Protocol of the Session on May 14, 2009

beiten, das immer wieder mal in die Kritik gerät, das umstritten ist. Aber mit einer gewissen Sauberkeit der Definition ist das, glaube ich, alles möglich.

Wir haben eine weitere günstige Bedingung auf diesem Gebiet, nämlich dass es eindeutig darum geht, mit solchen Überlegungen zur Erinnerungskultur Demokratie zu befördern. Die Frage, die steht, ist nur - und das macht einen Unterschied -, ob man heutige Demokratieentwicklung vor allem oder einzig daraus begründet, dass das, was war, nicht wieder sein darf, oder ob man auch Anforderungen an Demokratie entwickelt, die sich aus dem Heute ergeben. Dabei eines gegen das andere auszuspielen geht sicher nicht, aber die Schwerpunktsetzung dürfte eindeutig sein.

Trotzdem gibt es Kritik. Ich will es ganz kurz sagen. Das Einfachste wäre, so wie auch in der Anhörung gesagt: Ändern Sie die Überschrift! Das würde vieles erleichtern, würde die Debatte befördern, würde die Auseinandersetzung auf unproduktiven Strecken verhindern. Wir könnten ruhiger darüber reden, wenn ideologische Versatzstücke daraus verschwänden und wenn noch einmal genau geguckt würde, wo wir beim Stand der Wissenschaft in Brandenburg weiter sind, als es dieses Papier durch einige wenige Einsprengsel darlegt.

Ich glaube, es muss noch einmal methodisch geguckt werden, ob da etwas zu tun ist. Auf jeden Fall sollte Ziel sein, dass durch einen sensiblen und konsequenten Umgang mit Erinnerungspolitik zu einer hohen Kultur des Erinnerns im Land Brandenburg beigetragen werden kann. Die Linke wird sich an diesem Prozess kritisch, aber vor allem konstruktiv beteiligen. Die Reibungspunkte, glaube ich, können wir produktiv machen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält die Abgeordnete Dr. Münch.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mitte Januar legte das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur einen ersten Entwurf des Konzepts „Geschichte vor Ort: Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990“ vor und stellte den Text zur allgemeinen Diskussion ins Internet ein. Dieses Angebot zur öffentlichen Diskussion ist auf großes Interesse bei den Verfolgtenverbänden, bei Wissenschaftlern und zeithistorisch interessierten Bürgern gestoßen. Das von Ihnen, Frau Ministerin, gewählte transparente Verfahren ist vorbildlich für den Umgang mit der Meinung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger und empfiehlt sich zur Nachahmung. Ich glaube, es ist ein gutes Beispiel für Demokratie und Transparenz, das wir öfter so anwenden sollten.

Die vielen Stellungnahmen zum Konzept, die ebenfalls eingestellt wurden, spiegeln die Bandbreite der aktuellen Diskussion wider und zeigen das Bedürfnis der Menschen in Brandenburg auf, an einer dezentralen und pluralistischen Erinnerungskultur mitzuwirken. Auch unser Kulturausschuss war und ist sehr interessiert daran, dieses Projekt zu begleiten. Deshalb haben wir bereits am 11. März eine Reihe von hochrangigen Wissenschaftlern zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen. Die Beiträ

ge zu dieser Anhörung sind ebenfalls dokumentiert. Sie trugen in erheblichem Maße auch zur Überarbeitung des Entwurfs bei.

Als Vertreterin der Niederlausitz freue ich mich ganz besonders darüber, dass auch das Geschick der Sorben und Wenden in das Konzept „Erinnerungskultur“ Eingang gefunden hat; vielleicht auch infolge der intensiven Anhörungen.

Das Konzept bietet einen umfassenden Überblick über bestehende Erinnerungsorte, zeigt aber auch Handlungsfelder für einzelne Einrichtungen auf, die noch der historischen Aufarbeitung bedürfen. Meine Vorredner haben das bereits erwähnt. Dabei wird in der Bestandsaufnahme zwischen zeitgeschichtlichen Museen, Gedenkstätten und denkmalgeschützten baulichen Dokumenten unterschieden. Das Konzept „Erinnerungskultur“ orientiert sich an einer Prämisse moderner Gedenkstättenarbeit, wie sie seit Jahren in Brandenburg praktiziert wird und die auf den Historiker und Politologen Bernd Faulenbach zurückgeht. Dieser forderte bereits 1994 in einer Enquetekommission des Bundestages, einerseits die NSVerbrechen durch die Aufarbeitung stalinistischer Verbrechen und des DDR-Unrechts nicht zu relativieren, andererseits die stalinistischen Verbrechen und das DDR-Unrecht mit dem Hinweis auf die Dimension der NS-Verbrechen nicht zu bagatellisieren. Das ist, meine ich, die entscheidende Formel. Wir haben auch gestern in einer sehr nachdenklichen und guten Diskussion anhand des Gesetzes über den Diktaturbeauftragten darüber noch einmal debattiert.

Dieser Umgang mit Geschichte ist vor allem in Gedenkstätten mit einer sogenannten doppelten Vergangenheit, wie beispielsweise Sachsenhausen, alternativlos. Jeder kann sich überzeugen, dass die dort befürchtete Relativierung von NS-Verbrechen nicht stattgefunden hat. Die teils aufgeregten Diskussionen zu einem Diktaturbeauftragten hätten schnell versachlicht werden können, wenn sich die Akteure vorher dieses Konzept und diese These von Faulenbach zu Herzen genommen hätten.

Das nun vorliegende Konzept, das auf eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag für diese Legislatur zurückgeht, versucht, die unterschiedlichen historischen Epochen des vergangenen Jahrhunderts mit der Alltagsperspektive der Menschen zu verknüpfen. Sie haben sehr richtig darauf hingewiesen, Frau Wanka, dass noch großer Bedarf darin besteht, die Repressionsgeschichte mit der tatsächlichen Alltagsgeschichte, mit dem erlebten Leben der Menschen in Beziehung zu setzen und zu verknüpfen. Diesen Ansatz finde ich richtig, weil dadurch weitere vertiefende Diskussionen vor Ort initiiert werden.

Weitgehender Konsens, vielleicht auch, weil es historisch schon länger zurückliegt, herrscht bei der Bewertung des nationalsozialistischen Völkermords und bei der Beurteilung des nationalsozialistischen Krieges zur Unterwerfung Europas unter die Herrschaft Deutschlands. Nicht zu vergessen natürlich die Verbrechen gegen Homosexuelle, behinderte Menschen und politisch Andersdenkende. Dieser bis dahin unvorstellbare Zivilisationsbruch in der Moderne ist inzwischen Teil der globalen Erinnerungskultur und hat Eingang in fast alle Geschichtsbücher dieser Welt gefunden. Dennoch haben wir Deutschen die besondere Verpflichtung, die Erinnerung an die von unseren Vätern und Großvätern begangenen und geduldeten Gräueltaten wachzuhalten und der Opfer zu gedenken.

Die Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen und des DDR

Unrechtssystems dagegen ist eine neue Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Hierzu gibt es noch keinen gesamtgesellschaftlichen, allgemein akzeptierten Konsens. Allerdings kann die Geschichte der sowjetischen Besatzungszone und der DDR nicht ohne Kenntnis über den unmittelbar vorangegangenen Nationalsozialismus verstanden werden, wobei Verstehen überhaupt meint, dass man etwas einordnet, es ist nicht im Sinne von Legitimieren gemeint. Ohne die NS-Diktatur hätte es keine sowjetischen Speziallager gegeben, deren Funktion zwischen alliierter Entnazifizierung und stalinistischer Repression lag. Herr Dombrowski hat gestern auch ausgeführt, dass es noch Menschen gibt, die tatsächlich in beiden Internierungslagern waren.

Deshalb muss ein abstraktes Gedenken an sämtliche Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, in dem nicht der konkrete historische Kontext genau berücksichtigt wird, auch vermieden werden. Ich würde mir wünschen, dass es irgendwann einmal möglich sein wird, dass die Opfer aus beiden Diktaturen, aus beiden Epochen einander die Hand reichen und das Leiden des jeweils anderen akzeptieren. Herr Beleites, der Beauftragte für die Stasi-Unterlagen aus Sachsen, hat uns ermutigende Beispiele dafür geliefert, dass dies möglich sein kann und auch sein wird.

Wie nicht anders zu erwarten, wurden bei der Anhörung auch kritische Punkte genannt. In die jetzt vorliegende überarbeitete Version wurde größtenteils die Kritik mit aufgenommen und positiv gewendet in das Konzept integriert. Auch dafür vielen Dank. Ich meine, dass es für die Menschen, die bereit waren, eine Stellungnahme abzugeben, eine große Bestätigung auch von Politik- und Demokratiefähigkeit war, dass man sie nicht nur anhört, sondern dass man das tatsächlich integriert. Das ist sicherlich ein gelungenes Beispiel hierfür.

Ich möchte trotzdem einige Kritikpunkte aufgreifen, weil ich denke, dass an ihnen exemplarisch auch die Tragweite des Konzepts „Erinnerungskultur“ zum Vorschein kommt. Alle Experten waren sich einig, dass das Konzept eine hervorragende Diskussionsgrundlage darstellt und klar zwischen beiden Diktaturen differenziert. Allerdings forderten sie ein weiteres Konzept, nämlich ein Konzept über das Lernen an historischen Orten. Das müsste entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrer beinhalten, entsprechende Ressourcen für Gedenkstättenpädagogik bereithalten und Anreize für Schüler schaffen, sich mit dem Erinnern auseinanderzusetzen. Eine Überwältigungspädagogik in diesem Sinne, man führt die Schüler in die KZs, man sieht, wie furchtbar das alles war, und dann ergibt sich alles Weitere schon von allein, wurde berechtigtermaßen von allen abgelehnt.

Ein weiterer Kritikpunkt war, dass im Umgang mit der DDR eine stärkere Differenzierung erfolgen sollte. In den verschiedenen Phasen der DDR-Geschichte habe ein unterschiedliches Unterdrückungssystem geherrscht. Auch der Begriff „SEDDiktatur“ wurde infrage gestellt, da es sich in der DDR um die Diktatur einer Funktionärskaste über das ganze Volk gehandelt habe und viele zentrale wirtschafts- und kulturpolitische Entscheidungen in Bezug auf das Alltagsleben in der DDR nicht hinreichend beschrieben seien.

Das Thema Antifaschismus spielte ebenfalls eine Rolle. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Antifaschismus zwar einerseits von der offiziellen DDR-Staatsdoktrin funktionalisiert wurde, andererseits aber auch ganz konkret Bezugspunkt für

viele Oppositionelle in der DDR war. Deswegen wurde eine differenziertere Betrachtung dieses Themas gewünscht.

Die Internationalität der Forschung wurde als nicht ausreichend bezeichnet, wobei die Gedenkstättenarbeit und auch die Opfer selbst längst international ausgerichtet sind.

Es wurde angeregt, das Bespitzelungs- und Denunziationssystem innerhalb der DDR-Gesellschaft nicht nur als Randthema zu behandeln, sondern im Zusammenhang mit den heutigen Gedenkstätten intensiver zu berücksichtigen.

Zwar werde im Konzept eingeräumt, dass es bislang in Brandenburg kaum Ausstellungsprojekte zur friedlichen Revolution gebe; zugleich werde aber verschwiegen, dass sich in der letzten Phase der DDR eine Vielzahl von oppositionellen Gruppen und Parteien gegründet habe, beispielsweise das Neue Forum, „Demokratie jetzt!“, der Demokratische Aufbruch, die SDP und eben die SED-PDS. Mit Ausnahme der SDP wird keine dieser Gruppierungen erwähnt, obwohl sie alle an der Vorbereitung der friedlichen Revolution beteiligt waren.

Die Kirchen schließlich würden sich wünschen, dass die Kirchengemeinden nicht nur als Sammelbecken der Oppositionsbewegung der zu Ende gehenden DDR wahrgenommen würden, sondern dass deren Rolle zu DDR-Zeiten intensiver beleuchtet würde.

Noch ungenügend thematisiert sei die Rolle der Massenorganisationen und der Parteien in der DDR. In dem Konzept sei zwar viel von „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ die Rede; mit keinem Wort erwähnt werde jedoch die Rolle von CDU, LDPD, DBD und NDPD. Auch auf die Massenorganisationen FDGB, FDJ, DFD, Kulturbund und Nationale Front wird nicht eingegangen, obwohl diese ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle bei der Stabilisierung des DDR-Machtgefüges spielten. Ich denke, diesen Punkt müssen wir tatsächlich auch im gesellschaftlichen Diskurs erweitern.

Die angesprochenen Kritikpunkte sind berechtigt, aber das Konzept beansprucht nicht, ein abschließendes Konzept zu sein. Die Ministerin hat es schon aufgeführt: Es geht um den weiteren gesellschaftlichen Diskurs und das weitere gesellschaftliche Bemühen, um geschichtliche Einordnung und einen gesellschaftlichen Konsens.

Ich denke, es ist deutlich geworden, dass die Aufarbeitung der diktatorischen Vergangenheit von enormer Bedeutung für die Gestaltung unserer demokratischen Gegenwart und Zukunft ist. Ich hoffe, dass die vielen Anregungen des Konzepts zu weiteren Diskussionen führen und auch vor Ort von den Menschen aufgegriffen werden. Auch der Gesetzentwurf zu einem Beauftragten für Diktatur und Stasiunterlagen, über den wir gestern beraten haben, ist in diesem Zusammenhang folgerichtig und, wie im Konzept vorgeschlagen, Bestandteil des Konzepts „Erinnerungskultur“. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Der Abgeordnete Nonninger setzt für die DVU-Fraktion fort. Inzwischen begrüße ich die Auszubildenden der Berufsschule

des Internationalen Bundes Potsdam. Herzlich willkommen! Auch das gehört zur Ausbildung.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Konzept der Landesregierung „Geschichte vor Ort: Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990“ hat die Landesregierung ein Grundsatzpapier verabschiedet, das sich mit der deutschen Zeitgeschichte befasst und eine erste Bilanz der Aufarbeitung nach 20 Jahren deutscher Einheit ziehen soll.

Gemäß Vorwort zum Konzept war es Anliegen der Landesregierung, die Weiterentwicklung der Erinnerungskultur als nachvollziehbaren und transparenten demokratischen Prozess zu gestalten. Dazu konnten über 100 Einrichtungen und Einzelpersonen ihre Stellungnahmen abgeben, was zweifellos positiv zu bewerten ist, genauso wie die entsprechende Veröffentlichung im Internet. Letztendlich kommt es aber auf die Gewichtung und die jeweilige Berücksichtigung im überarbeiteten Konzept an. Die Aufarbeitung der Vergangenheit wird als gemeinsame Aufgabe der Zivilgesellschaft sowie der Kommunen und des Landes beschrieben.

Selbstverständlich steht auch unsere DVU-Fraktion für eine umfassende, pluralistische Aufarbeitung und Deutung der Zeitgeschichte. Natürlich sollten alle Verfolgten- und Opferverbände in die Diskussion über die weitere Ausgestaltung einbezogen werden. Es ist richtig, dass die Politik die Rahmenbedingungen zu schaffen hat, unter denen sich die Aufarbeitung von Geschichte auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschungsergebnisse pluralistisch entwickeln kann.

Während die Aufarbeitung der Vergangenheit für die Zeit von 1933 bis 1945 auf allen gesellschaftlichen Ebenen in der jüngsten Vergangenheit, also ab 1990, schon recht gut klappte, tat und tut man sich mit der Zeit von 1945 bis 1990 recht schwer. Diesen Fakt stellt auch der Landesbeauftragte von Berlin für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR fest, wenn er davon spricht, dass es in Brandenburg eine starke regierungsamtliche Tendenz gab, die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur zu meiden. Als deutlichen Ausdruck dessen sieht er auch die Nichtbestellung eines brandenburgischen Landesbeaufragten für die Stasiunterlagen, die nun doch längst überfällig - gestern erfolgte.

Dass wir noch am Anfang der Aufarbeitung stehen, hat vor geraumer Zeit auch die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen festgestellt. Dabei ist genug Material vorhanden. Denn schon 1992 gab es die Enquetekommission zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur und ab 1998 deren Nachfolgekommission. Sage und schreibe 32 Bände mit 30 000 Druckseiten dokumentieren die von der Kommission veranlassten 300 Gutachten und Expertisen sowie 68 öffentliche Anhörungen von über 600 Zeitzeugen, Politikern und Wissenschaftlern.

Meine Damen und Herren, genug Material ist also da. Doch wo blieb und wo bleibt die Weitervermittlung? An den Schulen jedenfalls ist die Aufarbeitung nach wie vor nicht zufriedenstellend. So ist laut Umfrage bei immerhin knapp einem Drittel

der Schülerinnen und Schüler die DDR-Geschichte überhaupt nicht behandelt worden.

Interessant und unterstützenswert sind die Anmerkungen von Frau Dr. Kaminsky von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die um eine Prüfung gebeten hat, inwieweit in Abschnitt 1.2 - Aufarbeitung seit 1990 - unter dem Punkt „Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur“ auch die Auseinandersetzung mit Themen wie Nostalgie, Verklärung und Verharmlosung der Vergangenheit, wie wir sie auch heute wieder von der Linkspartei hier in diesem Parlament hören, aufgenommen werden sollte. Wir hoffen, dass das vorliegende Konzept einen Beitrag zu leisten vermag, die bisherigen Defizite abzubauen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Der Abgeordnete Dr. Niekisch spricht für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht heute um das Konzept der Landesregierung „Erinnerungskultur im Land Brandenburg“ - so viel Zeit muss sein - „für die Zeit von 1933 bis 1990“. Ich denke, die Zeit ist reif, dass man mit einigem Abstand gemeinsam in ganz Deutschland diese gesamte Epoche betrachten kann - bei aller großen Unterschiedlichkeit der Diktaturen und Epochen, was das qualitative und das quantitative Ausmaß der Verbrechen betrifft.

Wir feiern in diesem Jahr 60 Jahre Grundgesetz und 60 Jahre Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Ein Drittel dieser Zeit, nämlich die vergangenen 20 Jahre, haben wir schon gemeinsam verbracht. Das ist eine gewisse Wegmarke. Man sieht, dass die Verwirklichung des Wortes von Willy Brandt „Es wächst zusammen, was zusammengehört“ - genauso lange dauert wie das Erblühenlassen der Landschaften nach Helmut Kohl. Aber 20 gemeinsame Jahre von insgesamt 60 - das ist schon was. Deswegen ist es sowohl wissenschaftlich als auch politisch-pädagogisch gerechtfertigt, 57 Jahre Abwesenheit von Demokratie, von freien Wahlen, von Meinungsfreiheit, von Menschenrechten - man muss sogar von der Brechung von Menschenrechten sprechen, wenn es um Mord, Staatsterror und politische Verfolgung geht - in einen Blick zu nehmen. Gerade die vorliegende Konzeption gibt sich große, manchmal sogar größte Mühe, nicht anstößig zu sein, keine Tabus zu verletzen und nicht in irgendeinen Konflikt mit politischer Korrektheit zu kommen.

Herr Hoffmann, mit Ihrem Vergleich von Äpfeln und Birnen machen Sie es sich zu einfach. Wenn Sie die Fragen stellen, ob Walter Ulbricht und Erich Honecker Massenmörder waren und ob sie nach rassischen Grundsätzen Vernichtungsfeldzüge und Angriffskriege geführt haben, dann lautet die Antwort: Natürlich nicht. An dieser Stelle gibt es große Unterschiede. Aber da sie gerade aus dieser fürchterlichen Geschichte nicht gelernt und eine neue Diktatur errichtet haben, ist das ähnlich schwierig. Das Teuflische, Fanatische und Unbegreifbare der nationalsozialistischen Diktatur ist mir einmal in Amerika vor Augen geführt worden, als ich als junger Mann, nachdem ich in den Westen reisen durfte und von einem Mitglied der Jüdischen Gemeinde in New York gefragt wurde:

„Junger Mann, Sie sehen mit Ihren Haaren und Ihrer Brille so deutsch aus. Wie können Sie mir erklären, dass Ihre Kulturnation mit den drei großen Bs - Bach, Beethoven, Brahms - so etwas vollbringen konnte?“ Es ist einzigartig, Millionen von Menschen zu verfolgen, einzusperren, zu vergasen oder sonst wie zu vernichten. Da kann man gar nicht genug unterscheiden.

Dennoch war das vergangene Jahrhundert ein Jahrhundert der Diktaturen. Diese waren auch konsekutiv. Gerade die starke Bezugnahme der SED bzw. der Staatsführung der DDR auf das nationalsozialistische Unrecht, vor allem die Instrumentalisierung dieses Unrechts und seiner Opfer, bietet die Grundlage für eine gemeinsame Betrachtung.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat einen schwierigen Weg gewählt, und ich bin, weil ich von Hause aus auch Historiker bin,

(Dr. Klocksin [SPD]: Das merkt man gar nicht, wenn Sie so erzählen!)

mit wirklich spitzen Fingern an diese Konzeption gegangen. Aber wer auch immer in der Landesregierung oder im Wissenschaftsund Kulturministerium auf diese famose Idee gekommen ist, diese großangelegte Konzeption, die natürlich einige Unzulänglichkeiten hatte und gerade wegen des großen Anspruches nicht vollkommen sein konnte, ins Internet zu stellen und über 100 Privatpersonen, Institutionen, Opferverbände und Interessierte anzuschreiben, der ist - das meine ich ohne Ironie - verdächtig für den Roten Adlerorden; denn das hat der Konzeption wirklich genutzt. Sie ist um ein Viertel länger geworden. Hier in sieben Minuten über 125 Seiten mit Anhang und über 57 Jahre oder sogar länger zu reden ist sowieso schwierig.