Protocol of the Session on May 17, 2001

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Marktorientiertes Reiseangebot” oder - kurz gesagt - MORA, mit diesem Konzept will sich die Deutsche Bahn AG hin zu einem wirtschaftlich gesunden Unternehmen entwickeln.

Mit ersten konkreten Auswirkungen dieses Konzeptes werden die Bahnkunden am 10. Juni konfrontiert werden. Bei vielen Interregio-Verbindungen werden die Taktzwischenzeiten drastisch verlängert. Einige Verbindungen werden ganz gestrichen.

Vor fast einem Jahr trat die Deutsche Bahn AG mit dem Konzept MORA an die Öffentlichkeit. Zu dieser Zeit sah das Konzept vor, dass 10 % der Interregio-Verbindungen zu streichen sind. Die für die Deutsche Bahn AG unrentablen Strecken sollten aus dem Angebot genommen werden. Ende April dieses Jahres verkündete der Bahn-Vorstand, dass bis Ende 2004 alle Interregio-Verbindungen eingespart werden sollen.

Meine Damen und Herren! Diese Politik der Deutschen Bahn AG kann von uns nicht akzeptiert werden. Durch die Streichungen der Interregio-Verbindungen wird das Bahnangebot wesentlich eingeschränkt. Für unsere Bürgerinnen und Bürger ist damit die Einschränkung ihrer Mobilität verbunden. Für den Wirtschaftsstandort Brandenburg führt die Einschränkung der Interregio-Verbindungen zur Schwächung des Standortfaktors Personenverkehrsverbindungen.

Für den Landeshaushalt ist die Streichung von Interregio-Verbindungen durch die Bestellung von Regionalexpresszügen als Ersatzangebote mit höheren Kosten verbunden. Diese Mittel stehen nicht mehr für Investitionen in die Schieneninfrastruktur zur Verfügung.

Das Ziel, welches eigentlich auch im Interesse der Bahn liegen sollte, Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, wird durch die Angebotsverschlechterung im Interregio-Bereich konterkariert. Die auf kurzfristige Kosteneffekte angelegte Bahnpolitik wird langfristig abnehmende Passagierzahlen zur Folge haben.

Die Deutsche Bahn AG begründet ihre Einschnitte bei den Interregio-Verbindungen damit, dass dieses Angebot nicht auf das Interesse der Bürger stoße. Es stellt sich hier die Frage: Warum sind die Interregio-Verbindungen nicht rentabel?

Die Antwort ist leicht zu finden: Die Interregio-Strecken und -Züge wurden in den vergangenen Jahren sträflichst vernachlässigt. Würde die Bahn mehr in die Interregio-Züge und in das Marketing für diese Verbindungen investieren, würde auch das Angebot steigen. Ob aber ein Unternehmen wirtschaftlich am

Markt agieren kann, ist nicht nur von den Kosten abhängig, sondern auch von dem angebotenen Produkt oder dessen Qualität.

Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen sehen sich in der Pflicht, die Mobilität der Bevölkerung weiterhin zu gewährleisten. Deshalb sehen wir die Notwendigkeit, dass Ersatzangebote für entfallene Interregio-Verbindungen geschaffen werden. Wir sehen aber nicht die Notwendigkeit, dass diese Angebote unbedingt bei der DB Regio bestellt werden.

Die Ausschreibung von Verkehrsleistungen kann dazu genutzt werden, dass die Qualität der Verkehrsleistungen weiter erhöht wird und andererseits die Mittel effizienter eingesetzt werden können. Wir wollen nicht einfach die Rechnung hinnehmen, die die Deutsche Bahn AG gemacht hat, nämlich durch die Streichung von Interregio-Verbindungen das Land zusätzliche DB Regio-Angebote bezahlen zu lassen.

Meine Damen und Herren! Abschließend möchte ich Sie bitten, unseren Protest gegen die Politik der Deutschen Bahn AG über den Weg „Bestellung von Regionalexpressleistung” zukünftig verstärkt über Ausschreibungen zu realisieren und durch Ihre Zustimmung zu unserem Antrag zu unterstützen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort geht an die Abgeordnete Frau Hesselbarth. Sie spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest: Die Deutsche Bahn will 32 Millionen Zugkilometer streichen. Hinzu kommt: Seit dem 01.01.1996 wurden im Land Brandenburg rund 410 Kilometer Bahnstrecke stillgelegt. Das sind 13 % des Gesamtnetzes des Landes Brandenburg. Circa 60 Zugangsstellen für den Personenverkehr wurden durch Stilllegungen geschlossen. Nicht wenige Strecken wurden abgerissen, wie man es jetzt mit den Wohnungen auch machen möchte.

Die verkehrspolitischen Ziele für das System Schiene sind im Verkehrsbericht 2000 der Bundesregierung festgelegt. Er sieht eine Stärkung der Wettbewerbsposition der Schiene zur Entlastung der Straße vor. Dies gilt ebenso für den Personenverkehr. Die Verlagerung muss über marktwirtschaftliche Mechanismen erfolgen. Dazu gehören vor allem attraktive Angebote im Wettbewerb.

Nach der Bahnreform von 1994 liegt die unternehmerische Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit der Verkehrsangebote der Bahn beim Vorstand der AG. Eine bestehende Nachfrage von Kunden muss entweder durch die Bahn AG oder andere befriedigt werden. Die Erfahrungen im Nahverkehr haben gezeigt, dass dort, wo die Bahn AG aus wirtschaftlichen Gründen Strecken nicht mehr betreibt, Mitbewerber durchaus erfolgreich Angebote am Markt platzieren konnten.

Aber ich möchte nicht versäumen, im Namen der DVU-Fraktion daran zu erinnern, dass im Bereich des SPNV die Investitionszuweisungen für Gemeinden von 14 Millionen DM im Jahr

1999 auf nur noch etwas über 7 Millionen DM in den Haushaltsjahren 2000/2001 gekürzt wurden. Ebenfalls wurden die In-vestitionszuschüsse für Privatunternehmen von 47 Millionen DM auf gerade noch 6 Millionen DM im Doppelhaushalt zurückgefahren.

Doch was will man von einer Landesregierung erwarten, welche ab 2001 weitere Nahverkehrsstrecken im Land Brandenburg mit einer Gesamtlänge von circa 250 Kilometern stilllegen lassen will?

Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die Ersetzung durch Buslinien, wie geplant, für die Bevölkerung nur eine Beruhigungspille. Nach Aussage des Bundesverkehrsministers Bodewig muss angesichts des zu erwartenden Verkehrszuwachses das System Schiene gestärkt werden. Die Bahn selbst erklärt, sie könne zum Beispiel bei der Fracht das Ziel einer Verdoppelung bis 2015 nur zu einem Teil selbst bewältigen. Daher muss ein Teil des Zuwachses auch von Dritten getragen und der Wettbewerb auf der Schiene verbessert werden.

Die Unabhängigkeit des Netzes ist keine Frage des „Ob”, sondern des „Wie”. Dies ist spätestens durch das Eisenbahninfrastrukturpaket der EU entschieden. Erforderlich ist, dass sich alle frühzeitig und intensiv vorbereiten. Schnellschüsse müssen vermieden werden.

Nun gibt es ja die „task force”, könnte man beruhigt denken. Deren Aufgabe ist es, unterschiedliche Organisationsmodelle zu prüfen, mit denen die Unabhängigkeit garantiert werden kann. Dazu gehört unter anderem die Prüfung, mit welchem Modell insbesondere sichergestellt werden kann, dass die Vergabe der Trassen und die Festlegung der Trassenpreise unabhängig von Weisungen zum Beispiel einer Holding erfolgen. Hierbei kommt es auf eine angemessene Beteiligung der Länder im Diskussionsprozess an. Aber eine solche gibt es noch nicht. Die DVU-Fraktion wird deshalb dem Antrag von CDU und SPD zustimmen und sich bei der Abstimmung über den PDS-Antrag der Stimme enthalten. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hesselbarth. - Ich gebe das Wort an die Landesregierung. Herr Minister Meyer, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie, meine sehr geehrte Vorrednerin, werden verstehen, wenn ich mich an die wende, die noch etwas von mir erwarten. Sie erwarten nichts mehr von mir. Aber gut, das muss ich noch die nächsten drei Jahre in Kauf nehmen.

Frau Tack, über einen Antrag von Ihnen denke ich immer nach, egal, ob er in den Ausschuss überwiesen wird oder nicht.

Zum Landtagsbeschluss vom 20.09.2000 - Planungen der DB AG zur Einstellung von Fernverkehrsstrecken - wurde im zuständigen Ausschuss in der Tat ausführlich berichtet. Was ich im Ausschuss sagte - was Sie zitiert haben - war richtig; ich danke für das Zitieren.

Inzwischen hat der Bundesverkehrsminister persönlich auf einen gemeinsamen Brief der Länder Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern - in diesem Brief haben wir genau die Punkte, Frau Tack, die Sie angesprochen haben, genannt geantwortet, und zwar abschlägig. Der Bund sieht danach keine Gemeinwohlverpflichtung. Ich glaube, das haben Sie unter der Überschrift „Daseinsvorsorge zum Erhalt des Fernverkehrsangebotes” angesprochen.

Der Bund ist auch nicht zu einer Aufstockung der Regionalisierungsmittel für SPNV-Ersatzleistungen bereit.

(Frau Tack [PDS]: Das ist ein starkes Stück!)

Das ist eine klare Aussage, mit der ich nicht zufrieden bin. Ich werde neben den beiden Ländern, die diesen Brief mit uns gemeinsam geschrieben haben, in der VMK noch andere Länder als Verbündete suchen. Wir haben in der vorgestern und gestern stattgefunden habenden VMK in München auch darüber gesprochen.

Aber zunächst einmal ist der Standpunkt des Bundes so. Zur Wahrung der Landesinteressen bei der von der DB Regio AG besprochenen Reduzierung von Interregio-Leistungen haben die Länder Berlin und Brandenburg ebenfalls gemeinsam protestiert und auch hart verhandelt. Im Ergebnis konnte die InterregioLinie 36, Frankfurt am Main - Stralsund, weitgehend erhalten bleiben. Diese Strecke vor allem liegt im Interesse Brandenburgs; denn sie hat einen Halt in Angermünde und einen in Prenzlau. Daher war sie uns wichtiger als die Strecke Berlin Rostock. Hinzu kam, dass auf der Strecke Berlin - Rostock investiert wird. Das ist dringend notwendig. Die oben genannte Strecke war uns also wichtiger. Damit konnte eine Reduzierung des ursprünglich zu erwartenden Mehraufwandes für den SPNV-Ersatzverkehr durchgesetzt werden.

Völlige Kostenneutralität, wie ich sie mir wünsche und wie Sie sie fordern, konnte bisher nicht erreicht werden. Ich glaube auch nicht, dass wir sie je erreichen, aber eine vernünftige Verrechnung streben wir an. Im Sinne der verfolgten Doppelstrategie wurden die Verhandlungen mit der Deutschen Bahn AG zur Sicherung einer kostenneutralen Lösung fortgesetzt.

Ihre Forderung - Schienenverkehrswegeplan als Bestandteil des Bundesverkehrswegeplanes - ist eine Forderung, die auch von den Ländern gestellt wird. Leider war die Bahn nicht in der Lage, ihre Vorstellungen rechtzeitig in die Vorbereitungen für den Bundesverkehrswegeplan einzubringen. Das war einer der wesentlichen Gründe, weswegen der Bundesverkehrswegeplan wahrscheinlich erst im Jahre 2003 vorgelegt wird.

Parallel dazu wurden die notwendigen Abstimmungen mit den Nachbarländern vorgenommen. Sichergestellt ist, dass durch das mit der Deutschen Bahn Regio AG abgestimmte Linienkonzept auch nach der bevorstehenden Reduzierung von IR-Leistungen ab dem Fahrplanwechsel zum 10.06.2001 eine angemessene Erschließung im Schienenpersonennahverkehr gewährleistet werden kann.

Die Verhandlungen über die Finanzierung dauern noch an, was den Ersatz für die in Wegfall geratene Interregio-Leistung betrifft. So kann eine Ausschreibung bezüglich der Verkehrsleistungen bis zum Zeitpunkt des Wegfalls zum kommenden Fahr

planwechsel nicht realisiert werden. Wettbewerb ja, aber Sie wissen natürlich, wer was in der Zeitung schreibt. Rasch eine Ausschreibung durchgeführt und am 10.06. fahren moderne Vivendi-Züge quer durch Brandenburg? Frau Tack, ich dachte, Sie sind jenseits solcher Träume.

(Zurufe von der PDS)

Es muss nämlich davon ausgegangen werden, dass bei der erfolgten Ausschreibung eine Leistungsübernahme durch andere Eisenbahnverkehrsunternehmen, die keine Triebwagen, die keine Waggons haben, einen Vorbereitungszeitraum von anderthalb bis zwei Jahren benötigen wird. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass der Wettbewerb im SPNV schrittweise fortgesetzt wird. Ausschreibungen werden zurzeit vorbereitet.

Was das Thema Unabhängigkeit von Netz und Betrieb betrifft, sind wir an einer möglichst klaren und schnellen Lösung interessiert. Aber ich warne in Richtung aller Abgeordneten, die vor mir sitzen, vorschnell zu urteilen, ohne sich sachkundig zu machen. Man muss wissen, dass die Trennung von Netz und Betrieb bisher weder in verschiedenen Ländern Europas noch auf anderen Kontinenten zum Erfolg geführt hat. Ich werde der Bahn hier meine Unterstützung noch nicht geben, weil wir in verschiedenen Bereichen noch in der Diskussion sind.

Noch einen Satz, Herr Präsident, wenn Sie erlauben. - Frau Hesselbarth hat hier von der vom Bundesverkehrsminister eingesetzten „task force” gesprochen. Herr Schuldt, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass das kein deutscher Ausdruck ist!

(Gelächter bei der PDS)

Ich möchte mit dem Begriff „Arbeitsgruppe” fortfahren. Anzustreben ist letztlich eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung. Der vorliegende Antrag unterstützt dieses wichtige Anliegen, welches im Übrigen auch Gegenstand der gestern beendeten Verkehrsministerkonferenz war.

Ich gehe davon aus, dass wir als Länder - das hat die gestrige Verkehrsministerkonferenz eindeutig gezeigt - bei der Diskussion um die Zukunft der Bahn die Bahn AG nicht eigenmächtig handeln lassen werden. Aber die Bahn AG hat auch den Auftrag der Bundesregierung, betriebswirtschaftlich zu handeln. Das ist ein Widerspruch: auf der einen Seite betriebswirtschaftliches Handeln und auf der anderen Seite Daseinsvorsorge - um Ihren Begriff zu benutzen. Deshalb müssen und werden wir mit allen Ländern sprechen. Ein dementsprechender Beschluss ist gestern gefasst worden. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Ihnen, Herr Minister Meyer. - Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt angekommen und kommen zur Abstimmung.

Ich rufe zuerst den Antrag der Koalitionsfraktionen zur Abstimmung auf. Er liegt Ihnen in Drucksache 3/2761 vor. Zu diesem Antrag wurde von der PDS-Fraktion Überweisung an den Ausschuss für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr

beantragt. Wer diesem Überweisungsantrag folgt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Überweisungsantrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich rufe den Antrag laut Drucksache 3/2761 zur direkten Abstimmung auf. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen worden.

Ich rufe zum Zweiten den Antrag der PDS laut Drucksache 3/2758 auf. Auch zu diesem Antrag hat die Fraktion der PDS Überweisung an den Ausschuss für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr beantragt. Wer diesem Überweisungsantrag folgt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Überweisungsantrag mehrheitlich abgelehnt worden.