Frau Kollegin, ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krestel von der FDP zulassen.
Danke sehr! – Ich möchte jetzt gerne in meinem Konzept weitermachen, vielen Dank! – Diese einleitenden Worte waren zur Klarstellung. Das heißt natürlich nicht, dass wir den Vorfall nicht ernst nehmen. Wenn hier tatsächlich Daten abgeflossen sind – was übrigens in dem forensischen Gutachten selbst so deutlich gar nicht steht, sondern erst bei dem Gespräch am letzten Freitag mündlich so mitgeteilt wurde –, ist das tatsächlich eine sehr große Krise.
Was also sind jetzt die richtigen nächsten Schritte? – Wir brauchen Aufklärung, das ist richtig. Die Berliner Datenschutzbeauftragte ist bereits beteiligt, dafür hat unsere Justizverwaltung gesorgt. Und Konsens ist auch: Es soll externer Sachverstand eingeschaltet werden. Ob wir den externen Sachverständigen Sonderermittler nennen oder nicht, ist mir relativ egal. Die Bezeichnung ist nicht das Wesentliche. Wichtig ist, dass dem Kammergericht jetzt externe und unabhängige IT-Expertise zur Seite gestellt wird, und dafür hat unsere Senatsverwaltung gesorgt.
Jetzt gilt es, in die Zukunft zu schauen. Wir möchten, dass die gesamte IT des Kammergerichts völlig neu aufgesetzt wird und das KG in den Mantel des ITDZ schlüpft. Richter und Richterinnen sollten nur noch an gesicherten, durch die Verwaltung zur Verfügung gestellten Geräten arbeiten, nicht mehr an privaten Geräten. Wir sollten jedoch noch weiter gehen. Wir sollten eine ITSicherheitsrichtlinie für die Justiz erstellen, natürlich nicht nur für das Kammergericht, sondern für unsere gesamte Berliner Justiz. Außerdem sollten wir uns dafür einsetzen, nicht nur für die Justiz, sondern für die Berliner Verwaltung insgesamt, eine unabhängige IT-Stelle zu schaffen, die für Sicherheit in der IT der Berliner Verwaltung sorgt. Daran arbeiten wir als Grüne.
Also im Fazit: Wer stehen bleibt, ist angreifbar – das habe ich in einem Presseartikel im Zusammenhang mit der IT-Krise am Kammergericht gelesen, und das ist richtig. Wir müssen uns also bewegen, auch im Zuge der Einführung der elektronischen Akte an den Gerichten. Wir brauchen einheitliche IT-Standards für die Berliner Justiz. Ein so schwerwiegender Sicherheitsvorfall wie jetzt am Kammergericht darf nicht wieder passieren, und zwar an keinem unser Berliner Gerichte. – Vielen Dank!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Fraktion der CDU hat die sofortige Abstimmung über ihren Antrag beantragt. Die Koalitionsfraktionen beantragen dagegen die Überweisung federführend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung sowie mitberatend an den Ausschuss für Kommunikationstechnologie und Datenschutz. Gemäß § 68 der Geschäftsordnung lasse ich zuerst über den Überweisungsantrag abstimmen.
Wer der Überweisung des Antrages der Fraktion der CDU auf Drucksache 18/2456 an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung sowie mitberatend an den Ausschuss für Kommunikationstechnologie und Datenschutz zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Gegenstimmen? – FDP und CDU. Ersteres war die Mehrheit. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist Überweisung beschlossen und eine Abstimmung über den Antrag erübrigt sich heute.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten vom 2. Dezember 2019 Drucksache 18/2356
zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/2256
Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/2256-1
In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke und Frau Kittler hat das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!
Vielen Dank! – Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich mache mal einen Rückblick in die Geschichte: 30. Januar 1933 gegen 11.15 Uhr, Reichskanzlei: Hindenburg ernennt Hitler zum deutschen Reichskanzler, das „Kabinett der nationalen Konzentration“ wird gebildet. – 11.25 ruft er Hitler, Göring und den anderen Kabinettsmitgliedern zu: „Und nun meine Herren, vorwärts mit Gott!“ Er übergibt Hitler die Macht und liefert ihm damit die Demokratie und Deutschland aus. Er tut das, obwohl die NSDAP mit 33 Prozent keine Mehrheit hat. Er tut das heute vor 87 Jahren, hier in unmittelbarer Nähe, in der Reichskanzlei in der Wilhelmstraße. Am 1. Februar 1933, also nur zwei Tage später, löst er gemeinsam mit Hitler und Frick den Reichstag auf. Es folgte die Außerkraftsetzung der Grundrechte. Es gibt kein Recht auf freie Meinungsäußerung mehr, kein Versammlungsrecht und keine Pressefreiheit. Direkt danach erfolgen Massenverhaftungen von Mitgliedern der KPD und der SPD, Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen, aufrechten Demokratinnen und Demokraten sowie die Errichtung von Konzentrationslagern. Alle Parteien außer der NSDAP werden verboten oder aufgelöst. Menschen, die nicht zur „Herrenrasse“ gehören sollten, werden verfolgt, gequält, vernichtet.
Der deutsche Faschismus, dem mit Hindenburgs Handeln zur Macht verholfen und der letztlich durch die Mehrheit der Deutschen getragen wurde, überzog die Welt mit dem verheerendsten Krieg seit Menschengedenken. 60 Millionen Menschen verloren durch ihn ihr Leben. Hindenburg war mitschuldig, auch am Leiden der deutschen und europäischen jüdischen Menschen und an der Vernichtung von 6 Millionen von ihnen.
Hitler und die deutschen Faschisten machten Hindenburg in etwa 60 Städten Deutschlands zum Ehrenbürger. In weiteren rund 30 Städten war er das bereits in fataler Anerkennung seiner – und das möchte ich in Anführungszeichen setzen – Verdienste während des Ersten Weltkriegs. Dabei hatte Hindenburg doch auch im Ersten Weltkrieg schon genug Schuld auf sich geladen – er, der gemeinsam mit Ludendorff 1916 die Oberste Heeresleitung übernahm und Verantwortung für das unendliche Gräberfeld in Verdun trägt. Etwa 17 Millionen Menschen verloren ihr Leben durch diesen Krieg, über den Hindenburg, Bilanz ziehend, nur sagte: Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur. – Dass er seine Badekur nicht fortsetzen konnte, daran waren die Linken in der Heimat schuld. Am 18. November 1919 sprach er vor dem Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung über die Ursachen des militärischen Zusammenbruchs von einer heimlichen und planmäßigen – ich zitiere – Zersetzung von Flotte und Heer, und er gab zu Protokoll, die deutsche Armee sei – Zitat – von hinten erdolcht worden.
Vor allem die Parteien der extremen Rechten, die DNVP und die NSDAP, nutzten die auf Hindenburgs Autorität gestützte Dolchstoßlegende zur hasserfüllten Agitation gegen die politischen Vertreter und Vertreterinnen der Weimarer Republik und jüdische Geschäftsleute. Die Zeit, in der wir leben, erfordert wieder ein Aufstehen für die Demokratie und – da bin ich bei Heitmeyer – gegen autoritären Nationalradikalismus.
Das beginnt mit dem Erinnern an die deutsche Geschichte des vorigen Jahrhunderts und an die Opfer, und das schließt die konsequente Verurteilung von Tätern ein, und Hindenburg war Täter. In acht Städten, darunter in Augsburg und München, wurde Hindenburg die Ehrenbürgerschaft zwischen 1945 und 1948 aberkannt – seit 1980 in weiteren 23 Städten, darunter in Dortmund, Frankfurt, Leipzig und Rostock.
Ich möchte auch noch mal an die Begründung von Granaß, dem Fraktionsvorsitzenden der Deutschnationalen, für die Verleihung der Ehrenbürgerschaft erinnern, die ich schon in der ersten Diskussion zu diesem Antrag zitiert hatte. Die Stadtverordnetenversammlung entehrte sich dadurch. Es ist an der Zeit, dass 75 Jahre nach der Befreiung durch uns als Parlament deutlich gesagt wird, dass Hindenburg kein zu ehrender Bürger ist. Handeln wir endlich!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt dreimal die Debatte geführt, in der 15., in der 17. und in der 18. Wahlperiode, und wir haben in dieser Wahlperiode nun zum dritten Mal die Debatte, im Plenum, im Ausschuss und heute nochmals im Plenum final. Die Argumente sind eigentlich bekannt, und bei der politischen Linken hat man dennoch nicht zur Kenntnis genommen, dass eine Beurteilung aus heutiger Sicht kein Maßstab sein kann und dass es nicht um die Frage geht, ob man Hindenburg heute zum Ehrenbürger ernennen würde, sondern dass die Frage vielmehr lautet, ob die historischen Verfehlungen Hindenburgs schwerer zu werten sind als der Eingriff in eine historisch gewachsene Liste von Ehrenbürgern. Die Frage lautet: Gehört Hindenburg zu den Mördern und aktiven Verbrechern, die der Nationalsozialismus in Deutschland hervorgebracht hat?
Hier unterscheiden sich die Interpretationen. Die Koalition behauptet, Hindenburg sei der geistige Vordenker für die sogenannte Machtergreifung Hitlers gewesen. Sie verkennt aber dabei, dass unter dem unmittelbaren Eindruck des verheerenden Krieges und der Nazi-Barbarei 1948 in Berlin keine Streichung des Ehrenbürgers Hindenburg vorgenommen wurde. Offenbar haben die Zeitgenossen diesen hier als Begründung vorgebrachten Konnex zwischen Hitler und Hindenburg so nicht gesehen, und die Verdienste für seine Ernennung und seine damalige Popularität liegen demnach offenbar auch in früherer Zeit. Es waren militärische Erfolge, die ihn populär gemacht haben.
Er war kein Diktator oder Herrscher qua Abstammung. Er war siegreich im Ersten Weltkrieg, und war in der damaligen Diktion ein Kriegsheld.
[Beifall bei der CDU und der AfD – Beifall von Holger Krestel (FDP) – Regina Kittler (LINKE): Tue ich die ganze Zeit, voller Empörung!]
Sein Ruhm blieb kein kalter Feldherrenruhm, sondern wurde warm und innerlich empfunden, weil Hindenburg nicht bloß siegte, sondern weil er im Jahre 1914 einen Sieg errang, der vom ganzen deutschen Volk vor allen als der notwendige und gerechte empfunden wurde.
Heute wären das keine begründenden Maßstäbe mehr, aber diese ahistorische Sicht kann, wie ich bereits ausgeführt habe, kaum unsere Handlungsrichtlinie heute sein. Hindenburg war eine Persönlichkeit mit Brüchen. Er war Monarchist, er war kein Anhänger der parlamentarischen, republikanischen Demokratie, und dennoch wurde er zweimal in freier Wahl zum Reichspräsidenten gewählt. 1925 wurde er als Kandidat der Rechten gewählt. Die SPD hatte damals keine Chance, da die Linke sich gespalten hatte. Bekanntlich war Thälmann der Kandidat der KPD. 1932 hat Hindenburg erneut kandidiert, als sehr betagter Mann, übrigens noch einmal, um Hitler zu verhindern, und zwar auch auf dringende Bitten der SPD, die ihn vorbehaltlos unterstützt hat.
Herr Kollege, ich darf Sie fragen, ob sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krestel von der FDP zulassen.