Protocol of the Session on April 24, 2008

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Jetzt kommt Qualität in die Debatte! – Gegenruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU): Das würde ich anders sehen! – Weitere Zurufe von der SPD und der CDU)

Herr Präsident,meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Beuth! Den Innenminister, den geschäftsführenden Innenminister zu bremsen,halte ich für dringend notwendig.Aber Ihr Motto ist das der Geisterfahrer: Nur nicht umkehren, immer weiter gegen die Wand fahren.– Das aber ist nicht unsere Parole.

(Axel Wintermeyer (CDU): Das sagt der Richtige!)

Im Interesse der Sache wollen wir miteinander über ein wichtiges und sensibles Thema reden.

Da stellt sich schon die Frage: Herr Bouffier, haben Sie eigentlich Ihre Hausaufgaben gemacht, oder versuchen Sie ständig weiter – beinahe hätte ich gesagt: profilneurotisch –, in die Bürgerrechte einzugreifen? Das muss an dieser Stelle einmal sehr deutlich gesagt werden.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Wil- ken (DIE LINKE))

Worum geht es? Die Gewährleistung der Bürger- und Freiheitsrechte stellt für die SPD ein hohes Rechtsgut dar. Deswegen stehen diese Rechte auch nicht im Rahmen tagesaktueller Profilierungsversuche beliebig zur Disposition. Genau das, was Sie in den letzten fünf Jahren getan haben, machen Sie seit dem Wahltag weiter. Herr Bouffier, Sie haben noch nicht zur Kenntnis genommen: Für Ihre Position gibt es schlicht und ergreifend in Hessen – und nicht nur in diesem Landtag – keine Mehrheit mehr. Das ist die Realität, und das ist eine gute Botschaft.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Wil- ken (DIE LINKE))

Übrigens, Herr Hahn, in der letzten Wahlperiode waren Sie innenpolitischer Sprecher. Bei den meisten Änderungen des Polizeigesetzes hat die FDP brav mit der CDU gestimmt. Herr Greilich, das haben Sie gar nicht mitbekommen.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) – Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Sie haben immer gesagt: Alles, was Bouffier macht, ist im Grundsatz sehr richtig. – Herr Hahn, ich war dabei. Mir hat das missfallen. Sie haben das trotzdem gemacht.

Meine Damen und Herren, die FDP nennt sich Hüter des Rechtsstaats. Da wir gerade so schön dabei sind: Ihre ehe

malige Justizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ist wegen der Einführung des großen Lauschangriffs zurückgetreten. Das ist die Realität in diesem Lande. – Hören Sie also damit auf.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Wil- ken (DIE LINKE) – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das war das Beste, was sie machen konnte! – Weitere Zurufe)

Jetzt sagt Herr Irmer, der in der ersten Reihe rechts außen sitzt:Jawohl,das war eine der besten Entscheidungen. – Sehen Sie, Herr Irmer, jetzt sind Sie an dieser Stelle wieder einmal entlarvt, das wussten wir.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Meine Damen und Herren,das Bundesverfassungsgericht hat am 27. Januar dieses Jahres in einer wichtigen Entscheidung zur Onlinedurchsuchung grundsätzliche Thesen aufgestellt. Es hat hohe rechtliche Hürden errichtet und ein neues Grundrecht auf die Gewährleistung von Vertraulichkeit und die Integrität von Informationssystemen formuliert. Damit war der Versuch der CDU und auch der Innenminister – Herr Bouffier – grandios gescheitert, Millionen von IT-Nutzern unter Generalverdacht zu stellen, wie Sie das in den letzten Jahren immer wieder getan haben. Das heimliche Ausspähen darf nur dann erfolgen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen, d. h. nur bei schweren Straftaten oder der Gefährdung eines wichtigen Rechtsguts – und dazu noch, das ist sehr wichtig, nur mit richterlicher Zustimmung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist auch die Position der SPD. Auch darüber haben wir intern diskutiert. Wir haben einen Abwägungsprozess vorgenommen. Deshalb fühlen wir uns durch dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich bestätigt. Denn die Gewährleistung des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung wurde in diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch einmal ausdrücklich hervorgehoben. Dieser Maßstab ist eines Rechtsstaats würdig, und darauf können wir gemeinsam stolz sein. Das muss auch in den nächsten Jahren der Maßstab unseres politischen Handelns sein.

(Beifall bei der SPD)

Das gefällt Herrn Bouffier und der CDU nicht.Vorschnell haben Sie angekündigt, Hessen wolle einen Sonderweg gehen. Sie wollten zunächst im Polizeirecht die Möglichkeit schaffen, dass auch in Räume von Personen, gegen die kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren läuft, heimlich eingedrungen werden kann,um Programme zum Ausspähen von Computern installieren zu können. Zwei Tage lang haben Sie überlegt und gemerkt: Ach, ich habe ja keine Mehrheit, das geht nicht.

Sie haben recht daran getan, in sich zu gehen. In der Tat haben Sie hier keine Mehrheit. Und ich will hier sehr deutlich sagen: Egal, was in Berlin im Rahmen der Großen Koalition diskutiert wird – wir in Hessen erlauben uns eine eigene Meinung. Dies ist mit der hessischen SPD nicht zu machen. Das Ausspähen von Wohnungen ist mit uns nicht zu machen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Herr Innenminister, deshalb ist es wichtig, dass Sie Ihre Hausaufgaben machen. Die Regelungen im Hinblick auf die Kennzeichenlesegeräte, die Vorschriften zur Wohn

raumüberwachung sind mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar.

(Zurufe der Abg.Jörg-Uwe Hahn (FDP) und HansJürgen Irmer (CDU))

Das hessische Polizeigesetz muss geändert werden. Herr Bouffier, tun Sie dies, und passen Sie es der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an. Das ist Ihre vordringliche Aufgabe in den nächsten Wochen. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, werden wir das einbringen, denn das ist ganz klar: Wir sind diejenigen, die an der Stelle mehr als entschieden für die Bürgerrechte eintreten.

(Wortmeldung des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Recht gerne, aber bei einer Redezeit von fünf Minuten ist das ein bisschen schwierig. Herr Kollege Rentsch, das werden Sie mir nachsehen.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich will etwas zu dem Abwägungsprozess „Eingriff in Bürgerrechte“ sagen. Die Gefährdung durch den internationalen Terrorismus ist eine, die wir gemeinsam ernst nehmen müssen – und zwar nicht erst seit dem 11. September 2001.Wenn wir Eingriffe in Bürgerrechte vornehmen, dann sind diese mit einem Abbau von persönlichen Freiheiten verbunden. Das müssen wir gegeneinander abwägen. Das ist zugegebenermaßen ein eher schwieriger Prozess. Freiheit und Sicherheit sowie Sicherheit und Freiheit sind beide nur miteinander zu haben. Das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen. Zu einem demokratischen Rechtsstaat gehört auch, dass man all diese Maßnahmen evaluiert und fragt: Sind sie sinnvoll und zielführend?

Herr Kollege Rudolph, bitte kommen Sie zum Schluss.

Die Fragen nach der Zweckmäßigkeit sowie nach der Verhältnismäßigkeit sind gegeneinander abzuwägen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Die Abwägung ist wichtig!)

Herr Kollege Wagner, das haben Sie richtig gesagt. Ich frage mich aber, warum Sie dies in den letzten Jahren nicht gemacht haben. – Das stellen wir zur Diskussion, und deswegen ist es richtig, dass Herr Bouffier nicht nur auf die Bremse treten muss, sondern er muss umdrehen und einsehen, dass er sich geirrt hat. Er muss sagen: Bürger, ich habe mich geirrt.

Wir werden die Bürgerrechte sowie einen möglichen Sicherheitsgewinn jedenfalls immer gegeneinander abwägen. Wir machen uns dies nicht einfach. Das ist nicht für tagesaktuelle Profilierungsversuche geeignet. Es handelt sich vielmehr um den Kern einer Auseinandersetzung in einem demokratischen Rechtsstaat. Herr Bouffier, daher sind Sie nach unserer Meinung mit Ihrer Philosophie gescheitert. Wir bringen Sie wieder auf den rechten Weg. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Kollege Rudolph, herzlichen Dank. – Ich erteile nun das Wort an Herrn Dr. Wilken für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Verfassungsgericht hat in dem bereits zitierten Urteil die Unverletzlichkeit unserer Computer sogar noch höher gesetzt als die Privatheit unserer Wohnungen. Wir fragen uns natürlich, für wen eigentlich solche Verfassungsgerichtsurteile Geltung haben. Denn Wochen später kam es zu dem hessischen Sonderweg. Daher müssen wir uns fragen, ob dies auch für eine geschäftsführende Landesregierung gilt.

Herr Bouffier, wer respektiert in diesem Falle eigentlich Recht und Gesetz und steht auf dem Boden unserer Verfassung, und wer bedroht sie?

(Dr.Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Es spricht ein Verfassungsschützer!)

Was gerade noch verfassungsrechtlich vertretbar ist, kann doch nicht der Maßstab sein. Wir müssen uns stattdessen dafür einsetzen, dass die Bürger- und Freiheitsrechte ausgebaut werden. Hierbei beziehe ich mich ausdrücklich ebenfalls auf das Zeugnisverweigerungsrecht, das bereits angesprochen worden ist. Der Ausbau von Bürger- und Freiheitsrechten ist der Königsweg zur Bekämpfung von Extremismus und Politikmüdigkeit.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das sagt der Richtige! Extremisten sprechen von Extremismus, das ist doch wohl ein Witz!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns mit der FDP-Fraktion in einem Punkt einhundertprozentig einig: In einem Überwachungsstaat verlieren wir beides – Sicherheit und Freiheit.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): So war das in der DDR!)

Liebe Kollegen von der CDU, es geht auch nicht, dass wir Freiheits- und Bürgerrechte nur mal scheibchenweise abbauen, also nur in ganz wenigen Fällen. Freiheitsrechte sind auch nicht scheibchenweise abbaubar. Sie gelten immer und unverrückbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wenn uns der Staat mit Argusaugen überwachen will,dann schauen wir einmal in die griechische Mythologie und erinnern uns daran, dass Argus aufgrund des Auftrags von Zeus durch den Götterboten Hermes eingeschläfert sowie vom Felsen gestürzt wurde. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank,Herr Kollege Dr.Wilken.– Für die Landesregierung erhält Herr Staatsminister Bouffier das Wort.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Ich begrüße diese Debatte ausdrücklich. Ich hätte diese gern et

was ausführlicher geführt, denn dies ist in nur fünf Minuten kaum möglich. Ich bitte daher um Nachsicht. Ich kann mich in dieser kurzen Zeit nicht von der griechischen Mythologie bis hin zu den Einzelheiten der BürgerrechtsRechtsprechung durcharbeiten. Deshalb spreche ich dies in einigen wenigen Stichpunkten an.