Protocol of the Session on January 30, 2020

Zweite Anmerkung: Die organisatorische Hoheit für das Kammergericht – da mögen mich alle berichtigen – liegt doch nun aber auch beim Präsidenten des Kammergerichts. Nun ist aber der Präsident der Kammergerichts auch unabhängig. Und ich habe gerade eben deutlich gemacht: Bei aller Hochachtung vor dem Präsidenten und bei aller Hochachtung und Wertschätzung für ein unabhängiges Gericht: Wir werden jedenfalls als Koalitionsfraktionen nicht den Kammergerichtspräsidenten hier verantwortlich machen, weil er letztendlich nicht die Person ist, mit der wir zu reden haben, sondern das ist der Justizsenator, der uns Auskunft geben muss und geben wird. Ich habe gestern im Rechtsausschuss gesagt, dass genau das passiert.

Letzte Anmerkung, die ist mir wichtig: Unabhängig von allen politischen Spielereien usw. ist für mich wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen des Kammergerichts endlich wieder eine möglichst arbeitsfähige Struktur haben.

[Beifall bei der FDP]

Für mich ist wichtig, dass man vom Kammergericht nicht irgendwelche Einladungen oder Ladungen bekommt, die

(Sven Rissmann)

handschriftlich gemacht sind, weil sie einen Vordruck verwendet und kopiert haben und dort handschriftlich irgendwelche Ladungszeiten und Aktenzeichen hineinschreiben. Für mich ist wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen beim Kammergericht endlich wieder vernünftig arbeiten und die vernünftige Infrastruktur und die Datenbanken nutzen können und nicht mit irgendwelchen privaten PCs sich in irgendwelche vorbereiteten W-LANNetze einloggen usw. und so fort. Das ist mir wichtig, dass das Kammergericht endlich wieder arbeitsfähig ist. Wir sind im Jahre 2020, und mit Verlaub, es ist unser aller Aufgabe, auch derjenigen, die hier den Haushalt beschließen. Wir müssen sicherstellen, dass die Digitalisierung auch bei den Berliner Gerichten ankommt und dass sie so ankommt, dass sie sicher ist. Das ist mir wichtig und nicht dieser Sonderbeauftragte, den Sie hier fordern. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Jetzt kommt Herr Kollege Vallendar dran. – Bitte schön!

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Ein Sonderermittler, ja. Grundsätzlich würde man sagen, bei einem so weitgehenden Vorfall wie diesem ist natürlich Aufklärung wichtig, und Sonderermittler klingt erst einmal gut. Die Frage, die ich mir allerdings als erste gestellt habe, ist: Zuständig sind zwei ganz andere Behörden oder Mitspieler. Das ist zum einen die Berliner Staatsanwaltschaft, die natürlich diesen Vorfall aufzuklären und dort zu ermitteln hat, insbesondere auch mögliche Tatverdächtige zu ermitteln hat, was sehr schwierig werden wird.

Der zweite Punkt ist natürlich die Datenschutzbeauftragte des Landes Berlin, die mittlerweile auch über den Vorfall am Kammergericht informiert wurde. Man kann jetzt natürlich Kritik üben wegen des Gutachtens, welches wieder falsch datiert, dann erst mal für die Öffentlichkeit bereit gemacht und das Parlament wieder zu spät informiert wurde. Das stimmt, aber wenn man sich diesen Hackerangriff ganz genau anguckt oder auch dieses Gutachten studiert – ich bin weiß Gott kein IT-Experte, aber wir haben auch ein paar Experten bei uns in der Fraktion –,

[Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

dann wird vielleicht etwas mehr Panik gemacht als tatsächlich vorhanden ist.

Es handelt sich wohl, das sieht man, um einen klassischen Emotet-Befall. Ob es ein gezielter Angriff ist, ist eher unwahrscheinlich, wenn man das Gutachten differenziert studiert. Es sind wohl auch, mal abgesehen von den Log-in-Passwörtern, die abgeflossen sind, keine

gravierenden Dokumente wie Gerichtsdokumente oder von Prozessbeteiligten Verfahrensakten oder Ähnliches nach draußen geflossen. Wir haben auch festgestellt, es gibt noch keinen Erpresserbrief oder Bekennerschreiben oder Ähnliches. Das heißt also, der Schaden scheint überschaubar zu sein. Jedenfalls können wir das noch nicht abschließend bewerten.

Ich bin der Meinung, wir haben das regelmäßig auf der Tagesordnung bei uns im KTDat und auch im Rechtsausschuss, und es wird jetzt auch weiterhin so bleiben. Wir sollten mehr in die Zukunft gucken als in die Aufklärung, die meines Erachtens von der Staatsanwaltschaft und von der Datenschutzbeauftragten primär erst einmal erfolgen sollte, und zusehen, wie wir das Kammergericht wieder betriebsfähig bekommen, denn im Moment ist immer noch ein Notbetrieb, und erst ein Zehntel der Computer dort laufen wieder. Das heißt, das muss natürlich schnellstmöglich behoben werden.

Der nächste Punkt, der hier schon angesprochen wurde, der wichtig ist, ist, die Unabhängigkeit des Kammergerichts und der Justiz zu berücksichtigen. Wir haben insofern nicht das Gefühl, dass ein Sonderermittler da zusätzlich reingehen sollte, sondern wir lassen Herrn Dr. Pickel in die Ausschusssitzung vorladen und werden das dann begleiten. So ist erst einmal unsere Position. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Für die Fraktion Die Linke hat Herr Abgeordneter Schlüsselburg das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die CDU beantragt die Einsetzung eines unabhängigen IT-Sonderermittlers, und wenn ich es richtig gelesen habe, auch für die gesamte Berliner Justiz. Der Anlass dafür ist der Virusbefall bei dem Kammergericht. Lassen Sie uns doch darüber sprechen.

Ich denke, wir sind uns alle einig, dass dieser Vorfall einen Zustand am Kammergericht offenbart hat, der nicht hinnehmbar ist. Wenn man das forensische Gutachten der T-Systems liest, muss man feststellen, dass das IT-Netz des Kammergerichts völlig unzureichend geschützt war. Man muss zwar zugestehen, dass es absolute Sicherheit auch im IT-Bereich nicht geben kann. 2018 gab es laut BKA 87 000 bekannt gewordene Cyberattacken in der Bundesrepublik. Das ist ein Anstieg von 1,3 Prozent. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein. So ein Angriff kann also grundsätzlich passieren. Was meine Fraktion und mich besorgt, ist aber, wie einfach man es den Angreifern am Kammergericht gemacht hat. Dafür spricht z. B., dass

(Sven Kohlmeier)

es allein dem ITDZ zu verdanken war, dass der Angriff überhaupt bemerkt und das Kammergericht sofort vom Netz genommen wurde. Dafür spricht, dass die gesamte Sicherheitsarchitektur des Kammergerichts völlig unzureichend war. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus dem genannten Gutachten:

Durch die IT-Infrastruktur (keine Netzwerksegmentierung, keine Filterung am Gateway, keine Proxy Logdaten, lokale Administratoren, mangelnde AD Logs) wurde aus einem Standardvorfall ein massiver Incident.

Zitat Ende. – Allein diese beiden Punkte zeigen, dass der viel zu lange aufrechterhaltene und von Herrn Kohlmeier angesprochene Sonderweg des Kammergerichts gescheitert ist, und ich sage sogar, dass dieser Sonderweg fahrlässig war. Es ist schlimm genug, dass dieser Vorfall überhaupt erst kommen musste, damit das Kammergericht diesen Sonderweg endlich beendet. Wir werden jetzt als R2G die IT des Kammergerichts von Grund auf neu aufbauen.

In der Bewertung und bei dem Ziel sind wir uns also einig. Jetzt stellt sich die Frage, ob das von der CDU vorgeschlagene Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, auch hinreichend ist. Hier kommen wir aus folgenden Gründen zu einer anderen Bewertung: Erstens: Der Justizsenator stellt dem Kammergericht bereits einen unabhängigen externen Sachverstand zur Seite, um den ITAufbau fachlich zu überwachen. In diesem Punkt hat sich Ihr Antrag bereits durch Tätigwerden des Senats erledigt.

Zweitens: Durch das forensische Gutachten wissen wir bereits, soweit es durch die technischen Unzulänglichkeiten, die ich genannt habe, überhaupt möglich ist zu erfahren, welche Schwachstellen es gab. Deswegen wird die IT komplett neu aufgebaut.

Drittens: Der Justizsenator hat bereits im vergangenen Jahr den gesamten Geschäftsbereich angewiesen, ich glaube, per heutigem Berichtsdatum, Bericht zu erstatten über den Zustand der jeweiligen IT-Systeme in der gesamten Justiz. Lassen Sie uns diesen Bericht abwarten und dann im Rechtsausschuss und auch im KTDat auf Wiedervorlage stellen und dann sachlich die notwendigen Schritte zur Lösung der Probleme miteinander erörtern. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Krestel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Grunde sprechen wir heute über ein Märchen, das Märchen von

der Berliner Verwaltungsreform. Als ich 2001 zum ersten Mal in dieses Parlament und von meiner FDP-Fraktion in den damals noch existierenden Ausschuss für Verwaltungsreform, Kommunikations- und Informationstechnik gewählt wurde, traf ich dort auf eine große Gruppe von Heilsverkündern, die den Mitarbeitern der Berliner Verwaltung – dazu zählte in diesem Zusammenhang auch die Justiz inklusive Richterschaft – eine goldene Zukunft mit moderner IT-Ausstattung, einheitlichen Standards und technisch sicheren Arbeitsplätzen für die allernächste Zukunft voraussagten.

Schon damals äußerte ich meine Zweifel an der Seriosität der geweckten Hoffnung und stellte bei meiner Rückkehr vor wenigen Jahren fest, dass sich meine Zweifel nicht nur bewahrheitet hatten, sie wurden bei Weitem übertroffen. Auch nach 20 Jahren gibt es eine Ansammlung von Insellösungen, jede Menge regelwidrige Zugriffsmöglichkeiten unbefugter Personen und im Personalbestand die eloquenten Datenverarbeitungslautsprecher, die es sich im Ohr diesbezüglich eher unbeholfener Behördenchefs bequem gemacht haben und mit ihnen gemeinsam für die herrschenden Zustände verantwortlich sind.

[Beifall bei der FDP]

Der am Berliner Kammergericht eingetretene DatenGAU stellt das nun offen zutage getretene Resultat dieser seit Jahrzehnten virulenten Fahrlässigkeit im Umgang mit den Datenbeständen und deren Nutzung dar. Lebens- und Berufserfahrung bewahren einen vor falschen Hoffnungen, und so wundere ich mich heute auch nicht, dass der aktuell verantwortliche Senator – vor drei Jahren hier als der Grüne Robin Hood angetreten –

[Heiterkeit bei Sven Rissmann (CDU)]

nun, zu Beginn des letzten Drittels dieser Wahlperiode, als reformatorischer John Ohneland das Datendesaster am Kammergericht politisch zu verantworten hat.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Eine Konfiguration wie im Kammergericht, wo man mit einem Virusangriff unerkannt mit Verzögerung das gesamte Netz lahmlegen kann, ist mehr als grob fahrlässig und muss daher auch Konsequenzen haben.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Daher unterstützen wir die Forderung der CDU nach einem Sonderermittler, obwohl wir befürchten, dass das, was er letztlich zutage fördert, zwar zu Empörung in der Öffentlichkeit, nicht aber zu Einkehr und Verhaltensänderung in einer immer dickfelliger werdenden Verwaltung führen wird. Und ich bin in gespannter Erwartung, welche Verantwortung Justizsenator Dr. Behrendt jetzt gleich persönlich hier übernimmt und welche Konsequenzen er aus diesem Desaster zieht. – Vielen Dank, meine Damen und Herren!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

(Sebastian Schlüsselburg)

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Dr. Vandrey das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns als Grünen-Fraktion, möchte ich erst einmal klarstellen, ist der Datenschutz extrem wichtig, natürlich und gerade auch im Bereich sensibler Daten, wie sie in der Justiz vorhanden sind. Was hier am Kammergericht passiert ist, möchte niemand schönreden, auch nicht die Grüne Senatsverwaltung. Es ist tatsächlich ein ITDesaster, wir nehmen als Grüne diesen Vorfall sehr ernst.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Die hier durch die Opposition jetzt vehement vorgebrachten Vorwürfe gegen die Justizverwaltung kann ich allerdings wenig nachvollziehen. Das Parlament wurde in den zuständigen Ausschüssen jeweils nach dem aktuellen Erkenntnisstand informiert. Ende September wurde der Vorfall bekannt, schon im Oktober waren der Präsident des Kammergerichts, Herr Pickel, und die Senatsverwaltung in den jeweiligen Ausschüssen. – Nein, keine Zwischenfrage, danke. – Auch die Senatsverwaltung war selbstverständlich in den zuständigen Ausschüssen anwesend und stellte sich den Fragen der Parlamentarier.

Die Staatssekretärin für Justiz hat eingehend erläutert – und zwar ganz aktuell, schon Anfang Oktober des letzten Jahres –, welche Schritte eingeleitet wurden, um der Krise zu begegnen. Direkt nach dem Bekanntwerden des Virus wurde die gesamte IT des Kammergerichts vom Netz genommen – das war die richtige und sehr schnelle Entscheidung der Senatsverwaltung, der entscheidende Schritt. Hier hat die Justizverwaltung richtig und konsequent entschieden.

In den nächsten Tagen gab es ein Notfallregime; in Zusammenarbeit mit dem ITDZ wurden frische Rechner angeschafft. Eine Kommunikation war belastet, das ist richtig. Eine Kommunikation zwischen Anwaltschaft und Kammergericht war aber zu jedem Zeitpunkt vorhanden. Ich kann dies aus eigener Erfahrung sagen, weil ich auch als Rechtsanwältin tätig bin. Ich habe nicht erlebt, dass Gerichtstermine verschoben wurden oder Beschlüsse nicht gefasst werden konnten. Es ist richtig: Es wurde in diesem Zeitraum sehr viel gefaxt und weniger gemailt, es war aber nicht so, dass das Kammergericht in seiner Tätigkeit lahmgelegt wurde. Das ist ja der Vorwurf der Opposition; es war auch Teilen der Presse zu entnehmen, es habe hier eine Lahmlegung unseres höchsten Berliner Gerichts gegeben. Das kann ich nicht bestätigen. Diese Bewertung schießt einfach über das Ziel hinaus und ist polemisch.

[Zuruf von der CDU: So ein Quatsch!]

Sicher gibt es das Rechtsstaatsprinzip, das effektiven Rechtsschutz gebietet. – Nein, keine Zwischenfrage, danke. – Ein Rechtsschutz war zu keinem Zeitpunkt beeinträchtigt. Die Verfahren am Kammergericht – schließlich laufen sie ja. An dieser Stelle ist den Richtern und Richterinnen des Kammergerichts, natürlich auch den Rechtspflegern und Rechtspflegerinnen, ausdrücklich zu danken, die trotz der erheblichen Belastung dafür gesorgt haben, dass wir ein funktionierendes Kammergericht hatten. Dies nur zur Klarstellung.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]