Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/0722
In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Hier hat der Abgeordnete Herr Otto das Wort. – Bitte schön!
[Bernd Schlömer (FDP): Ist die Regierung auch da? – Georg Pazderski (AfD): Niemand mehr da! Für wen reden wir denn hier?]
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gesund und asbestfrei wohnen in Berlin – das ist unser Ziel als Koalition, und ich denke, dem sollten sich alle im Raum auch anschließen können.
Ich bin auch froh, dass die Senatorin Lompscher jetzt da ist. Die ist sicherlich die Wichtigste an der Stelle. Aber es ist auch ein Gesundheitsthema, ein Umweltthema, ein Arbeitsschutzthema, ein Polizeithema und berührt die Finanzen. Daran kann man sehen, dass das Asbestthema in Berlin sehr breit und ein komplexes Thema ist. Viel
Wir waren da schon mal weiter, wenn man sich die Drucksache 731 aus der 14. Legislaturperiode anguckt. Das war eine Mitteilung – zur Kenntnisnahme – über eine Bestandsanalyse über Asbestgefahren. Da waren Typologien drin. Da waren Bestände, öffentliche Gebäude, Wohngebäude aufgelistet. Also da war im Jahr 2000 ein Anfang gemacht. Seitdem sind verschiedene Gebäude saniert worden, öffentliche Gebäude, landeseigene Wohnungen, auch Wohnungen im Privatbestand, aber insgesamt ist das zu wenig. Diesem Problem stellt sich die Koalition und – ich hoffe – dieses Haus. Wir wollen da mehr, und wir wollen Asbest aus den Wohnungen und öffentlichen Gebäuden in Berlin weghaben. Darum geht es heute.
Wenn Sie sich vorstellen, dass allein ca. 50 000 landeseigene Wohnungen mit Fußbodenbelägen, die asbesthaltig sind, heute noch ausgestattet sind, dann ist das schon eine ziemlich große Zahl. Wir wissen nicht, wie viele Wohnungen von privaten Eigentümern es sind. Wir schätzen, dass das ungefähr noch mal so viele sind, also insgesamt etwa 100 000. Es gibt auch noch einen Teil öffentlicher Gebäude. Sie haben in der letzten Zeit verfolgt, dass es bei einzelnen Schulen Asbestfunde gibt. Also wir haben noch eine ganze Menge zu tun, und da wollen wir ran. Ich hoffe, das machen wir gemeinsam.
Der Antrag zielt darauf, eine Strategie, die sicherlich längerfristig sein muss, das macht sich nicht von heute auf nächsten Montag, durch den Senat zu erarbeiten. Er zielt weiterhin darauf, auf der Basis von vorhandenen Vorkenntnissen, Bauakten, Normen herauszufinden, um welche Gebäude es im Einzelnen geht.
Und was ganz wichtig ist: Das finden Sie in der Ziffer 4. Wir wollen eine One-Stop-Agency für dieses Thema. Wir möchten, dass die Leute, die sich in Sorge um ihre Gesundheit und ihre Wohnung an eine Behörde wenden wollen, sich an eine Anlaufstelle wenden können und dass die nicht zwischen dem LAGetSi, dem Bezirksamt, der Senatsverwaltung, der Gesundheitsverwaltung, der Arbeitsverwaltung, der Berufsgenossenschaft hin und her rennen müssen. Wer in Sorge um die Gesundheit, die eigene, die der Kinder, die von Menschen, die sich in der Wohnung aufhalten, ist, der muss eine einheitliche Anlaufstelle im Land Berlin haben. Das soll mit diesem Antrag erreicht werden. Und das ist ein ziemlich großer Fortschritt, wie ich finde.
Alle, die dem Haushalt für die Jahre 2018 und 2019 im Dezember zugestimmt haben, haben Gelder bewilligt, sechsstellige Summen, die im Haushalt für genau dieses Thema eingestellt wurden. Ich bin sehr froh, dass dieses Parlament als Haushaltsgesetzgeber das erkannt hat und dass wir im Laufe dieses Jahres – da gucke ich noch mal zu Senatorin Lompscher, die wird das organisieren – so eine Beratungsstelle eröffnen werden. Damit haben wir einen ganz großen Schritt gemacht, den Leuten zu helfen, die in Sorge sind, den Leuten zu helfen, die wissen wollen: Ist denn nun in meiner Wohnung Asbest? – Und nicht nur Bewohnern, auch Eigentümern, auch anderen, die an dem Thema dran sind, wollen wir damit einen einfachen Weg zu Informationen und zu Behörden eröffnen. Ich glaube, das ist eine große Aufgabe, und ich bin sehr froh, dass das in diesem Jahr 2018 geschehen soll.
Zuallerletzt vielleicht noch zum Geld: Das ist ja ein Argument auch in Debatten der vergangenen Jahre gewesen – ui, teure Angelegenheit! Die Sanierung einer Wohnung, die etwa Asbestfußbodenbeläge hat, kostet schnell 10 000, 15 000 Euro. Das sind so Größenordnungen, die da genannt werden. Das ist viel Geld, aber das muss die Gesundheit der Leute und die Vermeidung von Krebserkrankungen uns an der Stelle wert sein. Deshalb, glaube ich, müssen wir die Finanzfrage stellen und diskutieren. Bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ist zum Teil schon Vorsorge getroffen worden. Bei Privaten wissen wir das nicht genau. Da wollen wir über die Senatsverwaltung ins Gespräch treten. Also auch Geld ist wichtig.
Es gibt jetzt einen Vorschlag, der war dieser Tage in der Presse: Die Baugewerkschaft schlägt vor, dass über ein Bundesprogramm die Entsorgung finanziert werden könnte. Auch über so etwas kann man diskutieren. Das wäre der nächste Schritt. Jetzt wollen wir die Strategie, jetzt wollen wir die Beratungsstelle. Damit geht es los, und dafür bitten wir natürlich auch um Ihre Zustimmung. – Herzlichen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Vor vier Jahren stand ich an selbiger Stelle. Ich weiß es deswegen noch ganz genau, weil Iris Spranger vor mir sprach und von dort oben ein Bürger runterrief: Ich bin Asbestbetroffener, ich habe Krebs. – Das ist schon ein Moment, wo man dann darüber nachdenkt: Oh Gott, was ist dem passiert? – Wenn man sich bei dem Thema etwas kundig macht, stellt man ziemlich
schnell fest, das ist nichts, was man mal links oder rechts wegwischen kann, sondern es betrifft uns alle.
In den Fünfzigern, Sechzigern und Siebzigern wurde so viel Asbest verbaut, ob Ost oder West, dass es heute noch schwierig ist, genau zu ermitteln: Wie viel? Wo? Was ist betroffen? – Wenn man mal genauer recherchiert, dann sieht man auch, es ist so unglaublich kompliziert, es wurde in Bügelbrettern, Dachböden, Garagen, in den einfachsten Formen verarbeitet, weil es so billig ist, als Werkstoff damals das Nonplusultra war, von jedermann bezogen werden konnte und von jedermann verwendet wurde. Diese Konsequenzen tragen wir heute.
Ich sage in aller Offenheit: Auch damals fand ich es schon gut, dass die Grünen die Initiative – damals hieß es noch Große Anfrage – hier eingebracht haben. Es ist konsequent, dass das Sie heute in Regierungsverantwortung vortragen, und ich kann Ihnen sicher sagen: Die CDU-Fraktion wird sich bei diesem Thema keineswegs verstellen, überhaupt nicht irgendwie in großer Distanz dazu agieren. Aber natürlich müssen wir kritisch beleuchten, was in so einem Antrag vielleicht weniger gut oder gar sehr schwierig in der Umsetzung sein wird. Das versuche ich jetzt ganz kurz zu tun.
Seit 1993 ist Asbest verboten, 25 Jahre mittlerweile, wo es nicht mehr verbaut werden kann, und trotzdem, wenn man dann recherchiert, wenn man heute aktuell die Tageszeitung liest: zwischen 40 000, 50 000 bis zu 250 000 Wohnungen sind betroffen; bei nicht einmal 2 Millionen Wohnungen in ganz Berlin ist das schon eine enorme Zahl. Wir haben gerade von Herrn Otto gehört: Was kostet das eigentlich, Asbest dann wegzumachen, es zu ersetzen durch andere Werkstoffe etc.? Dann sind es 10 000, 15 000 Euro pro Wohnung. Natürlich muss uns die Gesundheit etwas wert sein! Denn das ist etwas, das gar nicht verhandelbar ist. Worüber will man denn verhandeln? Dass ich in Kauf nehme, in zehn, 20 oder 30 Jahren an Krebs erkrankt zu sein? Nein! Ich habe auch mit dem Mieterverein noch mal gesprochen. Es ist doch kein Anreiz, 20 Prozent Mietminderung zu bekommen, weil ich in einer asbestverseuchten Wohnung lebe, das feststelle und dann sage: Na ja, aber wenigstens habe ich 20 Prozent und in 20 Jahren vielleicht Krebs. Ich glaube nicht, dass das ein Kompromiss oder ein Konsens ist, den hier irgendjemand unterschreiben will. Deswegen müssen wir mal genauer hinschauen, wie wir bei diesem Thema vorankommen.
Es gab Überlegungen einer Sofortabstimmung. Ich glaube, das wäre ein Fehler gewesen. Wichtig ist, dass wir im Fachausschuss und auch mit den entsprechenden Experten uns darüber unterhalten, was geht und was nicht geht. Wer finanziert welchen Schritt? Muss wirklich jede Wohnung noch mal untersucht werden, was zwischen 300 und 1 500 Euro kostet? Oder setzen wir auf Frei
willigkeit, dass jeder das meldet und vielleicht ein Subventionsprogramm oder Ähnliches mitentwickelt wird?
Das sind Fragen, über die wir reden müssen. Wir müssen auch darüber reden, welche Rechtsgrundlage es überhaupt gibt, ein öffentliches Register einzuführen. Auch das kann ja nicht selbstverständlich sein zu sagen: Deine Wohnung ist asbestverseucht, du hast Pech gehabt als Eigentümer. Wir stellen dich jetzt mal an den Pranger. – So kann es auch nicht funktionieren.
Und, was in der Öffentlichkeit auch seltener bekannt ist: Asbest als solcher ist ja nicht sofort krebserregend, sondern erst, wenn er zerbröselt, wenn die Fasern sich zerkleinern, irgendwo reingebohrt wird oder Ähnliches oder eine Platte kaputtgeht. Dann gibt es lungengängige Schwierigkeiten, dann kann Krebs auftreten. Aber grundsätzlich ist Asbest nicht sofort krebserregend, sondern nur, wenn damit gearbeitet wird. Also Sie sehen, da steht einiges vor uns.
Auch bei den öffentlichen Unternehmen haben wir eine Verpflichtung. Wir haben ca. 40 000 bis 50 000 Wohnungen, die in öffentlicher Hand sind, also jede sechste Wohnung von den 300 000, die auch davon noch betroffen ist. Mir liegt bis heute kein Sanierungsfahrplan vor. Auch das ist eine Aufgabe, die wir ganz direkt als Senatsverwaltungen, die davon auch betroffen sind, die zuständig sind, sich auch die Frage stellen lassen müssen, was in den letzten vier Jahren eigentlich passiert ist. Die Broschüre wurde überarbeitet. Es gibt ein bisschen mehr Informationsblätter. Man hat ein, zwei mehr Erkenntnisse. Aber man muss sich auch, das wird im Ausschuss passieren, die Frage gefallen lassen: Was ist denn eigentlich in den letzten Jahren konkret unternommen worden? Was ist denn passiert bei den in der öffentlichen Hand befindlichen Wohnungen? Und da haben wir noch einige Fragen.
Ich bin deswegen sehr offen für die Fachausschussdebatten. Das gilt für die gesamte CDU-Fraktion. Wir werden uns diesem Thema sehr offen stellen und hoffen, dementsprechend dann für die Bürgerinnen und Bürger in Berlin etwas tun zu können und hier mit der Gesundheit nicht zu spaßen oder zu spielen, im Gegenteil, sehr verantwortungsvoll damit umzugehen. – Vielen Dank!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Präsidentin! Die Gesundheit ist das höchste Gut eines jeden Menschen. Meine beiden Vorredner haben das auch
betont. Auch ich kann das nur unterstreichen. – Herr Freymark! Sie haben eine Situation hier im Parlament geschildert, die war 2014, wo ich selber erschrocken war, weil oben eine betroffene Familie saß. Ich habe mich dann mit der betroffenen Familie getroffen, bin zur Wohnungsbaugesellschaft gegangen, weil die in einer Wohnung einer Wohnungsbaugesellschaft gewohnt haben, und stehe seitdem konkret mit der Familie in Verbindung, heute noch mit der Frau, denn er ist leider im letzten Jahr verstorben. Ich habe dann dafür gesorgt, dass ein Umdenken in dieser Wohnungsbaugesellschaft passiert ist. Das ist sehr wichtig.
Theoretisch ist es seit über 100 Jahren bekannt. Die Bundesrepublik hat es praktisch seit 1993 verboten. Das ist richtig so, weil das dann eben entsprechend auch festgestellt worden ist, dass es krebserregend ist. Deshalb muss der Gesundheitsschutz im Vordergrund stehen. Und nicht nur einerseits Vermieterinnen und Mieter, was unwahrscheinlich wichtig ist; man muss hier auch die ausbauenden Firmen und die Handwerker betrachten. Auch die sind dann alle davon betroffen, wenn beispielsweise Platten angebohrt worden sind, ob absichtlich oder unabsichtlich, und das Ganze freigesetzt wird, dass das sich dann wirklich definitiv in dieser Wohnung befindet.
Wir kommen natürlich voran. Ich habe das auch aufgrund dieser persönlichen Erfahrung, die ich hier gemacht habe, wo ich gedacht habe, die stürzen mir da gleich beide runter bei meiner Rede, weil die so erbost waren, habe ich über die ganzen Jahre, das haben wir jetzt auch in der Koalition, das haben wir mit Ihnen in der letzten Koalition gemacht – wir haben besonders bei unseren landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften darauf geachtet, dass jetzt wirklich sehr viele Wohnungen asbestsaniert werden und worden sind.
Die Wohnungsbaugesellschaften – das muss ich wirklich loben – haben mehrere Tausend Wohnungen bereits asbestsaniert. Das ist sehr wichtig. Es gibt noch Wohnungen – das können 100 000 sein, vielleicht sind es sogar mehr –, die asbesthaltige Fußbodenplatten, Dachplatten etc. drin haben. Es gibt wohl 3 000 Produkte, die so etwas drin haben können; das muss man sich mal vor Augen halten. Stichproben zeigen, wo Asbest in Gebäuden immer noch allgegenwärtig ist. Damit sind auch Heim- und Handwerker sehr gefährdet. Viele Bewohner wissen auch heute noch nicht, ob sie in Wohnungen mit asbesthaltigen Produkten leben. Es ist vorhin schon gesagt worden: Es gab eine Zeit, wo das ganz rege aus finanziellen Gründen so gebaut worden ist. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir etwas tun und noch mehr tun müssen – neben der Information. Denn Mieterinnen und Mieter, Handwerker müssen wissen: Kann in meiner Wohnung so etwas verbaut worden sein? Und wie muss ich mich richtig verhalten? – Bisher ist es so, dass die meisten gar nicht wirklich wissen, was sie in so einem Fall machen müssen. Habe
ich es, habe ich es nicht? Deshalb haben wir hier Forderungen aufgestellt, die im Ausschuss diskutiert werden. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir darüber informieren: Was muss gemacht werden, wenn ich feststelle, dass ich so was habe? Und wenn ich noch einen Wunsch frei habe: In so einem Register muss stehen: Wie ist der Sanierungsstand? Was wurde eingesetzt? Wann und wie plant eine Gesellschaft, das Problem tatsächlich anzugehen und umzusetzen?
Wir müssen also ein Beratungsangebot bezüglich der Sanierungsstrategien zur Beseitigung von Asbestbauteilen und -belastungen nicht nur für Mieterinnen und Mieter, sondern auch für alle Eigentümer anbieten. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir so eine Anlaufstelle machen. Und wir müssen Geld in die Hand nehmen, was wir schon einerseits machen, aber wir müssen auch für die Privaten selbstverständlich etwas anbieten. Es kann ein Bundesprogramm sein, es kann ein Landesprogramm sein, es kann aber auch ein EU-Programm sein.