Protocol of the Session on June 4, 2020

Allerdings haben Sie unseren Antrag offenbar nicht bis zum Ende gelesen. Denn es darf nicht nur darum gehen zu testen, um Infizierte zu ermitteln. Was wir brauchen, ist eine breit angelegte wissenschaftliche Studie, mithilfe derer wir am Ende einen Katalog von Fragen beantworten können: Auf welchem Weg und wie häufig infizieren sich Kinder? Welche Krankheitsverläufe und Symptomatiken sind zu beobachten? An wen übertragen sie das Virus? Welche Infektionsketten gibt es? Ist die Viruslast abhängig vom Alter der Kinder? Wie viele Kinder und Eltern haben bereits Antikörper als Abwehrstoffe gebildet? – und viele weitere Fragen mehr.

Selbstverständlich legen wir die konkrete Ausgestaltung der Studie in die Hände der Wissenschaft. Aufgabe der Politik muss es dann sein, aus den Ergebnissen für die Zukunft die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse, unter klaren Prämissen, transparent und nachvollziehbar.

Wir müssen klären, ob wir bei Kindern eine andere Ausgangslage haben als bei Erwachsenen, denn nur so lässt sich einschätzen, welchen Beitrag Kita- und Schulschließungen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens leisten. Wenn wir die offenen Fragen beantworten können, sind wir auch in Hinblick auf eine mögliche zweite Welle viel besser gerüstet.

[Beifall bei der CDU]

Der Leidensdruck in den Familien und die Verunsicherung der Menschen hat in den vergangenen Wochen merklich zugenommen. Kindern wird ihr Recht auf Bildung verwehrt, ihre sozialen Kontakte untersagt, die Schulpflicht eingeschränkt. Wollen Sie tatsächlich weiterhin so weitreichende Entscheidungen auf Basis von Vermutungen treffen? Nehmen Sie bitte diesen Antrag zum Anlass, eine Landesstudie in Auftrag zu geben, um eine Antwort auf die Frage nach der Ansteckungsgefahr von Kindern zu erhalten. Die Berliner haben es verdient, fundierte Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die Fraktion der SPD hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Czyborra.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Grasse hat hier gerade im Namen der CDUFraktion viele Fragen gestellt. Das sind alles gute Fragen, das sind alles Fragen, die wir uns im politischen Raum und darüber hinaus täglich stellen, auf die wir wahnsinnig gern abschließende Antworten hätten. Nur leider bekommen wir sie nur langsam, immer mal wieder andere, immer mal wieder auch Korrekturen. Wir haben es auch mit wissenschaftlichen Debatten zu tun. Insofern ist das alles ein sehr frommer Wunsch. Ich finde das Vertrauen, das Herr Grasse in die Berliner Wissenschaft, in die Charité hat, an dieser Stelle atemberaubend, wenn er glaubt, dass durch eine einzelne kleine Landesstudie nun all diese Fragen abschließend beantwortet werden können. Wenn es so einfach wäre, dann hätten wir nicht mindestens zehn Studien, die die Charité gerade durchführt. Dann hätten wir nicht ein weltweites Netzwerk von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in den verschiedensten Ländern, an den verschiedensten Orten diese Pandemie, dieses Virus untersuchen. Dann hätte es nicht die Gründung eines nationalen Covid-19-Forschungsnetzwerks gegeben, das übrigens vom Vorstandsvorsitzenden der Charité Heyo Kroemer geleitet wird. Dann gäbe es nicht über 80 Projektskizzen mit den verschiedensten Forschungsvorhaben; diese habe ich vorliegen und könnte Ihnen daraus berichten. Allerdings verstehe ich angesichts der Fachsprache nicht immer, worum es wirklich

(Adrian Grasse)

geht. Insofern glaube ich auch nicht, dass es angemessen wäre, hier im Detail darüber zu reden.

Wir haben heute von der Berliner Teststrategie gehört: 24 Schulen und Kitas werden untersucht. Diese Teststrategie wurde von unserer zentralen Teststelle an der Charité mit ausgearbeitet. Ich glaube, dass wir gut daran tun, der Wissenschaft zu vertrauen, dass sie selbst weiß, wie sie ihre Studien designt, und dass es vielleicht nicht 150 Hobbyvirologen in diesem Hause sein sollten, die der Charité sagen, wie ein Studie anzulegen ist, um dann unsere Fragen zu beantworten.

Was wir als Politik tun müssen, ist, die Fragen zu stellen. Das hat Herr Grasse getan. Wie gesagt, all diese Fragen sind absolut nachvollziehbar. Unsere Wissenschaft braucht vor allem Vertrauen. Es ist das Vertrauen darin, dass sie die richtigen Wege und richtigen Studien schon anstreben werde. Was sie darüber hinaus braucht, ist eine solide Grundfinanzierung, die auch in Krisenzeiten die Wissenschaft in die Lage versetzt, ihre Forschungsvorhaben auf guter Grundlage und schnell umzusetzen. In der Finanzierung der Universitätsmedizin haben wir ein ganz großes Problem, denn wir – das ist nur in Deutschland so – finanzieren diese genauso wie jedes Kreiskrankenhaus auch, nämlich auf Grundlage der Finanzierung unseres Gesundheitswesens. Wir müssen dringend – das ist eine Forderung, die seit Jahren erhoben wird – die Universitätsmedizin anders finanzieren, damit der große Beitrag, den sie in solchen Zeiten wie dieser Pandemie leistet, tatsächlich auf einer sehr soliden Grundlage geleistet werden kann.

Zu den Kindern und der Forderung, 10 000 Eltern-KindPaare zu testen: Wenn wir das täten, was wüssten wir hinterher? – Dass wahrscheinlich 9 990 zum Zeitpunkt der Testung dieses Virus nicht hatten. Was haben wir daraus gelernt? – Es ist uns gelungen, die Infektionszahlen in dieser Stadt erfreulicherweise extrem niedrig zu halten. Was wissen wir aber über das Infektionsgeschehen in Kitas und Schulen, insbesondere nach der langen Schließzeit? – Ich glaube, so tragisch und widersinnig das erscheint, wir lernen wahrscheinlich aus Göttingen viel mehr über die Effekte, die Schul- und Kitakinder in der Pandemie haben, wie sie sich am Infektionsgeschehen beteiligen, denn dort haben wir ein massives Infektionsgeschehen, an dem Kinder und Jugendliche beteiligt sind. Unbeteiligte Kinder und Jugendliche sagen uns leider ganz wenig über die Fragen, die Grasse hier aufgeworfen hat.

Insofern: Ja, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir insbesondere im Bund eine solide Finanzierung der Wissenschaft und vor allem der Universitätsmedizin hinbekommen! Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die vielleicht noch fehlenden Gelder für die Studien an der Charité jetzt zur Verfügung gestellt werden! Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass unsere zent

rale Teststelle ausreichend ausgestattet wird! Ich glaube, der Regierende Bürgermeister hat dazu das Richtige gesagt, nämlich dass dort selbstverständlich das Geld fließen wird, das gebraucht wird. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass diese Studien erfolgreich durchgeführt werden! Und lassen Sie uns der Wissenschaft das Vertrauen entgegenbringen, das zum Teil erheblich unter Druck gesetzt wird, das sie aber verdient, um uns alle zu unterstützen.

Ich freue mich auf eine tiefergehende Diskussion dieser wissenschaftlichen Fragen im Ausschuss für Wissenschaft und Forschung. Dort werden wir uns, so glaube ich, mit denen beschäftigen, die diese Studien vorantreiben, ferner mit der zentralen Teststelle, mit der Berliner Teststrategie und werden uns das noch einmal genauer erklären lassen. Und dann gehen wir hoffentlich alle schlauer nach Hause. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die Fraktion der AfD hat der Abgeordnete Herr Ubbelohde das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Berliner! Die CDU-Fraktion möchte sich mit diesem Antrag als Platzhirsch in der Bewältigung der Coronakrise platzieren und anbieten. Ich darf Ihnen sagen, liebe CDU: Das gelingt Ihnen auch diesmal nicht!

[Heiko Melzer (CDU): Ich glaube, dass Sie den Antrag nicht verstanden haben!]

Sie schießen mit Ihrem Antrag einen Bock, und das wissen sie. Dieser Antrag steht in einer Tradition bisheriger Anträge zweifelhafter Genese und zweifelhafter Zielrichtung,

[Lachen von Paul Fresdorf (FDP) und Heiko Melzer (CDU)]

mit der Sie den Berlinern draußen suggerieren wollen, dass Sie noch die Partei des Pragmatismus, die Partei des gesunden Menschenverstandes wären, und als wären Sie die Partei, die das Ohr an den Nöten der Bürger hat. Meine liebe CDU, ehemalige Partner! Das war mal so, ist es aber schon lange nicht mehr. Deswegen gibt es die AfDFraktion, deswegen gibt es uns, und deswegen bleiben wir auch.

[Beifall bei der AfD – Zurufe von Heiko Melzer (CDU) und Mario Czaja (CDU)]

Der Senat kommt mit seinem Screening, mit seinem knappen Screening zu spät, und Sie als CDU-Fraktion mit Ihrem Antrag kommen ebenfalls zu spät, denn die

(Dr. Ina Maria Czyborra)

Coronakrise läuft schon. In anderen Bundesländern wurde vor einem Vierteljahr der Beginn von Studien, teils mit Unterstützung der jeweiligen Landesregierung, initiiert. Und jetzt, wo das ganze Thema abflaut und die Menschen in diesem Lande sich selbst Antworten suchen, weil sie diese von der Politik nicht bekommen, da kommen Sie mit einem Screening und Sie mit einem Antrag. Wissen Sie, was das ist? – Lächerlich ist das, vollkommen lächerlich.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Sie verlangen vom Senat, sich als Projektmaschine, als Projektmotor nach vorne zu bringen. Von diesem Senat erwarten Sie das? – Ein Senat, der im Wohnungsbau nichts als Chaos und Enteignung produziert, ein Senat, der Gutachten und Evaluationen wie Epidemien erstellen lässt, weil er nicht die eigene Kompetenz hat,

[Zuruf von Mario Czaja (CDU)]

die Antworten auf die heutigen Fragen zu generieren, ein Senat, der nicht in der Lage ist, überhaupt ein bedeutendes Projekt – vom Schulbau angefangen bis hin zum Flughafen – zu Ende zu führen und auf einen vernünftigen Weg zu bringen!

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Von diesem Senat erwarten Sie tatsächlich in der Frage der Coronakrise Antworten und Initiativen? Was ist denn mit Ihnen nicht in Ordnung?

[Beifall bei der AfD – Oh! von Paul Fresdorf (FDP)]

Sie stellen Studiendesignvorgaben auf und sagen, möglichst schnell soll der Senat – der Senat, dieser Senat – zu irgendwelchen Ergebnissen einen Beitrag leisten. Sie wissen doch, welche Probleme sich Herr Prof. Drosten von der Charité mit seiner Vorabveröffentlichung, mit seinem Preprint eingefangen hat und wie teilweise unfair mit ihm umgegangen wurde, nachdem er schnell die ersten Ergebnisse präsentiert hat.

[Anne Helm (LINKE): Hört, hört!]

Das wollen Sie noch einmal haben? – Nein, so läuft es nicht. In dieser Frage heißt es: keine Schnellschüsse! In dieser Frage heißt es, auf die Studien aufbauen, die wir haben.

Im Übrigen, liebe CDU-Fraktion! Zur Finanzierung der ganzen Sachen sagen Sie gar nichts.

[Heiko Melzer (CDU): Sie müssen mal den Antrag lesen!]

Das ist ja auch keine Frage, denn Sie haben zum Nachtragshaushalt zur Coronaproblematik nicht einen Änderungsantrag geschrieben. Und auch in Ihren Ausschüssen, wo Sie nach wie vor viele Antworten auf die Fragen schuldig wären, schreiben Sie nichts zu Fragen der Finanzierung. Woher sollen die Millionenbeträge solcher

Studien kommen? – Aber das ist offensichtlich der neue Geist in diesem Hause: Der Strom kommt offenbar aus der Steckdose und das Geld fällt vom Himmel – wir haben es ja!

[Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

Wir haben ja auch keine Kosten, keine Neuverschuldung, die im Raum steht, und dann kommen Sie, schütteln Studien aus dem Ärmel, die niemand braucht. Warum? – Das sage ich Ihnen jetzt. Es gibt eine Studie in Hamburg mit 6 000 Eltern-Kind-Paaren. Diese Studie beurteilt die Situation bei der Betreuung in der Familie, bei der Notbetreuung in Kindergärten und läuft seit Langem; Ergebnisse werden in Kürze erwartet. Baden-Württemberg mit den Universitäten Heidelberg, Ulm, Tübingen und Freiburg ist kurz davor, Veröffentlichungen vorzunehmen, und hat bereits einige Dinge veröffentlicht. Die Niederlande, China, Island haben bereits Untersuchungsergebnisse geliefert, die belegen, dass – Achtung! – Kinder Gott sei Dank einen deutlich geringer ausgeprägten Krankheitsverlauf und eine geringere – –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohlmeier?

Im Augenblick nicht! Ich bin sowieso gleich fertig. – eine geringere Infektiosität haben. Das zeigen ja auch die Prozentzahlen von zwischen 1,5 bis 2,5 Prozent an Kindern unter den infizierten Patienten. Damit bieten die Zahlen Gott sei Dank Grund zum Optimismus.

Ich komme zum Schluss.

[Heiko Melzer (CDU): Sehr gut!]

Was wir brauchen – um ein Fazit zu ziehen: Wir brauchen Aufklärung. Den Menschen wurde Angst gemacht.

[Sven Kohlmeier (SPD): Sagt der Richtige!]

Wir müssen den Menschen die Angst nehmen, gerade den Familien mit Kindern. Es genügen die laufenden Studien, die wir haben. Politisch müssen wir die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Daran mangelt es.

[Sven Kohlmeier (SPD): Sagt der Richtige!]