürlich vorrangig Faktenwissen prüft und nicht das, was mit dem klassischen deutschen Bildungsideal gemeint ist, einem Bildungsideal übrigens, das als Erfolgsmodell um die Welt gegangen ist. Das klassische Humboldtsche Bildungsideal in der Schule heißt: Wir wollen nicht nur Fakten beibringen, wir wollen die Leute auch zu mündigen, kritikfähigen Bürgern erziehen. Das sollte die Schule in jedem Fall auch tun. Wir sollten nicht, wie viele andere Länder, nur die Faktenkenntnis abprüfen und daraus am Ende eine Note machen, die über den weiteren Bildungsgang entscheidet. Aber das könnte man relativ einfach machen, indem man auf dem Abiturzeugnis ausweist: Folgende Noten sind entstanden aus zentralen, bundesweit einheitlichen Fragestellungen und Bewertungen, und folgende Noten sind von Lehrern vergeben worden, die die Schüler längere Zeit kennen und eine andere Kategorie abprüfen, nämlich den Schüler als Bildungsbürger oder kritikfähigen Bürger. Man kann also beide Kategorien im Abiturzeugnis nebeneinanderstellen, aber man sollte auf jeden Fall mit dem Zentralabitur so weit vorangehen wie irgend möglich. Deshalb wird meine Fraktion dem Antrag der FDP-Fraktion zustimmen.

(Beifall bei der AfD)

Das Wort bekommt nun Senator Rabe.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir gemeinsam das Schulsystem verbessern wollen, dann müssen wir in der Tat kritisch und genau hinsehen, aber wir sollten auch in der Kritik objektiv und ehrlich bleiben. Dazu zählt, Gerüchten und Vorurteilen zumindest zu misstrauen, statt sie zu wiederholen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Über das Hamburger Abitur wird seit sehr langer Zeit herablassend gesprochen. Das war schon so, als ich in Schleswig-Holstein zur Schule ging, und das ist mittlerweile über 40 Jahre her. Diese Gerüchte halten sich hartnäckig, obwohl sich in einem halben Jahrhundert eigentlich nie jemand bemüht hat, wirklich einmal zu überprüfen, ob sie stimmen. Vor Kurzem erschien – ich freue mich, dass eben darauf hingewiesen wurde – ein Vergleich der Abiturnoten der Bundesländer. Und siehe da, die angeblich nachgeworfenen, supereinfachen Spitzennoten gab es in ganz anderen Bundesländern. Hamburgs Abiturnoten waren vergleichsweise streng und lagen im unteren Mittelfeld. Das ist ein Hinweis, dass wir vorsichtig sein sollten mit unseren Vorurteilen.

Genauso ist es mit einem anderen Gerücht, und zwar diesem: Schule wird angeblich jedes Jahr leichter – ein Vorwurf übrigens, der uralt ist. Das wissen wir alle. Sophokles hat ihn schon erhoben, und in der Weimarer Republik hat man das Schulsystem in Grund und Boden geredet, weil man sagte, es sei zu Kaisers Zeiten viel besser gewesen. Auch hier haben wir eigentlich keine Beweise dafür – jedenfalls keine, die redliche Schulpolitiker anführen sollten –, dass es immer leichter wird und man alles nachgeworfen bekommt.

Ich bin meiner Kollegin Frau von Berg ausgesprochen dankbar dafür, dass Sie noch einmal auf diese Studie hingewiesen hat. Die ist nicht ganz trivial, auch wenn sie in der Öffentlichkeit eine Zeitlang sehr temperamentvoll diskutiert wurde. 2005 wurde allen Hamburger Abiturienten ein wissenschaftlicher Test vorgelegt, den sie mehrere Stunden lang – ich meine, es waren fünf Stunden – ausfüllen mussten. Dieser Test wurde anschließend unter Verschluss gehalten, sieben Jahre lang. Dann wurde er sieben Jahre später noch einmal den Abiturienten vorgelegt, und es wurde genau geschaut, wie gut diese denn nun eigentlich sind. Das Ergebnis war spannend: Die Kompetenzen, die von diesem universitären Test festgestellt worden sind, waren exakt die Gleichen. Der Durchschnitt ist der Gleiche geblieben. Aber eine Sache war sehr unterschiedlich: Beim zweiten Testdurchlauf haben anderthalbmal mehr Schülerinnen und Schüler mitgeschrieben. Es sind also ganz viele Schülerinnen und Schüler dazugekommen, und trotzdem haben

(Dr. Jörn Kruse)

sie dieses Niveau erreicht. Das hat bei Bildungswissenschaftlern, die die Sache ernsthaft verfolgen, für große Aufmerksamkeit gesorgt. Daran konnte man sehen – eigentlich ein klarer Beweis –: In guten Schulen werden mehr Schüler klug. Deshalb bedeuten mehr Abiturienten keineswegs automatisch einen Niveauverlust, es kann sein – dieser Test zeigt es uns sogar –, dass die Schülerinnen und Schüler wirklich tüchtiger geworden sind. Auch das sollten wir bei unseren vielen Vorurteilen berücksichtigen, bevor wir zu den wichtigen Schlussfolgerungen kommen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Aber auch, wenn wir vorsichtig sein und genau hinschauen sollten, bin ich mit Ihnen einer Meinung: Das Abitur ist der höchste deutsche Bildungsabschluss, es ist Bildungsversprechen. Viele Menschen streben es an und wollen es unbedingt erreichen. Deswegen haben wir die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass dieses Bildungsversprechen eingehalten wird. Ich will Ihnen ganz offen sagen: Ich will in Hamburg kein leichteres Abitur als in den anderen Bundesländern, ich will, dass unser Abitur millimetergenau so schwer oder leicht ist wie in Schleswig-Holstein, Sachsen oder Bayern. Denn dieses Bildungsversprechen, das mit dem Abitur verbunden ist, wollen und müssen wir auch in Hamburg einhalten. Das, glaube ich, eint uns in dieser Debatte.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Ja, sehr gut!)

Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht und drei Schritte umgesetzt, um hier voranzukommen.

Der erste Schritt ist, dass wir versuchen, erst einmal in Hamburg gleiche Maßstäbe einzuführen. In der KMK wird häufig über den Wunsch nach einem Zentralabitur geredet, und Fachleute schmunzeln, weil man den vielen Kritikern eigentlich sagen müsste: Ihr habt recht, es wird vermutlich Unterschiede geben, aber diese Unterschiede sind manchmal in ein und demselben Bundesland viel größer als zwischen den Bundesländern. Wer garantiert denn wirklich, dass das Abitur in Augsburg und Nürnberg oder in Hamburg-Eppendorf und Hamburg-Eidelstedt das gleiche ist? Diese Unterschiede sind genauso ungerecht, und deswegen haben wir – es wurde darauf hingewiesen – vor einigen Jahren gesagt, das Zentralabitur in Hamburg müsse erst einmal gleich sein, und wir haben es erweitert von den ursprünglichen Kernfächern auf 27 Schulfächer, denn unser Ziel ist klar: Hamburgs Eltern und Schüler sollen sich darauf verlassen, dass das Abitur überall ein gutes Abitur ist, in Wilhelmsburg genauso wie in Wellingsbüttel und am Gymnasium genauso wie an der Stadtteilschule. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen, die beste Schule liegt um die Ecke, und da muss man nicht durch die ganze Stadt fahren, son

dern wir haben überall ein Bildungsversprechen, und das wollen wir einhalten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der nächste Schritt war die Angleichung des Hamburger Abiturs an bundesweite Maßstäbe. Den ersten Schritt übrigens, das will ich neidlos zugestehen, habe gar nicht ich gemacht, sondern Bildungssenator Wersich. Wer sich nicht erinnert, er war tatsächlich vier Monate Schulsenator, und er ist damals einer Vereinbarung von sechs Bundesländern beigetreten mit dem Ziel, dass diese sechs Länder ein gemeinsames Abitur machen. Das waren damals übrigens alles CDU-regierte Länder. Doch nach dem Regierungswechsel habe ich gesagt, dass ich das richtig finde, und wir haben diesen Kurs fortgesetzt. Dabei ist es auch gelungen, viele SPD-Kollegen zu überzeugen, denn heute haben diese sechs CDU-Länder, die damit gestartet sind, in vier Fällen eine SPD-Regierung, und ich glaube, das ist vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass dieser Regierungswechsel zeigt, wem die Menschen in Sachen Bildungspolitik durchaus Zutrauen entgegenbringen.

Ich meine, dieses Abitur ist aber ein richtiger Schritt, und anders als Frau von Treuenfels es deutlich macht, haben wir es schon einmal geschrieben. Ihre schwarzen Wolken haben sich da nicht bestätigt, sondern die Schülerinnen und Schüler haben es gut bestanden, und sie haben auch den zentralen Teil, den wir mit Sachsen, Bayern und Niedersachsen gleich hatten, ordentlich absolviert. Deswegen sollten wir hier nicht bange sein und sagen, dass wir das nicht machen können, sondern dass wir weitere Schritte unternehmen wollen. Diese Schritte sind dann letztlich die dritte Stufe, und hier geht es um das bundeseinheitliche Abitur. Ich bin froh darüber, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass es tatsächlich – zwar nicht ausschließlich, aber auch erheblich – meine Anstrengung gewesen ist, die dazu geführt hat, diesen bundesweiten Aufgabenpool einzuführen. Dort sollen nur Aufgaben hineinkommen, die einem bundesweiten Lernstand entsprechen, und sie werden von Wissenschaftlern und Schulexperten getestet, nicht von Hamburgern, sondern von einer Kommission, die sich das genau anschaut. 2017 sollen die Bundesländer diesen Aufgabenpool dann zur Grundlage machen.

Das, meine Damen und Herren, ist ein bedeutender Schritt, und ich glaube sogar, einer der bedeutendsten Schritte der Kultusministerkonferenz überhaupt, wenn es darum geht, ländereinheitliche Anforderungen durchzusetzen. Nie zuvor wurden so umfassend echte Prüfungsaufgaben ausgetauscht. Der mutige Schritt der KMK wird nicht kleiner dadurch, dass Sie auf die vielen – ich räume es ein – Hintertüren hinweisen. Die gibt es, und ich will sie auch ehrlich nennen. Die Länder können

(Senator Ties Rabe)

mitmachen, aber sie müssen nicht mitmachen. Es stimmt, sie können sich aus dem Pool das Passende aussuchen, wenn sie denn wollen. Es stimmt auch, dass sie diese Aufgaben sogar noch einmal geringfügig nachmodifizieren können, und ich räume auch ein, dass diese Poollösung zunächst nur die Kernfächer im schriftlichen Abitur betrifft. Viele andere Elemente des Abiturs sind nicht geregelt. Aber ich sage Ihnen auch: Kluge Politiker wissen, wer alles auf einmal will, der bekommt gar nichts. Entscheidend ist, dass man Prozesse anstößt, Dinge in Bewegung setzt und diese Bewegung dann auch wachsam in die richtige Richtung lenkt.

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg übernimmt den Vorsitz.)

Und dass wir die richtige Richtung eingeschlagen haben, zeigt sich schon jetzt, denn viele der Hintertürchen werden nicht geöffnet werden. Es zeichnet sich schon jetzt ab – es wurde darauf hingewiesen –, dass elf Bundesländer, vielleicht sogar noch mehr, an ein und demselben Tag in demselben Fach dieselben Aufgaben ziehen – dieselben und nicht irgendwelche anderen. Vielleicht werden es sogar noch mehr, und daran merkt man, dass hier eine Bewegung im Gange ist, die, so glaube ich, noch lange nicht zu Ende ist und die in die richtige Richtung geht. Dass dieser Schritt schon beim ersten Mal gelingen konnte, zeigt, dass die vielen Wenn und Aber sich gar nicht realisieren und wir zuversichtlich sein sollten, dass dieser Prozess vernünftig weitergeführt werden kann.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Wer nun leichtfertig fordert, dass wir viel mehr machen müssten und das viel schneller und die Gemeinsamkeiten übermorgen kommen müssten, der übersieht zwei Dinge: erstens die Vielfalt von 16 Bundesländern und 2500 Oberstufen in Deutschland. Jeder Kultusminister ist klug beraten, sich genau anzuschauen, in welchem Tempo wir hier vorgehen, denn diese Vielfalt der letzten 70 Jahre können wir nicht mit einem Federstrich mal eben in einem Jahr ändern. Da hängen viele, viele Schülerinnen und Schüler in diesem System, und das ist der zweite Punkt: Schulpolitik ist immer eine Operation am offenen Herzen. Wenn da auch nur ein Fehler passiert, dann sind 200 000 Abiturarbeiten 2017 mit ganz schwierigen Noten behaftet, und was machen wir dann? Deswegen sage ich klipp und klar: Mit der Schulpolitik spielt man nicht herum, hier geht Sorgfalt vor Geschwindigkeit. So handeln wir, und das ist der richtige Weg. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Senator. – Das Wort hat Frau von Treuenfels von der FDP-Fraktion.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin erstaunt, Herr Rabe, und ich werde Sie natürlich auf Ihr Versprechen festnageln. Ich freue mich sogar darüber, das will ich neidlos sagen, dass wir fast gleich zu denken scheinen. Wenn Sie das auch wirklich einhalten mögen und die Hintertürchen, die es gibt und die keiner verkennen kann, definitiv nicht öffnen, dann wäre das für mich eine sehr große Freude und für die Abiturienten vor allen Dingen das Bildungsversprechen, das Sie ihnen hier kredenzen.

Dennoch möchte ich noch einmal etwas zu meinen Vorrednern sagen. Zu Frau von Berg – nein, dazu sage ich einfach mal nichts, weil mir das ehrlich gesagt zu verquer war. Ich möchte mich auf Frau Duden beziehen. Sie sagen, wir malen schwarze Wolken an den Himmel. So kann man die Opposition natürlich immer ein bisschen totmachen. Wir dürfen nicht kritisch sein, das hören wir öfter von der SPD, dann würde das alles zu kritisch sein, wir würden die Schulen, die Lehrer und alles andere so wahnsinnig schlechtreden, und das würde dann alles ganz problematisch sein. Das haben wir schon immer so erlebt. Wir machen das deswegen, weil wir uns wirklich Sorgen machen und weil ich definitiv sehr viele Studenten kenne, die mir genau das erzählt haben. Das habe ich nun auch selbst gehört. Die saßen nämlich in der Universität und konnten im Mathekurs einfach nicht mehr mithalten. Das haben sie bestimmt nicht deswegen gesagt, weil sie hier so unglaublich gut ausgebildet worden sind. Wenn wir hier eine Riesenmasse von Abiturienten heranziehen, die alle ein super Abi haben, dann hört sich das richtig gut an, aber wenn die nachher in der Universität sitzen, Frau Duden, und das nicht können, dann tragen wir alle ein Stück Verantwortung dafür. Das ist keine schwarze Wolke, das ist eine Warnung, und die Warnung geht an uns alle. Daran müssen wir arbeiten, und da gibt es bestimmte Maßnahmen, die durchgezogen werden müssen. Und wenn Sie, Herr Rabe, diese Maßnahmen, einfach mehr Qualitätsoffensiven, wirklich durchziehen, dann freuen wir uns, aber tun Sie es bitte auch. Verstehen Sie das als Warnung und nicht als Schlechtgerede oder Zweifel an der Bildungspolitik. Tun Sie es einfach, und dann kann es sein, dass es noch einmal gutgeht.

Zweitens: Das Thema Bildungsgerechtigkeit ist so ein schwammiges Thema, über das alle gern reden. Jeder versteht, wie man sieht, etwas anderes darunter. Bildungsgerecht kann man es bestimmt nicht nennen, wenn man sich das Beispiel dieser Präsentationen anschaut. Haben Sie Kinder in diesem Alter, wissen Sie eigentlich, wie durch Präsentationen mündliche Prüfungen ersetzt werden? Wissen Sie, was dann in solchen Vororten zum Beispiel passiert? Dafür wird einfach professionelle Hilfe eingeholt. Finden Sie das bildungsgerecht?

(Senator Ties Rabe)

Meinen Sie wirklich, es kann bildungsgerecht sein, wenn Kinder aus anderen Stadtteilen – ich möchte jetzt das Wort bildungsfern vermeiden – sich das nicht leisten können? Wie blind sind Sie eigentlich, glauben Sie das wirklich? Das ist natürlich nicht der Fall. Allein dieses kleine Beispiel zeigt schon, Bildungsgerechtigkeit ist eine Sache, die sollte man wirklich ernst nehmen und nicht nur davon sprechen. Und wenn wir davon sprechen und Sie sagen, wir wären irgendwie elitär, dann ist das einfach nur billig, und darauf gehe ich gar nicht mehr ein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei Karin Prien CDU und Dr. Jörn Kruse AfD)

Vielen Dank, Frau von Treuenfels. – Mir liegen nun keine weiteren Wortmeldungen vor.

Dann stelle ich fest, dass wir von der Drucksache 21/904 Kenntnis genommen haben.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 20, Drucksache 21/1453, Antrag der AfD-Fraktion: Keine verdeckten Steuererhöhungen für den Bürger: Solidaritätszuschlag planmäßig abschaffen!

[Antrag der AfD-Fraktion: Keine verdeckten Steuererhöhungen für den Bürger: Solidaritätszuschlag planmäßig abschaffen! – Drs 21/1453 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Dr. Wolf von der AfD-Fraktion, Sie haben es.

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kollegen, verehrte Gäste auf den Rängen! Wir beklagen in diesem Hohen Hause immer wieder mangelnde Wahlbeteiligung. Derentwegen gibt es nun sogar einen eigenen Ausschuss, der sich um die Steigerung der Attraktivität der Bürgerschaft und damit der Politiker kümmern soll. Einer der wesentlichen Faktoren für diese Entwicklung ist aber die mangelnde Glaubwürdigkeit der Politiker. Es mag dahingestellt sein, ob dieses Gefühl, dieses Urteil in großen Teilen des Volkes immer gerecht ist – in diesem Fall, im Fall des Solidaritätszuschlages, ist es allerdings nachweislich. Eingeführt wurde er, um die schrottreifen Hinterlassenschaften des Sozialismus auf deutschem Boden zu lindern, welche die SED, die Vorgängerpartei unserer LINKEN hier, zu verantworten hat. Eingeführt wurde er also, um die deutsche Einheit als zeitlich begrenzte Aufgabe gemeinsam und solidarisch anzugehen. Zwar hatte Altkanzler Helmut Kohl den Deutschen zuvor versprochen, dass die deutsche Einheit ohne Steuererhöhungen zu finanzieren sei, doch hatte sich wohl selbst ein bürgerli

cher Politiker wie Helmut Kohl nicht vorstellen können, was 40 Jahre Sozialismus kosten können.

Nun sind wir 25 Jahre weiter. Straßen und Brücken sind gebaut, Häuser saniert, Unternehmen in die Marktwirtschaft überführt, Fahrradwege und Alleen angelegt. Manches Unnütze und viel Richtiges wurde getan. Seit Jahren aber sind die Ausgaben für den Aufbau Ost beziehungsweise den Solidarpakt deutlich geringer als die aus dem Soli generierten Einnahmen. Mit insgesamt rund 338 Milliarden Euro – ich wiederhole, 338 Milliarden Euro – wird der Steuerzahler zwischen 1990 und 2019, so das vereinbarte Ziel und Ende des Solis, zur Kasse gebeten worden sein. Von den Versprechungen, dass dieser Zuschlag auf die Einkommensteuer nur zeitweise erhoben werden soll, ist allerdings nicht mehr viel da. Was noch da ist, ist der Soli.

Das erinnert an die Schaumweinsteuer, besser bekannt als Sektsteuer. Die Sektsteuer wurde 1902 vom Reichstag zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt, erhoben wird sie indes bis heute – ein bekanntes Beispiel, und man könnte einige andere anführen, für Abgaben, die zu einem bestimmten Zweck eingeführt worden sind, aber nach Wegfall des Zwecks dennoch beibehalten werden. Soll aus dem Soli wirklich eine zweite Sektsteuer werden? Sollen mit dem Soli erneut – und ich formuliere das jetzt so – Bürger getäuscht werden? Eine neue Masche sind die wohlfeil klingenden Ersatzbegründungen der Politiker, um sich die Abgabe weiterhin zu sichern, sei es Soli West, sei es Infrastrukturabgabe oder, ganz neu, Flüchtlings-Soli. Das macht die Sache nicht besser. Gegen eine jede derartige Umwidmung spreche ich mich mit aller Entschiedenheit aus. Wenn die Politik der offenen Grenzen, um es sachlich und ohne alle Schärfe zu formulieren, Milliarden kostet, dann sollen die Politiker das auch ihren Wählern klar sagen.

(Beifall bei der AfD)

Was aber nicht geht, ist, durch eine Umwidmung des Solis Derartiges zu kaschieren. Das ist eine neue Steuer, quasi durch die Hintertür, und das ist unaufrichtig.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, die Steuereinnahmen sprudeln – fast könnte man sagen, wie verrückt. Gleichzeitig ist gerade die leistungs- und aufstiegswillige Mitte unserer Gesellschaft steuerlich über die Maßen belastet. Gerade wer als Meister, als Vorarbeiter oder als Abteilungsleiter mehr Verantwortung übernimmt, sieht nur noch einen Bruchteil seiner Lohnerhöhung netto auf seinem Konto, wenn überhaupt. Halten wir als Politiker Wort, tun wir etwas für die Glaubwürdigkeit der Politik, machen wir das ordnungspolitisch Richtige und schaffen wir den Soli ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

Vielen Dank, Herr Wolf. – Das Wort hat Herr Quast von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte mich auf drei Anmerkungen beschränken. Erstens: Die Bundesregierung und die Länderregierungen verhandeln gerade die Bund-Länder-Finanzbeziehungen, wie sie sich ab 2020 gestalten sollen, neu. Eine Rolle dabei spielt auch der Solidaritätszuschlag. Insofern halte ich es nicht für notwendig, dass wir jetzt hier dazu eine Position fassen.