Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aufgeregtheiten um das Lutherstift haben sich gelegt. Da wurden ungeduldig und sehr emotional Dinge diskutiert, die wir gar nicht vorhatten. Ich hatte sehr deutlich die Maßgabe herausgegeben: Das Lutherstift wird nicht geschlossen. Seine Standortsicherung ist ein wesentliches Anliegen des Landes.
Meine Fachleute und ich plädierten stets für Lösungen, die beiden großen Krankenhäusern in Frankfurt, also dem Klinikum und dem Lutherstift, eine Zukunft geben sollen. Eine möglicherweise zerstörerische Konkurrenz sollte vermieden und beide Häuser sollten in eine sinnvolle Kooperation gebracht werden.
Wir baten deshalb alle Beteiligten, die Ergebnisse der Gebietskonferenzen abzuwarten. Inzwischen hat die Gebietskonferenz für das Versorgungsgebiet Frankfurt (Oder) einvernehmliche Lösungsmöglichkeiten auch für die Oderstadt erarbeitet. An der Konferenz war auch der Verein Lutherstift zu Frankfurt (Oder) als Krankenhausträger beteiligt. Nach diesen Vorschlägen bleibt das Lutherstift weiterhin an seinen beiden Standorten - in Seelow und in Frankfurt (Oder) - mit klarem Profil als Krankenhaus präsent. - Vielen Dank.
Herr Minister, ich habe während der gesamten Auseinandersetzung nur Menschen kennen gelernt, die das Lutherstift nicht schließen wollten. Wie kam denn nun die Nachricht in die Öffentlichkeit?
Sie kam nicht von mir, lieber Herr Kollege. Sie können sich vorstellen, dass ich daran kein Interesse habe, aber dass ich als Gesundheitsminister sehr wohl ein Interesse daran habe, dass sich unsere Krankenhäuser profilieren und sich in der Zukunft, wenn die so genannten Fallpauschalen gelten werden - das ist ja schon ab 2003 möglich und ab 2004 verbindlich -, unsere Häuser nicht gegenseitig kaputt machen. Das bedeutet, dass ich Vorsorge zu treffen habe. Das will ich gern tun. Da sind Missverständnisse aufgetreten, die wir aus dem Weg räumen können. Frankfurt jedenfalls bleibt.
Danke sehr. - Wir haben noch Zeit für die Frage 1167 (Zu- sammenführung der Steuerabteilungen der Oberfinanzdirektio- nen Berlin und Cottbus), wenn sie komprimiert gestellt wird und die Antwort ebenso komprimiert gegeben wird. Herr Lunacek, bitte.
Im April dieses Jahres fanden Gespräche zwischen dem Ministerium der Finanzen des Landes Brandenburg und der Senatsverwaltung für Finanzen des Landes Berlin statt. Thema soll unter anderem eine mögliche Übertragung der Aufgaben der Abteilung Besitz- und Verkehrssteuern der Oberfinanzdirektion Berlin auf die entsprechende Abteilung der OFD Cottbus gewesen sein. Seitens des Brandenburger Finanzministeriums gibt es nach meiner Kenntnis Vorbehalte gegen eine solche Aufgabenwahrnehmung.
Im Hinblick auf die Bestrebungen der Landesregierung, die Zusammenarbeit mit dem Land Berlin zu intensivieren und die Verwaltungsmodernisierung konsequent fortzusetzen, stelle ich die Frage: Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung zur Zusammenführung der Erledigung von Aufgaben der Steuerabteilungen der Oberfinanzdirektionen Berlin und Cottbus?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Lunacek, ich verkürze die Antwort. Wir können nachher noch einmal darüber reden.
Derzeit besteht diese Möglichkeit leider nicht. Wir haben unterschiedliche Strukturen und Aufgabenwahrnehmungen. Sie
wissen, dass die OFD in Berlin auch kommunale Aufgaben wahrnimmt. Wir haben das sehr intensiv diskutiert. Wir führen derzeit eine externe Organisationsuntersuchung durch, die uns vom Landesrechnungshof und vom Ausschuss für Haushaltskontrolle aufgetragen worden ist. Aus diesem Grunde wollen wir auch erst diese Ergebnisse erfassen. Herr Dr. Sarrazin hat sehr wohl Interesse daran gezeigt, wenn diese Ergebnisse vorliegen, auch seine Struktur danach auszurichten. Also wird es noch einige Zeit dauern, ehe man eine Synergie, eine Harmonisierung der Strukturen hinbekommt, sodass man dann die entsprechenden Aufgaben zusammenlegen kann. Herr Sarrazin hat im Berliner Senat ebenfalls diese Antwort gegeben und auch dort gesagt, dass es mit der Fusion der beiden Bundesländer so weit sein wird.
Aber auf anderem Gebiet erfolgt bereits eine Zusammenarbeit. Wir bemühen uns schon seit Jahren, die Ausbildung in Königs Wusterhausen wie mit Sachsen-Anhalt so auch mit Berlin gemeinsam vorzunehmen. Bisher ist dies leider immer am Innensenator von Berlin gescheitert, weil wir zum Beispiel das besser bezahlte Professorenpersonal übernehmen sollten. Das muss neu verhandelt werden.
Sind Sie als Finanzministerin bestrebt, im Sinne der engeren Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg neue Wege für eine Zusammenarbeit auch in diesem Bereich zu fördern?
Ja, absolut. Aber wir müssen erst einmal unsere eigene Strukturuntersuchung zu Ende bringen; denn wir wollen auch hierbei noch Synergien feststellen. Bis 2003 wird uns das Untersuchungsergebnis vorliegen. Parallel dazu muss sich Berlin von seinen kommunalen Aufgaben trennen. Das alles muss harmonisiert werden, ehe man etwas zusammenlegen kann. Man kann also nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ereignisse am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt haben uns alle zutiefst erschüttert. Wir sind noch immer fassungslos und unser Mitgefühl gilt allen Angehörigen der Opfer sowie allen anderen Betroffenen.
Jugendgewalt und Jugendkriminalität haben mit dieser Schreckenstat eine neue Dimension erfahren. Einfache, schnelle und teilweise oberflächliche Erklärungsversuche sind nicht hilfreich, auch wenn der öffentliche Druck, schnelle und eindeutige Antworten zu geben, gerade auf Politiker stark ist. Es ist zu einfach, die Vorliebe des Erfurter Schülers für Gewaltvideos und Gewaltspiele zur Hauptursache zu erklären. Auch der Zugang zu Waffen hat zwar das Ausmaß der Tat verursacht, nicht aber die Tat an sich. Ich erinnere an den Mord an einer Lehrerin in Meißen und an den Mord an einem Wachmann in Strausberg beides Taten, die mit Messern ausgeführt wurden.
Vielmehr deutet einiges auf eine psychische Fehlentwicklung dieses Jungen hin. Zudem scheint auch das offene und vertrauensvolle Gespräch zwischen Sohn und Eltern seit langem abgebrochen zu sein.
Wir wollen uns heute nicht nur der Frage nach der Ursache spektakulärer Gewalttaten zuwenden, sondern auch über den Umgang mit Gewalt im Alltag und ihre Ursachen sprechen. Wir wollen dabei die Erfahrung derer, die sich in der bisherigen Debatte zum Thema Gewalt geäußert haben, einbeziehen. Und wir müssen differenzieren zwischen Kindern und Jugendlichen, denen zu wenig Grenzen gesetzt werden, und Jugendlichen mit massiven psychischen Fehlentwicklungen. So stellte eine Berliner Lehrerin bei einem Teil ihrer Schüler eine Verrohung der Sitten und einen Verlust von Regeln und Grenzen fest. Grenzen zu setzen liegt in der Verantwortung aller, die an der Erziehung junger Menschen beteiligt sind, zuallererst in der Verantwortung der Eltern, aber auch der Erzieher, Lehrer, Trainer und Ausbilder. Dabei muss das Setzen von Grenzen bereits im frühen Kindesalter beginnen.
Untersuchungen des Instituts für angewandte Familienforschung in Vehlefanz weisen darauf hin, dass aggressives Verhalten von Kindern bereits im Vorschulalter besonders ausgeprägt ist und sich im Grundschulalter verfestigt, wenn nicht entsprechend gegengesteuert wird. Deshalb müssen Bemühungen zur Gewaltprävention bereits in dieser Altersgruppe ansetzen. Die Eltern müssen über die Risiken elterlicher Ignoranz gegenüber kindlicher Gewalt frühzeitig aufgeklärt und als Verbündete im Kampf gegen Gewalt und Kriminalität gewonnen werden.
Auch muss jede Form gewalttätigen Handelns in der Gesellschaft stärker geächtet werden. Gewalt verletzt und zerstört Körper und Seele. Daher darf Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung nicht akzeptiert werden und sie darf vor allem nicht zum Erfolg führen. Jedes Wegschauen von Eltern, Erziehern und Lehrern bestätigt die leider häufig von den Medien transportierte Botschaft, dass Gewalt ein Zeichen von Stärke ist und dass immer der Stärkere gewinnt. Verstärkt wird diese Botschaft durch eigene Gewalterfahrungen und negative Vorbildwirkung von Erwachsenen.
“viele, wo gesoffen wird und wo Schulden drücken. Andere sind autoritär und verdreschen ihre Kinder ganz furchtbar... Man merkt, dass manche Kinder kaum ein Gewissen haben. Die werden nicht erzogen, sondern vegetieren vor Gewaltfilmen herum.”
Zitat aus dem “Spiegel” vom 5. Mai 2002: “Kampf mit harten Bandagen”. Eine Lehrerin beschreibt, dass sie am Montagmorgen, wenn sie in ihre Klasse kommt, erst einmal alle Hände voll zu tun hat, um die Trümmer des Wochenendes aufzuräumen.
“Die Schüler laden erst einmal alles ab: die Erlebnisse in den Familien und auf der Straße, den Video- und Fernsehkonsum. Die Eltern der auffälligen Schüler sind teils verzweifelt, teils hilflos, teils aggressiv gegen die Lehrer.”
Das war ein Zitat aus der “Welt” vom 29. April: “Ein Verlust von Regeln und Grenzen” von W. Büscher.
Viele Lehrer fühlen sich in dieser Situation schlicht überfordert oder als Opfer des Erziehungsversagens der Eltern und mangelnder Konsequenz gegenüber jugendlichen Tätern - “MOZ” vom 03.05.2002: “Wir Lehrer sind die Opfer”. Aus diesem Grunde ist die Stärkung der Erziehungskraft der Eltern eine vordringliche Aufgabe. Ohne die Mitwirkung der Eltern ist ein nachhaltiger, dauerhafter Erziehungserfolg nicht zu erreichen.
Fragen der Familienqualifikation müssen eine größere Rolle spielen. Insbesondere die Bedeutung gewaltfreier Erziehung ist den Eltern nahe zu bringen; denn gewaltfreie Erziehung fördert den aufrechten Gang und stärkt das Selbstwertgefühl. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern und Erziehungsberatern der Jugendämter. Auch Ärzte, Psychologen und Polizisten sollten hier einbezogen werden.
Viele Schulen haben gute Erfahrungen mit so genannten Streitschlichter-Konzepten gemacht, nach denen Schüler lernen sollen, selbst für ein gemäßigtes Klima auf dem Schulhof zu sorgen. Auch Antiaggressionstraining und Sport helfen, das Klima untereinander friedlicher zu gestalten.
Es gibt aber eine Gruppe von hoch gewalttätigen Jugendlichen, bei denen all diese Maßnahmen erfolglos bleiben. Die Jugendlichen finden bei ihren Eltern weder Unterstützung noch Kontrolle. Sie organisieren sich in Cliquen und drangsalieren ihre Opfer ohne Mitgefühl und ohne Nachdenken über die Folgen ihrer Gewalt. Wenn überhaupt, kann Intervention hier nur erfolgreich sein, wenn sie Entwicklungsförderung und Strafe verbindet.
Sozialarbeiter sehen in der hohen Gewaltbereitschaft dieser Jugendlichen lediglich Abwehrschreie. Diese Jugendlichen sind groß geworden in einer Atmosphäre, in der sie kein Selbstwertgefühl und keine Achtung vor anderen Menschen entwickeln konnten. Sie glauben nicht an sich, also glauben sie auch nicht an andere. Ein Sozialarbeiter beschreibt - “Märkische Oderzeitung” vom 08./09. Mai 2002 -:
“Erschreckt habe ihn, wie verhärtet, wie brutal die Jungs denken und fühlen, dass sich nichts mehr bei ihnen regt.”
Solche psychischen Fehlentwicklungen werden aber weder von der Schule noch von den Medien hervorgerufen, sondern durch emotionale Defizite im Kindesalter, durch Mangel an Liebe und Zuwendung sowie durch familiäre Vernachlässigung; denn liebevolle Erziehung fördert die Fähigkeit, Mitleid zu empfinden, sowie die Bereitschaft, sich für Schwächere einzusetzen.
Werden aber den Kindern Gefühlskräfte, die sie zu ihrer Entwicklung dringend brauchen, vorenthalten, so ist der erste Akt von Gewaltsamkeit vollzogen, bevor auch nur eine Hand gegen einen Menschen erhoben ist.
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus? Wir brauchen mehr Angebote zur familienpädagogischen Elternbildung, die sinnvollerweise mit Betreuungsangeboten für Kinder und einer Beschäftigungsförderung für Eltern verzahnt werden sollten. Beispiel hierfür ist das Head Start Programm in den USA.