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Meine Damen und Herren! Der Grundsatz „Nulla poene sine culpa“ - das heißt, keine Strafe ohne Schuld - hat den Rang eines Verfassungssatzes. Jede Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zum Verschulden des Täters stehen. Im Grundgesetz ist ferner festgeschrieben, dass der Täter nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wertund Achtungsanspruchs werden darf.
Strafrechtliche Schuld ist immer konkret, immer gebunden an eine Straftat in den verschiedenen Abstufungen von Vorsatz und Fahrlässigkeit, niemals aber abstrakt ohne Handeln durch Tun oder Unterlassen. Das heißt aber auch, dass die angedrohte Strafe immer in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen muss. Sie darf nicht in Art und Maß der unter Strafe gestellten Handlung unangemessen sein.
Was sie aber schon gar nicht darf, ist, ohne Vorliegen einer konkreten Straftat ausgesprochen zu werden. Ein Verstoß dagegen wäre verfassungswidrig, da gegen das Rechtsstaatsprinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen werden würde.
Ein hiergegen verstoßendes Gesetz kann nicht Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung sein. Das Gleiche gilt für den Ausspruch von Maßregeln zur Besserung und Sicherung, und um diese handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung.
Weitere verfassungsrechtliche Bedenken haben wir hinsichtlich des Verfassungsgrundsatzes nach Artikel 103 des Grundgesetzes, wonach niemand wegen derselben Straftat mehrmals bestraft werden darf. Aber was ist die nachträgliche Sicherungsverwahrung denn anderes? Selbst wenn später erschwerende Umstände hervortreten, die zum Zeitpunkt der Verurteilung nicht bekannt waren, ist ein erneutes Verfahren nicht möglich. Der Staat hat sich damit ganz bewusst um der Rechtssicherheit willen eine freiwillige Begrenzung in seinem Recht auf Verfolgung strafbarer Handlungen auferlegt. Der Strafanspruch des Staates ist mit Verbüßung der Freiheitsstrafe verbraucht.
Neben diesen gravierenden verfassungsrechtlichen Bedenken gehen wir davon aus, dass eine Landeskompetenz für ein derartiges Gesetzesvorhaben nicht gegeben ist. Es ist nun einmal eindeutig geregelt, dass Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung Bundesrecht sind und Freiheitsentzug als Maßnahme der Gefahrenabwehr Landesrecht ist. Eine Vermischung zwischen beiden bzw. eine Kompetenzverlagerung ist aus unserer Sicht nicht möglich, zumal die Maßnahme der Gefahrenabwehr nach Landesrecht, die eine nur kurze Interventionsmöglichkeit durch die Polizei darstellt, als dauerhafte oder längerfristige Lösung nicht herangezogen werden kann.
Der vorliegende Gesetzentwurf basiert auf Regelungen nach dem Strafgesetzbuch, nach der Strafprozessordnung und nach dem Strafvollstreckungsgesetz. Wo bleibt da das Landesrecht?
Die Sicherungsverwahrung kann nur unter der Bedingung eines Strafausspruchs und damit einer Schuldfeststellung erfolgen. Dabei kann der Zeitpunkt der Prognose über die Gefährlichkeit des Täters immer nur der der Aburteilung sein, es sei denn, es kommt im Strafvollzug zu neuen Straftaten - das kann ein neues Strafverfahren nach sich ziehen -, in deren Ergebnis auch über die Sicherungsverwahrung mit Urteil nachgedacht werden kann.
Nun tut man in Sachsen-Anhalt - zumindest vonseiten der Verfechter dieses Gesetzes - so, als sei der Staat völlig den Menschen ausgesetzt, die nach Verbüßung der Freiheitsstrafe als stark rückfallgefährdet eingestuft werden.
Nach Beendigung der Freiheitsstrafe bietet bereits jetzt geltendes Recht als Ultima ratio neben den ambulanten Möglichkeiten wie Bewährungsüberwachung, Führungsaufsicht und den damit verbundenen Auflagen und Weisungen natürlich auch die verschiedenen Formen des Freiheitsentzugs, wie vorläufige Festnahme, Ingewahrsamnahme usw., als Möglichkeit. Das muss man dann ganz einfach nur tun. Es muss ausgeschöpft werden, was es an gesetzlichen Möglichkeiten heute bereits gibt. Das ist dann der beste Opferschutz.
Dieses Gesetz gaukelt nur einen besseren Opferschutz vor. Mit den Ängsten der Menschen sollte kein Wahlkampf betrieben werden.
Noch eine Bemerkung zum aktuellen Fall in SachsenAnhalt: Wir sollten uns tunlichst davor hüten, nunmehr Gesetze für einzelne Personen zu verabschieden. Das widerspräche nun allem, was Juristen, ob in Ost oder West, jemals in ihrer Ausbildung gelernt haben.
Zum Änderungsantrag von CDU und SPD. Der Antrag verdeutlicht eigentlich die Misere, in der beide Fraktionen stecken. Die neue Überschrift und die damit einhergehende Begründung verschlimmern das Gesetz nur noch, indem nunmehr völlig lösgelöst von Straftaten von einer vorbeugenden Unterbringung gesprochen wird. Diese Terminologie lasse man sich auf der Zunge zergehen!
Aus all den genannten verfassungsrechtlichen Bedenken, die wir haben, werden wir das Gesetz ablehnen.
Nur eine kurze Äußerung. - Herr Remmers, wir könnten jetzt trefflich einen juristischen Streit über den Vergleich zwischen Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung anfangen. Ich glaube, das ersparen wir den anderen. Es bleibt aber nach wie vor eine freiheitsentziehende Maßnahme, die dem Straftäter auferlegt wird.
Vor dem Hintergrund, dass hier immer wieder davon gesprochen wird, dass mit diesem Gesetz verantwortungsbewusst umgegangen wurde, frage ich mich aber, warum man nicht im Vorfeld wenigstens eine Anhörung durchgeführt hat,
in der Sachverständige, Kriminologen, Psychiater, Psychologen, Sachverständige aus dem Strafvollzug, Staatsanwälte und Richter zu diesem Gesetz hätten befragt werden können. Das wäre für mich ein verantwortungsbewusster Umfang mit einem solchen Gesetzesvorhaben gewesen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schulze, ich hatte bei Ihrer Rede den Eindruck, der Wahlkampf lässt grüßen.
Eine jahrzehntlange Forderung nach mehr Schutz für Opfer häuslicher Gewalt wurde erhört und endlich in einen gesetzlichen Rahmen, in das Gewaltschutzgesetz, gegossen. Es ist nunmehr gesetzlich geregelt, dass der Täter geht und das Opfer in seinem häuslichen Bereich verbleiben kann. Mittels Eilantrag kann der Betroffene
vor Gericht durchsetzen, dass ihm die gemeinsame Wohnung überlassen wird, was insbesondere wichtig ist, wenn das Wohl der Kinder gefährdet ist.
Das heißt, dass bereits dann gehandelt werden muss, wenn massive Bedrohungen vorliegen, und nicht erst, wenn der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt ist. Auch bei Telefonterror und dem Nachstellen, dem so genannten Stalking, kann ein Zivilgericht dem Verfolger untersagen, sich in einem bestimmten Umkreis um Wohnung und Arbeitsstelle des Opfers aufzuhalten, wenn das Opfer dem Betreffenden ausdrücklich erklärt hat, dass es keinen Kontakt will.
Gerade diese Art von psychischer Gewalt führt bei Opfern nicht selten zu massiven gesundheitlichen Schäden bis hin zu Selbstmordgedanken, weil sie nicht mehr wissen, wie sie diesen permanenten Nachstellungen und Belästigungen entkommen können.
Nun gibt es die Meinung, dass die Gewalt zwischen Männern und Frauen gleich verteilt sei. Auf welchen statistischen und wissenschaftlichen Erhebungen diese Behauptungen basieren, kann ich nicht sagen. Demgegenüber gibt es seriöse wissenschaftliche Erkenntnisse, die eindeutig belegen, dass Frauen und Kinder noch immer um ein Vielfaches häufiger Opfer von häuslicher Gewalt sind.
Nun zum besagten Professor Bock, der heute bereits zitiert wurde. Es ist schon mehr als makaber, wenn dieser besagte Herr Professor in einem Gutachten zum Gewaltschutzgesetz Folgendes feststellt - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -:
„Männer fürchten den Verlust einer achtbaren männlichen Identität vor sich selbst und ihren Bezugspersonen.“
- Wenn sie häusliche Gewalt anzeigen würden.
„Für Frauen hingegen gibt es eine sozial anerkannte Opferrolle. Durch das Outing können sie ihre materielle, psychische, soziale und rechtliche Lage verbessern. Und deshalb wählen sie den Weg in die Öffentlichkeit, zu den Experten und zu den Gerichten.“
Sarkastisch gesprochen bedeutet dies: Wohl den Frauen, die öfter mal verprügelt werden. Sie haben schließlich nur Vorteile davon. - Oder wie soll man dieses Zitat verstehen?
Es ist für mich unverständlich, warum gerade bei diesen Fragen diese Polarisierung erfolgt. Gewalt empfindet jeder gleich schlimm, ob Frau, Mann oder Kind. Wenn man sich darauf verständigen kann und eine Einigung darüber erzielt wird, wäre dies ein ungeheurer Gewinn und die Chance, mit dem Gewaltschutzgesetz die Gewalt im häuslichen Bereich gravierend einzudämmen.
Ausgangspunkt für Gewalt in Familie und Partnerschaft sind oftmals Konflikte, von denen einer der Beteiligten glaubt, diese nur mit Gewalt lösen zu können. Das bedeutet aber auch, dass insbesondere der Prävention ein hoher Stellenwert beigemessen werden muss. Das heißt, es ist eine Bildungsoffensive notwendig, um Gewalt auch als Gewalt zu entlarven und die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Kinder lernen Gewalt von Eltern, erfahren selbst Gewalt und üben dann oft selbst Gewalt aus. Eltern, Erzieherinnern und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer müssen hierbei zusammenwirken. Dabei kommt der Schule eine große Bedeutung zu.
Eine Reihe von Initiativen und Modellprojekten an Schulen in Sachsen-Anhalt ist ein erster wichtiger Schritt, ebenso wie das Programm der Landesregierung zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. Die Einrichtung von Interventionsstellen und von Beratungsstellen, die Weiterbildung bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten bietet zusammen mit dem Gewaltschutzgesetz eine gute Grundlage.
Da dies alles bei dem Gesetzentwurf der CDU-Fraktion unberücksichtigt blieb und da darin nur auf eine Veränderung des SOG abgezielt wurde, werden wir der Beschlussempfehlung des Innenausschusses folgen und den Gesetzentwurf ablehnen. Das geschieht nicht aus politischem Kalkül, sondern vielmehr aus Sachgründen, da dieses Gesetz viel zu kurz greift. Änderungsanträge hätten dieses Gesetz nicht verbessert.
Eine Änderung des SOG wird - das wird in der Beschlussempfehlung des Gleichstellungsausschusses deutlich - in der nächsten Legislaturperiode notwendig werden, um gesetzliche Unklarheiten zu beseitigen entsprechend den strengen gesetzlichen Anforderungen im Hinblick auf Grundrechtseingriffe sowie aufgrund der bisherigen restriktiven polizeilichen Handlungspraxis bei der Anwendung des Platzverweises und der Gewahrsamnahme.
Eine wichtige Forderung unserer Fraktion muss noch bundesgesetzlich geregelt werden. Zum Schutz von Ausländerinnen vor Gewalt müssen Regelungen erarbeitet werden, nach denen Frauen ausländischer Herkunft bei ihrer Eheschließung sofort ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten, um dann für sich den zivilrechtlichen Schutz in Anspruch nehmen zu können.
Vertreter und Vertreterinnen unserer Fraktion waren zu einem Besuch in Österreich, um sich vor Ort über die ersten Erfahrungen, die dort mit dem Gewaltschutzgesetz gesammelt wurden, unterrichten zu lassen. Erstaunlich für uns war festzustellen, dass uns sowohl in den Interventionsstellen als auch in den Frauenhäusern erklärt wurde, dass diese beiden Stellen gleichberechtigt nebeneinander existieren müssen, weil es immer Frauen geben wird, die den Weg der Wegweisung nicht beschreiten werden und die nach einer Gewalterfahrung nach wie vor in ein Frauenhaus fliehen werden.
Erstaunlich war auch, dass die ersten Erfahrungen mit dem Gewaltschutzgesetz in Österreich zeigten, dass einmal aus der Wohnung gewiesene Ehemänner, die gegenüber den Frauen gewalttätig geworden waren, nicht wieder rückfällig geworden sind. Die Scham, in der Öffentlichkeit bloßgestellt zu werden, war für diese Männer so groß, dass sie nicht ein zweites Mal gewalttätig geworden sind.
Ich hoffe, dass die Erfahrungen, die dort gesammelt worden sind, auch auf Sachsen-Anhalt übertragbar sind. Sachsen-Anhalt ist auf einem guten Weg, um die Gewaltspirale im häuslichen Bereich zu durchbrechen. Deshalb werden wir der Beschlussempfehlung des Gleichstellungsausschusses unsere Zustimmung geben. - Ich danke Ihnen.
Bis Mitte Januar lag noch immer kein Ergebnis aus den Vergütungsverhandlungen zwischen AOK/IKK und der Landesarbeitsgruppe der privaten ambulanten Dienste vor, da bei den Gesprächen am 20. Dezember 2001 weder eine Verständigung zu den Vorschlägen der Landesarbeitsgemeinschaft noch eine Kompromisslösung gefunden wurde.
Nach wie vor lehnt die AOK Sachsen-Anhalt eine Schiedsstellenlösung ab, obwohl es derzeit noch etwa 300 ambulante Dienste gibt, die keinen Vergütungsvertrag mit den oben genannten Krankenkassen haben. Damit werden für gleiche Leistungen und gleiche Qualitätsanforderungen seitens der AOK im ambulanten Pflegebereich unterschiedliche Vergütungen an Dienste der Liga und private Dienste gezahlt.
Ich frage deshalb die Landesregierung:
1. Welcher neue Sachstand ist der Landesregierung zu dem oben genannten Problem nach dem am 18. Januar 2002 zwischen AOK/IKK und der Landesarbeitsgruppe stattgefundenen Gespräch bekannt?
2. Welche Einflussmöglichkeit sieht die Landesregierung, um
a) die AOK Sachsen-Anhalt für eine zeitnahe Schiedsstellenlösung zum derzeitigen Vergütungssystem zu gewinnen?
b) die Verankerung der Möglichkeit, eine Schiedsstelle einzuschalten, im SGB V zu erwirken?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Recht erheben Bürgerinnen und Bürger die Forderung nach konsequenter Bestrafung der Täter sowie nach einem wirksamen Schutz vor künftigen Verbrechen. Dabei sollte jedoch genauestens und sehr ernsthaft geprüft werden, ob die gegenwärtigen rechtlichen Möglichkeiten in vollem Umfang ausgeschöpft und angewandt werden.
Mit dem jetzigen Tagesordnungspunkt bewegen wir uns alle auf einem schwierigen Terrain. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist immer eine Gratwanderung zwischen Emotionen und nüchternen Argumenten, zwischen Populismus und realer Rechtspolitik.
Denen, die versuchen, sich diesem Thema mit Augenmaß und Sachargumenten zu nähern, wird unterstellt, den Täterschutz vor den Opferschutz zu stellen. Wir haben dennoch die unpopuläre Verpflichtung, jede einzelne neue rechtliche Regelung streng rechtsstaatlich zu prüfen;
denn die beabsichtigten Einschnitte in die Persönlichkeitsrechte der Straftäter sind tief und nachhaltig.
Ich gehe davon aus, dass es Konsens zwischen allen demokratischen Parteien ist, dass die Straftäter für begangenes Unrecht bestraft werden müssen, dass neben der Strafe als Reaktion auf die Straftat bestimmte Maßnahmen zur Besserung des Täters und zur Sicherung der Gemeinschaft angeordnet werden können und müssen, dass der Opferschutz verbessert und dass ein viel stärkeres Augenmerk auf Vorbeugung und Prävention gerichtet werden muss.
Ich sage es aber auch mit aller Deutlichkeit: Keinem Opfer wird dadurch mehr Gerechtigkeit zuteil, dass ein Täter undifferenzierter oder mit einem höheren Strafmaß bestraft wird, unabhängig von der konkreten Tat oder Schuldschwere, oder wenn ihm sogar Unrecht geschieht.
Die Sicherungsverwahrung ist die einschneidendste Maßregel des Strafrechts und damit seit ihrer Einführung im Jahr 1933 die kriminalpolitisch umstrittenste. Die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der persönlichen Freiheit des betroffenen Inhaftierten und dem Schutz des Einzelnen bzw. der Gemeinschaft vor gefährlichen Straftätern ist dabei äußerst schwierig.
Unter dem Gesichtspunkt eines tatbezogenen Strafrechts ist die Sicherungsverwahrung, vor allem die nachträgliche Sicherungsverwahrung, eine sehr problematische und streng zu prüfende Maßnahme.
Die Fraktionen, die die vorliegenden Gesetzentwürfe eingebracht haben, betonen, dass die Regelung nur in sehr wenigen Fällen eingreifen wird. Aber der beabsichtigte Eingriff in Form von Freiheitsentzug ist äußerst massiv und bedarf deshalb einer tiefgründigen Prüfung der Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit einer solchen rechtlichen Regelung.
Genau an dieser Stelle beginnt unsere Kritik an den vorliegenden Gesetzentwürfen. Regelungen dieser Tragweite gehören aus verfassungsrechtlichen sowie aus materiell-rechtlichen Gründen ausschließlich in die Aufgabenkompetenz der Bundesgesetzgebung. Wir halten eine Landeskompetenz für die Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für nicht gegeben.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind eine Vermischung von Landes- und Bundesrecht. Sie lavieren zwischen strafrechtlichen und polizeirechtlichen Anknüpfungspunkten für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung: auf der einen Seite Verlängerung der Unterbringung durch Anordnung einer Sicherungsverwahrung gemäß § 66 des Strafgesetzbuches, ohne diesen Paragrafen zu verändern, der sich als strafrechtliche Regelung der Gesetzgebungskompetenz der Länder natürlich entzieht, und auf der andere Seite Sicherungsverwahrung nach eindeutig polizeirechtlichen Regelungen als Maßnahme der Gefahrenabwehr, ohne das SOG zu erweitern, was auf Landesebene zwar möglich, aber nicht gewollt ist.
Der § 1 in beiden Gesetzentwürfen zielt darauf ab, dass bei einem Strafgefangenen eine Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt angeordnet werden kann, wenn davon auszugehen ist, dass von dem Betroffenen eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer ausgeht.
Die Maßnahme der Gefahrenabwehr wird somit allein an die aktuelle Gefährlichkeit des vor seiner Entlassung stehenden Gefangenen geknüpft. Es stellt sich für uns natürlich zunächst die Frage, wie man bei einem seit mehreren Jahren in Haft einsitzenden Verurteilten diese erhebliche und vor allem gegenwärtige Gefahr detailliert und nachvollziehbar begründen will.
Des Weiteren wird deutlich, dass sich die in § 1 der Gesetzentwürfe genannten Voraussetzungen mit den Unterbringungsvoraussetzungen nach § 66 des Strafgesetzbuches decken. Das heißt, bei diesen Straftätern muss bereits vor jeder Verurteilung genauestens geprüft werden, ob bei Gesamtwürdigung der Persönlichkeitsstruktur und der Taten ein Hang zu erheblichen Straftaten zu erkennen ist und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist und deshalb im Urteil Sicherungsverwahrung ausgesprochen wird. So etwas tritt doch nicht erst nach jahrelanger Freiheitsentziehung und Therapierung zutage.
Sie werden auch mit diesem Gesetz keine 100-prozentige Sicherheit erzielen. Die geplante Regelung ist nämlich kaum geeignet, das mit dem Gesetz verfolgte Ziel zu erreichen, die Bürgerinnen und Bürger vor drohenden Gefahren von nicht psychisch Kranken zu schützen. Jeder Strafgefangene, der sich als von nachträglicher Sicherungsverwahrung Bedrohter einschätzt, würde sich - und das mit Erfolg - frühzeitig um die Verlegung ist ein anderes Bundesland, in dem es eine solche nachträg
liche Sicherungsverwahrung nicht gibt, bemühen. Auch blieben die Bürgerinnen und Bürger vom Gefahrenpotenzial noch nicht straffällig gewordener Menschen nach wie vor ungeschützt.
Abschließend sicherlich etwas provokativ: Folgen wir Ihrer Logik, dann frage ich mich, was soll eine zeitlich begrenzte Unterbringung von sechs Monaten wirklich bewirken.
Bisher erfolglos verlaufene Therapieversuche, ja sogar Therapieunwilligkeit lassen sich doch nicht in sechs Monaten verändern. Folgerichtig müssten Sie dann eine lebenslängliche Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt anordnen, und das nach der Strafverbüßung und ohne strafrechtliches Urteil.
Damit würde aber den Kritikern der Sicherungsverwahrung Recht gegeben werden, die sagen - ich zitiere -, „dass mit der Sicherungsverwahrung der Verbrecher wie unbrauchbares Material behandelt und unschädlich gemacht werden muss“.
Selbstverständlich wollen wir in den Ausschüssen mit Ihnen über diese äußerst schwierige Thematik diskutieren und werden uns deshalb bei der Abstimmung über die Ausschussüberweisung der Stimme enthalten. - Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben lange überlegt, ob wir zu diesem Antrag überhaupt
reden sollten. Dieser Antrag und die Rede von Frau Wiechmann, geprägt von so viel Populismus, Unwissenheit und Plattheit - - Ich muss Ihnen sagen, ich muss mich sehr zusammenreißen, um das so vornehm auszudrücken.
Dieser Antrag ist nicht im Entferntesten geeignet, sich mit Vernunft und Besonnenheit diesem Thema zuzuwenden, aber das ist wohl auch nicht gewollt. Man setzt bewusst darauf, die Menschen zu verdummen.
Wir sind in den letzten Jahren schon einiges von der Rechtsaußenpartei gewöhnt, aber dieser Antrag ist wirklich der Gipfel. Abgesehen davon, dass fast alles, was von Frau Wiechmann gefordert wird, in die Zuständigkeit des Bundes fällt, erinnern mich viele der geforderten Maßnahmen an die Zeit des verbrecherischen Faschismus, die glücklicherweise im Jahr 1945 beendet wurde.
Ich nenne nur die Forderung nach amtsärztlicher Erfassung von Personen, die beruflich die Betreuung von Kindern übernommen haben. Man kann nur hoffen, dass viele Lehrer und Erzieher diesen Antrag lesen und dann entsprechend empört auf dieses Ansinnen reagieren, mit dem jeder Pädagoge zum potenziellen Sexualstraftäter abgestempelt wird.
Ich werde nicht jeden Punkt dieses Antrags durchgehen, das ist er nicht wert. Ich äußere mich nur kurz zu einem Punkt. Es gibt bereits die Möglichkeit, schon im Strafverfahren über die Schadenersatzforderung des Opfers zu entscheiden. Das nennt man dann Adhäsionsverfahren, §§ 403 ff. StPO. - Frau Wiechmann, da ich weiß, dass Ihre Fraktion mit Fremdwörtern ihre Probleme hat: Ich kann es Ihnen auch buchstabieren, damit Sie wissen, wie es geschrieben wird.
Auf Bundesebene wird darüber diskutiert, wie dieses Verfahren noch effektiver eingesetzt werden kann. Auch dafür bedurfte es also dieses Antrages nicht.
Es liegt ein Alternativantrag der CDU-Fraktion vor. Ich muss Ihnen sagen, er macht es nicht besser. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die CDUFraktion mit der FDVP-Fraktion in einen Wettlauf getreten ist, wer die Forderungen des Rechtspopulisten Richter Gnadenlos Schill noch übertrifft.
Frei nach dem Wettlauf zwischen Hase und Igel und dem Ausruf: Ick bin all hier!
Ich kann Ihnen versichern, wir werden uns an diesem Wettlauf nicht beteiligen. Wir werden nicht mit den Ängsten und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger in einer so verantwortungslosen Art und Weise Schindluder treiben, unter dem Deckmantel vermeintlicher Rechtsund Sicherheitspolitik, die in Wahrheit keine Präventivoder Sicherheitsmaßnahmen enthält. - Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst zum wiederholten Male einige Bemerkungen zum Begriff „Graffiti“, aber manchmal hilft ja Wiederholung. Nimmt man den Titel des CDU-Antrages ernst, so bedeutet er, dass gegen eine Kunstrichtung vorgegangen werden soll.
In jedem Kunstlexikon ist vermerkt, dass Graffiti eine eigene Kunst- und Kulturform ist, die es seit zweieinhalb Jahrtausenden gibt. Zugegeben, sie ist bisher nicht gesellschaftlich etabliert. Nun mag sie einem gefallen oder nicht, aber an dieser Tatsache kann auch die CDUFraktion nicht vorbei. Es darf nicht Angelegenheit der Politik sein, sie als Verunstaltung oder als Verschönerung zu beurteilen.
Daher ist in diesem Zusammenhang eine drastische und mit Klischees und Vorurteilen behaftete Sprache völlig fehl am Platze.
- Warten Sie doch einmal ab.
Wir haben selbstverständlich auch vollstes Verständnis dafür, dass Eigentümer von Gebäuden, ob nun Privatpersonen, Genossenschaften oder Wohnungsbaugesellschaften, verärgert sind über Beschmierungen - ich benutze hierbei ausdrücklich nicht das Wort „Graffiti“ -, die sehr kostenintensiv beseitigt werden müssen.
Der erneute Ruf nach mehr Repression, nach Strafverschärfung ist auch an dieser Stelle völlig fehl am Platze, auch wenn er jedes Jahr wiederholt wird. Fällt der Politik à la „Richter Gnadenlos“ wirklich als erstes und nicht erst als letztes Mittel immer nur die Forderung nach repressiven Maßnahmen ein, ohne auch nur einen Gedanken darauf zu verwenden, inwieweit sinnvolle Konzepte zur Vorbeugung vorgelegt werden könnten? Für uns wäre dies ein Armutszeugnis für die Politik.
Man kann nicht verlangen, dass sich jeder Politiker wie der Münchner Oberbürgermeister sein Badezimmer mit
Graffiti ausgestalten lässt, aber jeder Verantwortliche sollte über die Möglichkeiten nachdenken, die seine Stadt oder seine Gemeinde hat, ob nicht Flächen für Jugendliche zum Besprayen zur Verfügung gestellt werden können.
Nun zur rechtlichen Beurteilung. Manchmal genügt ein Blick ins Gesetz, und so mancher Antrag hätte sich erledigt. Ich habe im neuesten Strafrechtskommentar aus dem Jahre 2001 vom Beck-Verlag München von Dr. Schönke und Dr. Schröder nachgelesen und dort unter der Kommentierung zu § 303 StGB, das heißt zur Sachbeschädigung, auf Seite 2343 ff. nachgelesen. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, möchte ich zitieren:
„Schließlich kann als Sachbeschädigung die dem Eigentümerinteresse zuwiderlaufende Zustandsveränderung zu werten sein, zum Beispiel die nicht mühelos behebbare Verunstaltung. Die Gegenmeinung in Bundesgerichtshof 29.129 schränkt den Eigentumsschutz ohne sachliche Notwendigkeit zu sehr ein und lässt zudem keine klare Grenze zu den Fällen erkennen, in denen wie bei Statuen, Gemälden und Baudenkmälern auch nach dem BGH eine Veränderung der äußeren Erscheinung als Sachbeschädigung zu beurteilen ist. Sie übergeht den Umstand, dass der betroffene Eigentümer durchaus die Zustandsveränderung als Beschädigung seiner Sache empfindet. Unerheblich ist, ob die beeinträchtigte Sache zuvor ansehnlich war. Voraussetzung ist nur, dass ein vernünftiges (nachvoll- ziehbares) Interesse des Eigentümers an der Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes besteht und dessen Wiederherstellung nicht ohne einige Mühe und Zeitaufwand möglich ist. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Instandsetzung nur über eine Substanzverletzung oder ohne eine solche Folge möglich ist.“
Das heißt, es bedarf nach unserer Rechtsauffassung keiner Strafverschärfung, um dem geschädigten Eigentümer die Möglichkeit zu geben, einen Strafantrag zu stellen, und Sachbeschädigung ist ein Antragsdelikt.
Die zivilrechtliche Seite der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen ist damit aber für die Betroffenen in keiner Weise leichter geworden. Diesen langen Weg hat er trotzdem vor sich.
In diesem Zusammenhang sollte auf die im Frühjahr 2001 vorgelegte Reform des Strafverfahrens geschaut werden, die unter anderem vorsieht, einen strafgerichtlichen Wiedergutmachungsvergleich einzuführen, der eine endgültige einvernehmliche Einigung über den Schadensausgleich noch in der Hauptverhandlung ermöglicht. Ergänzend dazu werden weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche in nahem zeitlichen Zusammenhang mit dem Ermittlungs- und Strafverfahren geprüft. Darüber lohnt es sich zu diskutieren und nicht immer wieder über den Ruf nach Strafverschärfung.
Nach unserer Rechtsauffassung haben sich sowohl der CDU-Antrag als auch der Änderungsantrag der SPD durch Veränderung in der Rechtsauslegung erübrigt. Wir werden beiden Anträgen deswegen nicht zustimmen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 27. März legte die Bundesjustizministerin Vorschläge zur etwaigen Änderung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vor. Gestern wurde die Reform im Bundestag beschlossen.
Bereits in meiner Landtagsrede am 13. Oktober 2000 habe ich darauf verwiesen, dass das Zivilprozessrecht in keiner Weise den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen entspricht. Die geltenden gesetzlichen Bestimmungen sind nahezu 125 Jahre alt und beruhen auf damals sicherlich fortschrittlichen, leicht feudal variierten Denkweisen, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen.
Die Inanspruchnahme gesetzlich geschützter Interessen ist nicht mehr nur einem kleinen elitären Teil der Bevölkerung vorbehalten, sondern ein Massenphänomen, dem die bestehenden gerichtsverfassungsrechtlichen und -verfahrensrechtlichen Regelungen kaum noch gerecht werden können.
Das Versprechen der Regierung, eine grundlegende Strukturreform vorzulegen, die mehr Bürgernähe, Transparenz und Effizienz der Justiz erwarten lässt, wird mit dem vorliegenden Regierungsentwurf und nunmehr beschlossenen Entwurf nicht eingelöst. Die Reform ist zu einem Reförmchen verkümmert, das aus Kostengründen und aus Inkonsequenz stellenweise sogar die ehrenwerten Ziele in das Gegenteil verkehrt.
Die rechtspolitischen Sprecher aller PDS-Landtagsfraktionen und der Bundestagsfraktion haben einen gemeinsamen Standpunkt zur Reform mit folgenden Kritikpunkten erarbeitet - ich möchte nur einige nennen -:
Die Reform hält wider besseres Wissen an einer Kostenneutralität fest. Aber ohne eine personelle und materielle Unterstützung der Justiz werden die begrüßenswerten Ziele der Reform, insbesondere die Stärkung der Eingangsinstanz, nicht zu erreichen sein. Die Verschiebung von Richterstellen aus der zweiten in die erste Instanz vermindert das Problem, löst es aber nicht.
Eine Justizreform, die diesen Namen verdient hat, muss als ein komplexes, rechtspolitisches, finanzielles, organisatorisches und personelles Unternehmen verstanden und realisiert werden. Eine große Justizreform ist zunächst auch immer eine Reform der Gerichtsverfassung. Die alleinige oder vorrangige Änderung der Zivilprozessordnung greift zu kurz, um die angestrebten Ziele der Reform in wünschenswerter Weise zu erreichen.
Rechtsschutzbeschneidungen bei den Rechtsmitteln können auch in Anbetracht einer versprochenen Qualitätserhöhung in der ersten Instanz nicht toleriert werden. Insbesondere können wir nicht damit einverstanden sein, dass das Berufungsgericht Rechtsmittel durch Beschluss, ohne mündliche Verhandlung und ohne andere Rechtsmittel zurückweisen darf, dass das Berufungsgericht nahezu vollständig an die Tatsachenfeststellung der ersten Instanz gebunden ist und dass die Zulassungsform für die Revision unvollständig ist. Im Interesse des Individualrechtsschutzes muss ein Zugang zur Revisionsinstanz bei schweren Verfahrensmängeln bzw. bei überwiegenden Zweifeln an der Richtigkeit einer Entscheidung eingeräumt werden.
Der Vorwurf, dass bürgerferne Berufungsgerichte in Flächenstaaten nicht mit Bürgernähe einhergehen, wird durch die Experimentierklausel relativiert. Diese Klausel kommt zunächst all jenen Ländern entgegen, die keine Umstrukturierung der OLG zu einheitlichen Berufungsinstanzen wünschen. Die Experimentierklausel ist im Zustandekommen eine Kompromissklausel und hinsichtlich ihrer Wirkung eine Hoffnungsklausel.
Da wir kompromisswillig sind, wenn das politisch und fachlich vertretbar ist, und da wir Hoffnungen nicht von vornherein zerschlagen wollen, sollten wir das geplante
Vorhaben bereits im Vorfeld sehr kritisch begleiten. Unter diesem Gesichtspunkt können wir dem Änderungsantrag der SPD zustimmen. - Ich danke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Landtagssitzung am 25. Januar 2001 haben wir uns - das nicht zum ersten Mal - bereits sehr umfassend mit diesem so schwierigen, aber äußerst wichtigen Thema beschäftigt. Konsens vor allem der demokratischen Fraktionen war es, dass ein breites Spektrum von gesetzlichen Bestimmungen, ein gesamtgesellschaftliches Umdenken, aber auch eine Fülle von begleitenden Maßnahmen notwendig sind, um Frauen, Kinder und Männer vor häuslicher Gewalt zu schützen.
Mit etwas Verwunderung habe ich in der Rede von Frau Liebrecht, CDU-Fraktion, Folgendes nachgelesen - mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitiere ich -:
„Nun muss aber folgende Frage erlaubt sein: Welche polizeilichen Eingriffsbefugnisse werden zusätzlich zu den in den §§ 36 ff. des Polizeigesetzes vorhandenen Befugnissen benötigt?
Wenn das vom Bundeskabinett am 13. Dezember 2000 beschlossene Gewaltschutzgesetz in Kraft treten sollte, kann das Opfer mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darüber entscheiden, ob der Gewalttäter unter Androhung einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe aus dem Umfeld des Opfers verbannt wird.
Das Opfer ist und bleibt Herrin des Verfahrens. Werden aber die polizeilichen Befugnisse ausgeweitet, kann nicht mehr das Opfer entscheiden, sondern die Polizei entscheidet über das weitere Verfahren.“
Die PDS-Fraktion hat Ihre damalige Rede so verstanden, dass Sie nicht für eine Erweiterung der polizeilichen Befugnisse sind. Warum bringen Sie dann diesen Gesetzentwurf ein? Warum stellen Sie ihn zu diesem Zeitpunkt, zu dem auch die CDU-Fraktion wusste, dass das Landesprogramm beschlossen war?
Ich möchte an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit sagen: Dieses Thema eignet sich nicht für parteipolitische Profilierungsversuche.
Der vorliegende Gesetzentwurf scheint aber genau dies zu sein. Was soll diese losgelöste Befugniserweiterung hinsichtlich einer Wegweisung für die Polizei, ja sogar für die Verwaltungsorgane ohne Beschränkung auf die Dauer von sieben Tagen? Am achten Tag ist der Täter wieder im häuslichen Bereich und die Gewaltspirale geht unvermindert weiter oder eskaliert sogar.
Erfahrungen in Österreich haben bewiesen, dass es überhaupt keinen Sinn macht, einzelne Elemente eines Gesamtkonzeptes isoliert in Gang zu setzen.
Das von Ministerin Frau Dr. Kuppe im Januar dieses Jahres angekündigte Landesprogramm zur Bekämpfung häuslicher Gewalt ist vom Kabinett beschlossen worden. Das ist ein erster, sehr begrüßenswerter Schritt. Schwerpunkt dieses Programms ist ein konsequentes und einheitliches Vorgehen aller bei dieser Thematik Beteiligten, wie der Justiz, des Jugendamtes, der Beratungsstellen, der Frauenhäuser und der Polizei - aber eben nicht nur der Polizei.
Zentrale Elemente notwendiger Rahmenbedingungen müssen sein die Schaffung von Interventionsstellen, Weiterbildungsmaßnahmen bei Polizei und Justiz, eine Änderung der Strafgesetzgebung, Spezialabteilungen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften, aber auch Beratungsstellen für die Täter, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, gewaltfrei zu leben.
Erst wenn das gewährleistet ist, sind wir bereit, mit Ihnen auch über eine Änderung polizeilicher Befugnisse zu reden, unter strikter Wahrung verfassungsmäßig garantierter Grundrechte der Opfer im Verhältnis zu den Grundrechten des Täters. Das scheint bei Ihrem Antrag überhaupt keine Rolle zu spielen.
Aus diesen Gründen werden wir uns zu Ihrem Gesetzentwurf der Stimme enthalten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns ist sehr wohl bekannt, dass sowohl Verordnungsermächtigung als auch Mittelverwendung in der alleinigen Verantwortung der Landesregierung liegen. Aber gerade bei diesem problembeladenen Thema der Finanzierung der Insolvenzberatungsstellen hätten wir uns eine kollegialere Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und dem Ministerium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales vorgestellt.
Als vor zwei Jahren die Ausführungsverordnung zur Insolvenzordnung und damit einhergehend auch die Finanzierungsverordnung in Kraft trat, war dem eine breite Diskussion sowohl zu inhaltlichen Schwachpunkten der Insolvenzordnung als auch zu den beabsichtigten Finanzierungsmöglichkeiten vorausgegangen.
Bereits in der Landtagssitzung am 8. Oktober 1998 wurde von uns auf die Problematik der geplanten Finanzierung hingewiesen. Wir hatten damals einen Änderungsantrag eingebracht, der im Parlament mehrheitlich beschlossen wurde. Wir hatten mit diesem Änderungsantrag die Hoffnung verbunden, künftig bei der Bewilligung von Personal- und Sachkosten einen größeren Spielraum offen zu halten.
Im Vorblatt zum Entwurf des Ausführungsgesetzes zur Insolvenzordnung wurde damals darauf verwiesen, dass die Höhe der anfallenden Kosten noch nicht exakt vorausbestimmt werden kann, da Erfahrungswerte fehlen, und deshalb zunächst für eine zweijährige Pilotphase Mittel festgelegt werden.
Nun ist die Pilotphase vorbei und die Praxis hat gezeigt, dass die veranschlagten Mittel weder im Sachkostennoch im Personalkostenbereich ausreichen. Es gab in den zwei Jahren zahlreiche Hinweise von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, von einzelnen Beratungsstellen, aber auch von Abgeordneten, die sich in Anhörungen über die praktische Umsetzung der Insolvenzordnung informiert hatten.
In der Landtagssitzung am 19. Juni 1998 ist von uns darauf hingewiesen worden, dass die Eingruppierung in die Vergütungsgruppe V b BAT-Ost in krassem Gegensatz zu den sehr hohen fachlichen Anforderungen an die Beratungsfachkräfte steht. Die Träger der Beratungsstellen sind nicht in der Lage, den Differenzbetrag bis zur tarifgerechten Entlohnung zu zahlen oder bei den Sachkosten aufzustocken.
Wir hatten immer noch die Hoffnung, dass diese zahlreichen und konkret bezifferten Hinweise bei der Neufassung der Finanzierungsverordnung berücksichtigt werden würden. Bestärkt wurde unsere Hoffnung auch dadurch, dass es uns gelungen war, für das Jahr 2001 zusätzliche Mittel in Höhe von 500 000 DM für die Insolvenzberatungsstellen in den Sozialhaushalt einzustellen.
Erst nach mehrmaligem Nachfragen ist es uns gelungen, in Erfahrung zu bringen, dass die neue Finanzierungsverordnung gleichzeitig die alte ist. Das heißt, es wurde keine Mark mehr eingestellt, weder für den Personalnoch für den Sachkostenbereich. Wir fragen uns nun: Wozu all die Mühe?
Auch dem Ministerium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales liegen konkrete Berechnungen vor, die besagen, dass sowohl eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe IV b als auch eine Erhöhung der Mittel für die Sachkosten mit dem eingestellten Geld mög
lich wären. Zwischenzeitlich liegen dem Ministerium die ersten Statistiken vor, aus denen sich ablesen lässt, welche ausgezeichnete Arbeit, sowohl qualitativ als auch quantitativ, täglich in den Insolvenz- und Schuldnerberatungsstellen geleistet wird.
Wartelisten zeugen davon, dass die Beratungsstellen mit dem vorhandenen Personal des Arbeitsanfalls kaum Herr werden können. Wir sind nicht so vermessen, mehr Personal zu verlangen, aber was wir erwarten können, ist eine der Qualifikation und dem Arbeitsanfall angemessene Bezahlung und entsprechend hohe Mittel für die Sachkosten, die es ermöglichen, zum Beispiel notwendige Qualifizierungsmaßnahmen zu bezahlen.
Wir möchten in den von uns genannten Ausschüssen Auskunft darüber erhalten, inwieweit es vielleicht doch möglich ist, die Mittel im Sach- bzw. Personalkostenbereich einzusetzen.
Ich hatte eigentlich angenommen, dass das Thema sehr ernst ist und auf ein breites Interesse stoßen müsste.
Auf all die anderen Probleme, die bei der praktischen Ausführung der Insolvenzordnung aufgetreten sind, kann ich heute nicht eingehen. Nur ein Hinweis sei gestattet: Bereits nach so kurzer Zeit liegt ein Entwurf zur Änderung der Insolvenzordnung im Bundestag zur Beratung vor. Wir hoffen, dass diesmal die vielen Hinweise der Praktiker mehr Beachtung finden. Allerdings bezweifele ich das angesichts einiger beabsichtigter Änderungen, wie zum Beispiel der Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereiches.
Es liegen zwei Änderungsanträge, sowohl der SPDFraktion als auch der CDU-Fraktion, vor. Beide Änderungsanträge sind eigentlich inhaltlich identisch.
Wir können mit beiden Änderungsanträgen leben, sodass wir uns zu beiden Änderungsanträgen der Stimme enthalten werden. - Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das veränderte Gesetz über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid, kurz Volksabstimmungsgesetz genannt, ist am 9. August 1995 in Kraft getreten.
Die PDS-Fraktion hatte damals im Vorfeld eine ganze Reihe von Änderungsanträgen eingebracht, weil der Gesetzentwurf, obwohl weitaus besser als der vorherige von der CDU-FDP-Koalition, hinsichtlich der Bürgerrechte nicht weit genug ging. So wurde zum Beispiel beantragt, ein Beteiligungsrecht für Bürger der EU aufzunehmen oder eine ausdrückliche Regelung aufzunehmen, nach der die Volksinitiative auch eine Bundesratsinitiative zum Ziel haben kann. Diese Anträge fanden keine Mehrheit.
Die PDS-Fraktion hatte ebenfalls beantragt, das komplizierte Verfahren hinsichtlich der Eintragung auf nach den örtlichen Zuständigkeitsbereichen der Meldebehörden getrennt geführten Unterschriftsbögen zu vereinfachen. Genau das hat sich bei der Volksinitiative zum Kinderbetreuungsgesetz als zu große bürokratische Hürde herausgestellt.
Gestatten Sie mir, dass ich aus dem damaligen Redebeitrag von Roland Claus zu diesem Punkt zitiere:
„Bei der Erfassung der Unterschriften sind wir ja jetzt zur bayerischsten aller Lösungen gekommen. Das heißt ganz konkret, dass jemand, der Unterschriften sammelt, erst einmal fragen muss: Wo kommen Sie denn her? Aus welcher Meldebehörde sind Sie denn entsprungen? Nun gehen Sie bitte zu Tisch 17, dort liegt die Liste 133 a. Da haben Sie sich einzutragen!
Wer mit solchen Bögen schon einmal im Regen gestanden hat, unter irgendeinen Torbogen gekrochen ist und dort versucht hat, die Dinge fortzusetzen, wird wissen, wie sehr so etwas das Verfahren erschwert.“
Wie Recht er hatte, zeigen die Erfahrungen der Volksinitiative. Eine Mehrheit fand sich damals für unseren Antrag nicht.
Nun möchte ich an dieser Stelle sagen, dass wir dem CDU-Antrag und dem Änderungsantrag der SPDFraktion nicht ablehnend gegenüberstehen. Auch wir befürworten eine Berichterstattung als Auswertung der Volksinitiative. Uns verwundert nur, dass ausgerechnet die CDU-Fraktion sich zum Anwalt des Volkes aufschwingt,
da sie doch eine völlig andere Auffassung zur Einführung plebiszitärer Elemente hat und zum Beispiel in Sachsen-Anhalt die von PDS und SPD geforderte Absenkung der Quoren für Volksbegehren ablehnt.
Da dazu aber eine Zweidrittelmehrheit im Landtag notwendig ist, scheitert dies an der Haltung der CDU-Fraktion. Sie vertritt die Auffassung, dass die Unterschriftenzahl groß genug sein muss, um den Vorrang der repräsentativen Demokratie deutlich werden zu lassen. Die CDU-Fraktion beantragte im Jahr 1995 sogar, die Antragsquoren von 10 000 auf 25 000 Unterschriften heraufzusetzen, angeblich, um das Verhältnis zu den 250 000 Unterschriften für Volksbegehren zu verbessern.
Man kann über dieses Gesetz nicht reden, ohne grundsätzlich über die Notwendigkeit plebiszitärer Elemente und damit auch über die Höhe der Quoren zu reden. Alles andere ist reiner Populismus und anscheinend nur dafür gedacht, den Wahlkampf einzuläuten.
Ganz deutlich wird die Haltung der CDU aber, wenn man sich Redebeiträge von CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag verinnerlicht.
Die PDS-Bundestagsfraktion hat im Jahre 1999 den Entwurf eines Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid mit der Begründung in den Bundestag eingebracht, dass viele Bürger sich über fehlende bzw. unzureichende Möglichkeiten beklagen, unmittelbar in politische Prozesse eingreifen zu können; sie würden sich immer mehr als Objekte parlamentarischer Demokratie verstehen. So wird immer mehr der Übergang von einer Zuschauer- zu einer Teilhabedemokratie verlangt.
Herr Präsident, gestatten Sie mir, dass ich auszugsweise aus den Redebeiträgen der beiden CDU/CSUAbgeordneten zu diesem Gesetzentwurf zitiere. Ich brauche sie auch nicht zu kommentieren, sie sprechen für sich. Ich zitiere Herrn Marschewski:
„Um die richtige Entscheidung zu treffen, ist ein Blick nach Weimar vonnöten. In der Zeit der Weimarer Republik wurde zwar nur relativ selten von der Möglichkeit plebiszitärer Entscheidungen Gebrauch gemacht, aber der permanente Druck plebiszitärer Entscheidungsmöglichkeiten, der von Nazis und Kommunisten genutzt wurde und zu Gewalttaten auf den Straßen Deutschlands führte, hat die Entwicklung einer stabilen Demokratie verhindert.“
Ich fahre fort:
„Plebiszite verengen die Entscheidung selbst über schwierige Probleme meist auf ein schlichtes Ja oder Nein. Plebiszite blenden auch allzu leicht die Allgemeinwohlorientierung aus; oftmals geht es nämlich lediglich um die Durchsetzung egoistischer Interessen Einzelner.“
Ein Zusatz von mir an dieser Stelle: Die CDU sollte angesichts ihres Spendenskandals gerade über diesen Punkt nochmals gründlich nachdenken.
Ich zitiere weiter:
„Mittels Volksbegehren sollen manchmal Nachteile bestimmter Art auf weniger gut organisierte andere abgewälzt werden. Die in parlamentarischen Ausschüssen mögliche differenzierte und komplexe Problemlösung wird abgelöst durch oftmals emotionsüberlagerte und damit meist eindimensionale Entscheidungen.“
Norbert Röttgen:
„Wir verschließen uns der Diskussion nicht, sind als CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber der klaren Überzeugung, dass Plebiszite das politische System in Deutschland nicht verbessern, sondern verschlechtern würden.“
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz kurz an Herrn Bergner wenden. Er ist nun gerade nicht da.
- Entschuldigung. - Einige Worte hinsichtlich seiner Darstellung in der Öffentlichkeit, der ich widersprechen möchte. Ich möchte mich etwas höflicher ausdrücken als unser parlamentarischer Geschäftsführer und entschieden dem widersprechen, dass wir mit Willkürhandlungen der Volksinitiative im Weg gestanden hätten.
Wir stehen einer Berichterstattung durch die Landesregierung und einer Anhörung der Vertrauensleute sehr aufgeschlossen gegenüber, wenn dies dazu führt, dass in Sachsen-Anhalt den plebiszitären Elementen mehr Raum gegeben wird, dass das Gesetz entbürokratisiert wird und die Quoren herabgesetzt werden. Wir sind jedenfalls auf Diskussionsbeiträge der CDU-Abgeordneten im Ausschuss sehr gespannt.
Wir werden dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zustimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziehen Sie bitte keine falschen Schlussfolgerungen aus meinem Humpeln. Mir ist niemand auf den Fuß getreten wegen unseres Gesetzentwurfes, aber das Parkett im Landtag ist doch sehr glatt, da kann man schon einmal ausrutschen. Aber das Wichtigste ist, dass man wieder aufsteht.
Aber nun zum Thema. In der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf Bundesebene heißt es - mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zitiere ich -:
„Durch ein Informationsfreiheitsgesetz wollen wir unter Berücksichtigung des Datenschutzes den Bürgerinnen und Bürger Informationszugangsrechte verschaffen.“
Genau das wollen wir auch. Da die Bundesregierung im Moment sicherlich andere Prioritäten setzt, haben wir
dieses wichtige Gesetz für Sachsen-Anhalt heute eingebracht, um eine Grundvoraussetzung für die Öffentlichkeit staatlichen Handelns durch die aktive Mitgestaltung der gesellschaftlichen Realität durch kritische Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen.
Mit dem Gesetzentwurf der PDS-Fraktion soll in Sachsen-Anhalt ein umfassender Anspruch auf Informationszugang in allen Verwaltungsbereichen garantiert werden. Jede Bürgerin und jeder Bürger kann im Grundsatz Einsicht in alle Akten und Unterlagen bei Behörden und Einrichtungen des Landes, der Landkreise, bei Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie bei den Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts nehmen, auch dann, wenn diese Unterlagen keine Informationen zu seiner Person enthalten.
Dabei muss das Informationszugangsgesetz in einen größeren Zusammenhang gestellt werden, unter anderem auch als Ergebnis der Rechtsentwicklung in der Europäischen Union und in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern.
Das Recht jedes Bürgers auf Zugang zu Informationen wird auch im europäischen Rahmen als ein demokratisches Recht angesehen, das einer der Eckpfeiler einer bürgernahen und bürgerfreundlichen Gesellschaft ist.
Deutschland ist hinsichtlich der Informationsfreiheit Entwicklungsland. Länder wie Spanien, Frankreich, die USA, die Niederlande oder Österreich, um nur einige zu nennen, bieten seit Jahren, teilweise seit Jahrzehnten ihren Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zur Einsichtnahme in Verwaltungsakten. Erfahrungen aus diesen Ländern zeigen, dass sich anfängliche Befürchtungen, mit einem solchen Gesetz könnten die Verwaltungen lahm gelegt werden, in keinem Fall bestätigt haben.
In Deutschland gibt es derzeit lediglich in Brandenburg, Berlin und Schleswig-Holstein Akteneinsichtsrechtsgesetze.
Gestatten Sie mir, dass ich aus dem Protokoll der öffentlichen Anhörung zum Akteneinsichtsrechtsgesetz im Landtag von Brandenburg zitiere, mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident. Herr Siegenthaler, der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektor des Kantons Bern, Datenschutzaufsichtsstelle, hat in dieser Anhörung Folgendes geäußert:
„Das Gesetz über die Information der Bevölkerung, das wir seit drei Jahren haben, und die zugehörige Verordnung sind inzwischen autark geworden. Das Öffentlichkeitsprinzip hat sich bestens bewährt. Es ist heute voll in den Alltag eingeflossen und niemand möchte zurück zum Zustand vorher. Die Gemeinden waren zu einem großen Teil nicht begeistert. Sie haben während der Diskussion und Beratung über dieses Gesetz versucht, sich davon auszunehmen. Das ist nicht geglückt und auch hier sind die Stimmen heute anders. Die Gemeinden sind froh, dass sie die Gelegenheit haben, Fragen zu beantworten. Sie fangen zunehmend an, aktiv zu informieren, und sehen, dass sie durchaus zu ihrer Arbeit stehen können und dass ihnen dieses Gesetz hilft. Was sie zum Teil gemacht haben, ist, ihre Organisation zu ändern, sodass nur eine Anlaufstelle besteht; aber das ist marginal. Insgesamt ist heute auch die Beurteilung durch die Gemeinden positiv.“
Das deckt sich mit den Erfahrungen, die im Land Brandenburg seit In-Kraft-Treten des Gesetzes gesammelt wurden. Auch dort kam es nicht zu einem Run auf die Verwaltung. Es zeigt sich, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr verantwortungsbewusst mit ihrem neuen Recht umgehen. Die meisten Anfragen beziehen sich auf Verwaltungsvorgänge in Gemeinden und Landkreisen, wobei es insbesondere um Bauakten, Liegenschaftsverzeichnisse und Straßenbaupläne ging.
Auf keinen Fall möchten wir es so verstanden wissen, als sei unser Gesetzentwurf in erster Linie ein Misstrauensvotum gegenüber unseren Verwaltungen oder als würden wir in jeder Amtsstube korruptionsanfällige Beamte vermuten. Unsere Verwaltungen sind besser als ihr Ruf.
Sicher bedarf es einer geraumen Zeit, bis sich eine Kultur der Offenheit durchsetzt, bis die Verwaltungen sogar so weit gehen, dass sie nicht mehr darauf warten, dass der Bürger zu ihnen kommt, um Informationen zu erhalten, sondern dass sie von sich aus Informationen, zum Beispiel im Internet, anbieten. So erarbeitet die Stadt Rathenow ein Konzept zur elektronischen Akteneinsicht, für das sie im Rahmen des Städtewettbewerbs „media@com“ ausgezeichnet wurde.
Wir wollen nicht die Amtsgeheimnisse abschaffen. Aber nicht alles, was in unseren Amtsstuben passiert, sind Amtsgeheimnisse, auch wenn noch viele Verwaltungen so tun, als wäre dies so.
Wir hätten es im Petitionsausschuss mit einer ganzen Reihe von Petitionen weniger zu tun, wenn nicht Bürgerinnern und Bürgern Informationen vorenthalten worden wären. Ich denke da zum Beispiel an den umstrit- tenen Bau des Arsenwerkes in Osterwieck.
Nun noch einige Sätze zum Gesetz selber. Im ersten Abschnitt wird das Informationsrecht geregelt, das heißt, was alles sind Informationen und wer hat Zugang zu diesen.
Der zweite Abschnitt regelt das eigentliche Verfahren über Antragstellung und Bescheidung.
Im dritten Abschnitt sind dann die Einschränkungen des Informationsrechtes geregelt; denn natürlich darf der Zugang zu Informationen nicht schrankenlos sein. Ausgenommen von dem Recht auf Information sind zum Beispiel der Schutz behördlicher Entscheidungsprozesse, der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie der Schutz personenbezogener Daten.
Im vierten Abschnitt finden sich Regelungen zu den Kosten. Dabei muss gesagt werden, dass diese nicht prognostiziert werden können. Das hängt natürlich vom Maß der Inanspruchnahme des Gesetzes ab. Die Personal- und Sachkosten sind durch die Vereinnahmung von Gebühren abzudecken. Das ist im Gesetz geregelt.
Wir haben mit aufgenommen, dass der Datenschutzbeauftragte des Landes angerufen werden kann, wenn eine Antragstellerin oder ein Antragsteller der Ansicht ist, dass sein Informationsersuchen zu Unrecht abgelehnt wurde. Aus diesem Grunde mussten wir das Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger in § 22 ergänzen, da diese Aufgabe dem Landesdatenschutzbeauftragten bisher zwangsläufig noch nicht oblag.
Wir gehen davon aus, dass der vorliegende Gesetzentwurf das gesamte Verfahren des Informationszuganges bürgernah und bürgerfreundlich gestaltet. Durch zahlreiche Regelungen wird verhindert, dass die Verwaltung das Informationsrecht durch verzögerte Bearbeitung, durch missbräuchliche Berufung auf Ausnahmetatbestände oder durch Versagung der erforderlichen sächlichen und technischen Voraussetzungen einschränkt.
Die Verwaltung ist Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger. Dazu gehört aber auch deren politische Informiertheit.
Lassen Sie uns gemeinsam in den Ausschüssen für Inneres sowie federführend im Ausschuss für Recht und Verfassung im positiven Sinne über den vorliegenden Gesetzentwurf streiten, um im Interesse der Bürgerinnen und Bürger von Sachsen-Anhalt die von allen geforderten gläsernen Verwaltungen zu verwirklichen. - Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Püchel, alle Argumente, die Sie vorgebracht haben, sind Argumente, die ich aus dem vielfältigen Material, das ich bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfes gelesen habe, bereits kenne. Es sind alles Argumente, die von Politikern in den Ländern geäußert wurden, die das Gesetz nicht wollen. Diese Argumente haben sich aber im Laufe der Diskussion als nicht haltbar erwiesen.
Vertreter aus dem Ausland, die der Diskussion beigewohnt haben, zum Beispiel in Brandenburg, haben sich sehr erstaunt über das verkrampfte Verhalten von Poli
tikern zu dem Ansinnen gezeigt, Bürgerinnen und Bürgern mehr Rechte zu verschaffen, weil es dort als selbstverständlich angesehen worden ist.
Wenn Sie davon sprechen, dass dieses Gesetz in Brandenburg bisher nur wenig in Anspruch genommen worden ist, dann muss man sich fragen, warum dies so ist. In erster Linie liegt das daran, dass die Bürger von ihrem Recht überhaupt keine Kenntnis haben. Dieses Recht ist den meisten Leuten nicht bekannt, auch in Brandenburg nicht.
Die erste Reaktion von Bürgerinnen und Bürgern aus Brandenburg, als sie davon gehört hatten, dass dieses Gesetz in den Landtag eingebracht und anschließend auch beschlossen worden ist, war: Nun haben wir endlich die Möglichkeit, in unsere personenbezogenen Daten einzusehen. Sie wussten also noch nicht ein- mal, dass sie das bereits seit Jahren können, sondern sie haben mit diesem Akteneinsichtsrechtgesetz - so wird es dort genannt - impliziert, dass sie aufgrund des Gesetzes jetzt in ihre personenbezogenen Daten ein- sehen können.
Das vorgeschlagene Gesetz muss, wenn man es will, auch populär gemacht werden. Den Menschen müssen ihre Rechte genannt und erklärt werden.
Ich glaube nicht, dass jedes Gesetz, das nicht ständig in Anspruch genommen wird, deshalb ein schlechtes Gesetz ist.
Ich glaube, dieser Umkehrschluss darf nicht gezogen werden. Dann sollten wir uns bei manchen Gesetzen auch überlegen, ob wir sie in den Landtag einbringen.
Sie sprachen ebenfalls davon, dass keine Notwendigkeit für das Gesetz besteht, weil die Möglichkeiten, an Informationen zu gelangen, für die Bürger ausreichend sind. - Herr Dr. Püchel, ich lade Sie ein, einmal in den Petitionsausschuss zu kommen. Sie werden in fast jeder Sitzung des Petitionsausschusses erleben, dass Bürgerinnen und Bürger an die Grenzen der Informationsmöglichkeiten in Verwaltungen stoßen, dass sie bewusst falsch informiert werden, dass ihnen die Einsicht in bestimmte Unterlagen verwehrt wird und dass der Petitionsausschuss deshalb eine Flut von Petitionen gerade in diesem Bereich hat.
Gerade im Interesse dieser Bürger, denke ich, ist das Gesetz notwendig. In der Anhörung, die zum Arsenwerk in Osterwieck stattfand, mussten wir feststellen, dass die Bürger bewusst angeschwindelt worden sind. Sie hatten keine Möglichkeit, in die Akten einzusehen. Sie mussten also das für bare Münze nehmen, was ihnen vom Bürgermeister gesagt worden ist.
Wenn Sie, Herr Bullerjahn, sagen, dass das Gesetz aus fachlichen Gründen nicht beratungswürdig ist,
dann muss ich sagen, diese fachlichen Gründe hätten mich schon interessiert. Ich denke, wir haben sicherlich eine andere Auffassung zu den Möglichkeiten der Ausschüsse, ihre Sitzungen zu gestalten. Ich habe bisher immer gedacht, dass der Ausschuss das eigentliche
Gremium ist, in dem über Gesetze gesprochen und über das Für und Wider dieser Gesetze geredet wird,
dass dort Fachleute ihre Argumente austauschen, dass dort das eine oder andere sicherlich geändert werden muss - ich will nicht behaupten, in diesem Gesetz müsste nicht ein Federstrich mehr geändert werden -, dass dort auch die Möglichkeit besteht, Anhörungen durchzuführen, und dass man - so passierte es in Brandenburg - externe Sachverständige einlädt.
Das heißt, dass man Vertreter aus dem Ausland dazu einlädt, um sie zu befragen, da sie schon seit Jahren mit einem solchen Gesetz umgehen. Auch im Ausland - weder in den USA noch in Österreich oder in anderen Ländern - wurden durch ein solches Gesetz die Verwaltungen nicht lahm gelegt. Auch die Kosten sind dort nicht so gestiegen, dass die Verwaltungskosten die Haushalte gesprengt hätten. Das ist einfach nicht wahr.
Auf diese Erfahrungen kann man natürlich zurückgreifen, wenn man im Ausschuss darüber redet. Aber wenn Sie das nicht einmal mehr wollen, dann müssen wir versuchen - wir sind 24, wir werden die Ausschussüberweisung damit schaffen -, Sie vielleicht im Ausschuss zu überzeugen, unserem Anliegen etwas positiver gegenüberzustehen und den Bürgerinnen und Bürgern dazu zu verhelfen, dass sie ein weiteres demokratisches Recht zuerkannt bekommen.
In diesem Sinne bitte ich darum, dass im Ausschuss fair, kritisch und im Sinne unserer Bürger gestritten wird.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Beitrag aus der Sendung „SpiegelTV“ vom Sonntagabend beginnen. Dort wurde über eine junge Frau berichtet, die über Monate von ihrem Lebensgefährten bedroht und geschlagen wurde. Sie erstattete Anzeige, sprach mit Freunden und Verwandten und zog schließlich aus der gemeinsamen Wohnung aus. Geholfen hat ihr das alles nichts. So richtig ernst genommen hat sie auch niemand. Heute ist sie tot - ermordet.
Eine Aussage in dieser Reportage spiegelt die Haltung der Gesellschaft zur häuslichen Gewalt am eindringlichsten wider. Der Wirt einer Gaststätte, in der sich beide gelegentlich aufhielten, erlebte, dass der Mann in seinen Räumen versuchte, die junge Frau zu würgen und zu schlagen. Er ging dazwischen mit den Worten, dass er das in seinen Räumen nicht dulde; sie sollten das gefälligst zu Hause tun. Immer nach dem Motto: Was in den eigenen vier Wänden geschieht, geht mich nichts an.
Der Begriff der Familienstreitigkeit taucht in der Polizeistatistik nicht auf, ebenso wenig die Zuordnung von Gewalttaten im häuslichen Bereich, und das, obwohl die häusliche Gewalt die häufigste Form der Gewalt ist.
Eine Gesetzesinitiative mit weitergehenden Gesetzesänderungen ist unbedingt notwendig. Aber dieses Gesetz muss wie kaum ein anderes vorbereitet und diskutiert werden, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens sowie Akzeptanz und Zustimmung bei den Männern, bei der Justiz, bei der Polizei, aber auch bei den Frauen selbst zu erreichen.