Protocol of the Session on March 1, 2001

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 53. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der dritten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste begrüßen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest und komme zur Entschuldigung von Mitgliedern der Landesregierung. Für die heutige Landtagssitzung liegen folgende Entschuldigungen vor:

Herr Minister Gerhards entschuldigt sich für sein Fehlen bei der heutigen Sitzung. Er nimmt ganztägig an einer Sitzung der Arbeitsgruppe Rentenreform des Vermittlungsausschusses in Berlin teil.

Frau Ministerin Budde lässt sich für die heutige Sitzung des Landtages und für die erste Stunde der morgigen Sitzung entschuldigen. Sie nimmt an der Wirtschafts- ministerkonferenz in Mainz teil.

Zur Tagesordnung. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 29. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Ich möchte darauf verweisen, dass sich die Fraktionen in der Sitzung des Ältestenrates am 22. Februar 2001 darauf verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 12 - Bericht über den Stand der Beratungen zum Entwurf eines Mittelstandsförderungsgesetzes - in Abhängigkeit von der Anwesenheit der Frau Ministerin Budde am morgigen Freitag gegen 10.30 Uhr zu behandeln.

Gibt es weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.

Noch eine Bemerkung zum zeitlichen Ablauf der 29. Sitzungsperiode. Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat darauf verständigt, die heutige Sitzung um ca. 19.30 Uhr zu beenden, da um 20 Uhr im Hotel Upstalsboom eine parlamentarische Begegnung beginnt. Die morgige Sitzung beginnt wie gewohnt um 9 Uhr.

Meine Damen und Herren! Damit rufe ich Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aussprache zur Großen Anfrage

Vollzug des Kinderbetreuungsgesetzes

Große Anfrage der Fraktion der PDS - Drs. 3/3238

Antwort der Landesregierung - Drs. 3/3607

Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine 30-Minuten-Debatte vor. Gemäß § 43 Abs. 6 der Geschäftsordnung wird zunächst dem Fragesteller das Wort erteilt; alsdann erhält es die Landesregierung. Ich möchte noch bemerken, dass nach der Aussprache dem Fragesteller das Recht zusteht, Schlussbemerkungen zu machen.

Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: CDU sechs Minuten Redezeit, DVU-FL fünf Minuten Redezeit, SPD acht Minuten Redezeit, FDVP fünf Minuten Redezeit und PDS sechs Minuten Redezeit.

Ich erteile jetzt der PDS-Fraktion das Wort. Für die Landesregierung spricht anschließend Frau Ministerin Dr. Kuppe. Ich bitte den Fragesteller, das Wort zu ergreifen. Bitte, Frau Dr. Weiher.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kinderbetreuung in Tageseinrichtungen ist als Teil einer

Infrastruktur für Kinder und Eltern aus dem modernen gesellschaftlichen Leben nicht mehr wegzudenken. Kindertagesstätten haben nicht nur für Eltern einen Wert, indem sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Sie haben als Spiel-, Erfahrungs- und Lebensraum einen höchst eigenständigen Wert für Kinder. Aufgabe der Gesellschaft, also von uns allen, sollte es sein, diesen qualitativ auszugestalten und ihn angesichts der sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen für Kinder und Familien ständig neu zu bestimmen.

Sachsen-Anhalt hat sich der Aufgabe der Kinderbetreuung von Beginn an gestellt. Mit den vorhandenen Rechtsansprüchen und im Kontext mit den bestehenden materiellen, personellen und inhaltlichen Standards sind für Kinder und Eltern Voraussetzungen gegeben, eine umfassende und gute Betreuung zu erhalten.

Nicht zu verkennen ist, und zwar nicht erst seit der Haushaltsdiskussion 1998, dass die öffentliche Diskussion um die Finanzierung von sozialpolitischen Leistungen vor der Jugendhilfe und insbesondere vor der Kinderbetreuung nicht Halt gemacht hat. Standardabsenkungen in diesem Bereich, die Gruppengröße, Betreuerschlüssel oder Fachpersonal betreffen, haben unbestritten Auswirkungen auf die Qualität der Betreuung.

Die Debatte um die notwendige Qualität der Betreuung in Tageseinrichtungen bezieht sich aber längst nicht mehr nur auf die strukturellen Rahmenbedingungen. Wenn wir den Wert einer Tageseinrichtung für Kinder untersuchen wollen, sind die Fragen des inhaltlichen Angebots von entscheidender Bedeutung, also Fragen wie die folgenden: Welche Erfahrungen brauchen Kinder? Wie können Kinder am besten in ihrer aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt unterstützt werden? Welchen Bildungsanspruch sollten Einrichtungen erfüllen?

Der Inhalt der Großen Anfrage versucht, nach der erfolgten Novellierung des Kinderbetreuungsgesetzes beide Seiten der Medaille zu erfassen, also zum einen die strukturellen Rahmenbedingungen, aber zum anderen auch die Fragen der inhaltlichen und pädagogischen Ausgestaltung in den Einrichtungen, um von den Ergebnissen ausgehend einige Schwerpunktsetzungen im Hinblick auf eine qualitative Ausgestaltung der Kinderbetreuung vorzunehmen.

Die Antwort der Landesregierung ist sorgfältig erarbeitet und mit viel Zahlenmaterial ausgestattet worden. An vielen Stellen war die Landesregierung auf die Zuarbeit von kommunalen und freien Trägern angewiesen. Deshalb Dank an diese, dass sie die auch für sie teilweise ungewöhnlichen Fragen beantwortet haben. So sind zumindest Tendenzen ablesbar.

Es wird mir nicht gelingen, auf alle Antworten einzugehen. Ich will mich auf drei Problemkreise konzentrieren. Zum ersten Problemkreis, Finanzierung und Betreuungsleistung.

Bis zur erfolgten Novellierung des Kinderbetreuungsgesetzes war es möglich, entsprechend dem Betreuungsumfang die Fördermittel in Form von Ganztags- und Halbtagspauschalen zu erhalten. Die Inanspruchnahme von Halbtagspauschalen ist bis Juli 1999 äußerst gering. Sie beträgt nur etwa 4 bis 5 % der betreuten Kinder. Sie sagt aber offensichtlich wenig über den tatsächlichen Umfang an betreuten Kindern aus.

Dort, wo keine Staffelung der Elternbeiträge angeboten wurde, sind mit großer Wahrscheinlichkeit nur die Ganz

tagspauschalen in Anspruch genommen worden. Das widersprach dem damaligen Gesetz nicht, verhalf aber unter Umständen zu einem guten bis sehr guten Betreuer-Kind-Schlüssel.

Aussagen über den tatsächlichen Betreuungsumfang lassen sich bis zu diesem Zeitpunkt nur schwer treffen. Das betrifft im Übrigen auch Aussagen über die wirkliche Anzahl der betreuten Kinder, da der mögliche Spielraum von 15 % Unterbelegung durch die Träger unterschiedlich ausgenutzt wurde. Es floss aber - das ist keine Vermutung - bis zum Juli 1999 für mehr Kindergartenplätze Geld, als Kinder betreut wurden. Insoweit wurde der einzelne wirklich belegte Platz höher gefördert, als es im Gesetz ausgewiesen war.

Die Differenz zur heutigen Spitzabrechnung und den damit verbundenen deutlich niedrigeren Pauschalen wird somit noch gravierender und für einzelne Träger ausgesprochen hart. Das zeigt sich insbesondere im Bereich der Kindergärten. Hier ist der Einbruch der Kinderzahlen um etwa 4 % größer als der Rückgang der Kinderzahlen im Vergleich zum ersten Quartal 1999. Insgesamt ist aber die Inanspruchnahme des Rechtsanspruches kaum zurückgegangen, wie es beispielsweise von der Volksinitiative „Für die Zukunft unserer Kinder“ prognostiziert worden war und wird.

Die Belegung der Plätze in diesem Bereich im Jahr 2000 führte sogar zu einer ÜPL in Höhe von 26 Millionen DM. Auch die langen Betreuungszeiten von durchschnittlich 8:45 Stunden sind nunmehr belegt und weisen auf die zum Teil sehr schwierige Situation der Träger hin, zumal über die Hälfte aller Einrichtungen kleine und mittlere sind und die großen mit über 90 Kindern die Trägerstruktur nicht dominieren. Der Trend könnte aber daraus in diese Richtung gehen, da sich gerade in den großen Einrichtungen Personal effektiver einsetzen lässt. Es sind aber durchaus auch Zweifel angebracht, ob dann die Qualität besser wird.

In einem engen Zusammenhang mit der Finanzierung und den Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Elternbeiträge stehen auch die Investitionsmittel. Die Zahlen machen deutlich, dass in den vergangenen Jahren überwiegend Einrichtungen freier Träger gefördert wurden, sowohl von der Anzahl als auch vom Volumen her, obwohl nur etwa 25 % der Einrichtungen von freien Trägern betrieben werden.

Über Investitionen lassen sich in erheblichem Maße die Betriebskosten beeinflussen. Gerade kommunale Einrichtungen wie in Halle oder Magdeburg haben einen großen Sanierungsbedarf. Aus diesem Grunde sind die für die nächsten zwei Jahre eingestellten Mittel notwendig und gerechtfertigt.

Bei der Nachfrage nach den privaten nicht geförderten Einrichtungen und deren Spezifika stellen sich allerdings weitere Fragen. Gerade in den kreisfreien Städten zeigt sich, dass offensichtlich ein Bedarf an flexiblen Öffnungszeiten und sogar an Übernachtungsangeboten besteht. Das lässt sich auch durch veränderte Arbeitszeiten, Nachtschichten und anderes erklären. Warum aber können nicht auch solche Einrichtungen stabil gefördert werden?

In Brandenburg und Berlin hat man bereits Erfahrungen mit weit reichenden flexiblen Öffnungszeiten gemacht. Sind diese nicht auch für Sachsen-Anhalt nutzbar? - Ich bin sicher, dass der Bedarf für solche Formen in den nächsten Jahren ansteigen wird - zwar nicht flächen

deckend, aber in bestimmten Gebieten, wie beispielsweise in der Nähe großer Einkaufszentren.

Ich komme zu dem zweiten Punkt, dem Hort und der integrativen Betreuung. Im August dieses Jahres gehen alle bestehenden Horte in den Bereich der Kinderbetreuung über. Das wird nicht ohne Schwierigkeiten ablaufen, wie sich abzeichnet.

Offensichtlich sind sich aber einige der örtlichen Träger der Jugendhilfe nicht ganz im Klaren darüber, dass sie dann für diesen Bereich die komplette Verantwortung tragen. Mut macht auf jeden Fall die Aussage, dass an freie Träger übergebene Horte bisher nicht zurückgegeben wurden und dass dort eine gute Arbeit geleistet wird. Warum also sollten nicht auch Kommunen im August 2001 in der Lage sein, ihren Hort zu übernehmen?

Als problematisch sahen und sehen wir unter anderem die Frage der Hortbetreuung in den Ferien, vor allem wenn kleinere Horte als Einzelstandorte existieren sollen. Bisher konnte das über flexible Arbeitszeitregelungen und Arbeitszeitkonten der Horterzieherinnen ausgeglichen werden. Fraglich ist aber, ob dann, wenn mit der Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten die Hortzeiten auf jeden Fall geringer werden, dieser Ausgleich noch ohne weiteres erfolgen kann.

Umso wichtiger wäre es für die betroffenen Kolleginnen und natürlich vor allem im Interesse eines möglichst reibungsarmen Überganges, über verschiedene Möglichkeiten von Kooperation und Vernetzung nachzudenken und diese durch das Land zu befördern. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.

Die Zahlen bezüglich der integrativen Betreuungsmöglichkeiten zeigen eindeutig, dass sonderpädagogische Einrichtungen keinen Vorrang mehr haben, sondern dass dort, wo es möglich war, behinderte Kinder in integrative Einrichtungen aufgenommen wurden.

Nach wie vor - das geht auch aus der Beantwortung der Großen Anfrage hervor - sehen Träger dieser Einrichtungen aufgrund der Umstellung der Grundanerkenntnis von BSHG nach KJHG keine Auskömmlichkeit durch die Fördermittel. Hier wird es nötig sein, die Gründe durch eine genaue Analyse - wie angekündigt - zu hinterfragen.

Ich komme zu einem dritten Punkt. Er betrifft die inhaltliche Ausgestaltung und die Profilbildung. Wichtig erscheint mir, dass aus der Beantwortung der Großen Anfrage hervorgeht, dass sich Sachsen-Anhalt zumindest modellhaft an verschiedenen Projekten bezüglich einer qualifizierten inhaltlichen Ausgestaltung von Kindertagesstätten beteiligt.

Sowohl die Ergebnisse, die im Bundesmodell „Nationale Qualitätsinitiative“ erreicht werden, als auch die, die bereits aus eigenständigen oder mit anderen Bundesländern gemeinsam durchgeführten Projekten vorliegen, sollten schnellstmöglich einem öffentlichen Diskurs unterzogen werden.

Von besonderem Interesse erscheinen mir die Ergebnisse des Situationsansatzes und im Zusammenhang mit der Übernahme der Horte das Landesmodellprojekt „Möglichkeiten und Grenzen der Integration von Hortkindern in bestehende Angebotsformen der Tagesbetreuung und deren Vernetzung mit Angeboten der offenen Kinder- und Jugendarbeit“. Solche innovativen Ansätze, die neue Förderstrukturen entwickeln, müssen vom Land gefördert werden.

Die in den Haushalt eingestellten Mittel sind in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Wäre hier nicht eher ein Nachdenken über einen Innovationsfonds vonnöten, über den kreative Anstöße als Reaktion auf die veränderten Bedingungen im Kinder- und Jugendbereich gefördert werden?

Es stellen sich nicht nur die Fragen nach neuen Förderstrukturen, auch die Klientel ändert sich. Die Zahl von sozial benachteiligten Kindern, von Kindern aus Aussiedler- und Asylbewerberfamilien steigt. Damit ändern sich inhaltliche und strukturelle Ansprüche an die Kinder- und Jugendhilfe.

Wie können wir besser darauf reagieren, als einen Wettbewerb um gute Lösungen zu ermöglichen, die nachnutzbar sind und durch ein gutes Netz von Beratung und Unterstützung nachgenutzt werden? Freie Träger tun sich hierbei übrigens offensichtlich weniger schwer als kommunale Träger, wie die Beantwortung der Frage 21 zeigt.

Nicht zufrieden stellend sind übrigens die Antworten auf die Fragen 22, 28 und 29. Ich meine, es ist längst überfällig, über Qualität bei der Ausprägung von sozialen und Bildungskompetenzen nicht nur abstrakt zu reden, sondern zu wissen, wie der konkrete Stand in SachsenAnhalts Kindertagesstätten ist.

Wissenschaftlich begleitete Studien im Hinblick auf die Entwicklung der für die Kinder wichtigen Fähigkeiten und Fertigkeiten sollten in Gang gesetzt werden. Für viele Kinder ist der Besuch einer Kindertagesstätte der längste oder zweitlängste zusammenhängende Bildungsabschnitt. Umso problematischer ist es, wenn wir nicht wissen, was und wie Kinder dort lernen. Erwartungen von Eltern, Schule und Gesellschaft an Kindertagesstätten können dann formuliert werden und auf entsprechenden Voraussetzungen aufbauen.

Ich will zum Schluss versuchen, die Probleme, die sich unserer Ansicht nach aus der Beantwortung der Großen Anfrage ergeben, in fünf Schwerpunkten kurz zusammenzufassen.

Erstens. Die Zahlen bestätigen unsere Prognosen. Es besteht auch nach der Novellierung des Kinderbetreuungsgesetzes eine ungebrochen hohe Nachfrage nach Plätzen und nach langen Betreuungszeiten in den Einrichtungen.

Die vielen kleinen und mittleren Einrichtungen besitzen keinerlei Personalreserven. Sie könnten bei einem weiteren Absinken der Pauschalen eher gezwungen sein, entweder die Elternbeiträge weiter zu erhöhen oder den Betreuungsschlüssel nur noch für maximal acht Stunden vorzuhalten. Die Frage der Auskömmlichkeit der Pauschalen bleibt also nach wie vor ein Schwerpunkt der Diskussion.