Protocol of the Session on September 23, 2015

Geben Sie mir bitte eine Antwort darauf, wo Sie die Information herhaben, dass Hessen 300 Millionen € bekommt, und aus welchem Bundesprogramm dieser Betrag zugesagt und verfügbar ist.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ernst-Ewald Roth (SPD): Trauen Sie Ihrem Finanzminister nicht?)

Zur Erwiderung, Kollege Greilich.

Herr Kollege Schork, ich dachte, wir reden hier über die Frage, wie es weitergehen soll. Ich rede nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über die Zukunft. Unser Ministerpräsident ist heute nicht anwesend. Er ist aus gutem Grund in Verhandlungen, um mehr Geld herauszuziehen. Die Zahlen, die bislang bekannt sind, lauten, dass im kommenden Jahr ca. 300 Millionen € nach Hessen fließen sollen.

Das ist jedenfalls das, was in der Öffentlichkeit gesagt worden ist, und das war vor dem letzten Ansturm. Das heißt, ich hoffe, dass der Ministerpräsident erfolgreich sein und mehr herausholen wird.

In unserem Antrag heißt es schlicht und ergreifend – ich darf das zitieren –:

Von allen bisher und künftig zugesagten zusätzlichen Finanzzuweisungen des Bundes muss ein angemessener Teil von mindestens 10 % in die verbesserte Deutschförderung und Ausbildung von Flüchtlingen fließen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sagen Sie mir, was daran falsch sein soll.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Cárdenas, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen vorausschicken. Auch im Zentrum dieser Plenarwoche steht der Umgang mit den Flüchtlingen: mit den Männern und Frauen, Kindern und Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen, die zu uns kamen und weiter zu uns kommen werden, die bei uns leben und mit uns zusammen ihr künftiges Leben gestalten wollen, sei es, weil sie dort, woher sie kommen, den Tod fürchten müssen, sei es, weil sie unter den dortigen Bedingungen ihr Leben nicht weiterführen konnten und wollten.

Der gestrigen Regierungserklärung war ein gutes Dutzend von Anträgen und Beschlussempfehlungen zugeordnet. Eine solch komplexe Debatte habe ich in den letzten acht Jahren nicht erlebt. Am Ende der Debatte wussten wir, dass damit das Thema gerade erst angerissen worden war und dass wir noch eine Reihe von Plenardebatten führen werden, in denen diese Problematik im Mittelpunkt steht.

Am heutigen Morgen haben wir die Bildungspolitik im Fokus. Die Schule hat begonnen. Sowohl die Regierungsfraktionen als auch die Fraktion der SPD haben ihre Setzpunkte diesem Bereich gewidmet.

Zugrunde liegen Anträge, mit denen gewissermaßen ein Parforceritt durch die hessische Bildungspolitik gewagt wird; der Unterschied besteht nur darin, dass sie quasi in entgegengesetzte Richtungen reiten. Die Koalition feiert ihre Erfolge, und die SPD zeigt auf, wo diese überall strauchelt.

In dem Antrag der SPD geht es schwerpunktmäßig, nämlich in sieben von elf Punkten, um die Kinder und Jugendlichen, die zu uns geflüchtet sind, und um die Frage, wie wir tatsächlich so viele Hürden wie möglich wegräumen und ihnen die Bedingungen für das Lernen verschaffen können, die sie brauchen, um ihr Recht auf Bildung zu realisieren. Hürden gibt es nämlich immer noch viel zu viele, und die müssen weg.

Deshalb werde ich mich in der ersten Debatte heute schwerpunktmäßig auf dieses Thema konzentrieren und wie die SPD die unterschiedlichen Baustellen der hessischen Bildungspolitik daraufhin untersuchen, ob die Regelungen für geflüchtete Kinder und Jugendliche förderlich oder immer noch eher hinderlich angelegt sind.

Was sind das für Kinder und Jugendliche, die in unsere Schulen kommen und sich in den Lernbetrieb einbringen sollen? Sie haben sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Manche sind mit ihren Familien hierhergekommen; manche haben ihre Familien auf der Flucht verloren. Manche haben sich ganz allein auf den Weg gemacht, z. B. weil ihre Familien das Schleusergeld für mehr Familienmitglieder nicht aufbringen konnten oder sie ihre Familien bereits im Krieg verloren hatten. Alle haben Schlimmes erlebt, und viele haben auch Schlimmes getan, um überhaupt hierherzukommen.

Wenn sie dem Chaos der Flucht und auch den lebensbedrohlichen Situationen, die immer wieder eingetreten sind, entkommen konnten und hier eingetroffen sind, ist ein großer Teil von ihnen traumatisiert; denn ihnen wurden mehrfach und über längere Zeit körperliche und seelische Wunden zugefügt. Sie gehen damit unterschiedlich um. Manche können trauern und verarbeiten. Manche verschließen sich dagegen total, und manche reagieren mit Aggressivität. Nicht allen sieht man die Wunden an, und nicht alle wollen daran erinnert werden. Manche wollen sich verkriechen und müssen doch in die Schule. Manche wollen möglichst schnell in ein normales Leben zurückkehren, in die Schule gehen und lernen.

Wenn man sie nicht genau da abholt, wo sie gerade stehen – damit meine ich ihre jeweilige psychische Stabilität und Belastbarkeit, ihre Lernmotivation, ihr Selbstvertrauen, aber auch ihr Vertrauen darauf, dass die jetzige Umwelt ihnen nicht schaden will –, sondern sie überfordert, ziehen sie sich vielleicht zurück und verweigern sich, oder sie werden gegenüber ihren Klassenkameradinnen und Klas

senkameraden sowie ihrer Umwelt allgemein zunehmend aggressiv.

Dies sind also die Herausforderungen, denen sich die hessischen Lehrerinnen und Lehrer – damit meine ich die Grundschullehrerinnen und -lehrer genauso wie die an den weiterführenden Schulen und an den Berufsschulen – gegenübersehen. Sie müssen sensibel und zugewandt auf diese Kinder und Jugendlichen eingehen, und sie müssen dies auf fachlich hoch kompetente Weise machen; denn abholen muss man diese Kinder und Jugendlichen auch bei ihrer bisherigen, vielleicht lückenhaften Schulbildung sowie bei ihrer fremden Herkunftssprache und ihrer eventuell sogar nicht lateinischen Schriftsprache. Fachlich hoch kompetent muss das erfolgen, obwohl die Lehrerinnen und Lehrer erstens dafür gar nicht ausgebildet und zweitens mit so vielen anderen Herausforderungen konfrontiert sind, dass sie immer am Rande des Burn-outs stehen.

Lehrerinnen und Lehrer, die solche Herausforderungen meistern müssen, brauchen nicht nur Worte der Anerkennung, sondern sie brauchen auch handfeste Unterstützung. Wir wissen, die vielen Überlastungsanzeigen sprechen eine deutliche Sprache.

Die SPD fordert hier eine bessere personelle Ausstattung, unter anderem 900 zusätzliche Lehrkräfte für Intensivklassen und Intensivkurse sowie eine Vollzeitbeschulung in diesen Klassen und Kursen. Sie will das neue Programm InteA auch für Flüchtlinge im Alter von 18 bis 25 Jahren öffnen. Sie will, dass eine massive Fortbildungsinitiative für das Unterrichten von Deutsch als Zweitsprache und für den Umgang mit traumatisierten Kindern gestartet wird, und sie will multiprofessionelle Teams und mehr Schulsozialarbeit.

Sie will auch mehr echte Ganztagsschulen – konkret: die Umwandlung von jährlich 100 Grundschulen in Profil3-Ganztagsschulen. Auch diese Maßnahme hilft nämlich, wie wir jetzt gehört haben, bei der Integration von Flüchtlingskindern; denn dadurch verbringen diese mehr Zeit, auch mehr Freizeit, in einem deutschsprachigen Umfeld, also im deutschen Sprachbad, und sie erfahren in Übungszeiten und bei den Schulaufgaben institutionelle Unterstützung, anstatt dass sie ihre Hausaufgaben in der Flüchtlingsunterkunft ohne Unterstützung machen müssen.

Wir halten all die von der SPD vorgeschlagenen Maßnahmen für sinnvoll, ja sogar für notwendig, wenn wir angesichts der genannten Herausforderungen nicht weiter flickschustern wollen, und werden daher diesem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch zwei Punkte anführen, die die Linksfraktion für die schulische Integration von Flüchtlingskindern ebenfalls für sehr wichtig hält. Zu einer Verbesserung der Willkommenskultur gehört in der Schule eine Abkehr von dem, was die Wissenschaft den „monolingualen Habitus“ nennt, also die Orientierung auf Einsprachigkeit als Zweck von Bildung an deutschen Schulen.

Wenn wir davon wirklich wegkommen wollten – das wäre aus meiner Sicht längst überfällig –, hätte das zur Konsequenz, erstens die Zahl der bilingualen Klassen und Kurse zu erhöhen, anstatt dies wie bisher vor allem privaten Anbietern zu überlassen, zweitens die Mehrsprachigkeit von bilingual aufwachsenden Kindern binationaler Paare anzuerkennen und zu unterstützen sowie drittens die Herkunfts

sprachen von Kindern mit Migrationshintergrund zu würdigen und zu fördern. Diese drei Bereiche müssen wir dringend ausarbeiten.

Meine Damen und Herren, dies alles muss geschehen, ohne die Bedeutung der deutschen Sprache als gemeinsame Umgangssprache, als erste Unterrichtssprache und als hiesige Kultursprache zu mindern. Dies sage ich vor allem in Richtung der CDU, die bisher jede Unterstützung von Mehrsprachigkeit als schnöden Verrat an der deutschen Sprache verstanden hat.

(Armin Schwarz (CDU): Wie bitte? Wann denn?)

Herr Schwarz, in letzter Zeit nicht mehr, aber früher war das generell so. – Ein weiterer Punkt ist die Öffnung der Schule hin zum Gemeinwesen. Wir wissen, dass die Unterstützung der Integration von Geflüchteten durch ehrenamtlich Tätige in Vereinen und in der Nachbarschaft von Unterkünften wichtig ist, zum einen für die Flüchtlinge selbst, die in der ersten Zeit beengt untergebracht sind und Unterstützung brauchen, um ihre neue Umgebung zu entdecken, zum anderen für die Nachbarschaft von Unterkünften und die Bürgerinnen und Bürger des Gemeinwesens, die vielleicht Vorbehalte haben. Kinder und ihre Lehrerinnen und Lehrer können helfen, Begegnungen zwischen Einheimischen und zugezogenen Familien zu organisieren und dadurch Vorbehalte abzubauen. Wir sind überzeugt, auch ein Gemeinwesen muss die Möglichkeit erhalten, interkulturelle Sensibilität zu erlernen.

All diese Maßnahmen kosten Geld, das langfristig zur Verfügung gestellt werden muss. Aber dieses Geld ist gut angelegt; denn Investitionen in Bildung sind nachhaltige Investitionen, die unsere Gesellschaft insgesamt voranbringen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kollege Schwarz, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Yoga, Meditation, Entspannungsübungen und Kraft finden für den Rest der Woche“, das könnte der Arbeitstitel des Setzpunktes der SPD sein, ist aber der Arbeitstitel einer AG an einer Frankfurter Grundschule. Sie hätten gerne den Setzpunkt mit unserem gemeinsam beraten können. Allerdings, bei den Dingen, die Sie heute hier kundtun, ist es vielleicht doch ganz gut, wenn wir das in zwei Kapiteln abarbeiten. Denn so viele, sagen wir mal, unausgewogene Irritationen, die Sie hier in den Raum stellen, bedürfen schon einer konkreten Antwort. Über gute Bildung kann man viel sagen. An Ihrem Setzpunkt kann man sich dann abarbeiten, egal mit welchem Arbeitstitel.

Der unaufgeregte Schulbeginn auch in diesem Jahr verdeutlicht wieder eindrucksvoll, dass die hessischen Schulen im Ländervergleich fantastisch aufgestellt sind.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Entgegen allen Unkenrufen der Opposition ist das Schuljahr 2015/2016 reibungslos und gut in die Startbahn gegan

gen, und ich bin mir auch sicher, es wird einen guten Verlauf nehmen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in Hessen haben wir eine bundesweit vorbildliche Personalausstattung. Ungeachtet aller Krisen und gesellschaftlichen Herausforderungen

(Timon Gremmels (SPD): Sie waren doch mit mir in der Herderschule!)

zu Ihnen komme ich gleich, Herr Gremmels – bringen wir die zentrale Aufgabe einer fantastischen Bildungspolitik mit einer hervorragenden Ausstattung für die Schulen einerseits mit der Maßgabe der Einhaltung der Schuldenbremse andererseits zusammen. Die Lehrer-Schüler-Relation ist so gut wie nie in Hessen. Herr Kollege Greilich, hören Sie das einmal. Ein Verhältnis von 1 : 15 hat es so noch nicht gegeben.

(René Rock (FDP): Was nützt die Statistik, wenn du keine Lehrer hast? – Timon Gremmels (SPD): Sie waren doch mit an der Herderschule: 40 Schüler im Grundkurs! Haben Sie das vergessen?)

Hören Sie doch einmal zu. Gewisse Erkenntnisse wären für Sie maßgeblich hilfreich. – Obwohl in diesem Schuljahr 7.000 Schüler weniger an hessischen Schulen unterrichtet werden, bleibt die Personalausstattung bei 50.000 Lehrerstellen.

(René Rock (FDP): Statistik unterrichtet keine Schüler!)

Das bedeutet, das Lehrer-Schüler-Verhältnis hat sich noch einmal verbessert: mehr Lehrer für weniger Schüler. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis, Herr Kollege Gremmels.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Timon Gremmels (SPD): Das ist ja unglaublich!)

So viel vorneweg. Auf einige Zahlen werde ich gleich bei unserem eigenen Setzpunkt noch eingehen. Aber jetzt will ich doch ein paar Punkte zu Ihrem Antrag sagen.

Herr Kollege Degen, wenn Sie da formulieren: „Gute Bildung ist der Schlüssel für erfolgreiche Integration und bessere Chancen im Berufsleben“, dann bin ich so weit bei Ihnen.