Herr Kollege Pfaffmann, ich bedanke mich herzlich für den Hinweis. Ich weiß nicht, was Sie damit konkret aussagen wollen. Ihnen ist bestimmt bekannt, dass schon seit den siebziger Jahren für die Polizei und die innere Sicherheit auch in der Landeshauptstadt München vorrangig die Polizei des Freistaates Bayern zuständig ist.
Ich habe darauf hingewiesen und auch positiv angemerkt, dass die Landeshauptstadt München beispielsweise alle ihre U-Bahnhöfe mit Videokameras bestückt hat. Ich frage mich, ob Ihr Hinweis so zu verstehen ist, dass Sie die Videokameras, die die Landeshauptstadt München in den U-Bahnhöfen aufgestellt hat, alle für überflüssig halten und sie demontiert sehen wollen. Was bedeutet der Hinweis, dass die Landeshauptstadt München in der Tat im Vergleich zu anderen Landeshauptstädten in Deutschland sicher ist? Ich weiß nicht, was Sie mit diesem Hinweis bezwecken.
(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei Ihnen nichts! – Abgeordneter Pfaffmann (SPD) meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass sich die Aussage, München sei die sicherste Großstadt Europas, nicht nur auf die U-Bahnhöfe, sondern auch auf die überirdischen Straßen und Plätze bezieht und dass der Marienplatz ohne Videokameras als der sicherste Platz bezeichnet werden kann?
Sie hätten von Anfang an zuhören sollen. Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir auf den Spitzenplatz Bayerns in der inneren Sicherheit stolz sind. Das ist gar keine Frage.
Ich habe aber auch darauf hingewiesen, dass es wichtig ist zu schauen, ob wir etwas noch besser machen können, weil es leider auch in Bayern Kriminalität gibt. Wir nehmen das zur Kenntnis, und wir meinen, unsere Bür
gerinnen und Bürger haben Anspruch darauf, dass wir ihnen im Rahmen des Möglichen ein Optimum an innerer Sicherheit in Bayern bieten.
Vor dem Hintergrund dessen, was ich gesagt habe, ist klar, dass die Videoüberwachung auf keinen Fall heimlich oder versteckt stattfinden, sondern dass darauf in jedem einzelnen Fall deutlich und unübersehbar hingewiesen werden soll. Nur so kann sich einerseits abschreckende Wirkung gegenüber potenziellen Straftätern entfalten und andererseits das Sicherheitsgefühl der Bürger gestärkt werden.
Lassen Sie mich eine Anmerkung zum Thema Datenschutz machen. Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass alle Aufzeichnungen
nach spätestens zwei Monaten gelöscht werden. Dies hängt mit der Praktikabilität bei der Polizei zusammen. Es ist keine Glaubensfrage, ob schon nach vier oder fünf Wochen gelöscht wird. Wie man sich aber auf den Standpunkt stellen kann, dass das datenschutzrechtlich eine völlig andere Qualität hätte, wenn schon nach vier Wochen gelöscht würde, während eine Löschung erst nach zwei Monaten ein Anlass sei, zum Verfassungsgerichtshof zu gehen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Deshalb konnten wir uns diesen Argumenten im Ausschuss nicht anschließen.
Meine letzte Bemerkung, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt dem SPD-Gesetzentwurf. Aus meiner Sicht ist er schon deswegen völlig praxisfremd, weil er vorsieht, dass eine Aufzeichnung im Einzelfall erst zulässig ist, wenn mit der Videoübertragung konkret eine Straftat beobachtet wird. Das setzt voraus, dass ein Beamter in der Zentrale ständig den Monitor betrachten muss,
(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann er machen, wenn er doch sowieso davor sitzt!)
Frau Kollegin Stahl, das sind doch die Erfahrungen von Regensburg. Nach der bisherigen Rechtslage sind solche Aufzeichnungen nicht zulässig gewesen.
Wir haben dort festgestellt: Es kann sein, dass Polizeibeamte im Moment etwas Wichtigeres zu tun haben, als gerade auf die Monitore zu schauen. Peinlich ist es, wenn sich später herausstellt, dass gerade in der Zeit, in der die Polizeibeamten mit etwas – zunächst scheinbar – Wichtigerem beschäftigt waren, etwas passiert ist, was nicht aufgezeichnet wurde.
Ich kann Sie nur darauf hinweisen, dass die deutschen Sparkassen und Banken längst auf das Problem reagiert haben. Früher war es so, dass die Kameras in den Sparkassen und Banken erst ausgelöst wurden, wenn die Bankangestellten auf den Überfallknopf an ihrem Schalter gedrückt haben. Alle modernen Sparkassen- und Bankfilialen sind inzwischen längst mit einem Gerät für eine permanente Videoaufzeichnung ausgestattet, die nach einem Überfall ein komplettes Bild des Überfalls von dem Zeitpunkt an, zu dem der Täter die Filiale betreten hat, liefert. Ich denke, das ist praxisnah und für den Einsatz an dem einen oder anderen Ort – von einem flächendeckenden Einsatz kann keine Rede sein – der richtige Weg.
Herr Kollege Dr. Jung, Ihr Gesetzentwurf ist letztlich nur ein Alibi, das davon ablenken soll, dass die SPD in Bayern wieder einmal nicht bereit ist, einen zweifellos kleinen, aber wichtigen sicherheitspolitischen Fortschritt mitzutragen. Es wäre besser, wenn Sie sich ein Beispiel an Ihren britischen Genossen von der Labour Party nehmen würden. In Großbritannien ist die bereits stark ausgebaute Videoüberwachung öffentlicher Plätze völlig unumstritten. Es gibt einen breiten Konsens von Conservatives bis zur Labour Party. Die jetzige Labour-Regierung hat in der letzten Legislaturperiode 550 Millionen DM allein an Zuschüssen für die Kommunen für die Installation von Videokameras bereitgestellt. Das nenne ich eine konkrete Sicherheitspolitik. Sie wollen sich wieder einmal davonstehlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, den Gesetzentwurf der SPD abzulehnen und unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Herrmann, wenn Sie die englischen Ergebnisse rühmen, sollten Sie sich einmal die Statistiken und Untersuchungen darüber ansehen, was bei der hemmungslosen Videoüberwachung in England tatsächlich herausgekommen ist. Die Ergebnisse sind erbärmlich, und genauso erbärmlich werden sie hier in Bayern sein.
Sie werfen der SPD vor, dass sie sicherheitspolitisch nicht mitziehen würde, obwohl Sie genau wissen, dass der Gesetzentwurf der SPD praktisch 1 : 1 von einem anderen Bundesland übernommen wurde. Sie dagegen starten einen Frontalangriff auf die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger und widersprechen den Vorgaben des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1987, in dem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung genau umrissen und eindeutig dargestellt worden ist. Sie ziehen Ihren Gesetzentwurf mit der Brechstange durch, ohne ernsthaft zu hinterfragen, ob die Videoüberwachung von Straßen und Plätzen überhaupt eine messbare Wirkung auf die Straßenkriminalität entfaltet.
Das Regensburger Pilotprojekt wurde von Anfang an als großer Erfolg verkauft, obwohl keine wissenschaftliche Begleitung und keine Evaluation der Maßnahme erfolgten. Jetzt soll das Regensburger Pilotprojekt als Begründung für den hemmungslosen Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, dienen. Wenn man das Pilotprojekt ernsthaft wissenschaftlich hätte begleiten wollen, hätte man zumindest – das sagte Prof. Müller vom Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Regensburg, der vorhin bereits zitiert worden ist – zwei Jahre vor und zwei Jahre nach der Einführung der Videoüberwachung genaue Erhebungen durchführen müssen, und zwar nicht nur in den Bezirken, wo die Videokameras aufgehängt sind, sondern auch in den angrenzenden Bezirken, um ermessen zu können, inwieweit eine Verdrängung der Kriminalität stattfindet.
Man muss sich einmal genau vor Augen führen, was Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, den Bürgerinnen und Bürgern mit Ihrem Gesetzentwurf verkaufen wollen, und zwar schön eingewickelt in das Versprechen, dass sich die Leute mit der Überwachung rundum sicher fühlen dürfen. Das Gesetz ermöglicht es, dass praktisch auf allen öffentlichen Straßen und Plätzen Kameraaufzeichnungen, Videoaufzeichnungen, Übersichtsaufnahmen und herangezoomte Aufnahmen erfolgen dürfen. Leicht übersehen wird, dass außerdem der Ton mitgeschnitten werden darf. Plötzlich soll es rechtmäßig sein – das könnte auch Sie betreffen –, dass Sie im Straßencafe herangezoomt und mitgeschnitten werden und Ihr Gespräch aufgezeichnet wird, nur weil hier schon einmal ein Auto aufgebrochen oder eine Handtasche gestohlen wurde. Selbst wenn die Aufnahmen im Polizeicomputer Ihrer Person zugeordnet werden, müssen Sie nicht benachrichtigt werden. Sie können sich also nicht gegen die Speicherung wehren. Das alles wird mit dem neuen Gesetz ermöglicht.
Die Video- und Tonüberwachung wollen Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, überall dort ermöglichen – ich drösle das Gesetz jetzt auf –, wo eine Gefahr im Einzelfall besteht. Wie soll das funktionieren? Plötzlich wird erkannt, es besteht eine Gefahr im Einzelfall. Wird dann etwa schnell eine Kamera montiert, und es wird aufgezeichnet? Tatsächlich ist es doch so, dass für die Durchführung der Vorschrift die Kamera bereits hängen muss.
Sie beziehen auch alle so genannten gefährlichen Orte ein. Diese können sehr weiträumig festgelegt werden. Der dritte Tatbestand bezieht sich auf Orte, für die eine bloße Prognoseentscheidung zu dem Ergebnis kommt, dass dort Ordnungswidrigkeiten – nicht etwa Straftaten – von erheblicher Bedeutung begangen werden könnten. Es handelt sich hier um einen hemmungslosen Freibrief für eine unbeschränkte und nicht mehr zu kontrollierende Überwachung. Normalerweise bedienen sich nur Diktaturen solcher Mittel. Kein anderes Bundesland verfügt über derart weitreichende Möglichkeiten.
Auch eine Demokratie darf ihren Sicherheitskräften keine derart weitreichenden Kompetenzen gegenüber
Darüber hinaus kritisieren wir die Speicherzeit der Daten von zwei Monaten und die fehlende Benachrichtigung der Betroffenen, wenn Aufnahmen ihren persönlichen Daten zugeordnet werden. Wir stehen nicht allein mit unserer Kritik: Sie wissen genau, wie vehement der Datenschutzbeauftragte, Herr Vetter, gegen dieses Gesetzesvorhaben argumentiert. Sie wissen auch, dass die Gewerkschaft der Polizei sich gegen die Videoüberwachung wendet.
Warum ist unser Widerstand so vehement? Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil aus Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes entwickelt hat, ist ein elementares Menschenrecht. Sobald die Bürgerinnen und Bürger sich nicht mehr frei und unbeobachtet in der Öffentlichkeit bewegen können, stehen sie unter einem permanenten Anpassungsdruck. Sie können sich der Beobachtung nicht entziehen, sofern sie sich aus dem Haus begeben wollen. Es reicht, dass die Möglichkeit einer ständigen Beobachtung abweichender Verhaltensweisen besteht, selbst wenn gerade nicht aufgezeichnet wird. Es bedarf wirklich gewichtiger Gründe, um die Videoüberwachung insbesondere in dieser ausufernden Form zu erlauben und um den Eingriff in dieses Grundrecht zu rechtfertigen.
Alle Ihre Argumente halten einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand. Sie können keine stichhaltigen Argumente liefern, weil es diese nicht gibt. Aller Voraussicht nach werden wir uns in dieser Frage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof wiedersehen. Auf alle Fälle werden wir eine Klage vorbereiten.
Kolleginnen und Kollegen der CSU, Ihre Argumentation und auch jene der Staatsregierung ist in vielen Punkten äußerst widersprüchlich. Angeblich sollen die Kameras nur in Kriminalitätsschwerpunkten oder Angsträumen aufgestellt werden. Beim Regensburger Projekt wurden die Kameras aber weder in Kriminalitätsschwerpunkten noch in Angsträumen aufgestellt. Zur Begründung der Kamerastandorte hat damals die Polizeidirektion Regensburg die Geografiediplomarbeit von Heike Seiler herangezogen, die im Hinblick auf die Stadtplanung untersucht hat, welche Orte, insbesondere von Frauen, überhaupt als Angsträume empfunden werden: Praktisch keiner der in Regensburg gewählten Kamerastandorte ist ein so genannter Angstraum. Das Innenministerium behauptet, dass sich Plätze, die belebt sind und von einer Vielzahl von Personen frequentiert werden, zwangsläufig negativ auf das Sicherheitsgefühl auswirken würden. Das ist schlichtweg falsch. Bedroht fühlen sich die Menschen, wenn überhaupt, an unbelebten, unübersichtlichen, dunklen oder verwinkelten Orten. In Regensburg wurden jedoch gerade belebte Plätze ausgewählt.
Das Regensburger Pilotprojekt wurde mit einer überdurchschnittlichen Quote an Straßenkriminalität begründet. Nicht erwähnt wurde allerdings die abnehmende
Tendenz: Seit 1992 bis zum Beginn der Videoüberwachung haben sich die Delikte annähernd halbiert. Von Kriminalitätsschwerpunkten kann auch hier keine Rede sein. Angeblich, so die Staatsregierung, wäre die Videoüberwachung sehr erfolgreich. Untersuchungen aus England belegen jedoch, dass Straftaten nicht verhindert, sondern nur in andere Stadtbezirke verdrängt werden und dass im Zweifel tote Winkel ausgenutzt werden, die von der Kamera nicht erfasst werden können. Wenn wegen der Videoüberwachung auf die tatsächliche Polizeipräsenz verzichtet wird und die toten Winkel ausgenutzt werden, kann das letztlich zu weniger Sicherheit führen. Die englischen Untersuchungen belegen auch, dass durch die Videoüberwachung das subjektive Sicherheitsgefühl nicht erhöht wird.
Wir kommen zu dem Fazit, dass bereits jetzt weitgehende Videoüberwachungsmöglichkeiten bestehen. Ich nenne den Objektschutz, die Beobachtung von Veranstaltungen und die Beobachtung privater Räume. Der Nutzen ist äußerst fraglich. Herr Herrmann, Sie haben vorhin die Kameras in den Banken erwähnt. Durch das Aufstellen von Überwachungskameras werden Banküberfälle nicht verhindert, sondern die Täter kommen dann eben vermummt. Das Staatsministerium und die CSU arbeiten entweder mit geschönten oder ohne Zahlen. Es liegen keine wissenschaftlichen Belege für das behauptete Absinken der Straßenkriminalität vor. Wir haben gegen dieses Gesetz erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Wir werden eine Verfassungsklage vorbereiten. Wir werden dem Gesetzentwurf der SPD ebenfalls nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten. Dieser Gesetzentwurf gibt zwar klarere Grenzen für die Videoüberwachung vor als der CSU-Entwurf, aber sie gehen uns nicht weit genug.