Wie sehen Sie in Ihrem Amt eigentlich hier die Balance zwischen Fürsorgepflicht auf der einen Seite und der Verantwortung für eine sinnvolle Ressourcensteuerung?
Meine Ausführungen haben gezeigt, dass die Problematik, keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz zu haben, nicht nur eine Frage der Nationalität oder der Herkunft ist, sondern hier sind auch sehr viele Menschen betroffen wie zum Beispiel solche, die sich selbstständig gemacht haben, bei denen die Einkünfte nicht so ausreichend waren, dass sie ihren Kassenversicherungsbeitrag leisten konnten – übrigens hat die Bundesregierung dies auch erkannt, denn die Beiträge für Selbstständige, für Solo-Selbstständige sollen halbiert werden. – Das hat in Berlin tatsächlich Tausende von Selbstständigen, von Solo-Selbstständigen in die Situation gebracht, dass sie ihre Beiträge nicht leisten konnten.
Sie sagen, jeder soll sich selbst darum kümmern. – Dafür sind wir eine solidarische Stadt Berlin, dass wir Menschen mit diesen Problemen nicht sich selbst überlassen, sondern dass wir mit einer Clearingstelle genau diesen Menschen helfen. Und ich kann Ihnen nur sagen: Setzen Sie sich doch mal mit Ihrer Kasse auseinander, wenn Sie Schulden haben! Meistens sind das sehr zähe Verhandlungen, und es wird meistens sehr viel verhindert. Wir werden mit dieser Clearingstelle eine zentrale kompetente Stelle einstellen, sodass nicht jeder diesen Kampf allein durchfechten muss, sondern dass die Rechte, die auch da sind – denn ein Mensch, der Schulden bei einer Krankenversicherung hat, hat ja gar keinen Versorgungsanspruch –, auch durchgesetzt werden. Dafür steht Berlin, und das wird auch die Clearingstelle umsetzen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! – Nein! Es geht nicht um Clearingstellen, sondern ich frage den Senat: Wie gedenkt der Senat die Vergabeverfahren für Betreiber von Flüchtlingsunterkünften zukünftig rechtssicherer und effizienter zu gestalten; und das auch vor dem Hintergrund der gescheiterten Vergabe an ZOF e. V., bei der öffentlich bekannte Informationen offensichtlich keine Berücksichtigung gefunden haben? – Vielen Dank!
Vielen Dank! – Frau Abgeordnete! An einer Stelle muss ich Ihnen gleich widersprechen, nämlich, dass bestimmte Presseartikel keinen Niederschlag gefunden haben. Eine Vergabe wird anhand von Kriterien vorgenommen. In Berlin ist es so, dass 70 Prozent das Konzept und 30 Prozent der Preis zählen. Am 24. September hat die Vergabestelle des LAF nach einem ordnungsgemäßen Verfahren und einer langen Prüfung dem Bieter ZOF e. V. – Zukunftsorientierte Förderung e. V. – den Zuschlag für eine Gemeinschaftsunterkunft erteilt.
Es gab – und das konnte man der Presse entnehmen – Fehlverhalten des früheren Geschäftsführers. Man kann es googeln, alle können es nachlesen. Ihm wird vorgeworfen – und gegen ihn wird ermittelt –, dass er Gelder veruntreut hat und damit seinem Träger, wo er früher gearbeitet hat, geschadet hat. Das – das müssten Sie eigentlich als Juristin wissen – ist kein Grund, um jemanden von einem Vergabeverfahren auszuschließen. Der neue Geschäftsführer ist der Bruder des alten Geschäftsführers. Okay, ich finde auch: Das hat ein Geschmäckle!
Geschäftsführer zu werden, und es ist auch noch kein Grund, jemanden von einem Vergabeverfahren auszuschließen. Das alles war bekannt; deshalb hat das LAF damals in einem Schreiben ZOF e. V. gebeten, bestimmte Informationen zu geben. Das hat ZOF e. V. damals auch gemacht,
und damit war das Vergabeverfahren so, dass man erst einmal nach den vorgegebenen Kriterien und Richtlinien handeln konnte, handeln musste.
Dann wurde aber in der Folgezeit festgestellt, dass es noch Hinweise auf weitere Unterlagen gab, die das LAF dann angefordert und sich besorgt hat. Es hat dann erneut ZOF e. V. gebeten, zu den dann aufgetauchten Vorwürfen noch mal Stellung zu beziehen. Da gab es die Frist bis zum 10. Oktober. Die Stellungnahme war jetzt nicht so, dass sie zufriedenstellend war. Deshalb wurde erneut geprüft, auch anhand der neu vorliegenden Unterlagen, und am 15. Oktober wurde der Zuschlag im Ergebnis der Prüfung abgeschlossen. Der Vertrag zum Betrieb der Unterkunft – bei der einen Unterkunft handelt es sich um die Niedstraße – wurde angefochten, und vorsorglich wurde auch eine außerordentliche Kündigung des Vertrages erklärt.
Es gibt noch zwei weitere Unterkünfte. Da war aber noch kein Vertrag abgeschlossen. Da kann ich Ihnen sagen, dass gestern – das ist die Unterkunft Leonorenstraße zum einen und Chris-Gueffroy-Allee zum anderen –
ZOF e. V. vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde. Das wird jetzt auch allen Bietern mitgeteilt, und dann wird der Zuschlag an den Zweitplatzierten erteilt.
Wir reden immer wieder darüber, was man denn machen kann. Ich sage mal: Wir sind an europaweite Ausschreibungen gebunden; da gibt es Kriterien. Dagegen bin ich früher auf die Straße gegangen – ich weiß nicht, was Sie gemacht haben; Sie haben das, glaube ich, eher gut gefunden. Es ist nicht möglich – was immer wieder gefordert wird –, dass wir sagen: Wir möchten gerne Betreiber – und wir haben in Berlin sehr gute Betreiber, die in dieser Stadt aktiv sind und ein Netzwerk haben –, die wir bevorzugt behandeln und ausschließlich bei der Vergabe berücksichtigen. – Das ist nach den europaweit vorgesehenen Richtlinien nicht möglich.
Es ist auch nicht möglich – was ich ja gern gemacht hätte –, dass tarifliche Bezahlung berücksichtigt wird. Auch das ist nicht möglich, es gilt der Mindestlohn. Warum? – Weil es keinen allgemein verbindlichen Tarifvertrag gibt. Das habe ich übrigens den Betreibern vorgeschlagen, also dem Dachverband. Das wollten die aber nicht. – Da lächelt Herr Czaja, der kennt das auch. – Also bleiben 70 Prozent das Konzept, die Inhalte, und 30 Prozent die anderen.
Es gibt einen Ausweg – den möchte aber auch niemand von den Betreibern: Man geht den Hamburger oder den Düsseldorfer Weg. Dort ist es so, dass diese Städte ihre Unterkünfte über landes- bzw. stadteigene Unternehmen selbst betreiben, und dann werden soziale Dienstleistungen – so macht es Düsseldorf – per Vergabe an andere Betreiber übergeben. – So kann man es machen, aber auch dieser Wunsch ist nicht da.
Ansonsten bleibt uns nur, weiterhin auszuschreiben und diese 70-30-Prozent-Regelung zu machen, und dann werden wir sehen. Ein diskriminierungsfreies Vergabeverfahren können wir nicht unterlaufen, und das ist europaweit eben auch so aufrechtzuerhalten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Frau Senatorin! Wenn nichts schiefgegangen ist bei dem Ausschreibeverfahren, wird es dann künftig immer so laufen, dass erst auf die Hinweise anderer Betreiber das LAF oder die Senatsverwaltung ermitteln und dann der Vertrag, für den der Zuschlag erteilt worden ist, wieder gekündigt wird?
Man muss jetzt vielleicht auch nicht alles glauben, was man irgendwo gelesen oder gehört hat. Ich habe Ihnen gesagt: Während des Vergabeverfahrens wurde der Betreiber überprüft, und es gibt keinen Grund, jemanden von einem Vergabeverfahren auszuschließen, weil gegen den ehemaligen Geschäftsführer Ermittlungen laufen. Wir werden weiterhin die Betreiber, die sich bewerben – und das sind sehr viele, ganz viele wollen auf den Berliner Markt –, überprüfen und werden auf dieser Grundlage rechtssichere Vergabeverfahren machen.
Vielen Dank! – Frau Senatorin! Sie haben den Rahmen, der die Möglichkeiten bei der Auswahl der Betreiberinnen und Betreiber begrenzt, geschildert. Aber stimmen Sie mir zu, dass es ein relevantes Kriterium für die 70 Prozent Konzeptvergabe ist, ob Betreiber im Quartier
gut mit anderen Initiativen vernetzt sind – weil das die Integration der Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkünfte deutlich erleichtern würde – und dass man solche Kriterien möglichst stark gewichten könnte?
Die Betreiber, die sich bewerben, müssen auch mit den Unterstützerinnen und Unterstützern in den Bezirken zusammenarbeiten; sie müssen ein Netzwerk bilden. Es geht aber nicht, dass Betreiber, die jetzt schon vor Ort sind, die beispielsweise eine Interimsvergabe gewonnen haben und eine gute Arbeit machen, einfach dort bleiben, weil wir finden, dass die Arbeit super ist. Ich würde mir das wirklich total gern wünschen, aber das funktioniert nicht.
Wenn sich jemand aus Spanien oder Norwegen bewirbt – das hatten wir auch schon; wir haben auch einen Betreiber aus Norwegen, damals haben alle „Hilfe!“ geschrien, danach ist es leise geworden –, also auch neuen Betreibern kann ich nicht absprechen, dass sie sich entsprechende Netzwerke aufbauen. Deshalb gehört das zu dem diskriminierungsfreien Zugang, der bei einer europaweiten Ausschreibung vorgeschrieben ist, und daran werden wir uns in Zukunft halten.
Was Sie eben vorgeschlagen haben, ist ein Wunschgedanke, der sich aber nicht umsetzen lässt, weil er gegen die Richtlinien sprechen würde.
Vielen Dank! – Die Fraktion Die Linke fragt: Die Linksregierung hat sich ja vorgenommen, real Macht umzuverteilen und die Bürgerbeteiligung im Land Berlin enorm zu stärken. Jetzt möchten wir gern vom Senat wissen: Wie steht es um die Erarbeitung der „Leitlinien zur Bürgerbeteiligung“, und was können wir erwarten?
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Gennburg! Die Leitlinien zur Bürgerbeteiligung an der Stadtentwicklung sind ja gestartet mit einem
Senatsbeschluss im Frühjahr 2017; dann gab es ein Stadtforum. Vor knapp einem Jahr hat sich ein Arbeitsgremium aus 50 Prozent Bürgerschaft und 50 Prozent Politik, Verwaltung und Experten konstituiert.
Wir hatten am Montag eine sehr gut besuchte zweite öffentliche Werkstatt. Über 250 Leute, würde ich mal schätzen, waren da. Es ist ein erster Meilenstein vorgestellt worden, nämlich der Entwurf der Grundsätze für die Leitlinien der Bürgerbeteiligung. Elf Grundsätze sind dort aufgestellt und werden zur öffentlichen Diskussion gestellt. Wer sich daran noch weiter beteiligen möchte: Sie sind noch bis 21. Oktober Mitternacht online, und man kann also weitere Kommentare abgeben.
Das Ziel, das in dem Arbeitsgremium konsentiert ist, ist, dass die Leitlinien zwei Teile haben sollen: einerseits Grundsätze, andererseits Instrumente zur Umsetzung. Der Arbeitsprozess ist weit fortgeschritten, braucht aber noch ein bisschen. Die Herausforderung der nächsten Zeit wird sein – um auch das Budget der Bürgerbeteiligung der Zukunft festzulegen –, dass man rechtzeitig vor Haushaltsbeschlussfassung 2021 ein Ergebnis hat, mit dem man abschätzen kann, wie groß dann der Budgetaufwand ist.
Meine Einschätzung zum Stand der Dinge: Das Arbeitsgremium hat sich unglaublich viel auf den Tisch geholt und mit den Grundsätzen ein gutes Zwischenergebnis erreicht, und an dieser Stelle nutze ich die Gelegenheit, auch einmal für das ehrenamtliche Engagement zu danken.
Frau Abgeordnete Gennburg, Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage. – Keine Nachfrage. Dann geht die erste Nachfrage an den Abgeordneten Herrn Schlömer. – Bitte!
Wie beurteilt der Senat die schlechte Qualität des Beteiligungsportals im Land Berlin, in dem hoffnungslos veraltete Informationen zu Bürgerbeteiligungsprozessen zusammengefasst und eine alte Daten- und Faktenlage zusammengeführt worden sind?
Das Portal „MeinBerlin“ hat ja durchaus sehr unterschiedliche Einträge. Ich weiß, dass da von meinem Haus in der Regel aktuelle Vorgänge drin sind, und zum Thema Leitlinien der Bürgerbeteiligung gibt es eine eigene Plattform.