Protocol of the Session on June 29, 2011

Mit den Stichworten „ehrenwert“ und „ehrenhaft“ sollte man keine solchen Scherze treiben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, das Thema Stuttgart 21 nimmt – wer möchte dies bezweifeln? – nach wie vor breiten Raum in der öffentlichen Wahrnehmung und vor allem auch in der öf fentlichen Diskussion ein. Deswegen diskutieren wir am heu tigen Tag wieder einmal über dieses Thema.

Man mag für oder gegen Stuttgart 21 sein. Am Schluss der Verfahren, die wir miteinander besprochen haben, nämlich der Schlichtung und auch des Volksentscheids, mag es – wenn man diesen Terminus wählen will – Gewinner und Verlierer geben. Wer aber auf gar keinen Fall am Ende dieses Prozes ses zu den Verlierern gehören darf, sind die Polizeibeamtin nen und Polizeibeamten des Landes Baden-Württemberg.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Werte Kolleginnen, werte Kollegen, wir sind uns von links nach rechts sicherlich einig: Unsere Gesellschaft braucht na türlich Diskussionen, sie braucht auch politischen Streit und Diskurs, gerade bei Themen, bei denen sich nicht alle einig sind. Wir brauchen am Schluss aber auch Kompromisse. Die se Prozesse müssen in einer Zivilgesellschaft ausschließlich auf einer Basis der Vernunft und vor allem auf der Basis von Gewaltfreiheit geführt werden.

Es kann nicht sein, meine Damen und Herren, dass gesell schaftliche Konflikte auf dem Rücken derer ausgetragen wer den – im Übrigen nicht zum ersten Mal bei diesem Thema –, die sich tagtäglich für unser aller Gemeinwohl einsetzen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, Polizeibeamtinnen und Polizeibe amte haben sich verpflichtet; ja, sie haben einen Eid geschwo ren. Ich kann jedem in diesem Haus einfach einmal anbieten, bei einer Vereidigung von jungen Polizeianwärterinnen und Polizeianwärtern zugegen zu sein

(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

und sich davon zu überzeugen, mit welcher Ernsthaftigkeit sie diesen Eid leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Sie leisten diesen Eid – –

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sagen Sie es nach hinten!)

Ich sage es auch in die Öffentlichkeit hinaus, Herr Kollege Zimmermann.

Sie verpflichten sich mit diesem Eid, später ihre Funktion in den Reihen der Polizei neutral auszuführen. Ihre Tätigkeit ist allein bestimmt durch geltendes Recht und durch Gesetz.

(Zuruf: Wie beim Minister!)

Keine und keiner unserer Polizeibeamtinnen und -beamten handelt willkürlich, etwa nach eigener Meinung oder viel leicht nach eigenem moralischem Empfinden.

Man könnte es auch so sagen: Sie überwachen, wenn man so will, in ihrem Berufsalltag täglich in den Städten und Gemein den unseres Landes die Einhaltung eines Vertrags, den sich

unsere Gesellschaft nach Überwindung einer unsäglichen Zeit selbst gegeben hat – eines Vertrags, der Freiheit, Würde, Recht und Schutz der Menschen garantieren soll.

Ich muss ehrlicherweise sagen: Die Diskussionen, die man schon wahrnehmen musste, im Nachgang zum 30. September des letzten Jahres, aber auch im Nachgang zum 20. Juni die ses Jahres – – Frau Razavi, da will ich Sie einmal direkt an sprechen. An diesem Tag ist der Rechtsstaat nicht eingeknickt. Unsere Polizei hat sich zu Beginn der gewalttätigen Ausein andersetzungen dort klug verhalten. Denn sie wäre zum Zeit punkt des Ausbruchs der Gewalttätigkeiten nicht in der Lage gewesen, den Konflikt so zu lösen, wie sie ihn dann gegen Mitternacht gelöst hat.

(Abg. Thomas Blenke CDU meldet sich. – Glocke des Präsidenten)

Sofort, Herr Präsident. – Ich will ausdrücklich sagen: Die Diskussionen in diesem Zusammenhang haben eine Gering schätzung der Polizei offenbart, die mich nicht nur nachdenk lich,

(Abg. Nicole Razavi CDU: Im Gegenteil!)

sondern auch überaus betroffen gemacht hat und die wir und die ich als Innenminister so nicht hinnehmen können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl-Wil helm Röhm CDU: Dann stellen Sie es klar!)

Ich spreche das hier gar nicht an.

Kollege Blenke, bitte stellen Sie Ihre Zwischenfrage.

Herr Innenminister, der Herr Verkehrsminister sprach vorhin in seiner Rede von zivilisie renden Polizeieinsätzen. Können Sie mir sagen, was die Lan desregierung unter zivilisierenden Polizeieinsätzen versteht?

Kollege Blenke, gestatten Sie, ich komme im Laufe meiner Rede noch darauf zu sprechen.

Wenn es ein Missverständnis gegeben haben sollte, was den Respekt gegenüber der Polizei anlangt, habe ich diejenigen gemeint, die Gewalt ausüben, und niemanden in diesem Haus – um dies ganz deutlich zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Denn, meine Damen und Herren, dort unten am Bauzaun ste hen nämlich auch jetzt zu dieser Zeit, in der wir über dieses Thema debattieren, Polizeibeamtinnen und -beamte, die tag täglich in ihren Dienststellen, wenn sie nicht in Stuttgart Dienst tun müssen, für die Sicherheit der Menschen in unse rem Land eintreten, die den Eltern ihre Kinder zurückbringen, die als vermisst galten, später dann vielleicht auch einmal den einen oder anderen betrunkenen Jugendlichen zu seinen El tern heimbringen. Dort stehen diejenigen, die in ihrem Dienst Prävention an Schulen betreiben, um die Kinder auf den Ver kehr aufmerksam zu machen, die die Kinder in die Lage ver setzen, sich zukünftig im Straßenverkehr bewegen zu können. Dort stehen diejenigen, die Opfer schwerster Gewalttaten be

gleiten und sie häufig auch trösten, und diejenigen, die vor al lem dafür sorgen, dass diejenigen, die diese Opfer verursacht haben, dingfest gemacht werden können. Dort stehen diejeni gen Polizeibeamtinnen und -beamten, die bei einer Amokla ge in einer Schule unter Einsatz ihres Lebens dorthin gehen und versuchen, Schlimmeres zu verhindern.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das wissen wir al les! Jetzt kommen wir wieder zu Stuttgart 21!)

Was will ich damit sagen, meine Damen und Herren? Dies sind Menschen, die sich in den Dienst unserer Gesellschaft stellen, die sich für diesen Beruf entschieden haben, weil sie Menschen helfen wollen und weil sie vor allem auch für das Recht in unserem Land einstehen möchten. Es sind Menschen wie wir. Ich sage dies so. Viele von uns kennen einige davon, weil sie in der Nachbarschaft wohnen, weil sie in den Verei nen unseres Landes tätig sind und dort Mitglied sind, weil sie dort auch ehrenamtlich tätig sind, weil sie sich in unsere Ge sellschaft einbringen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wir glauben Ihnen das alles! Nun zu Stuttgart 21! – Abg. Helmut Wal ter Rüeck CDU: Sie sind wirklich ein ehrenwerter Mann, aber Sie lenken deutlich vom Thema ab!)

Meine Damen und Herren, dort tun Leute seit Monaten ihren Dienst, z. B. auch um das Grundrecht auf freie Meinungsäu ßerung und das Demonstrationsrecht in Stuttgart zu gewähr leisten, die an jedem Montag – das ist jetzt die Gegenseite – dafür sorgen, dass sich die Menschen, die zu Tausenden auf die Straße gehen, bei ihren Protestdemonstrationen im Ver kehrsraum sicher fühlen können. Denn sie bewegen sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf Hauptverkehrsachsen dieser Stadt.

Meine Damen und Herren, diesen Vorspann habe ich deshalb gemacht, Herr Kollege Röhm, weil ich in den letzten Tagen und Wochen wirklich viel mit den dort eingesetzten Beamtin nen und Beamten gesprochen habe. Ich habe versucht, anzu deuten, dass ich damit weniger die Mitglieder dieses Hauses anspreche, sondern die Bürgerschaft unseres Landes. Bei die sen Gesprächen hat fast alle eines geeint – es sind vorwiegend junge Menschen, die dort ihren Dienst tun –, nämlich ein ho hes Maß an Frustration und ein völliges Unverständnis dafür, dass sie allein durch ihren Dienst in den Reihen der Polizei bei nicht Wenigen in diesem Land zum Hassobjekt und zum Prellbock gemacht werden, von denen einige Hundert mei nen, ihre Wut und ihre vermeintliche Ohnmacht nach Lust und Laune an ihnen ausleben zu können, die man herumschubsen, die man bespucken und gegen die man auch handgreiflich werden kann.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Diese Worte haben wir im Untersuchungsausschuss vermisst!)

Das wirklich Schlimme daran ist, dass dies in der Zwischen zeit nicht mehr nur am Bauzaun in Stuttgart geschieht, son dern dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte dies in ihrem täglichen Streifendienst quer durchs Land erleben müssen.

Deswegen will ich sagen: Dort unten stehen keine Objekte, sondern Menschen wie wir, die Achtung und Respekt verdient haben, wie im Übrigen – auch das füge ich an und will ich

ausdrücklich betonen – jeder Demonstrationsteilnehmer Ach tung und Respekt verdient, wenn er unser geltendes Recht und die Gesetze achtet und die Rechtsordnung einhält.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig!)

Wenn etwas falsch gemacht wird – auch das will ich ausdrück lich sagen –, dann wird dies transparent aufgearbeitet. Das war in der Vergangenheit so, und das wird auch in Zukunft so sein.

Ich stelle mich als Innenminister auch gern den Fragen – auch nach dem 20. Juni dieses Jahres – nach der Notwendigkeit des Einsatzes von zivilen Beamten, die gestellt werden. Dabei sollte es nach meinem Dafürhalten allerdings eigentlich selbst verständlich sein, dass eine Beamtin oder ein Beamter im kri minalpolizeilichen Bereich in Zivil arbeitet und dabei zum Selbstschutz natürlich auch bewaffnet ist.

Ich glaube, meine Damen und Herren – Herr Röhm und Frau Razavi, da stehen wir alle in der Pflicht, und darum sind mit meinen Worten hier im Plenum keine Vorwürfe an die Legis lative verbunden; das will ich noch einmal deutlich machen –, die Politik einerseits, aber auch unsere Bürgergesellschaft in Baden-Württemberg andererseits stehen in der Pflicht, den Menschen, die täglich unsere Sicherheit gewährleisten, Ach tung und Respekt entgegenzubringen. Wenn wir allesamt – je der nach seinen Möglichkeiten; Kollege Schmiedel hat ge sagt: Worte sind im Zweifel auch Waffen; um es einmal so deutlich zu sagen – dazu beitragen, dass friedlicher Protest und meinetwegen auch ziviler Ungehorsam nicht in Gewalt umschlagen,

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ziviler Ungehor sam?)

dann, finde ich, sind wir auf einer guten Linie. Ich will aus drücklich sagen: Auch diejenigen, die gegenwärtig im Akti onsbündnis gegen Stuttgart 21 an vorderster Stelle aktiv sind, haben klare Zeichen gegeben, diese Linie künftig mitzutra gen.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Ziviler Ungehorsam?)

Meine Damen und Herren, man darf in der Tat Einsatzmaß nahmen der Polizei kritisch hinterfragen. Das ist okay. Gege benenfalls darf man sie sogar anklagen, keine Frage. Aber sich ihnen zu widersetzen, dies ist nicht zu akzeptieren. Deshalb werbe ich mit meiner Wortmeldung einfach um einen Schul terschluss aller Beteiligten in dieser Auseinandersetzung im Interesse derer, die die Sicherheit in unserem Land gewähr leisten. Denn auch diese Menschen in Uniform sind Bürger, haben Familie, und auch deren physische und psychische Be lastbarkeit hat Grenzen.