Protocol of the Session on November 9, 2016

Große Anfrage der Fraktion der FDP/DVP und Antwort der Landesregierung – Zukünftige Aktivitäten der Lan desregierung im Bereich des Rettungswesens – Drucksa che 16/42

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Ausspra che eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion und für das Schlusswort der die Große Anfrage stellenden Fraktion eine zusätzliche Redezeit von fünf Minuten festgelegt.

Für die Fraktion der FDP/DVP darf ich das Wort dem Kolle gen Dr. Goll erteilen.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorweg: Ich staune heute an der einen oder anderen Stelle, wie die Redner der AfD es schaffen, zu jedem Tagesordnungspunkt Donald Trump zur Wahl zu gratulieren.

(Heiterkeit des Abg. Rüdiger Klos AfD)

Beim letzten Tagesordnungspunkt hätte man ja eine Verbin dung herstellen und sagen können: Der könnte vielleicht auch ein bisschen psychosoziale Begleitung brauchen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Bei dem jetzt aufgerufenen Punkt bietet sich die Frage an: Sind die Amerikaner noch zu retten?

(Vereinzelt Heiterkeit)

Aber gut. Lassen wir die Späße; denn das Thema, um das es jetzt geht, ist wirklich ernst.

Baden-Württemberg ist ein erfolgsverwöhntes Land, bis heu te in vielen Belangen ja spitze – nicht mehr überall. Heute Morgen hatten wir die Debatte über die Bildung geführt, bei der wir feststellen mussten, dass wir da ein Stück zurückge fallen sind.

Jetzt wird ein Bereich thematisiert, der sehr wichtig ist für die Menschen, buchstäblich für das Leben der Menschen, in dem das Land leider noch nie spitze war und in dem unserer Mei nung nach auch zu wenig passiert, um zur Spitze zu gelangen. Ich meine den Rettungsdienst, dessen Zustand das Zitat aus den „Stuttgarter Nachrichten“ von vor wenigen Tagen, vom 3. November 2016, passend auf den Punkt bringt:

Der Rettungsdienst in Baden-Württemberg krankt. Es fehlt Personal, die Beschäftigten des Deutschen Roten Kreuzes kämpfen gegen ihre Arbeitsbedingungen, zudem können die gesetzlichen Vorgaben seit Jahren nicht ein gehalten werden. Zuletzt musste das Innenministerium er neut katastrophale Zahlen veröffentlichen:

Auf unsere Initiative übrigens.

Nur acht von 34 Rettungsdienstbereichen im Land haben im vergangenen Jahr die sogenannte Hilfsfrist einhalten können. Bei den Notärzten waren es sogar nur drei. Laut Hilfsfrist müssen die Retter in mindestens 95 % der Ein sätze binnen maximal 15 Minuten vor Ort sein.

Jetzt möchte ich an dieser Stelle vorweg eines klarmachen: Was ich im Folgenden sage – –

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP meldet sich.)

Vielleicht ein bisschen später, lieber Freund.

Was ich im Folgenden sage, ist keine Kritik an den im Ret tungsdienst Tätigen. Das kann man nicht genug betonen. Die können nichts dafür.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Bullinger?

Ja. Gut.

Herr Kollege Goll, wie beurteilen Sie die Tatsache, dass ein solch wichtiges An liegen von keinem Regierungsvertreter auf der Regierungs bank begleitet wird?

(Beifall bei der AfD – Mehrere Abgeordnete der SPD deuten auf Minister Franz Untersteller.)

Entschuldigung, ist der Umweltminister für die Rettung zu ständig?

(Unruhe)

Entschuldigung, ich habe „zuständig“ gesagt. Zuständig ist nicht der Umweltminister.

(Vereinzelt Beifall – Unruhe – Glocke des Präsiden ten)

Herr Kollege Dr. Bullin ger, schauen Sie bitte dort hinüber. Dort sitzt der zuständige Staatssekretär Jäger.

(Zuruf des Ministers Manfred Lucha – Unruhe – Glo cke des Präsidenten)

Herr Kollege, fahren Sie bitte fort.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Herr Präsi dent, ich kenne nicht jeden Zugereisten! – Heiterkeit)

Wenn man darüber nach denkt, wird einem schon klar – lieber Kollege Bullinger, die Frage wurde sehr zu Recht gestellt –: Das spiegelt ein biss chen wider, dass in einem Bereich, der – ich sage es noch ein mal – für die Menschen von elementarer Bedeutung ist, die Sache eigentlich nicht angemessen zur Kenntnis genommen wird, geschweige denn anschließend auch konsequent gehan delt wird.

Man muss einmal überlegen, worum es da geht. Man muss doch befürchten, dass es eine Dunkelziffer von Menschen gibt, die schwere gesundheitliche Schäden erleiden oder so gar sterben, weil der Transport ins Krankenhaus nicht recht zeitig stattfindet. Das wird man nie nachweisen können, aber es ist ja greifbar, gerade wenn man auch sieht, dass es in an deren Ländern besser geht, aber es bei uns Fälle gibt, in de nen solche fatalen Abläufe zu beklagen sind. Das sollte doch nun wirklich auch Grund sein, die Sache ernst genug zu neh men, zu handeln und vielleicht natürlich auch seitens der Lan desregierung bei diesem Thema noch ein Stück weit präsen ter zu sein.

Meine Damen und Herren, man darf bei diesem Thema nicht immer an der Hilfsfrist hängen – das ist schon klar –, man darf nicht nur auf die Hilfsfrist starren, aber die Hilfsfrist ist ei gentlich das einzige objektive Kriterium, das wir haben. Des wegen können wir das natürlich auch nicht beiseiteschieben und relativieren.

Bei der Betrachtung der Hilfsfrist fällt auf, dass das Zahlen material ziemlich dürftig ist. Die jüngsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2013. Für 2015 gibt es noch gar keine für das Land. Es gibt welche für den Rhein-Neckar-Kreis, und da er

gibt sich dasselbe Bild wie überall: Innerhalb der Zehn-Mi nuten-Hilfsfrist kommt der Krankenwagen in 68 % der Fälle und der Notarzt in 59 % der Fälle an. Da ist man natürlich deutlich von den Vorgaben entfernt. Die 15-Minuten-Hilfs frist wird beim Krankenwagen in 93 % der Fälle und beim Notarzt in 91 % der Fälle erreicht. Da geht der Anteil also dann hoch. Aber die Mediziner sind sich einig, dass schon zehn Minuten eine ziemlich gefährliche Frist sind. Die im Ret tungsdienst Tätigen sagen unumwunden: Leute, schaut auf die zehn Minuten; denn die 15 Minuten sind, möchte ich einmal sagen, schon ein erbärmlicher Wert.

Zwischendurch ist durch die Landschaft gegeistert, dass man die Zahlen zu den Hilfsfristen jetzt nicht mehr veröffentlichen will. In der letzten Legislaturperiode wollte man die Hilfsfrist lockern. Jetzt hieß es auf einmal, man wolle die Zahlen nicht mehr veröffentlichen. Das wird dementiert, aber, meine Da men und Herren, wenn Sie sich die Antworten auf die Große Anfrage genau anschauen, fällt schon auf, dass die Landesre gierung keine sehr große Lust hat, die Zahlen zu kennen. Da windet man sich im Grunde genommen wirklich herum; aber es ist ein ganz wichtiges Kriterium.

Ich habe vorhin von einer möglichen Dunkelziffer fataler Ab läufe gesprochen, von der wir ausgehen müssen. Jetzt kann man sagen: Das kann man nur schwer objektiv sagen; das ge be ich zu. Aber wenn man eine Leistung nicht objektiv mes sen kann, ist es bei uns immer modern gewesen, auf die an deren Länder zu schauen, und die anderen Länder sind bes ser.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ein besonders naheliegendes Beispiel ist natürlich Hessen. Hessen hat im Jahr 2013 die Zehn-Minuten-Hilfsfrist in 90 % der Fälle erreicht. Das ist natürlich eine andere Zahl. Aber wenn man näher nachschaut, wundert man sich auch nicht, weil in Hessen 47 € pro Person und Jahr für den Rettungs dienst ausgegeben werden, während es bei uns 40 € sind. Die se Verhältnisse führen dann beispielsweise dazu, dass in Hes sen acht Rettungswagen auf 100 000 Einwohner kommen; in Niedersachsen sind es sogar zehn Rettungswagen. Was glau ben Sie, wie viele es in Baden-Württemberg sind? Fünf! Al lein daran sieht man, dass das eigentlich nicht so bleiben kann.

Auch der Einsatz von Hubschraubern – ebenfalls ein belieb tes Thema unseres Kollegen Bullinger –

(Heiterkeit der Abg. Dr. Friedrich Bullinger und Jür gen Keck FDP/DVP)

lässt zu wünschen übrig.

Die Personalsituation ist natürlich ebenfalls nicht befriedi gend. Das muss man ganz klar sagen. Das liegt auch daran, dass die Zahl der Einsätze gestiegen ist. Das stimmt; das ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen, die hier nicht zu thematisieren sind. Aber jedenfalls kann und muss man nun wirklich von akutem Personalmangel im Rettungsdienst re den.

Nun möchte ich eine Maßnahme ausdrücklich lobend hervor heben, die getroffen wurde, nämlich die Einführung der Hel fer vor Ort,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ja!)

der freiwilligen ehrenamtlichen Helfer vor Ort. Das ist eine gute Maßnahme, die natürlich auch zur Linderung der Perso nalnot und zur Einhaltung der Hilfsfristen erheblich beiträgt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD sowie des Abg. Dr. Albrecht Schütte CDU)

Das ist eine gute Sache, die man ausdrücklich honorieren muss, sowohl an die Adresse derer, die es initiiert haben, als auch an die Adresse derer, die es umsetzen. Aber wir wollen das Problem ja nicht ernsthaft allein bei den Helfern vor Ort und bei den Freiwilligen und Ehrenamtlichen abladen.

Vor diesem Hintergrund beunruhigt es ein bisschen, dass sich die Träger, die Krankenkassen, Unfallversicherer und Ret tungsdienste darauf geeinigt haben, dass 350 Plätze jährlich für Notfallsanitäter zur Verfügung stehen sollen. Das ist prak tisch eine Deckelung. Diese Deckelung kann einen in der jet zigen Personalsituation nicht glücklich stimmen.