Protocol of the Session on November 11, 2010

Herr Staatssekretär, bleiben Sie bitte da. Frau Kollegin Kamm hat noch 31 Sekunden, die sie ausnutzen will.

Ich habe noch ein paar Fragen.

Herr Kollege Pschierer, Sie wollen das Konnexitätsprinzip nicht, weil Sie der Anwalt der Kommunen von Bayern und Berlin sein wollen. Ich frage Sie: Wie können dauerhaft Investitionszuschüsse des Bundes und überhaupt die Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Betreuung der Kinder unter drei Jahren sichergestellt werden? Wie sieht es mit der Lobbyarbeit der Bayerischen Staatsregierung in Berlin im Hinblick auf Kürzungsideen beim Wohngeld und bei den Rentenzuschlägen für die Langzeitarbeitslosen aus? Das sind meine Fragen zur Rolle der Bayerischen Staatsregierung in Berlin.

Nun zu den Fragen zu Bayern: Wie geht es mit der Finanzierung der kommunalen Schulen weiter, um die es derzeit sehr schlecht bestellt ist? Aufgrund unrealistischer Pauschalen bekommen diese Schulen nämlich nur die Hälfte ihrer Kosten ersetzt. Ich habe auch noch nichts zu Ihrem Wirken für die Anpassung der Lebensverhältnisse in Bayern gehört. Was wollen Sie tun, um dem zunehmenden Auseinanderdriften von Reich und Arm entgegenzuwirken?

Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Frau Kollegin Kamm, Sie haben dankenswer

terweise unterschieden zwischen den Fragen zu Berlin und den Fragen zu Bayern. Die Fragen zu Berlin bitte ich, auch in Berlin zu stellen. Sie haben dort die Möglichkeit, Schriftliche oder Mündliche Anfragen durch Ihre Parteifreundinnen und Parteifreunde einzubringen. Fairerweise möchte ich aber einen Punkt zu Berlin sagen: Die Mittel für die Kinderbetreuung, die wir vom Bund erhalten, reichen wir voll umfänglich an die bayerischen Kommunen weiter. Dazu könnte die Sozialministerin mehr sagen als der Finanzstaatssekretär.

Frau Kollegin Kamm, für die Investitionskostenförderung stehen uns im Moment 440 Millionen Euro zur Verfügung. Nach einer Absichtserklärung der Bayerischen Staatsregierung werden wir auch bei einem Auslaufen der Bundesmittel bis zu einem bedarfsgerechten Ausbau weiter an Bord bleiben.

Frau Kollegin Kamm, zu den Betriebskosten möchte ich Ihnen eine Zahl nennen: Im Jahr 2008 lagen die Landesmittel bei 636 Millionen Euro. Heute liegen sie bei 820 Millionen Euro. Daran sehen Sie, dass wir dieses Thema sehr ernst nehmen.

Zur letzten Frage: Frau Kollegin Kamm, hören Sie endlich auf, den Freistaat Bayern permanent auseinanderzudividieren. Ich habe Ihnen vorhin gesagt, dass es bei der Arbeitslosigkeit Gott sei Dank nur noch eine geringe Bandbreite von Punkten gibt, bei denen die Bezirke auseinanderdriften. Überlegen Sie einmal, wie schnell diese Staatsregierung im Hinblick auf Nürnberg und Fürth nicht gequatscht, sondern gehandelt hat. Sie hat Geld für Nordbayern für sinnvolle Maßnahmen in die Hand genommen. Gehen Sie einmal nach Nürnberg und fragen Sie Herrn Maly, oder gehen Sie nach Fürth und fragen Sie Herrn Jung. Beide werden Ihnen bestätigen: Danke, Staatsregierung, Du hast einen guten Job gemacht.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Herr Staatssekretär, wir haben noch eine Frage des Herrn Kollegen Rohde.

Herr Staatssekretär, wir haben dieses Thema schon einmal gestreift: Der Bundesfinanzminister möchte Geld in die Hand nehmen und die Aufgabe der Grundsicherung im Alter übernehmen. Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass auch der Einstieg des Bundes in die Finanzierung der Eingliederungshilfe wichtig wäre; denn dadurch könnten die bayerischen Bezirke entlastet werden? Die Grundsicherung im Alter würde vor allem in den neuen Bundesländern wirken. Sollte dies nicht unsere Stoßrichtung sein?

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Rohde, ich unterstütze das gerne. Die Eingliederungshilfe ist neben der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die zweite Säule. Ich habe die Grundsicherung nur deshalb genannt, weil sie vom Charakter völlig atypisch ist. Sie hat einen rentenähnlichen Charakter; es existiert aber keine Beitragspflicht. Daher ist sie eindeutig eine Bundesaufgabe. Zum Thema Eingliederungshilfe: klare Unterstützung.

Herr Staatssekretär, ich sehe keine weiteren Fragen mehr. Damit ist die Befragung beendet.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Regierungserklärung der Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen "Integration leben - Vielfalt braucht Werte"

Bevor ich Frau Staatsministerin Haderthauer das Wort erteile, möchte ich wiederholen, was ich am Beginn der Sitzung gesagt habe: Frau Staatsministerin, ich spreche Ihnen zu Ihrem heutigen Geburtstag meinen herzlichen Glückwunsch aus.

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen alles Gute und erteile Ihnen nun das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident.

Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Diese Regierungserklärung im Bayerischen Landtag zur Integrationspolitik ist schon seit Längerem geplant, und die lebhaften Diskussionen im Sommer und Herbst haben mich darin bestärkt; denn sie haben gezeigt, dass es großen Bedarf an gesellschaftlicher Orientierung und öffentlicher Positionsbestimmung gibt. Integration hat den Zusammenhalt der Gesellschaft zum Ziel. Sie muss täglich gelebt werden. Integration ist zu wichtig, um sie abstrakten ideologischen Disputen zu überlassen.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Zuruf der Ab- geordneten Renate Ackermann (GRÜNE) - Volkmar Halbleib (SPD): Das müssen Sie nicht uns sagen!)

Im Mittelpunkt dieser Regierungserklärung stehen die in Bayern lebenden Menschen. Eine vitale Gesell

schaft lebt vom Zusammenhalt, von gemeinsamen Werten, klaren Pflichten und Chancen für alle.

Deutschland ist kein Einwanderungsland. Als wir in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die Gastarbeiter riefen, gingen wir und sie von ihrer Rückkehr aus.

(Simone Tolle (GRÜNE): Das ist nicht realitätsnah!)

Wer einwandert, um zu bleiben, hat den wichtigsten Schritt für gelingende Integration bereits getan. Er hat Ja zu unserer Gesellschaft gesagt, sich bewusst dazu entschieden, in unserer Kultur, unserer Rechtsordnung, in einer Gesellschaft mit unseren Werten und Traditionen zu leben.

Genau diese Voraussetzung aber fehlte den Gastarbeitern und Zuwanderern der ersten Stunde. Die wirtschaftlichen Entwicklungen in den Herkunftsländern führten dazu, dass viele die geplante Rückkehr in die Heimat nicht verwirklichten. Gleichzeitig setzte der Familiennachzug ein. Erst als die Migranten schon zahlreich und lange unter uns lebten, begann man sich in Deutschland spürbar mit ihrer Integration zu beschäftigen. Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde erstmals 2005 die Notwendigkeit der Förderung der Integration festgeschrieben. Im August 2007 wurde der Nachweis einfacher Sprachkenntnisse beim Ehegattennachzug eingeführt. Deutschland hat über Jahrzehnte Zuwanderung erlebt. Dass etwa ein Fünftel unserer Bevölkerung mittlerweile einen sogenannten Migrationshintergrund hat, ist aber erst langsam in das kollektive Bewusstsein gelangt.

Kolleginnen und Kollegen, wir haben einiges aufzuholen. Menschen mit Migrationshintergrund sind längst keine homogene Gruppe mehr. Während die meisten der ursprünglichen Gastarbeiter spätestens in der zweiten Generation begriffen hatten, worauf es ankommt, um die Chancen, die dieses Land ihnen bietet, erfolgreich nutzen zu können, drifteten andere in Fehlentwicklungen und integrationshindernde Verfestigungen ab, die Gesellschaft und Politik vielfach zu spät erkannt und angegangen haben.

1970 stammte der Großteil der Zuwanderer aus fünf Ländern, heute leben Migranten aus über 80 Staaten bei uns. Es gibt in unserer Gesellschaft keine Integrationshindernisse. Innerhalb aller Herkunftsgruppen sind Integrationserfolge feststellbar; sie haben aber unterschiedliche Dynamik. Fast die Hälfte der Jugendlichen aus Asien macht bei uns das Abitur. Junge Frauen aus Osteuropa erlangen häufiger die Hochschulreife als Einheimische. Die Schere geht aber auseinander.

Neben neuen Eliten entstehen auch defizitäre Migrantenmilieus, in denen Integration nicht oder nur deutlich langsamer gelingt. Das gilt insbesondere dort, wo Zuwandererfamilien Integrationsdefizite über Generationen hinweg vererben, weil sie an mitgebrachten Rollenbildern und Traditionen festhalten, die denen unserer Gesellschaft entgegenstehen. Insgesamt gehören laut Sinus-Milieustudie 31 % der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland Milieus mit Integrationsdefiziten an. Integrationsdefizite, Kolleginnen und Kollegen, führen zu Chancenlosigkeit, und Perspektivlosigkeit verfestigt sich.

So ist es nicht verwunderlich, dass zumindest auf Bundesebene unter den Jugendlichen ohne Ausbildung oder den Arbeitslosen überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund sind. Zwischen niedriger Bildung und dem Festhalten an tatsächlichen oder angeblichen kulturellen und religiösen Traditionen existiert ein starker Zusammenhang. Gerade bei jungen Muslimen geht das zu oft einher mit hoher Affinität zu gewaltlegitimierenden Umgangsnormen, der häufigen Nutzung gewalthaltiger Medien und Abschottung in Cliquen Gleichgesinnter, mit erheblichen Risiken zu Gewalt und Kriminalität.

Die leider verstorbene Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig hat in sehr sachlicher und sensibler Weise auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Hier erreicht man allein mit Angeboten wenig bis nichts. Vielmehr müssen wir falsche Einstellungen benennen und überwinden helfen. Hier gilt es, präventiv die ideologischen und radikalen Tendenzen gezielt zu bekämpfen. Auch das ist Integration und beginnt lange vor der Arbeit der Sicherheitsbehörden.

Kolleginnen und Kollegen, ohne ein klares Bekenntnis der Migranten zu unserer Gesellschaft kann Integration nicht gelingen. Das müssen wir unmissverständlich einfordern. Integration ist keine Einbahnstraße, sondern ein Vertrag auf Gegenseitigkeit.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Die Aufnahmegesellschaft hat Orientierung und den Rechts- und Werterahmen vorzugeben, in den hinein Integration stattfinden kann und soll. Das allerdings setzt voraus, dass wir unsere Werte, unsere Kultur und Traditionen leben und bewusst für sie eintreten. Unsere Leitkultur ist das von der Aufklärung geprägte Gesellschaftsbild aus christlich-abendländischen und jüdischen Wurzeln mit europäischer Tradition und Kultur. Dazu gehört die Glaubens- und Gewissensfreiheit. In dieser Tradition sehen wir uns. Diese Akzeptanz müssen wir aber auch von jedem einfordern, der bei uns leben will.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wer fehlende Klarheit über gesellschaftliche Werte zulässt, macht sich mitverantwortlich für Fehlentwicklungen, die aus Orientierungslosigkeit entstehen. Die Bevölkerung hat diese Sprachlosigkeit zu oft gespürt, und dadurch ist Raum für Ängste und oft wirre Diskussionen entstanden. Mangelnde Konsequenz in der Integrationspolitik geht vor allem auf Kosten der gut Integrierten. In der öffentlichen Debatte kommt nämlich die Tatsache zu kurz, dass viele Migrantinnen und Migranten in Deutschland Leistungsträger unserer Gesellschaft geworden sind. Die allermeisten, Kolleginnen und Kollegen, sind Leistungsträger unserer Gesellschaft geworden. Sie arbeiten als qualifizierte Fachkräfte, als Lehrer, Wissenschaftler und Unternehmer. Sie erziehen ihre Kinder zu verantwortungsvollen Staatsbürgern und engagieren sich im Ehrenamt. Migranten schaffen Arbeitsplätze bei uns und sind nicht nur für andere Migranten Vorbilder. Diese Leistung sollten wir wahrnehmen, anerkennen und als Chance für unser Land sehen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Dafür müssen wir neue Wege beschreiten. Zeitgemäß herangehen heißt: Multi-Kulti ist tot!

(Beifall bei der CSU und der FDP - Renate Acker- mann (GRÜNE): Irrtum!)

Aus den Fehlern der Vergangenheit müssen wir genauso lernen wie aus den gegenwärtigen Erfolgen. Deutschland muss jetzt seine Hausaufgaben machen. Der Integrationsgipfel der Bundesregierung ist ein geeignetes und richtiges Instrument.

Bayern, Kolleginnen und Kollegen, setzt bei der Integrationspolitik Standards; denn unsere Politik hat mit einem vitalen wirtschaftlichen und stabilen sozialen Umfeld beste Voraussetzungen für gelingende Integration geschaffen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

In großer Kontinuität haben wir unseren politischen Gestaltungsspielraum genutzt. Wir haben eine Leitkultur auf der Basis unserer Grundwerte definiert und umgesetzt. Dies hat Klarheit und Orientierung geschaffen, die es in Bayern allen leichter gemacht hat als anderswo in Deutschland. Wichtige politische Impulse dazu waren zum Beispiel die Regierungserklärung des damaligen Ministerpräsidenten Dr. Günther Beckstein am 15. November 2007. Impulse gaben der Beschluss des Bayerischen Kabinetts vom Juni 2008 mit dem Zehn-Punkte-Plan der "Aktion Integration" oder auch das Handlungskonzept des Kultusministeriums "Integration an Schule" oder meine Ministerratsvorlage, die zur Situation von Migrantinnen im letzten Jahr beschlossen wurde.

Bayern zählt im Bundesvergleich zu den Ländern mit dem höchsten Anteil an Migranten. Im Jahr 2008 lebten bei uns etwa 2,4 Millionen Personen mit Migrationshintergrund. Damit hat jeder Fünfte in Bayern einen Migrationshintergrund. Zu nennen sind vor allem die hohen Bevölkerungsanteile in den Städten München - 35,2 % -, Nürnberg - 38,3 % - und Augsburg mit 39,5 %. Hier haben 60 % der Kinder im Vorschulalter einen Migrationshintergrund. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der bayerischen Bevölkerung wird bis zum Jahr 2020 von 19 auf gut 23 % anwachsen.

Bayern ist gleichzeitig der beste Beweis dafür, dass ein hoher Migrantenanteil nicht gleichbedeutend mit großen sozialen Problemen ist. In Berlin leben anteilig weniger Migranten, nämlich 25,6 %, als in bayerischen Großstädten. Doch die Integrationsprobleme sind ungleich schärfer.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Sowohl Berlin als auch München werden sozialdemokratisch regiert!)