Protocol of the Session on January 24, 2002

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Das hat sich erledigt!)

Danke sehr.

Wir kommen zur Dringlichen Anfrage 14 (Arbeitskampf der Belegschaft von DWA Vetschau), gestellt vom Abgeordneten Wolfgang Thiel. Bitte sehr.

Der kanadische Konzern Bombardier Transportation hat seine ostdeutschen Standorte Ammendorf, Vetschau und Hennigsdorf infrage gestellt. Wie seit Anfang dieser Woche bekannt ist, hat die Belegschaft von DWA Vetschau zeitweise ihren Betrieb besetzt, um damit mit Nachdruck für den Erhalt dieses strukturell bedeutsamen Produktionsstandortes zu kämpfen. Am Dienstag fand eine Beratung der Konzernleitung mit dem Konzernbetriebsrat und der Gewerkschaft statt. Am gestrigen Tag trafen sich Ministerpräsident Dr. Stolpe und Wirtschaftsminister Dr. Fürniß mit dem Vetschauer Betriebsrat, dem Bürgermeister und der IG Metall.

Ich frage die Landesregierung: Zu welchen Ergebnissen haben die Beratungen seitens der Landesregierung und der Konzernleitung mit den Belegschaftsvertretern geführt?

Herr Minister Fürniß, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Thiel, die Landesregierung hat sich mit den ihr gebotenen Mitteln in dem ganzen Prozess der Neustrukturierung des Konzerns Bombardier nach der Übernahme von Adtranz für die Standorte Hennigsdorf und Vetschau eingesetzt. Unser Einsatz galt und gilt, was Vetschau betrifft, dem Produktionsstandort Vetschau. Wir wollen und werden alles dafür tun, dass dort weiter produziert werden kann. Dafür haben wir auch gute Argumente.

Die Produktivität ist hoch. Die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter ist überdurchschnittlich und die Wettbewerbsfähigkeit ist ohne Einschränkung gegeben. Es ist wichtig, dies angesichts der Tatsache zu betonen, dass es, wie Sie wissen, jetzt auch den politischen Einsatz der Bundesregierung in diesem Zusammenhang gegeben hat. Wir gehen davon aus, dass es dabei kein Geschäft zulasten anderer Länder, in diesem Fall Brandenburgs, gibt. Dies sage ich insbesondere im Hinblick auf die Verhandlungen zu Ammendorf. Vielmehr geht es darum, dass die Unternehmungen von Bombardier wie auch die Wirtschaft insgesamt im Osten gestärkt werden.

Es gibt eine Zusage des Unternehmens, dass auf der Grundlage der von den Betriebsräten vorgelegten Gutachten neue Berechnungen angestellt und Alternativen für den Standort Vetschau geprüft werden. Zu einer Entscheidung über den Standort Vetschau wird es im Februar dieses Jahres kommen. Wir werden wie bisher unsere Argumente einbringen und für den Standort Vetschau mit dem gleichen Engagement eintreten, wie das bereits für den Standort Hennigsdorf geschehen ist. Es kann nicht sein, dass in Ammendorf Erfolge erzielt werden und Hennigsdorf und Vetschau darunter leiden. Der Konzern hat die Prüfung dieser Argumente ausdrücklich zugesagt. Auf meine Nachfrage, ob ich ihn zitieren dürfe, erhielt ich eine positive Antwort. Ich zitiere also:

„Es wird keine Entscheidungen zulasten von Brandenburg geben.”

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank. - Wir sind damit bei der Dringlichen Anfrage 15 (Problem Schulschwänzen) , gestellt von Frau Große. Bitte sehr.

Den ORB-Nachrichten „Brandenburg aktuell” am Sonntag, dem 20.01.2002 war zu entnehmen, dass neben dem Abgeordneten Herrn Petke auch der jugendpolitische Sprecher der CDU-Fraktion Herr Senftleben die Landesregierung auffordert, dem Problem des Schulschwänzens mit polizeilichen Mitteln zu begegnen. Darüber hinaus wurde das Erheben von Bußgeldern als geeignete Maßnahme erwogen.

Ich frage die Landesregierung: Welche Position vertritt die Landesregierung zu den Forderungen der Vertreter der CDUFraktion bezüglich des Umgangs mit Schulverweigerern?

Herr Minister Reiche, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Werte Frau Große, die Lernverweigerung ist kein Problem für die Polizei.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der SPD)

Vielmehr muss sich die Schule diesem Problem stellen. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag sieht ausdrücklich vor, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam mit den Eltern darum bemühen, dass die Schülerinnen und Schüler regelmäßig und kontinuierlich mit Erfolg am Unterricht teilnehmen. Aber es gibt für die Kinder bzw. Heranwachsenden, die nachhaltig mehr als 20 Tage im Jahr - den Unterricht versäumen, also die Schule schwänzen, informelle, erzieherische und ordnungsrechtliche Maßnahmen. Es gibt die Möglichkeit, mit Ermahnungen, Verweisen bzw. auch einer Schulversetzung darauf zu reagieren. In besonders harten Fällen kann auch von der rechtlichen Möglichkeit des Zwangsgeldes Gebrauch gemacht werden.

Polizeiliche Maßnahmen benötigen eine rechtliche Grundlage. Diese gibt es derzeit weder im Polizeigesetz noch im Schulgesetz des Landes Brandenburg.

Lernverweigerung ist ein Problem, dem sich die Schule stellen muss. In Brandenburg laufen derzeit einige gute Projekte, die wir auch ausweiten wollen. So sind an der Schule des Lebens in Rüdersdorf knapp 20 sehr hartnäckigen Lernverweigerern neue Optionen eröffnet worden. Diese Schüler nehmen mit ganz neuer Intensität und jetzt auch mit Erfolg am Unterricht teil. Dem Problem der Lernverweigerung gehen doch in der Regel Misserfolge in der Schule voraus. Wir müssen für solche Kinder bzw. Jugendliche also wieder Erfolg in der Schule organisieren. Dann werden sie auch bereit sein, an anders organisierter Schule

teilzunehmen. Deshalb sind wir im Moment dabei, mit Schulen im ganzen Land ins Gespräch zu kommen, die sich anders organisieren, um zum Beispiel in Kooperation mit Betrieben produktives Lernen zu ermöglichen. Das in Berlin mit Erfolg praktizierte Modell wollen wir auch in allen Kreisen und kreisfreien Städten Brandenburgs einführen.

Etwa ein Prozent der Schülerinnen und Schüler gehört zur Gruppe der Lernverweigerer. Dazu gibt es keine genaue Statistik. Eine solche wird von keinem einzigen Land geführt. Jedoch sind Ergebnisse von Hochrechnungen verfügbar. Eine von mir vorgenommene Abfrage bei den Schulämtern hat die oben genannte Angabe bestätigt.

Dem Problem der Schulverweigerung werden wir also nicht durch mehr Polizei wirksam begegnen können, sondern nur dadurch, dass wir den Lehrern mehr Zeit geben, sich intensiv mit den Kindern und Jugendlichen zu beschäftigen, um ihnen Lernerfolge in der Schule zu organisieren.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der SPD)

Die Schulleiter, mit denen ich gesprochen habe, sagten mir: Unsere Schule hat drei Ausgänge. - So kann man das Problem nicht lösen.

Die Polizisten, mit denen ich in den letzten Tagen über dieses Problem gesprochen habe, sagten mir, dass sie andere, wichtigere Dinge zu tun hätten. Wir wurden aufgefordert, die Probleme in den Schulen selbst zu lösen.

Wir wollen das tun und wir können es!

(Beifall bei PDS und SPD)

Herr Minister, es gibt noch Klärungsbedarf. Herr Senftleben, bitte.

Herr Minister, auch andere Abgeordnete haben sowohl mit Lehrern als auch mit Polizisten gesprochen, dabei jedoch andere Antworten erhalten als die von Ihnen eben zitierten.

Aber ich habe eine andere Frage. Sie haben darauf hingewiesen, dass es im Land Brandenburg keine genaue Statistik zum Thema Schulschwänzen gibt. Wann beabsichtigen Sie eine solche Statistik vorzulegen, damit eventuell Maßnahmen ergriffen werden können?

Herr Kollege, wir ergreifen doch schon Maßnahmen, obwohl uns keine genaue Statistik vorliegt. Brandenburg führt, unterstützt durch das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, die genaueste Unterrichtsausfallstatistik, die es in der Bundesrepublik überhaupt gibt. Ich habe Ihnen soeben mitgeteilt, dass es kein Bundesland gibt, das eine Statistik über die Zahl der Schulschwänzer führt. Aus einer Vielzahl von Gründen wäre dies eine zusätzliche Belastung. Wir müssen vor Ort konkret auf einzelne Personen reagieren. Das wird in der von mir soeben beschriebe

nen Weise gemacht und ist der Weg zum Erfolg. Positive Ergebnisse werden wir nicht dadurch erzielen, dass wir eine weitere Statistik erstellen und uns daraufhin neue Strategien überlegen. Wir haben Strategien und diese greifen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Petke.

Herr Minister, ich frage Sie: Teilen Sie meine Auffassung, dass die Nichtwahrnehmung der Aufsichtspflicht, ob nun im Elternhaus oder in der Schule, unsere Jugendlichen und Schüler Gefahren aussetzt, die Ihr Kollege Alwin Ziel vor wenigen Tagen auf einer Pressekonferenz eindrucksvoll beschrieben hat, nämlich Jugendkriminalität, Suchtkriminalität, Alkohol, Drogen, dass gerade deswegen Experten zu Recht sagen, dass die Einhaltung der Aufsichtspflicht - dazu gehört auch die Schulpflicht; denn Schule hat nun einmal etwas mit Schulpflicht zu tun - ganz wichtig ist, und dass wir aus diesem Grunde alles unternehmen müssen, dass der Aufsichtspflicht in Brandenburg tatsächlich nachgekommen wird?

Es gibt rechtliche Grundlagen für die Aufsichtspflicht und dem haben die Eltern bzw. die Lehrer in der Schule nachzukommen. Wir werden gemeinsam Mittel und Wege finden müssen, auch denjenigen Eltern, die dieser Pflicht nicht nachkommen, immer wieder aufzuzeigen, dass und wie sie das machen müssen. Ich hoffe, dass Sie nicht vorschlagen, auch diese Eltern in polizeilichen Gewahrsam zu nehmen.

(Unruhe im Saal)

Herr Minister, jetzt kommt der Hammer.

(Heiterkeit)

Herr Minister, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört und teile vieles von dem, was Sie gerade gesagt haben. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Was halten Sie davon, die Schulpflicht durch eine Bildungspflicht zu ersetzen, weil die Bildungspflicht ja voraussetzt, dass das Angebot der Schule so attraktiv ist, dass die Kinder gern in die Schule gehen?

(Unruhe im Saal)

Herr Kollege Hammer, in der modernen globalen Gesellschaft gibt es die Pflicht zum lebenslangen Lernen. Diese Pflicht trifft nicht nur Schüler, sondern auch Abgeordnete, Senioren, alle Bürger in Brandenburg und in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Die Bildungspflicht wird durch die Schulpflicht konkretisiert. Wir meinen, dass der Bildungspflicht bzw. dem

Bildungsrecht zumindest durch die Sechs- bis Sechzehn- bzw. Siebzehnjährigen sinnvoll nur an einem dafür geeigneten und vorbereiteten Ort, nämlich an einer Schule nachgekommen werden kann. Deshalb, so meine ich, ist es richtig, dass wir für diese Altersgruppe die Bildungspflicht durch eine Schulpflicht untersetzen.

Wir sind damit bei der Frage 1030 (Bedrohungspotenzial durch organisierte Kriminalität). Diese Frage wird vom Abgeordneten Werner aus der CDU-Fraktion gestellt. Bitte, Herr Abgeordneter Werner.

In Brandenburg gibt es genau wie in anderen Bundesländern organisierte Kriminalität in sehr vielfältigen Erscheinungsformen. Die Komplexität dieses Kriminalitätsphänomens erfordert eine differenzierte Betrachtung, bei der auch kriminalgeographische Aspekte Berücksichtigung finden müssen. Nur so werden eine realistische Beschreibung der Bedrohungslage und dadurch die Entwicklung wirksamer Bekämpfungsstrategien möglich.

Ich frage die Landesregierung: Wie schätzt sie das von der organisierten Kriminalität ausgehende Bedrohungspotenzial für das Land Brandenburg ein?

Herr Minister Schönbohm, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Werner, es ist schwierig, die organisierte Kriminalität detailliert abzuschätzen; denn eine wesentliche Erkenntnis ist, dass sich die organisierte Kriminalität im Verborgenen entwickelt. Wir wissen, dass es in Brandenburg organisierte Kriminalität gibt, aber es gibt Unterschiede in den einzelnen Räumen, das heißt, im ländlichen Raum einerseits und im großstädtischen Raum andererseits. Wir müssen also versuchen, aus den bekannten Fakten Ableitungen vorzunehmen. Spekulationen über das Ausmaß der organisierten Kriminalität sind hierbei wenig hilfreich.

Aus diesem Grunde gibt es ein gemeinsames Lagebild zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft bzw. Justiz im Lande Brandenburg. Dabei sind Faktoren zu berücksichtigen wie die EU-Außengrenze - ich nenne hier die Stichworte Schleusungskriminalität, Kfz-Verschiebung, Rauschgiftschmuggel - und der gemeinsame kriminalgeographische Raum Berlin-Brandenburg.

Erhebungen und Auswertungen von Verfahren gegen die organisierte Kriminalität im Lande Brandenburg belegen eine seit Jahren gleich bleibende Ausprägung dieser Deliktart. Diese Aussagen werden weniger an den Fallzahlen, sondern vor allem an den festgestellten qualitativen Merkmalen wie dem Charakter der Gruppenstrukturen, dem Handeln der Täter und dem Besetzen bestimmter Schwerpunktbereiche der Kriminalität deutlich.