Protocol of the Session on June 29, 2011

Meine Damen und Herren, man darf in der Tat Einsatzmaß nahmen der Polizei kritisch hinterfragen. Das ist okay. Gege benenfalls darf man sie sogar anklagen, keine Frage. Aber sich ihnen zu widersetzen, dies ist nicht zu akzeptieren. Deshalb werbe ich mit meiner Wortmeldung einfach um einen Schul terschluss aller Beteiligten in dieser Auseinandersetzung im Interesse derer, die die Sicherheit in unserem Land gewähr leisten. Denn auch diese Menschen in Uniform sind Bürger, haben Familie, und auch deren physische und psychische Be lastbarkeit hat Grenzen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das wissen wir!)

Denen muss ich beantworten, wie weit eine Deeskalations strategie geht und wo der Graubereich der Strafvereitelung anfängt.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das müssen Sie nicht uns sagen!)

Ich sage: Deeskalation so weit wie irgend möglich, aber nicht grenzenlos. Für diese Linie werbe ich.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor.

Bevor wir in die Mittagspause eintreten, bitte ich die Mitglie der des Ständigen Ausschusses, sich sofort in den FriedrichEbert-Saal zu begeben, wo jetzt unmittelbar nach Unterbre chung der Plenarsitzung eine Ausschusssitzung stattfindet.

Damit treten wir jetzt in die Mittagspause ein. Ich schlage vor, die Sitzung um 15:00 Uhr mit der Regierungsbefragung fort zusetzen.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung der Sitzung: 14:00 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 15:02 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen. Die unter brochene Sitzung wird fortgesetzt.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Regierungsbefragung

Die Regierungsbefragung besteht aus zwei Teilen. Für den ersten Teil schlägt die Regierung das Thema vor. Dieser ers te Teil dauert maximal 30 Minuten. Im zweiten Teil werden die Themen der Opposition aufgerufen.

Das Staatsministerium hat uns das folgende zentrale Thema der letzten Kabinettssitzung mitgeteilt:

Bilanz der Ausbildungssituation in Baden-Württemberg – Be richt zum Spitzengespräch am 10. Juni 2011

Minister Dr. Schmid wird für die Landesregierung zu diesem Thema die einleitende Erklärung abgeben.

Herr Dr. Schmid, ich bitte um Ihre einleitenden Worte.

B i l a n z d e r A u s b i l d u n g s s i t u a t i o n i n B a d e n - W ü r t t e m b e r g – B e r i c h t z u m S p i t z e n g e s p r ä c h a m 1 0. J u n i 2 0 1 1

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin beeindruckt: Das Spitzengespräch zur Ausbildungssitua tion in Baden-Württemberg war das wichtigste Thema der letzten Kabinettssitzung.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Was soll uns das jetzt sagen?)

Eigentlich wollten wir noch einmal die Donaustrategie brin gen. Aber Herr Minister Friedrich ist weg. Deshalb ist jetzt das zweitwichtigste Thema dran.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Wir hatten den Ein druck, ihr wolltet anfangen zu arbeiten!)

Am 10. Juni 2011 haben wir das Spitzengespräch zur Ausbil dungssituation in Baden-Württemberg geleitet. Dort haben

wir zum ersten Mal eine gemeinsame Bilanz des Ausbildungs bündnisses durch Landesregierung, Wirtschaft und Gewerk schaften vorgelegt. Das ist deshalb positiv, weil wir alle Kräf te bündeln müssen, um die Berufsausbildung zu stärken; denn laut Prognos-Gutachten werden in Baden-Württemberg schon im Jahr 2015 rund 120 000 beruflich Qualifizierte fehlen. Der Trend geht zur Hochschulbildung. Aber wir brauchen neben den Akademikern genauso dringend beruflich qualifizierte Fachkräfte. Landesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften müssen deshalb mit einer Zunge sprechen, wenn sie mit ih rem Anliegen, die duale Ausbildung attraktiver zu machen, Gehör finden wollen.

Ich freue mich, dass mit diesem Spitzengespräch ein öffentli cher Startschuss für einen Schulterschluss aller Beteiligten zu gunsten der Berufsausbildung in unserem Land gegeben wur de.

Zu den Ergebnissen: Das Bündnis formuliert zehn Ziele, die ich unter zwei Oberzielen zusammengefasst darstellen möch te.

Wir müssen erstens die duale Ausbildung attraktiver machen, gerade auch für leistungsstarke Jugendliche, beispielsweise für diejenigen, die das Abitur haben.

Zweitens: Allen leistungsschwächeren Jugendlichen muss der direkte Einstieg in eine betriebliche Ausbildung ermöglicht werden. Wir können es uns nicht leisten, auch nur einen Ju gendlichen ohne Chance auf Ausbildung auf der Strecke zu lassen. Dies wäre weder im Interesse der Jugendlichen noch im Interesse der Unternehmen, die künftig jeden Einzelnen brauchen werden.

Dieses Ausbildungsbündnis läuft bis 2014; deshalb können zum jetzigen Zeitpunkt selbstverständlich noch nicht alle Zie le erreicht sein. Mein Haus hat aber bereits einige neue Maß nahmen auf den Weg gebracht. Zur Steigerung der Attraktivi tät der dualen Ausbildung und zur Gewinnung der leistungs stärkeren Jugendlichen wird im Herbst eine Imagekampagne gestartet werden. So werden die Abiturienten, die im kom menden Jahr wegen des doppelten Abiturjahrgangs in höhe rer Zahl die Gymnasien verlassen werden, gezielt auf die Chancen und Möglichkeiten einer beruflichen Ausbildung hin gewiesen.

Außerdem fördern wir seit dem 1. Juni 2011 Ausbildungsbot schafter. Das sind Azubis, die in Schulen für ihren Beruf und damit für eine betriebliche Ausbildung werben sollen. Als fast Gleichaltrige wirken sie authentisch und können sicher man chen noch Unentschiedenen für eine Ausbildung im dualen System begeistern. Diese Ausbildungsbotschafter werden im ganzen Land aktiv sein. Koordiniert wird dies durch eine Leit stelle, in der Industrie- und Handelskammertag, Handwerks tag, Arbeitgeberverbände und DGB zusammenarbeiten.

Ich halte dies für ein erfreuliches Beispiel dafür, wie die ein gangs beschriebene Bündelung der Kräfte in die Tat umge setzt wird. Das Projekt „Ausbildungsbotschafter“ und die Imagekampagne sind bis Anfang 2012 finanziert. Ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Projekte danach fortgesetzt werden können. Darüber werden wir im Rahmen der Haus haltsberatungen für das Jahr 2012 beraten.

Hinsichtlich des zweiten Ziels, benachteiligte Jugendliche zu fördern, möchte ich auf ein aktuelles Projekt meines Hauses hinweisen, das ebenfalls vor Kurzem gestartet ist: Das sind die sogenannten Sommerkollegs. Mit diesen Kursen wird während der Sommerferien, also noch in diesem Jahr, schwä cheren Hauptschulabgängern die Möglichkeit gegeben, sich für eine Ausbildung fit zu machen. Es handelt sich dabei um junge Leute, die bislang noch keinen Ausbildungsplatz gefun den haben. Sie sollen über den Sommer hinweg so weit vor bereitet werden, dass doch noch der direkte Einstieg in eine Berufsausbildung gelingt.

Die Ausschreibung für diese Sommerkollegs ist auf große Re sonanz gestoßen. An insgesamt 28 Standorten im ganzen Land werden wir erproben, ob es gelingen kann, den Jugendlichen den Aufenthalt im sogenannten Übergangsbereich zu erspa ren. Denn dieser hat sich in der Vergangenheit allzu oft als bloße Warteschleife entpuppt. Wenn es gelingen sollte, durch die Sommerkollegs schwächere Jugendliche direkt in eine be triebliche Ausbildung zu vermitteln, dann beabsichtigen wir, solche Kollegs auch im nächsten Jahr anzubieten.

Zur aktuellen Ausbildungssituation kann ich festhalten: Die Konjunkturentwicklung, der Aufschwung, wirkt sich sehr po sitiv aus. Die Anzeichen sind mehr als günstig. Bei den Ar beitsagenturen sind jetzt – Stand Frühjahr 2011 – eine gleich hohe Anzahl von Bewerbern, aber 13 % mehr Ausbildungs stellen gemeldet als im Vorjahr. Sowohl bei den Industrie- und Handelskammern als auch bei den Handwerkskammern sind Ende Mai 2011 über 10 % mehr Ausbildungsverträge einge tragen als im Vorjahr. Dies zeigt, dass die Unternehmen den Ernst der Lage begriffen haben und nicht am falschen Ende sparen. Im Gegenteil: Sie sichern sich jetzt die Fachkräfte von morgen.

Ich rechne daher für den Beginn des Ausbildungsjahrs 2011 im September fest mit einer deutlichen Zunahme der Zahl der neuen Ausbildungsverträge. Herausforderungen bleiben je doch noch immer die Altbewerber sowie andere junge Leute, denen wir helfen müssen. Aber unter dem Strich sehen wir gu te Voraussetzungen dafür, dass wir im neuen Ausbildungsjahr hoffentlich mit weiteren positiven Botschaften aufwarten kön nen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Nun können Fragen ge stellt werden. – Kollege Dr. Löffler, bitte.

Herr Minister, Sie sprechen davon, dass Sie Sommerkollegs initiieren möchten für benach teiligte Jugendliche – wer auch immer nach Ihrer Auffassung benachteiligt ist. Wir haben etwa 5 000 Jugendliche, die di rekt in das Erwerbsleben gehen, und etwa 500 Jugendliche, die unversorgt sind. Wie motiviert man diese benachteiligten Jugendlichen, an einem solchen Sommerkolleg überhaupt teil zunehmen, wenn es offenbar für viele interessanter ist, direkt ins Erwerbsleben zu gehen oder Transferleistungen zu bean spruchen?

Der zweite Teil der Frage: Es findet ein Paradigmenwechsel statt; Sie haben es angesprochen. Künftig werden wesentlich

mehr Jugendliche für eine Ausbildung nachgefragt, und es gibt immer weniger Jugendliche, die für eine duale Ausbildung be reit sind. Das heißt, Unternehmen müssen für Jugendliche at traktiver werden. Es ist zwar eigentlich nicht Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass Unternehmen attraktiv werden, aber was tun Sie in Zusammenarbeit mit den Unternehmen, um dazu beizutragen, dass sie attraktive duale Ausbildungs plätze anbieten? Ich glaube, in den nächsten zehn, 20 Jahren wird sich noch in vielen anderen Bereichen die Tendenz ver stärken, dass die Unternehmen um Mitarbeiter, um Fachkräf te und um duale Ausbildung werben müssen und es nicht um gekehrt sein wird.

Es war bisher üblich, dass jede Frage sofort beantwortet wird.

Frau Präsidentin, Herr Löffler, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Der Clou bei den Sommerkollegs ist, dass Leute von den Kammern in die Schulen gehen und gezielt die sogenannten leistungsschwächeren Jugendlichen ansprechen. Das sind vor allem diejenigen, die noch keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Diese werden dann motiviert, in die Sommerkollegs zu gehen, damit sie sich fit machen für den Einstieg in die be rufliche Ausbildung.

Sie haben recht: Insbesondere in der Vergangenheit gab es im mer wieder Fälle, dass Jugendliche ohne Ausbildung direkt den Einstieg in den Beruf gewählt haben, weil sie gemeint ha ben, man verdient ja etwas, wenn man arbeitet oder vielleicht gar noch übers Wochenende arbeitet. Wir wollen dem entge genwirken, indem wir für das werben, was eine duale Ausbil dung bringt, nämlich Nachhaltigkeit am Arbeitsmarkt. Denn die Erfahrung derjenigen, die Sie beschrieben haben, die sich für den Direkteinstieg entschieden haben, ist, dass sie in ih rem weiteren beruflichen Fortkommen Handicaps haben, weil sie eben keine Ausbildung haben und als Erste von Arbeitslo sigkeit bedroht werden – deshalb die Initiative, sie, wie ge sagt, über die Kammern noch einmal gezielt anzusprechen.

Das andere ist, dass die Unternehmen selbst für die duale Aus bildung werben sollen. Es ist ja auch der Sinn des Bündnis ses für Ausbildung, dass man gemeinsam mit den Verbänden und Kammern dafür wirbt, dass auch die Unternehmen für du ale Ausbildung eintreten. Das können wir, der Staat, nicht ma chen. Wir werden das auch im Bündnis weiter besprechen, so, wie wir jetzt auch das Modell der Sommerkollegs gemeinsam mit den Kammern entwickelt haben, um dann die Leute aus den Kammern und damit aus der betrieblichen Realität an die Schulen zu schicken.

Das Gleiche gilt auch bei dem Modell der Ausbildungsbot schafter. Es sind nicht direkt Leute aus den Betrieben im Sin ne von erwachsenen Beschäftigten, die dort hingehen, son dern es sind Gleichaltrige, die die duale Ausbildung durchlau fen haben oder noch durchlaufen und dann bei den Jugendli chen dafür werben, dass eine duale Ausbildung eine nachhal tige Investition für die Arbeitsmarktchancen dieser jungen Leute ist.

Aber alle Bemühungen eines Ausbildungsbündnisses können nicht verhindern, dass vielleicht im Einzelfall ein Jugendli cher so kurzsichtig ist, dass er meint, der Direkteinstieg sei besser. Das werden wir nicht verhindern können. Wir tun aber

alles, um mit diesen Maßnahmen möglichst viele Jugendliche in die Ausbildung zu bekommen. Es ist im wohlverstandenen Interesse unserer Wirtschaft, aber auch unserer gesamten Ge sellschaft, dass die Leute von Anfang an eine gute Berufsaus bildung haben. Die Zahlen in der Arbeitslosenstatistik sind da eindeutig: Wer eine gute Berufsausbildung hat, hat auch eine deutlich höhere Chance, das ganze Erwerbsleben hindurch in Arbeit und Beschäftigung zu sein.