Protocol of the Session on December 14, 2000

Im laufenden Jahr erwarten die Experten der Berliner Bankgesellschaft eine Stei gerung des Bruttoinlandsprodukts uni weniger als 1 %. Damit bliebe Brandenburg nicht nur hinter dem bundesdeutschen, sondern auch hinter dem mitteldeutschen Durchschnitt deutlich zurück. Und auch 2001 dürfte Brandenburg mit einem Wachstum zwischen 1 und 2 % immer noch deutlich hinter allen oder zumindest den meisten Bundesländern herhinken,

Starke Rückgänge sind insbesondere im Bereich der Bauindustrie zu verzeichnen. Nach Angaben des Ministeriums für Wirtschaft ist in der Brandenburger Bauwirtschaft die Talsohle noch lange nicht erreicht. Allein im ersten Halbjahr 2000 ging die Beschäftigung im Bauhauptgewerbe um 7 % zurück.

Doch auch in anderen Branchen, vor allem beim Handwerk, sieht es nicht besser aus. So sank im Handwerk, dem größten Ausbilder in Brandenburg. die Zahl der Lehrstellen von 23 495 im Jahr 1998 auf 21 524 im Jahr 1999 und im Jahr 2000 werden noch weniger Lehrstellen erwartet.

Daneben sind es aber gerade Brandenburger Traditionsbetriebe wie die Märkische Viskose GmbH in Premnitz oder die Eberswalder Fleischwaren GmbH & Co. KG sowie die Fürstenberger Fleischwaren GmbH in Eberswalde, Fürstenberg und Britz, welche in letzter Zeit Insolvenzanträge stellen mussten. mit der Fol ge befürchteter Massenarbeitslosi gkeit in den entsprechenden Regionen.

Allein am Standort Premnitz stellten in den letzten zwei Monaten nicht weniger als fünf Finnen Insolvenzanträge. Bereits Ende Oktober hatte die Märkische Faser AG ihre Acrylproduktion eingestellt und 130 von 458 Beschäftigten entlassen. Mitte November stellte die Märkische Viskose GmbH Insolvenzantrag und hatte zum 1. Dezember ihre Produktionsanlagen stillgelegt. Gleichzeitig mit der Märkischen Viskose GmbH stellte die Verwaltungsfirma Lynx Management mit 45 Beschäftigten Insolvenzantrag. Die Betriebsfeuerwehr mit 26 Beschäftigten,

die für die Sicherheit auf dem Gelände des ehemaligen VEB Chemiefaserwerk verantwortlich war, wurde ebenfalls per Insolvenzantrag aufgelöst. Schließlich landete noch die Instandhaltungsfirma Si lex GmbH mit 49 Beschäftigten vor dem Konkursrichter.

Die heutige Situation ist so, dass den von der Stilllegung betroffenen Mitarbeitern der Märkischen Viskose GmbH von Ihrem Ministerium, Herr Ziel. sogar die Einrichtung einer Auffanggesellschaft strikt verweigert wurde. was für die Beschäftigten den bitteren Gang in die Arbeitslosigkeit bedeutet und überdies fast unmöglich macht, für die Anlagen der ehemaligen Märkischen Viskose GmbH nach einem völligen Herunterfahren jemals wieder einen Investor zu finden.

Aufgrund der Insolvenz der Märkischen Viskose GmbH ebenso wie aufgrund von Zahlungsstockungen bei der Märkischen Faser AG entstanden inzwischen bei den Strom- und Gaslieferanten so hohe Rückstände, dass für den Standort Premnitz einschließlich der dortigen Stadtwerke die Gefahr einer Stromund Gasabschaltung droht, was auch die florierende Firma Polyamid 2000 in den wirtschaftlichen Ruin treiben könnte.

Der zweite große lnsolvenzfall im Land Brandenburg sind die Firmen Eberswalder Fleischwaren GmbH sowie Fürstenberger Fleischwaren GmbH an ihren Standorten Eberswalde. Fürstenberg und Britz. Betrug die Beschäftigtenzahl an diesen Standorten in der Fleischverarbeitung im Jahr 1991 noch über 3 000, waren zuletzt bei der Eberswalder Fleischwaren GmbH & Co. KG Britz 600 Mitarbeiter und bei der Fürstenberger Fleischwaren GmbH in Eisenhüttenstadt 300 Mitarbeiter beschäftigt.

Die Fürstenberger Fleischwaren GmbH. übrigens die Muttergesellschaft der Eberswalder. hat bereits vor sechs Wochen Insolvenzantrag gestellt und die Produktion eingestellt. Laut Aussage von Ihnen. Herr Minister Fürniß, besteht dort trotz modernster Produktionsanlagen keine Chance mehr für eine Wiederaufnahme der Produktion. Darüber hinaus wurde durch das Ministerium für Arbeit und Soziales des Herrn Ziel auch dort die Gründung einer Auffanggesellschaft abgelehnt. Somit wurden die 300 Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit geschickt. In Eberswalde wird nur die Wurstproduktion aufrechterhalten. Doch auch hier verweigern die Arbeitsämter die Unterstützung einer Auffanggesellschaft, die sogar bereits gegründet ist, für 300 der 600 Beschäftigten.

Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank und besonders Sie. Herr Wirtschaftsminister Dr. Fürniß? Wir als DVUFraktion sagen Ihnen: Ihre Wirtschaftspolitik ist gescheitert: denn trotz weniger positiver Ansätze - wie Ihrer Förder- und Serviceagentur, welche unseren seinerzeitigen Antrag auf Lichtung des Förderdschungels in praktische Politik umsetzte. oder im Bereich des Tourismus, welcher eine wirkliche Wachstumsbranche ist - liegt die Brandenburger Wirtschaft im Großen und Ganzen mit der Bauwirtschaft an der Spitze - am Boden. Die von mir soeben geschilderten Beispiele in Eberswalde und Premnitz sind auch nur die Spitze des Eisberges.

Was will man von einer Landesregierung erwarten. welche zugeben muss, dass von insgesamt 820 Millionen DM an EUMitteln im Bereich des Ministeriums für Wirtschaft bis zum 30.09. des Jahres nur 225 Millionen DM abflossen! Dies sind

I 666 Landmg Brandenburg - 3. Wahlperiode - Plenarprotokoll 3128 - 14. Dezember 2000

ganze 27 %. Bis zum Jahresende - ich denke, das kann man voraussagen - wird es nicht wesentlich mehr sein.

Da das Land pleite ist. hat Frau Ministerin Ziegler, die das inzwischen zugibt,

(Zuruf von der SPD)

mangels vorhandener Kofinanzierungsmittel auch gleich den Abfluss der GA-Mittel..Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" 2000 sperren lassen. Darüber freut sich zweifelsohne Ihr Kollege Eichel in Berlin, nicht jedoch die Brandenburger Wirtschaft.

Summa summarum ist aus unserer Sicht festzustellen, dass ein Großteil der Brandenburger Betriebe vor allem im Bereich des Handwerks wirtschaftlich am Boden liegt und gerade viele Brandenburger Traditionsbetriebe bereits Insolvenzantrag gestellt haben, während andererseits Milliardensummen aus Berlin und Brüssel nicht angefordert werden, weil schlicht und ergreifend keine Kofinanzieningsmittel des Landes vorhanden sind.

Trotz dieser Situation hielt es Herr Dr. Ehler nicht einmal für nötig, Angehörige des Vereins SOS Handwerk, welche in Berlin einen erfolgreichen Hungerstreik durchführten, vor dem Wirtschaftsausschuss anzuhören. sondern verglich sie indirekt sogar mit RAF-Terroristen. Schämt cr sich überhaupt nicht - und das als CDU-Mann? Können Sie überhaupt nachempfinden. wie es ist, wenn man monatelang auf sein hart verdientes Geld warten muss, obwohl man gute Arbeit geleistet hat? Und zu guter Letzt dreht einem die Hausbank noch den Geldhahn zu.

(Zuruf des Abgeordneten Karney [CDU])

weil das Handwerk ja nicht mehr so läuft, Herr Karney.

Die Bank entzieht den Kunden das Vertrauen. So wird das heute gehandhabt. Ich weiß das ganz genau. Am meisten betroffen ist davon die Bauwirtschaft.

Und, Frau Blechinger, wie wollen Siedies den Wählerinnen und Wählern im Lande erklären?

Zum Abschluss, Herr Minister Fürniß, möchte ich noch daran erinnern, dass Potsdams Intemet-Vorzei geuntemehmer Uwe Fenner, dessen Firma MIDAT wirklich hochinnovativ ist, Brandenburg entnervt verließ, weil er keine Bank für seinen Börsengang fand. Mit dem Hochtechnologiestandort Brandenburg kann es also auch nicht so weit her sein. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

( Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hesselbarth. - Das Wort geht jetzt für die Koalitionsfraktionen in der ersten Runde an Herrn Abgeordneten Klein.

Zuvor möchte ich Gäste begrüßen, und zwar Schüler der Klasse 10b der Schule Altlandsberg. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall )

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wirtschaftswachstum Brandenburgs war im Durchschnitt der Jahre 1994 bis 1999 das höchste aller neuen Bundesländer. Leider fand der Abbau der Arbeitslosi gkeit nicht in gleichem Maße statt, sondern erfolgte viel zu langsam. Nur dem umfangreichen Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente ist es zu verdanken. dass Schlimmeres verhindert wurde. Allerdings machte auch in der letzten Woche eine sehr erfreuliche Nachricht die Runde, nämlich. dass die Brandenburger das höchste Pro-Kopf-Einkommen aller neuen Bundesländer haben.

Uns Politikern muss bewusst sein, dass diese Zahlen und Statistiken die beruflichen und persönlichen Verhältnisse vieler Brandenburgerinnen und Brandenburger zusammenfassen. Wir Politiker sind mit v eraniwortlich dafür, dass diese Menschen mit Zuversicht an die Zukunft denken können.

Weil wir diese Mitverantwortung für die Menschen im Land haben. sollten wir auch keine Schaufensterdebatten über die wirtschaftliche Situation führen, wie sie der DVU-Fraktion heute vorschwebt: denn die wirtschaftliche Situation ist die Summe der wirtschaftlichen Ergebnisse aller Branchen und die Summe der Arbeitsplatzbilanzen in allen Wirtschaftsbereichen. Man kann sie anhand bestimmter Indikatoren messen. Je nach Ausprägung der Indikatoren kann man auch Bewertungen vornehmen. Was man aber nicht kann. ist, Ansatzpunkte für praktische Wirtschaftspolitik abzuleiten. Aber das wollen und können Sie von der DVU auch gar nicht. Was Sie vorhaben, ist billige parteipolitische Instrumentalisierung der Schicksale vieler Menschen in unserem Land.

(Zustimmendes Klopfen bei der PDS)

Zehn Jahre nach der Wirtschafts- und Währungsunion gibt es in Brandenburg Branchen, die sich hervorra gend entwickeln. Dazu gehört die Verkehrstechnik, dazu gehört die Biotechnik, dazu gehört auch das Ernährungsgewerbe und dazu gehört nicht zuletzt auch der Tourismus. In diesen Branchen werden zahlreiche Erfolgsstorys geschrieben. auf die wir alle stolz sein können.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU)

Wenn es auf der einen Seite boomende Branchen und Betriebe gibt und auf der anderen Seite stagnierende. dann heißt dies. dass die Marktkräfte wirken. Die Etablierung einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung war vor zehn Jahren unser Ziel. Ein Teil dieses Ziels ist somit erreicht. Dies festzustellen bedeutet nicht, dass wir die Augen vor folgenden Sonderfaktoren in Ostdeutschland verschließen:

Erstens die schwierige Situation der Bauwirtschaft, die auch dadurch hervorgerufen wurde. dass es Anfang der 90er Jahre eine problematische Förderpraxis gab. die man aus der heutigen Sicht unter Umständen kritisch sieht:

zweitens die Existenz industrieller Kerne, das heißt strukturprägender gewerblicher Unternehmen in Regionen ohne industrielle Traditionen und ohne ein gewachsenes unternehmerisches Umfeld;

drittens die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit.

Diese Sonderfaktoren machen eine Wirtschaftspolitik notwendig, die manchmal auch den Rahmen sprengen muss, den die reine Lehre der Wirtschaftstheorie eigentlich setzt. Wir müssen das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium entsprechend einsetzen. um die Menschen in der Region zu halten und sie für neue Beschäftigungen zu qualifizieren.

Wir müssen traditionelle brandenburgische Wirtschaftsstandorte sichern: denn sie sind oft der einzige greifbare Ansatzpunkt für die künftige Entwicklung ganzer Regionen. Daher war es richtig, in den vergangenen Jahren um die Standorte Premnitz und Eberswalde zu kämpfen, und es ist auch heute richtig, dass sich die Landesregierung mit den möglichen Mitteln für den Erhalt dieser Standorte einsetzt.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Wir müssen die in der vergangenen Legislaturperiode eingeleitete Wirtschaftspolitik der Reindustrialisierung fortsetzen: denn ohne produzierendes Gewerbe werden sich auch die unternehmensbezogenen Dienstleistungen nicht entwickeln. Ohne die so genannte old economy sieht die new economy ganz schön alt aus. Wir müssen aber auch eine Wirtschaftspolitik einleiten. die den Anforderungen der Zukunft gerecht wird. Ich sehe hierbei vorallem drei Aufgaben, die ich zum Abschluss kurz umreißen möchte.

Erstens: Wissen ist das wichtigste Produktionsmittel des 21. Jahrhunderts. Wirtschaftspolitik muss sich daher zunehmend mit den Bedingungen für die Produktion von Wissen in Schulen. in der Berufsausbildung, in Hochschulen und in allen weiteren Formen des lebenslangen Lernens befassen. Wir führen daher gegenwärtig die Veranstaltungsreihe _Treffpunkt Schule und Wirtschaft- durch, mit der dazu beigetragen werden soll" das bei Schülern vorhandene Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge zu vertiefen.

Zweitens: Das Internet ist die Schlüsseltechnolo gie der Gegenwart. Die Nutzung des Internets durch jeden Bürger. jedes Unternehmen und jede Verwaltung entscheidet über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Weil viele kleinere und mittelständische Unternehmen in Brandenburg die Herausforderung des Internets noch nicht erkannt haben und diese Technologie nur unzureichend nutzen, haben wir eine Initiative E-Business für kleine und mittelständische Unternehmen vorgeschlagen. Ein entsprechendes Förderprogramm wurde mittlerweile im Rahmen der E-Commerce-Initiative des Wirtschaftsministeriums aufgelegt und findet bei den Unternehmen erfreulicherweise guten Zuspruch_

Drittens: Brandenburg braucht mehr Menschen mit dem Mut, ihre Ideen in eigenen Unternehmen umzusetzen. Noch liegt der Anteil der Selbstständi gen an der Gesamtbevölkerung unter dem deutschen Durchschnitt. Damit fehlen in vielen Bereichen Unternehmen, die innovative Produkte auf den Markt bringen und eine wachsende Zahl von Mitarbeitern beschäftigen.

Weil der Mut zur unternehmerischen Existenz nur in einem dafür günstigen gesellschaftlichen Klima entsteht, haben wir eigene Vorstellungen zur Verbesserun g des Klimas für berufliche Selbstständigkeit formuliert und mit Vertretern der Wirtschaft sowie der Landesregierung diskutiert. - Ich danke Ihnen. meine Damen und Herren. für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

Ich danke dem Abgeordneten Klein, der für die SPD-Fraktion sprach und nicht für die Koalitionsfraktionen. Das möchte ich noch korrigieren.

Jetzt gebe ich das Wort an die Fraktion der PDS. Herrn Abgeordneten Thiel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte es bei drei Anmerkungen zum Thema der Aktuellen Stunde bewenden lassen.

Erstens: Wenn die aktuelle wirtschaftliche Situation in Brandenburg auf der Tagesordnung steht, ist dies für die PDS zuerst und vor allem Anlass. über die Entwicklun g der Arbeitslosigkeit im Lande zu sprechen. Im November waren in Brandenburg 210 657 Arbeitslose registriert. Gegenüber dem Vormonat stieg die Zahl der Arbeitslosen deutlich an. nämlich um 2 981 Personen bzw. 1.4 %. Damit sind zwar im Vergleich zum Vorjahr weniger Menschen ohne Arbeit. aber wesentlich mehr als 1998. Wie bereits im Oktober liegt die Zahl der nun neu arbeitslos Gemeldeten über dem Vorjahreswert; wir sind wieder auf dem Weg zur Januar-Quote von 20 %.