Protocol of the Session on June 4, 2020

[Sven Kohlmeier (SPD): Sagt der Richtige!]

Die Wissenschaft in Berlin braucht niemanden, der sie über die Ziellinie trägt. – Danke schön!

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Schulze. – Bitte schön!

(Carsten Ubbelohde)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Präsidentin! Nach der Rede möchte man die CDU-Fraktion fast schon in den Arm nehmen, aber das geht ja gerade nicht.

[Allgemeine Heiterkeit]

Das war nur die Vorrede. Jetzt zu Ihrem Antrag! Ich habe den Eindruck, dass Sie gerne so etwas wie die HeinsbergStudie für Berlin hätten, und ich muss sagen, Ihr Ministerpräsident hat nicht die allerbesten Erfahrungen mit solchen Landesstudien gemacht. Wenn der Kollege Grasse vorhin sagte, wir brauchen eine eigene Landesstudie, weil wir ja der große Wissenschaftsstandort sind, dann sage ich: Man braucht das nicht aus Prestigegründen, sondern um neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Wir haben in der Tat bundesweit – das wurde angesprochen –, aber auch in Berlin bereits einiges an Forschung, was genutzt werden kann und was schon läuft. Hamburg und Baden-Württemberg wurden angesprochen. Sachsen hat jetzt eine Studie aufgelegt, die bei Schulöffnungen untersucht, wie sich die Infektionsverläufe und auch die Immunologie ergeben. Wir sollten auf diese Studien zurückgreifen. Und auch in Berlin: Die Charité will mehr als 30 Schulen bei der Öffnung begleiten und wird dort kontinuierlich untersuchen, wie sich das Virus verbreitet.

Wenn die CDU beantragt, dass 10 000 Eltern-Kind-Paare getestet werden sollen, dann muss man einmal fragen, was dabei herauskommen soll. Wir haben insgesamt 128 Covidfälle in der Bevölkerungsgruppe zwischen 5 und 14 Jahren gehabt. Davon sind 110 gesund oder gelten als genesen. Das heißt, wir haben in dieser Altersgruppe aktive Coronafälle im unteren zweistelligen Bereich. Was wollen Sie denn mit 10 000 Eltern-KindPaaren erreichen, wenn Sie diese jetzt mehrfach testen – einmal abgesehen davon, dass die Testverfahren vermutlich Infektionsherde sein werden, wenn Sie sie in die entsprechenden Einrichtungen bringen. – Das ist echter Quatsch, das sollten wir uns klemmen. Wir sollten auf das schauen, was da ist.

Ich sage einmal, was wirklich in der Forschung fehlt: Wir haben keinen vernünftigen Datenzugriff der Forschenden auf die Gesundheitsämter. Dort wird mit Exceltabellen gearbeitet. Nur wenige haben die neue Software, die es jetzt gibt. Darauf brauchen wir dringend Zugriff. – Wir haben keine Studien zu den sozialen Folgen von Corona in den Familien. Das fehlt. – Was wir nicht haben, was untersucht werden muss, ist, wie in den Schulen in Zukunft der hybride Unterricht aus Digitalisierung, Homeschooling und Präsenzphasen funktionieren kann.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Dazu fehlt Forschung, da müssen wir etwas ausschreiben.

Was wir übrigens auch nicht haben – und das geht ans BMBF –, ist eine bundesweite Koordinierung der Covid

forschung. Das fehlt auch. Alle Länder machen jetzt, wie bei den Maßnahmen auch, ihres, und das kann nicht sein. Denn überall wird dasselbe untersucht, zum Teil doppelt und dreifach. Andere Fragestellungen bleiben unberücksichtigt. Wir brauchen eine koordinierende Stelle. Das kann eventuell das neue Netzwerk sein, das die Kollegin Dr. Czyborra angesprochen hat, aber hier muss deutlich mehr Abstimmung unter den Bundesländern passieren. – Dazu können Sie Ihren Teil beitragen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, und dann kommen wir einen guten Schritt weiter. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Kluckert. – Bitte schön!

Vielen Dank Frau Präsidentin! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der CDU-Antrag enthält zwei Aspekte. Der erste Aspekt ist, dass Kinder ihrer Bildung beraubt werden, weil sie derzeit als potenzielle Virenverbreiter nicht zur Schule und zur Kindertagesstätte gehen können. Der zweite Aspekt ist, dass der Senat beauftragt werden soll, eine Studie zu beauftragen, um dann festzustellen, ob das tatsächlich der Fall ist. Ich möchte diese beiden Aspekte einmal getrennt voneinander erörtern.

Bildung ist der FDP und auch vielen anderen Abgeordneten in diesem Raum eine Herzensangelegenheit. Wir wollen nämlich eine Gesellschaft, in der es jedem Kind unabhängig von seiner sozialen Herkunft möglich ist, eine exzellente Bildung zu bekommen, denn wir sind davon überzeugt, dass es Kindern aus sozial schwachen Familien nur durch Bildung möglich ist, aus eigener Kraft und Leistung aufzusteigen.

[Beifall bei der FDP]

So schmerzt es zutiefst, miterleben zu müssen, wie Kinder in unserer Stadt derzeit ihrer Bildungschancen beraubt werden, weil sie nicht so zur Schule gehen können, wie sie das eigentlich müssten – in einer Stadt übrigens, in der die SPD seit 24 Jahren den Bildungssenator stellt – 24 Jahre, das muss man sich einmal vorstellen –,

[Zuruf von Carsten Schatz (LINKE)]

und immer noch die soziale Herkunft den größten Einfluss auf die Aufstiegschancen hat.

[Paul Fresdorf (FDP): Eine Schande!]

Hier läuft – auch ohne Bildung kann man es einsehen – etwas schief, meine Damen und Herren von der SPD.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

All das, was die SPD an Bildungsungerechtigkeit in unserer Stadt zu verantworten hat, verstärkt sich derzeit während der Coronapandemie. Denn während Restaurants und Kneipen zum gemütlichen Feierabendbier öffnen, bleiben die Schulen weitestgehend geschlossen. Während man im Fitnessstudio ohne Mund-Nasen-Schutz den Bizeps für die Strandfigur trainieren kann, findet der Regelunterricht in den Schulen bisweilen nicht statt. Während Nagelstudios, Kosmetikstudios, ja wahrscheinlich demnächst sogar die Bordelle, wieder öffnen dürfen – in den Schulen wird nicht so unterrichtet, wie das eigentlich sein müsste. Daher spricht die CDU hier ein wichtiges Defizit an, das so nicht länger hingenommen werden darf.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Ob allerdings, und damit komme ich zum zweiten Aspekt, eine Studie der richtige Weg dazu ist – das glaube ich kaum. Sie spielen ja in Ihrem Antrag darauf an, dass die Schulschließung auf einer Studie basiert, die derzeit stark im Fokus der Kritik ist, vor allem, weil eine große deutsche Boulevardzeitung sich darauf eingeschossen hat. Und ja, es gibt auch andere Studien, die hier erwähnt wurden, die zu einem anderen Ergebnis kommen. Interessanterweise wird diese Studie wiederum indirekt über Kontakte zu derselben großen Boulevardzeitung finanziell unterstützt. Wissenschaft lebt aber nun einmal vom Diskurs, egal wer die Studie am Ende bezahlt hat und wer nicht. – Herr Schulze hat schon einige Studien aufgezählt, deswegen will ich das nicht wiederholen. Man muss aber fairerweise auch sagen: Wenn man die aktuelle Studienlage betrachtet – und übrigens, wenn man diesen Antrag zur Priorität macht, dann erwarte ich, dass man sich die aktuellen Studien, die gerade in der Bearbeitung sind, ansieht –, dann würde man feststellen – –

[Frank-Christian Hansel (AfD): Unsere Rede!]

Ihre Rede war total schwach. Also bitte, nicht mit Ihrer Rede vergleichen!

[Beifall bei der FDP]

Wenn man sich die aktuellen Studien ansieht, dann würde man sehen, dass Berlin gar nicht so schlecht aufgestellt ist. Es gibt derzeit eine Studie, die zusammen mit der Charité, der Senatsverwaltung und den Gesundheitsämtern erarbeitet wird, in der es eben nicht nur darum geht, inwieweit Kinder das Virus übertragen und weitergeben, sondern allgemein darum, wo die Übertragungswege sind und wo man sie unterbrechen kann. Was Sie fordern, ist also eigentlich noch viel weniger als das, was derzeit schon erarbeitet wird.

[Torsten Schneider (SPD): Oh!]

Deswegen werden wir diesen Antrag nicht unterstützen. Er wäre ein Schritt zurück. Es wäre viel wichtiger, dass jetzt endlich ein Konzept kommt, wie die Kinder wieder unterrichtet werden,

[Beifall von Torsten Schneider (SPD)]

denn die Kinder dürfen nicht länger ihrer Bildung beraubt werden. – Vielen Dank, meine Damen und Herren!

[Beifall bei der FDP –

ist nicht der Tag der CDU! Meine Güte! –

nicht so viel erwarten, Herr Schneider! –

Na, ich muss mich

einfach in Stimmung bringen, Herr Hansel!]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Frau Abgeordnete Plonske. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Damen und Herren! Lieber Herr Grasse! Es wurde schon viel gesagt zu Ihrem Antrag, aber ich finde, es ist sehr gut, dass Sie das Vorbild der Studie aus Baden-Württemberg über die Infektiosität von Kindern für Ihren Antrag als Vorbild herangezogen haben. Diese Studie ist nicht zuletzt durch grünes Engagement auf den Weg gebracht worden.

Es ist auch gut, dass fast alle in diesem Haus sich einig sind, dass die Rolle von Kindern und Familien bei dem Pandemiegeschehen vordringlich untersucht werden muss. Alleinerziehende, Familien und insbesondere Kinder leiden mit am meisten unter der Isolation und den Kontaktbeschränkungen mit all ihren Auswirkungen! Deswegen haben auch wir Grünen einen Antrag in die Abstimmung mit unseren Koalitionspartnern gegeben. Allerdings bleiben wir nicht bei dem Studiendesign in BaWü von vor sechs Wochen stehen. Nein, die virologische Betrachtung reicht uns eben nicht, denn eine Pandemie ist immer auch ein soziales Geschehen! Es reicht eben nicht, nur die Viruslast oder auf Antikörper zu testen. Es muss vielmehr sehr genau hingeschaut werden, welche sozialen, regionalen und kulturellen Wechselwirkungen es gibt, sowohl bei der Verbreitung des Virus als auch bei den Folgeerscheinungen durch die Eindämmungsmaßnahmen.

Meine Fraktion denkt da ganz entschieden nicht allein an den wirtschaftlichen Faktor von Eltern, die nicht arbeiten gehen können, weil sie keine Kinderbetreuung haben. Nein, wir reden davon, dass wir einen enormen Anstieg von häuslicher Gewalt haben, dass wir Gefahr laufen, eine ganze Schülergeneration zu verlieren, Alleinerziehende komplett im Regen stehen und alle erreichten Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter in diesen Pandemiezeiten de facto zunichte gemacht werden. Wir reden von den dramatischen Auswirkungen auf Familien, Kindern und besonders Frauen im Wirtschaftlichen, im Privaten, aber auch in unserer Gesellschaft. Und genau dieser enorm wichtige Bereich fehlt nun einmal leider

(Florian Kluckert)

komplett in Ihrem Antrag, lieber Herr Grasse. Schade, kann ich da nur sagen, denn da bleiben Sie hinter Ihrem eigentlichen Anspruch der CDU als selbsternannte Hüterin des Familienglücks zurück. Sie fordern nur das, was derzeit – das wurde schon erwähnt – an der Charité im Auftrag des Senats bereits erarbeitet und umgesetzt wird. Denn es läuft bereits eine sehr gute, breit angelegte Studie über die verschiedenen vulnerablen Bevölkerungsgruppen und Institutionen hinweg an, bei denen Kinder, Schulen und Kitas ein ganz wichtiger eigener Bereich sind, der eine klare Schwerpunktsetzung erfährt.

Anders als anscheinend Sie habe ich tatsächlich auch mit den koordinierenden Stellen an der Charité geredet und mich informiert, was genau erforscht werden soll. Und da kann ich Sie beruhigen: Ihr Antrag ist davon bereits abgedeckt. Ich fürchte, Sie sind ein bisschen spät.