Protocol of the Session on November 9, 2016

Posttraumatisches Belastungssyndrom – viele kennen diesen Begriff nur in Verbindung mit Soldaten. Aber das ist weit ge fehlt. Menschen, die Opfer einer Straftat geworden sind, lei den oft an genau dieser Erkrankung. Sogenannte Flashbacks lassen einen das Martyrium immer wieder aufs Neue durch leben. Das ist auch der Grund, warum wir als Alternative für Deutschland das Thema „Opferschutz statt Täterschutz“ in unser Programm aufgenommen haben. Denn sogenanntes Victim Blaming, also die Umkehr des Täter-Opfer-Verhältnis ses, ist heute leider an der Tagesordnung. Es kann aber nicht sein, dass die Opfer die Schuld bei sich selbst suchen.

Wir leben Gott sei Dank in einem Land, in dem die Kleidung einer Frau niemandem das Recht gibt, sich an ihr zu verge hen. Wir leben in einem Land, in dem jeder das Recht auf freie Meinung und Unversehrtheit hat. Genau darum ist es auch so wichtig, dass diejenigen, die dieser Freiheiten, die wir hier ge nießen, beraubt werden, eine besondere Unterstützung bekom men, eine Unterstützung, die ihnen durch diese schwere Zeit hilft und sie zusätzlich vor den Tätern schützt.

Wir als Alternative für Deutschland sagen Ja zur psychosozi alen Prozessbegleitung im Strafverfahren. Außerdem müssen wir schauen, dass Hilfsangebote wie z. B. der Weiße Ring un terstützt und weiter ausgebaut werden.

(Beifall bei der AfD und des Abg. Dr. Wolfgang Ge deon [fraktionslos])

Für die SPD-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Kollegen Gall.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz, das wir in diesem Haus in Kürze ver abschieden werden, stellt sicher, dass ab dem kommenden Jahr, ab dem 1. Januar 2017, Opfer einer Straftat einen Rechts anspruch erhalten, und zwar vor, während und nach dem Pro zess, dass sie professionell begleitet werden – nicht im recht lichen, sondern im nicht weniger wichtigen persönlichen Be reich.

Der Gesetzentwurf setzt letztlich auch um – Herr Kollege von Eyb, Sie haben es angedeutet –, was die Europäische Union auf den Weg gebracht hat und was das Bundesgesetz, vorge legt von Justizminister Heiko Maas, formuliert, nämlich, die Opferrechte insgesamt zu stärken und diejenigen besser zu unterstützen, die Opfer einer Straftat geworden sind. Deshalb kann man, meine ich, sagen: Insgesamt ist dies ein weiterer wichtiger Schritt für den Opferschutz in unserem Land.

Die rege Beteiligung im Anhörungsverfahren – ich denke, wir haben die Anregungen sehr aufmerksam gelesen und studiert – hat deutlich gemacht, dass dieser Gesetzentwurf dringend notwendig ist, und sie hat gezeigt, wie ernsthaft beispielswei se die Anforderungen an eine optimale Prozessbegleitung dis kutiert worden sind.

Einige der im Anhörungsverfahren vorgebrachten Vorschläge und Anregungen sind jetzt in diesem Entwurf berücksichtigt, andere hingegen nicht. Die Praxis muss nun zeigen, ob die Abwägung richtig getroffen worden ist und ob eine vernünf tige Balance zwischen Wünschenswertem, wirklich Erforder lichem und Praktikablem gefunden wurde. Wir sind uns einig – die Vorredner haben dies bereits gesagt –: Sicherlich ist der Opferschutz der bedeutendste Teil dieses Gesetzes. Aber eine professionelle Prozessbegleitung hat zweifelsohne die nicht zu unterschätzende Wirkung einer besseren Wahrheitsfindung. Denn es ist so: Traumatisierte oder verängstigte Zeugen sind in der Regel nicht gerade gute oder gar optimale Zeugen. Das heißt im Klartext: Dieses Gesetz trägt auch dazu bei, zu ver hindern, dass Täter im Zweifelsfall ungeschoren oder mit ei ner zu milden Strafe davonkommen.

Wir werden – das wissen wir, denke ich, auch – mit diesem Gesetz den Opfern die erlittenen Schäden, die Schmerzen, die Demütigungen nicht nehmen können, die sie erleiden muss ten. Aber wir schaffen mit diesem Gesetz die Grundlage da für, dass diese Menschen begleitet werden, dass sie an die Hand – und meinetwegen auch in den Arm – genommen wer den, jedenfalls, dass sie Schutz genießen. In diesem Sinn ist diesem Gesetz nur Positives abzugewinnen, und deshalb stim men wir zu.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen sowie des Abg. Arnulf Freiherr von Eyb CDU)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich das Wort dem Kollegen Weinmann.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Durch die psychosoziale Prozessbe gleitung soll Geschädigten vor, während und nach der straf rechtlichen Hauptverhandlung psychologisch und pädago

gisch kompetente Unterstützung gewährt werden, und sie sol len sachgerecht über ihre Rechte und über die prozessualen Abläufe informiert werden. Das ist richtig, das ist gut, und es ist auch notwendig – allein schon, um sicherzustellen, dass die Opfer von Straftaten im Rahmen von Strafverfahren nicht das erlittene Leid noch einmal erfahren müssen.

Auch wenn wir uns – da sehen wir uns im Einklang mit Jus tiz- und Anwaltskreisen – weitere Anerkennungsvorausset zungen, um die Qualität der Begleitungen sicherzustellen, ge wünscht hätten, nehmen wir sehr wohl zur Kenntnis, dass sei tens des Ministeriums die Zusage vorliegt, auf dem Verord nungsweg Mindestqualitätsvoraussetzungen sicherzustellen. Mit dieser Zusage stimmen wir gern zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Landesregierung erteile ich das Wort Herrn Minister Wolf.

Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits anlässlich der Einbringung des vorliegenden Gesetzentwurfs der Landesre gierung vor knapp einem Monat habe ich betont – ich kann es an dieser Stelle nur wiederholen –: Das 3. Opferrechtsreform gesetz bringt dem Opferschutz im Rahmen von Strafverfah ren zum anstehenden Jahreswechsel eine wesentliche Verbes serung.

Wir haben uns in der letzten Sitzungsrunde mit neuen Struk turen im Bereich der Gerichts- und Bewährungshilfe befasst und haben ein neues Gesetz auf den Weg gebracht. Mit die sem Gesetz haben wir den Blick, den Fokus auch auf die Ge fangenen, die Häftlinge, die Straftäterinnen und Straftäter so wie deren potenzielle Resozialisierungschancen gerichtet. Heute geht es ausschließlich darum, den Opfern zu helfen, die Unrecht erlitten haben. Es geht darum, Opfern in der schwie rigen Phase der Aufarbeitung dessen, was ihnen zugefügt wur de, die notwendige und richtige Begleitung zu geben.

Ab dem 1. Januar 2017 erhalten Kinder, Jugendliche und in besonderen Fällen auch Erwachsene, die Opfer einer schwe ren Sexual- oder Gewaltstraftat wurden, die Möglichkeit ei ner kostenfreien Beiordnung eines psychosozialen Prozessbe gleiters.

Bei der psychosozialen Prozessbegleitung handelt es sich nach der bundesgesetzlichen Legaldefinition um eine besondere Form der nicht rechtlichen Begleitung im Strafverfahren für besonders schutzbedürftige Verletzte während und nach der strafrechtlichen Hauptverhandlung. Sie umfasst die Informa tionsvermittlung sowie die qualifizierte Betreuung und Unter stützung im gesamten Strafverfahren. Sie verfolgt das Ziel, die individuelle Belastung der Verletzten zu reduzieren und ihre sogenannte Sekundärviktimisierung, also die Gefahr, durch die Belastungen des Strafverfahrens ein zweites Mal Opfer zu werden, zu vermeiden.

Der Weg, den wir mit dem vorliegenden Regierungsentwurf eingeschlagen haben, um die bundesgesetzlichen Vorgaben der Strafprozessordnung umzusetzen, ist im Anhörungsver fahren und in den Ausschussberatungen über alle Fraktions grenzen hinweg positiv aufgenommen worden. Dafür bin ich

dankbar und möchte Ihnen auch herzlich für diese konstruk tive Diskussion danken.

Lassen Sie mich dennoch auf ein paar wenige Einwände ein gehen, die zumindest am Rande geäußert worden sind.

Gegen die Anregung, die Voraussetzungen der Anerkennung psychosozialer Prozessbegleiter und die Anforderungen an de ren Weiterbildung zu verschärfen, sind im Wesentlichen drei Punkte einzuwenden. Die Regelungen beruhen auf bundes einheitlichen, von Juristen und psychosozialen Fachkräften ausgearbeiteten Mindeststandards für die psychosoziale Pro zessbegleitung und die Weiterbildung. Dabei ist der Begriff der Mindeststandards irreführend. Tatsächlich wurden in bei den Dokumenten überaus anspruchsvolle Anforderungen an die Ausbildung und an die praktische Arbeit der psychosozi alen Fachkräfte formuliert, die diesem in mehrfacher Hinsicht sehr sensiblen Tätigkeitsfeld vollauf gerecht werden. Es be steht deshalb aus meiner Sicht zum jetzigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit, diese Anforderungen weiter anzuheben. Aber selbstverständlich werden wir die Entwicklung genau im Blick behalten, geschätzter Kollege Weinmann.

Die Länder haben sich bei der Ausarbeitung der Ausführungs gesetze inhaltlich eng abgestimmt, um eine länderübergrei fende Anerkennung psychosozialer Prozessbegleiter und de ren Weiterbildungen möglich zu machen. Eine Verschärfung der Regelungen würde die Konzeption infrage stellen und wä re nicht im Sinne eines effektiven und unbürokratischen Op ferschutzes.

Zum 1. Januar 2017 werden wir über zirka 45 psychosoziale Prozessbegleiter verfügen. Das stellt zwar eine durchaus statt liche Zahl dar, wird aber den Bedarf unserer 17 Landgerichts bezirke mit ihren 108 Amtsgerichten noch nicht vollständig decken. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Verschärfung der Anforderungen wäre auch vor diesem Hintergrund wenig sinnvoll.

Letzteres ist auch gegen die Kritik an der geplanten Über gangsregelung des § 12 einzuwenden. Da die sich derzeit in der Fortbildungsphase befindlichen Fachkräfte alle übrigen Voraussetzungen des § 1 erfüllen müssen, ist in der sechsmo natigen Übergangsphase keineswegs mit der Beiordnung un qualifizierter Prozessbegleiter zu rechnen.

Teilweise wurde bemängelt, die Pflicht zur Vorlage eines er weiterten Führungszeugnisses und zur Abgabe einer Erklä rung, ob gegen den Antragsteller zum Zeitpunkt der Antrag stellung ein gerichtliches Strafverfahren oder ein staatsanwalt liches Ermittlungsverfahren anhängig ist, beinhalte ein gro ßes, vielleicht zu großes Misstrauen den Fachkräften gegen über. Dem will ich entgegnen, dass solche Pflichten auf der Grundlage des Bundeszentralregistergesetzes auch anderen Berufsgruppen, die mit Minderjährigen zu tun haben, abver langt werden. Ich finde, das ist völlig richtig und wird völlig zu Recht verlangt. Wer bereits selbst eine Straftat mit Bezug zu Minderjährigen oder gar ein Verbrechen begangen hat, ist als psychosozialer Prozessbegleiter untragbar.

Seien Sie versichert: Unser Entwurf gewährleistet im Interes se der Opfer von Straftaten von Anfang an eine hoch qualifi zierte Betreuung im Rahmen des Strafverfahrens. Da sich die Regelungen zudem im Einklang mit den Gesetzen der übri

gen Länder befinden, ist gleichzeitig sichergestellt, dass psy chosoziale Prozessbegleiter, die durch die Justizverwaltung eines Landes anerkannt worden sind, grundsätzlich auch in anderen Ländern tätig werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir haben das Gesetz auf Herz und Nieren geprüft und sind allen vorgetra genen Bedenken nachgegangen und auf den Grund gegangen. Ich bitte Sie jetzt um Ihre breite Zustimmung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Meine Damen und Her ren, in der Allgemeinen Aussprache liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen daher in der Zweiten Beratung zur A b s t i m m u n g über den Gesetzentwurf Drucksache 16/712. Ab stimmungsgrundlage ist die Beschlussempfehlung des Stän digen Ausschusses, Drucksache 16/876. Der Ausschuss emp fiehlt Ihnen, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Ich bitte, damit einverstanden zu sein, dass ich die §§ 1 bis 13 gemeinsam zur Abstimmung stelle. – Sie sind damit einver standen.

Ich rufe auf

§ 1 bis § 13

Wer den §§ 1 bis 13 zustimmt, den bitte ich um das Handzei chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Den §§ 1 bis 13 ist damit einstimmig zugestimmt.

Die Einleitung

lautet: „Der Landtag hat am 9. November 2016 das folgende Gesetz beschlossen:“.

Die Überschrift

lautet: „Gesetz zur Ausführung des Gesetzes über die psycho soziale Prozessbegleitung im Strafverfahren“. – Sie stimmen der Überschrift zu.

Wir kommen zur

S c h l u s s a b s t i m m u n g

Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dem Gesetz ist mehrheitlich zugestimmt.

Damit ist Punkt 5 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:

Große Anfrage der Fraktion der FDP/DVP und Antwort der Landesregierung – Zukünftige Aktivitäten der Lan desregierung im Bereich des Rettungswesens – Drucksa che 16/42