Protocol of the Session on July 22, 2015

(Beifall bei der FDP – Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht darum, wie lange eine Baugenehmigung Gültigkeit behält, wie lang eine Einrichtung entsprechend genutzt werden kann.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von daher gesehen, kann ich nur sagen: Herr Al-Wazir, reden Sie einmal mit Herrn Grüttner. Lassen Sie sich erklären, woran es hängt. Oder reden Sie einmal mit den CDULandräten, die Ihnen sicherlich schon ein paar Hinweise gegeben haben, wie schwierig es ist, für fünf Jahre eine solche Unterkunft zu finanzieren.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Pure Demagogie!)

Von daher kann ich nur sagen: Versuchen Sie, an dieser Stelle pragmatische Lösungen zu finden, statt ideologisch quer im Stall zu stehen.

(Beifall bei der FDP – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Populismus und Demagogie!)

Ich will zum Abschluss sagen: Es ist unangenehm und schwierig, dass wir eine Unterbringung in Zelten haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Landesregierung, dass Minister Grüttner alles tun wird, um diese Form der Unterbringung schnellstmöglich zu beenden. Ich hätte aber eine Frage an den Minister: Ist es in der Situation möglich, die Bedingungen der Unterbringung besser zu kommunizieren? Vielleicht bin ich falsch informiert, aber es geht mir darum, wie man die Leute vor Ort auf so eine Situation vorbereiten kann. Vielleicht können Sie ein paar Ausführungen dazu machen, weil das natürlich ein ganz großer Punkt für die Akzeptanz vor Ort ist. Ich denke, wir alle im Hessischen Landtag sind uns einig – egal, welche Grundeinstellungen wir haben –, dass die hervorragende Bereitschaft der Bevölkerung, sich für Flüchtlinge unterstützend einzubringen, auch gewisse Information benötigt. Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Minister Grüttner, wenn Sie dazu ein paar Informationen geben könnten, damit wir entspannend in die Situation vor Ort kommunizieren können. Ich glaube, keine Fraktion im Hessischen Landtag hat ein Interesse daran, dass es vor Ort noch komplizierter wird, als es sowieso schon ist.

Wir alle wissen auch, dass die Unterbringung von Flüchtlingen nicht ganz so reibungslos läuft, wie wir uns das wünschen würden. Von daher gibt es, glaube ich, einen großen Konsens, zumindest bei der Umsetzung der Unterbringung, in der Abarbeitung dieser schwierigen Aufgabe an einem Strang zu ziehen. Das wollen wir Freie Demokraten jedenfalls tun und würden die Landesregierung gerne in der Kommunikation unterstützen, wenn Sie, Herr Minister, uns noch ein paar zusätzliche Informationen geben würden, gerade im Hinblick auf Limburg. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. – Als Nächster spricht Kollege Merz, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will daran erinnern, um was es bei den aufgerufenen Tagesordnungspunkten geht: um die menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen in hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen. – Ich glaube, dass die Frage hier im Landtag nicht ist, ob wir das wollen, sondern die einzige Frage kann nur sein, wie wir das ermöglichen, wie wir das schnellstmöglich umsetzen und wie wir vermeiden, dass eine Situation eintritt, die andere in diesem Land – nicht in Hessen, sondern in einem Freistaat dieser Bundesrepublik – offensichtlich herbeireden wollen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Es ist – jedenfalls mir – nicht möglich, in diesem Kontext und zu diesem Zeitpunkt zu dem Thema zu reden, ohne eine bestimmte „Erscheinungsform“ der Debatte über die

Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen zu erwähnen. Diese „Erscheinungsform“ ist der Bayerische Ministerpräsident, der aus dem notwendigen Übel der Unterbringung in Zelten offensichtlich eine Tugend machen will – mit dem verwerflichen Ziel, Flüchtlinge abzuschrecken, mit dem verwerflichen Ziel, eine Substandardunterbringung von Flüchtlingen zu zementieren. Er begleitet sein Vorhaben mit altbekannten populistischen Vorwürfen gegen den angeblich massenhaften Missbrauch von Asyl und legt damit Feuer an die Lunten, die er selbst gelegt hat oder im Begriff ist zu legen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Wir können das berühmt-berüchtigte Kippen der Stimmung auch auf diese Art und Weise herbeireden. Ich sage das nicht deswegen, weil ich unterstelle, dass das in diesem Land so ist, sondern weil sich hier eine Debatte verselbstständigen kann, an deren Ende wir uns an das Nutzen von Zelten für die Unterbringung von Flüchtlingen gewöhnt haben werden. Deswegen und auch, weil ich über diese Art von Debatte empört bin, habe ich hier ein paar Worte darauf verwendet.

Ich möchte Ihnen in diesem Kontext einen zweiten Gedanken vortragen, nämlich die Frage, was es eigentlich mit dem angeblichen massenhaften Missbrauch des Asylrechts und des Asylverfahrens auf sich hat. Ich frage Sie ganz ernsthaft: Welche anderen Mittel haben Menschen aus dem Kosovo, aus Albanien und aus den Westbalkanländern zur Verfügung, als sich auf das Asylrecht zu berufen? Das schreit doch geradezu danach, in diesen Fällen nach anderen Möglichkeiten zu suchen. Ich habe es in der Debatte über die Regierungserklärung schon einmal gesagt und wiederhole es jetzt: Wir brauchen eine grundlegende Reform des Zuwanderungsrechts, damit es für diese Menschen auch andere Perspektiven gibt.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP – Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Bevor ich wieder falsch verstanden werde: Ich glaube nicht, dass dies das ganze Problem löst. Aber es ist eher ein Beitrag zur Lösung des Problems als ein Beitrag zur Verschärfung des Problems wie das, was der Bayerische Ministerpräsident gerade im Begriff ist anzuzetteln.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Jetzt komme ich zu dem Thema Flüchtlinge aus Nordirak. Wir brauchen im Zusammenhang mit einer Reform des Zuwanderungsrechts – auch das habe ich hier mehrfach vorgetragen, und ich wiederhole es aus gegebenem Anlass – einen weitherzig gefassten, humanitären Aufenthaltstitel, der für genau die Menschen gedacht ist, für die wir jetzt auf dem mühsamen Weg des Kontingents mit allen damit verbundenen Hemmnissen, auch den bürokratischen, eine Lösung suchen. Wir alle kennen die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den vorhandenden Kontingenten für Flüchtlinge aus Syrien und den Familiennachzugsprogrammen für Syrer.

Wir brauchen einen weit gefassten, humanitären Titel, damit wir das leichter regeln können, was jetzt Gegenstand von zwei Anträgen in diesem Hause ist, nämlich Zuflucht, Schutz, Betreuung und medizinische Hilfe für die am meisten geschundene Gruppe im irakischen und syrischen Bürgerkrieg.

Herr Kollege Bocklet, ich weiß sehr gut, dass es auch andere Menschen gibt, die besonders schutzbedürftig sind. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt, wohl wissend, dass es nicht so einfach ist. Ich habe mir all das angeschaut, was in Baden-Württemberg zu regeln war. Ich kenne die Vereinbarungen mit den Behörden im Nordirak. Das ist nicht einfach; das wissen wir. Nichtsdestoweniger handelt es sich hier um die am meisten geschundene Gruppe von Menschen: Frauen in dieser Lage mit ihren Kindern. Hier muss etwas getan werden, und sei es noch so wenig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das will ich gleich sagen: Deswegen bin ich an dieser Stelle dankbar und begrüße, dass es eine Bewegung in den Koalitionsfraktionen gibt. Ich wäre dankbar, wenn wir über diese Anträge heute nicht abstimmen müssten. Ich wäre dankbar, wenn wir über alle diese Anträge heute nicht abstimmen müssten; denn im Ausschuss können wir, wie hier schon zur Sprache gekommen ist, vielleicht etwas sachlicher über die Dinge reden, als es im Plenum bis dato überwiegend der Fall war – nicht durchgehend, aber überwiegend.

Wir können nämlich darüber reden, was tatsächlich geschehen muss, um die Kapazitäten in der Erstaufnahme, und zwar in festen Häusern, dauerhaft so zu erweitern, dass die Zelte überflüssig werden, dass es in der aktuellen Situation genügend Plätze gibt und dass ein Puffer geschaffen wird für die Notfälle, die immer wieder eintreten. Ein solcher Notfall kann ein zusätzlicher Krisenherd irgendwo in der Welt sein. Es kann aber auch sein, dass, wie wir es gerade in den letzten Wochen hatten, eine Aufnahmeeinrichtung in einem anderen Bundesland wegen einer ansteckenden Krankheit kurzfristig geschlossen wird und wir vorübergehend mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen, als den Kontingenten nach eigentlich auf Hessen entfallen. Sie müssen dann hier vorübergehend untergebracht werden, wofür im Moment die Einrichtung am Meisenbornweg in Gießen überwiegend genutzt wird. Es gibt noch manches andere mehr.

Wir brauchen also ganz dringend zusätzliche Kapazitäten. Bei diesen Kapazitäten muss geschaut werden, was zur Verfügung steht. Ich sehe, dass wir im Moment überwiegend auf Kasernen und kasernenähnliche Einrichtungen zurückgreifen. Ich sehe aber auch, dass wir überwiegend auf Einrichtungen zurückgreifen, die sich nördlich der Gießener Linie befinden.

Es geht um die Frage, wie Flüchtlinge bei der Erstaufnahme untergebracht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN, da geht bei eurem Antrag wirklich vieles durcheinander. Da stehen viele richtige Dinge drin, die auf die Erstaufnahme nicht sinnvoll anzuwenden sind, sondern auf das, was darauf folgt. Aber auch das können wir im Ausschuss gern vertiefen.

(Zuruf der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Doch, Barbara, das ist so. Ich erkläre es dir nachher. – Wir müssen auch einmal darauf schauen, dass in Südhessen und im Rhein-Main-Gebiet solche Einrichtungen geschaffen werden; denn es ist nicht wirklich vertretbar, warum der bevölkerungsreichste Landesteil davon verschont bleiben soll. Ich könnte Ihnen jetzt vorrechnen, was etwa 5.000 Flüchtlinge bezogen auf die Gießener Bevölkerung ausmachen, nämlich einen Anteil von etwa 6 bis 7 %,

und was sie bezogen auf die Frankfurter Bevölkerung ausmachen dürften: deutlich weniger.

Wenn wir tatsächlich an einer menschenwürdigen und auch für die jeweilige Umgebung verträglichen Unterbringung von Flüchtlingen interessiert sind, kommen wir zu dem Schluss, dass Einrichtungen von der Größe, wie wir sie derzeit in Gießen haben, schlechterdings nicht verträglich sind, weil sie chronisch überlastet sind und auch gar nichts anderes sein können als chronisch überlastet.

Die Belegungsprobleme kennen wir alle. Wir wissen, dass die gegenwärtige Situation eine vernünftige Steuerung im Grunde nicht zulässt und die Trennung von Flüchtlingen, so, wie es der Antrag der LINKEN im Ansatz richtig beschreibt, unmöglich macht. Durch die laufenden Ereignisse wird das ständig zur Makulatur gemacht.

Deshalb ist das nicht nur dem aktuellen Stand anzupassen, sondern es muss ein Puffer geschaffen werden, der genau das möglich macht, damit wir Familien mit Kindern anders unterbringen als Alleinstehende und damit wir alleinstehende Männer anders unterbringen als Frauen, insbesondere Frauen mit Kindern, aber auch alleinstehende Frauen, und vieles andere mehr.

Wir sehen auch, dass bei der großen Einrichtung, die wir in Gießen haben, eine ganze Reihe von logistischen Problemen auftritt. Das beginnt mit der Verkehrsinfrastruktur. Sie müssen für Busverkehre sorgen und für Freizeitangebote sowie für deren Zugänglichkeit. Man muss auch für Sicherheit sorgen, insbesondere dann, wenn verschiedene Flüchtlingsgruppen unter einem Dach untergebracht sind. Diese Erfahrungen haben wir in Gießen gemacht. Sie müssen auch für zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen im öffentlichen Personennahverkehr sorgen, und sei es nur wegen des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bevölkerung, das in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt. Sie müssen für Einkaufsmöglichkeiten und für vieles andere mehr sorgen.

Wir können im Ausschuss über diese Dinge reden. Vom Brandschutz ist hier schon die Rede gewesen. Auch darin haben wir Erfahrungen, die wir in die weitere Debatte einbringen können. Das muss mit den Vertretern der Kommunen, in denen die neuen Einrichtungen geschaffen werden, vorher geklärt werden.

Auch wenn das zukünftig umgewidmete Bürogebäude sind: Wenn Sie die baulichen Voraussetzungen dafür bieten, soll mir das recht sein. Wenn das Baurecht dem entgegensteht, dass man sie länger als fünf Jahre nutzen kann, muss eben das Baurecht geändert werden. Es ist in diesem Land vielleicht noch möglich, baurechtliche Voraussetzungen zu ändern. Wie dem auch immer sei, das sind jedenfalls die Punkte, über die zu diskutieren ist, wenn wir an praktischen Lösungen interessiert sind. Wir sind an praktischen Lösungen brennend interessiert: im Interesse der Menschen, die es betrifft, und im Interesse der Menschen um die Einrichtungen herum.

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende Ihrer Rede kommen.

Den Gedanken kann ich nicht mehr ausführen. Ich wollte noch etwas zum Trauma-Screening sagen. Auch diese An

gelegenheit ist kompliziert. Aber vielleicht haben wir die Gelegenheit, das im Ausschuss zu vertiefen. Dringend notwendig wäre es. Aber es ist schwer, das im Zusammenhang mit der Erstunterbringung zu regeln.

Herr Kollege, letzter Satz, bitte.

Ja. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Merz. – Für die Landesregierung spricht nun Staatsminister Grüttner. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr überrascht darüber – um nicht zu sagen: ein Stück weit traurig –, wie Teile der Opposition diese Debatte führen und welche Argumente sie dabei verwenden. Wenn Frau Cárdenas der Landesregierung vorwirft, sie handele unverantwortlich, wenn auf die Aussage des Kollegen Bocklet zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Erstaufnahmeeinrichtung – er sagt, die wollen diesen Menschen helfen – von Herrn van Ooyen der Zwischenruf „Nein!“ kommt, und wenn Herr Wilken von „menschenunwürdigen Unterkünften“ spricht, sage ich an dieser Stelle sehr deutlich: Das ist eine Diskussion, die an der Realität weit vorbeigeht, ausschließlich Stimmung machen will und diesem Problem nicht angemessen ist.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie die Situation in Hessen gewesen ist, als wir im Oktober 2012 575 Plätze in einer Erstaufnahmeeinrichtung hatten, die wir mit 500 Personen belegt hatten, um Familien zusammenzuführen, Geschlechter und Ethnien zu trennen, und das ausreichend war, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass mich damals einige etwas merkwürdig angeschaut haben, weil ich gesagt habe: „Das ist ein Problem, das auf uns zukommt“, und wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir heute – noch nicht einmal drei Jahre später – über 8.000 Menschen in unserer Erstaufnahmeeinrichtung haben, also einen Anstieg von damals 500 auf heute über 8.000 Menschen, von denen man zum Teil sogar sagen kann, sie sind über Nacht gekommen, dann stellen wir fest: Das ist eine Herausforderung.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Natürlich!)

Ich will das an einem Beispiel festmachen. Wir haben intensiv – auch vor Ort – über die Alheimer-Kaserne und ihre Nutzung diskutiert. Wir wissen, dass wir dort ab dem 1. August mit einer Teilbelegung von bis zu 600 Personen und, sobald die Feldjäger, die noch dort sind, abgezogen sind, mit einer Teilbelegung von bis zu 900 Personen beginnen können. In der Nacht von Freitag auf Samstag und über das Wochenende vom letzten Freitag bis zum letzten

Montag sind über 900 neue Asylbewerber und Flüchtlinge in Gießen angekommen. Schon über das Wochenende wäre also die volle Kapazität der Alheimer-Kaserne ausgeschöpft worden. Da ist die Zeit von Dienstag auf Mittwoch noch nicht mit dabei, in der noch einmal fast 600 Personen gekommen sind: 1.500 Personen in drei Tagen.