Protocol of the Session on May 14, 2009

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Herzlichen Dank. - Ich schließe die Aussprache. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 43 ist somit zur Kenntnis genommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 5 und rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Geschichte vor Ort: Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990

Konzept der Landesregierung

Drucksache 4/7529

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der Landesregierung. Frau Ministerin Prof. Dr. Wanka, Sie erhalten das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir feiern im Jahr 2009 den 20. Jahrestag der friedlichen Revolution und den Jahrestag der deutschen Einheit. Das heißt, wir haben 20 Jahre erlebte und gelebte Demokratie für den Bereich, über

den wir zu diesem Tagesordnungspunkt diskutieren, hinter uns. In diesen 20 Jahren gab es lange und pluralistische Diskussionen sowie teilweise sehr kontrovers geführte erinnerungskulturelle Debatten. Zudem haben wir sehr viele Projekte der zeitgeschichtlichen Aufarbeitung. Dies alles ist Grund genug, an dieser Stelle Bilanz zu ziehen.

Ihnen liegt unser Konzept mit dem Titel „Geschichte vor Ort: Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990“ vor. Zum einen ist dies ein Grundsatzpapier der Landesregierung zum Umgang mit der Zeitgeschichte. Wir wollen mit ihm die Diskussion um gesellschaftlich verhandelte, nicht: verordnete, Leitlinien für eine demokratische Erinnerungskultur führen. Zum anderen wird damit zum ersten Mal von einem Bundesland eine systematische Bestandsaufnahme in diesem kulturpolitisch wichtigen Feld vorgelegt.

Wir haben in Brandenburg eine vielfältige und dezentrale Erinnerungskultur. Dass dies so vielfältig ist, verdanken wir den gemeinsamen Anstrengungen vom Bund, vom Land und von den Kommunen. Ein besonderer Verdienst kommt dabei den vielen ehrenamtlich Engagierten vor Ort - den Initiativen, den Verfolgtenverbänden, den Opferverbänden und auch Einzelpersonen - zu. Deshalb war es für uns wichtig, dass insbesondere diejenigen, die sich enorm engagiert haben, die Möglichkeit erhalten, in diesen Diskussionsprozess einbezogen zu werden. Aus diesem Grund haben wir eine vielleicht nicht gewöhnliche Variante gewählt. Wir haben in meinem Haus ein Konzept erarbeitet und es ins Internet gestellt. Dabei haben wir mehr als 100 Initiativen und Verbände angeschrieben und sie aufgefordert, uns Anregungen zu geben und sich zu positionieren, was sie davon halten. Mehr als 80 Stellungnahmen sind eingegangen, was eine sehr hohe Quote ist.

Die Stellungnahmen von denjenigen Betroffenen, die damit einverstanden waren, haben wir ins Netz gestellt. An den Reaktionen ist zu erkennen, dass die große Mehrheit positiv angenommen hat, dass wir diesen Weg gehen. Zudem wurde das Papier als ausgewogen bewertet. Natürlich gab es eine Fülle von Anregungen, Korrekturen, von Meinungen. Ich glaube, es ist uns gelungen, vieles von dem, was dort als Kritik oder Anregung eingebracht wurde, in das überarbeitete Papier der Landesregierung, das Ihnen heute vorliegt, einzuarbeiten.

Nun möchte ich noch etwas zu den Zielen und den wichtigsten Ergebnissen des Konzepts sagen. Anschließend möchte ich etwas zu einem Punkt sagen, der mir sehr wichtig ist und über den ich auch gern streiten möchte. Dabei geht es um die Frage nach der Rolle der Landesregierung. Was hat denn eine Landesregierung in einem solchen Prozess an Aufgaben, Rechten, Pflichten und Möglichkeiten?

Als dritten Punkt: Was folgt denn daraus, dass wir eine Bilanz gezogen und uns verständigt haben? Was sind die Konsequenzen? Was ist der Mehrwert für die Zukunft?

Zu Punkt 1, den Zielen und wichtigsten Ergebnissen: In einem grundsätzlichen Teil legen wir unsere Überzeugung und die Prämissen aus Sicht der Landesregierung für den Umgang mit der Geschichte dar. An dieser Stelle ist es vor allen Dingen der Bezug zur Geschichte des Nationalsozialismus, zur sowjetischen Besatzungszeit und den DDR-Verhältnissen. Diese Frage wurde immer emotional diskutiert und wird immer noch sehr intensiv diskutiert.

Wir treffen hier immer wieder auf die Befürchtung der in der NS-Zeit Verfolgten, dass die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur dazu führen könnte, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert würden. Auf der anderen Seite fühlen sich die Opfer der Diktatur nach 1945 oft als Opfer zweiter Klasse. Deswegen ist es außerordentlich wichtig, wie wir das aus Sicht der Landesregierung werten.

Ich glaube, wir haben deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es sich beim nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden, den Sinti und Roma und an all den anderen Opfern um einen unvorstellbaren Zivilisationsbruch handelt. Wir betonen auch die herausgehobene Bedeutung nicht nur in der brandenburgischen, sondern auch in der globalen Kultur.

Zudem setzt sich die Landesregierung dafür ein, dass die stalinistischen Verbrechen und das Unrecht der SED-Diktatur eindeutig und ungeschönt genannt werden. Hierzu gehört auch unsere Überzeugung - das ist immer wieder kontrovers diskutiert worden -, dass es eben nicht reicht, die Repressionsgeschichte zu erzählen, sondern es ganz wichtig ist, dies auch mit der Alltagsgeschichte und der Herrschaftsgeschichte zu verbinden.

Die Kluft bei vielen Menschen zwischen dem, was sie aus ihrem Leben in der DDR erinnern, und der öffentlichen Geschichtsauffassung, macht notwendig, dass man gerade anhand der Alltagsgeschichte aufzeigt, wie dort die Wirkungsmechanismen sind. Wir werden das jetzt, im Jahre 2009 - ein guter Zeitpunkt, wie glaube ich -, intensiver angehen.

Die Bestandsaufnahme „Geschichte vor Ort“ ist wörtlich zu nehmen. Das heißt, es ist keine Bilanz bzw. keine auf die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten reduzierte Geschichte, sondern geht weit darüber hinaus. Es geht eben nicht nur um Verfolgung und Repression, sondern auch um andere Schwerpunkte, die gerade für die brandenburgische Identität wichtig sind, zum Beispiel die Erinnerung an das weitgehend zerstörte jüdische Leben in Brandenburg oder die Geschichte von Herrschaft, Alltag und Widerstand oder auch die Geschichte der deutschen Teilung und die friedliche Revolution.

Wir haben die Fragen gestellt: Wo stehen wir 20 Jahre nach der friedlichen Revolution? Was haben wir geschafft? Was ist unbefriedigend? - Der Blick zeigt, dass der Prozess der Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus und der Geschichte der stalinistischen Repression nach 1945 sowie der SED-Diktatur weit vorangebracht werden konnte. Der größte Handlungsbedarf, den wir sehen, wurde heute früh angesprochen, zum Beispiel der Bereich der Außenlager der großen ehemaligen Konzentrationslager. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Ausstellungen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts zu erarbeiten und gerade in den regionalen Museen zu verankern. Das betrifft, wie gesagt, die Verknüpfung von Alltagsgeschichte und Herrschaftsgeschichte. Das gilt für die Zeit des Nationalsozialismus, aber auch für die Zeit der sowjetisch besetzten Zone, und das gilt für die DDR-Zeit. Gerade Brandenburg ist ein Land mit herausragenden Zeugnissen der Ergebnisse und des Verlaufs des Zweiten Weltkriegs.

Das ist ein Bereich, in dem noch sehr viel zu ist. Als ein Land, durch das die Mauer partiell hindurchging, sind wir besonders gefragt, wenn es um die Ereignisse der friedlichen Revolution und die zuvor erfolgte deutsch-deutsche Teilung geht, wenn es darum geht, der Mauertoten zu gedenken.

Wir sehen also, dass es bei den eben genannten wichtigen Aufgaben eine große Verantwortung gibt. Es wird angesichts des begrenzten Budgets sehr schwierig, dort Förderentscheidungen zu treffen. Die zu erfüllenden Aufgaben gehen weit darüber hinaus, die entsprechende Infrastruktur bereitzustellen oder gewisse Erlasse seitens des Ministeriums herauszugeben. Wichtig ist für uns in Zukunft die inhaltliche Ausgewogenheit dessen, was getan wird, sowie die Sicherung von Qualitätsstandards.

Wie verhält es sich mit der Rolle der Landesregierung in diesem Politikfeld der Erinnerungskultur? Wenn Sie sich die Stellungnahme im Internet zum Konzept anschauen, stellen Sie fest, dass es ein großes Meinungsspektrum - angefangen beim Verlangen nach eindeutig staatlichen Vorgaben über eindeutig staatliche Eingriffe in diesem Gesamtkontext bis hin zu der Aussage „Ablehnung jeder inhaltlichen Äußerung vonseiten der Landesregierung“ - gibt.

Wir sehen es als vordringlichste Aufgabe an, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sich Aufarbeitung und Deutung von Geschichte auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse pluralistisch entwickeln können. Diese Formel klingt erst einmal gut. Die Frage lautet aber: Was bedeutet das konkret? Was ist denn nun das Selbstverständnis der Landesregierung in diesem geschichtspolitischen Feld?

Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist nur möglich, wenn wir für Ausgewogenheit sorgen. Das heißt, die Landesregierung wendet sich gegen die Vorstellung, die Entwicklung der Erinnerungskultur ausschließlich dem Spiel freier Kräfte wie Interesse und Engagement zu überlassen, andererseits aber auch gegen ein Durchregieren, also gegen staatliche Vorgaben.

Beide Haltungen sind, glaube ich, mit einer funktionierenden Demokratie nicht zu vereinbaren. Eine funktionierende Demokratie lebt durch die Kontrolle der Exekutive. Wir können dem Bürger unsere Förderentscheidungen und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen also nur dann plausibel machen, wenn es nachvollziehbare - keine formalen, sondern inhaltliche - Kriterien gibt und wenn die inhaltlichen Schwerpunkte nicht von oben verordnet und die Einrichtungen nicht verpflichtet werden, gewisse Zielvorgaben einzuhalten. Wir, die Landesregierung, verstehen unsere Rolle also nicht nur als Geldgeber, sondern als Akteur mit eigenen Positionen, der zu Projekten motiviert, aber eben auch Debatten und Entwicklungen anstößt. All das wollen wir in einer offenen gesellschaftlichen Diskussion gemeinsam bewältigen. Das geht nur, wenn es verlässliche und dauerhafte Partnerschaften zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren gibt. Aus diesem Grund haben wir uns zu einer solch breiten öffentlichen Debatte entschieden.

Die Landesregierung hat als einer von vielen Akteuren im Feld der Erinnerungskultur eine zentrale Rolle. Die Kulturpolitik ist zum einen Vermittlerin zwischen den gesellschaftlichen Akteuren untereinander und zum anderen Vermittlerin zwischen der Gesellschaft und staatlichem Handeln. Leggewie spricht in diesem Zusammenhang von einem ermunternden Staat. Ich denke, dass dies auch auf den Bereich der Erinnerungskultur zutrifft.

Zur letzten zu beantwortenden Frage: Wozu wollen wir denn ermuntern? - Wir wollen die Beziehungen der Akteure, die wir zum Teil erst durch die Erarbeitung des Konzepts kennengelernt haben, aktivieren und zu neuen Kooperationen anregen sowie Projektvorhaben unterstützend begleiten.

Wir wollen stärker als bisher fachwissenschaftliche Begleitung vermitteln. Beispielsweise unterstützen wir derzeit in besonderer Weise die Neukonzeption der Seelower Höhen - ein ganz wichtiger Erinnerungsort im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg - sowie das Dokumentationszentrum Eisenhüttenstadt.

Wir wollen anregen, dass sich Museen und Gedenkstätten mit Themen, die bisher vernachlässigt wurden - beispielsweise sind das in Brandenburg militärgeschichtliche Themen -, sehr viel stärker beschäftigen und auseinandersetzen.

Wir möchten - das ist ein Vorteil des Konzepts -, dass Initiativen, die sich an unterschiedlichen Stellen des Landes bewegen und inhaltlich Verbindung halten, miteinander Kontakt aufnehmen, um eine größere Wirkung durch Zusammenarbeit von Erinnerungsorten zu erreichen.

Wir wollen auf Grundlage dieses Konzepts und in Anlehnung an die Kriterien des Bundes Fördergrundsätze erarbeiten, auf deren Grundlage die einzelnen Einrichtungen Anträge stellen können. Wir werden in meinem Haus ein Expertengremium einrichten, das die fachwissenschaftliche Begutachtung der Anträge, die bei uns eingehen werden, vornimmt.

Durch dieses Verfahren wird, glaube ich, der Bedarf an Projekten, aber auch die Kooperation zwischen den Projekten sehr viel besser zu befördern sein. Ich glaube, das Miteinander der unterschiedlichsten Akteure in diesem komplizierten Prozess der Erinnerungskultur ist zentral, und es kann nicht sein, dass es eine Arbeitsteilung gibt, die so aussieht, dass die „Zivilgesellschaft“ als innovativer Impulsgeber fungiert und demgegenüber ein Staat steht, der sich ausschließlich um die finanzielle Förderung bemüht. In diesem Sinne glaube ich, dass unser Papier kein Abschluss ist, sondern eine Weiterführung der Diskussion verlangt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Prof. Wanka. - Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Hoffmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erinnerungskultur im Land Brandenburg ist sicherlich ein interessantes, aber auch schwieriges Thema, wie wir schon im Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kultur erfahren durften.

Wir haben vor kurzem in Senftenberg die Aktion „Senftenberg liest“ mit dem Thema Erwin Strittmatter beendet. Natürlich, es gab anfangs Bestrebungen, dass einige gesagt haben: Wir wollen, bitte schön, das Umstrittene nicht behandeln, denn dann könnte es ja sein, dass uns der Strittmatter als Lieblingsschriftsteller verloren geht. - Daran haben wir uns nicht gehalten, und es hat sich gezeigt, dass ein Ergebnis der friedlichen Revolution von 1989 ist, dass die Menschen sehr wohl auf der Grundlage von Erfahrungen urteilen können und es nur selten der Fall ist, dass einmal gewonnene Lieblingsurteile zur Erfahrung werden und nicht weiter hinterfragt werden. Ich glaube, wir sollten die Leute bei der Beteiligung auf diesem Gebiet nicht unterschätzen. Dazu gibt es im Land Brandenburg, wie ich meine, gute Ansätze.

Erinnerung ist eben nicht nur das, was rein und unwandelbar in den Tiefen unseres Gedächtnisses eingelagert ist und nur abgerufen werden muss, sondern Erinnerung liegt sicherlich irgendwo in komprimierter Form vor, und Erinnerung muss zur Aktivierung aufbereitet werden. Das ist die Verantwortung, die wir haben, wenn wir über dieses Thema reden wollen.

Na klar, wer über Erinnerungskultur spricht, muss vielleicht auch zur Kenntnis nehmen, dass es so etwas wie eine Kultur des Vergessens geben kann. Es gibt interessante Theorien des Vergessens; ich glaube, das ist nicht ganz unwesentlich zu erwähnen, denn ein menschliches Leben ohne Vergessen wäre wohl nicht auszuhalten, wobei dann genau unterschieden werden muss zwischen dem ideologisch gewollten Vergessen und einem Vergessen, das zur Erhaltung der Lebensfreude nötig ist. Das alles sind Dinge, die vorher zu bereden sind, die vorausgesetzt werden können, die aber nicht Gegenstand der heutigen Debatte sind.

Anforderungen an ein Konzept zu diesem Thema sind - da stimme ich der Ministerin zu -, dass es darum geht, politische Ziele offen zu formulieren. Es geht darum, dass auch die Verantwortung des Staates auf diesem Gebiet deutlich gemacht wird und dabei demokratischen Prämissen unterliegt. Es geht um die Analyse des Standes auf diesem Gebiet, es geht aber auch um Aussagen für eine zukünftige Entwicklung, und das ohne Vorgaben, ohne Ansagen, aber auch fern jeder Beliebigkeit auf diesem Gebiet.

Wir werden berücksichtigen müssen - das spürt man ja überall -, dass wir es dann natürlich sofort mit Spannungsfeldern zu tun haben, die auszuhalten und nicht immer aufzulösen sind. Gelegentlich muss man sich in einer offenen demokratischen Debatte mit diesen Spannungsfeldern einrichten und auch zeitweise damit zufrieden sein, dass man intelligente Fragen stellt, aber noch keine Antwort weiß. Auch das kann, glaube ich, ein Ergebnis einer Debatte sein.

Das erste Spannungsfeld: Es gibt offensichtlich ein Bedürfnis nach Leitlinien. Dem steht entgegen vor allem ein dezentrales Konzept in unserer Gedenkstättenkultur im Land Brandenburg, was wichtig ist und von der Fraktion DIE LINKE begrüßt wird. Dem steht auch entgegen, dass wir demokratischen Pluralismus im Land auch auf diesem Gebiet fördern wollen. Damit umzugehen - das hat sich auch in der Anhörung im Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kultur gezeigt - ist nicht immer leicht, aber es geht. Das hat auch die Aktion in Senftenberg im Zusammenhang mit Strittmatter gezeigt.

Zweitens: Es ist der alte Konflikt auch in der Geschichtswissenschaft schon immer gewesen, dass das nicht voraussetzungslos erfolgen kann, dass Geschichtswissenschaft schon nach Objektivität streben soll und will und dass es natürlich auch Probleme geben kann, weil es keine voraussetzungslose Wissenschaft gibt, sondern in einem Kontext formuliert natürlich auch Traditionen auf diesem Gebiet eine Rolle spielen usw. usf. Nach Objektivität strebende Geschichtswissenschaft und politische Ziele können in Konflikt miteinander geraten. Es gibt, glaube ich - auch da gibt es gute Ansätze im Land -, Konflikte, die produktiv gemacht werden können zur Beförderung von neuen Erkenntnissen und auch zur Beförderung einer anregenden, vieles umfassenden Debatte.

Drittens: Ein Spannungsfeld kann sich daraus ergeben, dass sich

heute Zeitzeugen gegenüberstehen, die sich bereits während der Zeit des Kalten Krieges konträr gegenüberstanden. Ja, es gibt den Unterschied zwischen tatsächlichen Geschichtsabläufen, der Erinnerung und den daraus produzierten Geschichtsbildern. Wenn es dann besonders brisant wird, weil Trauer oder Hass ins Spiel kommen, also normale menschliche Regungen, dann muss noch immer gelten, dass es das Recht auf eigene Erinnerung wie auch das Recht auf persönliche Trauer gibt. Dazu gehören Orte der Erinnerung, die allerdings ohne eine ausgeprägte Kultur des Erinnerns zu Kampfplätzen werden können. Dazu ist es eben wichtig, dass wir über ein Konzept zur Erinnerungskultur im Land Brandenburg miteinander reden.

Ein weiteres Spannungsfeld besteht vor allem dort, wo Orte mit doppelter Vergangenheit in Rede stehen. Ich glaube, es gibt im Land Brandenburg sehr gute Ergebnisse und sehr gute Erfahrungen, wie damit umgegangen werden kann, und es gibt auch erste Ansätze, wie das alles zusammenzuführen ist, trotz aller Vorbehalte und Befindlichkeiten, die dabei eine Rolle spielen.

Wenn wir uns mit Orten wie Sachsenhausen auseinandersetzen, haben wir nicht nur die Geschichte der Opfer des Nationalsozialismus und die der Opfer der Speziallager zu bedenken, sondern wir haben uns auch mit einer dritten Ebene zu beschäftigen, nämlich damit, wie bisher, vor allem in der DDR, mit diesen Erfahrungen umgegangen wurde. Da, glaube ich, ist eine hohe Form von kritischer Auseinandersetzung nötig.

Wir haben - das ist ein weiteres Spannungsfeld - natürlich eine plurale Theorienlandschaft und eine Vielfalt an Methoden. Problematisch wird es, wenn ein Konzept erstellt werden soll und man nicht genau weiß, nach welchen Methoden, nach welcher Theorie man sich richten möchte. Das ist eine schwierige Problematik, die an Universitäten relativ leicht zu lösen ist; denn man bekennt sich dann zu einer Theorie oder zu einer Methode, definiert es anfangs, und gut ist es. In der Politik sind auf diesem Gebiet sicherlich einige Dinge auszuhandeln, sodass es dann durchaus an einigen Stellen zu einer methodischen und manchmal auch theoretischen Inkonsistenz kommen kann und man sich sagt, vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn auch die Politik das Risiko eingeht, am Anfang zu definieren: Wenn ich Aufarbeitung sage, meine ich das, wenn ich Erinnerungskultur sage, meine ich das und nichts anderes als Arbeitsbegriff für dieses Papier.

Zum Stand von Wissenschaft und Politik im Land Brandenburg ist zu sagen, dass er auf diesem Gebiet nicht schlecht ist. Wir haben wirklich gute Aktivitäten, auch gute Arbeiten aus dem Zentrum für Zeithistorische Forschung, aus dem Moses Mendelssohn Zentrum, von Günter Morsch, aber auch von Insa Eschebach, und ich möchte besonders auf einen kleinen Beitrag von ihr aus dem Jahr 1992 verweisen. Darin beschäftigt sie sich mit einem scheinbar nebensächlichen Thema, nämlich den Rehabilitationsgesuchen von NSDAP-Mitgliedern, analysiert, was wirklich dahinter steckt, und verwendet eine Begrifflichkeit, die eine Schärfe und eine wissenschaftliche Neutralität an den Tag legen, dass es möglich ist, mit diesen Begriffen durchaus auch an anderen Gegenständen zu arbeiten; auch in Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR. Denn ich stehe dazu: Natürlich muss man vergleichen. Auch Äpfel und Birnen müssen verglichen werden. Sonst kann es passieren, dass ich, wenn ich Birnen haben möchte, Äpfel kaufe. Natürlich ist es auch möglich, mit einem Begriffsinstrumentarium zu ar

beiten, das immer wieder mal in die Kritik gerät, das umstritten ist. Aber mit einer gewissen Sauberkeit der Definition ist das, glaube ich, alles möglich.