Andreas Bialas
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Last Statements
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eher selten in Haushaltsverhandlungen und -debatten ist der Dank an die Landesregierung seitens der Opposition, aber ich glaube, das kann man ausdrücklich bei dem Haushalt für Kultur tun.
NRW sichert, bewahrt und entwickelt die Grundfinanzierung und -sicherung in den Sparten, und das ist auch gut so. NRW hilft auch in Krisensituationen – nicht jeder und jedem, nicht allen Einrichtungen, aber vielen Einrichtungen und vielen Künstlerinnen und Künstlern. Es gibt auch Probleme – es ist nicht alles Gold, was glänzt –, aber es ist eben auch nicht nichts. Dafür muss man auch Danke sagen können.
Zusammen kämpfen wir auch für unmittelbare Kompensationszahlungen an Soloselbstständige, an Künstlerinnen und Künstler, an Personen aus der Veranstaltungswirtschaft. Gemeinsam kämpfen wir für eine langfristige Sicherung des Paradoxons, nämlich die unverschuldete Arbeitslosigkeit in der Selbstständigkeit aufgrund staatlicher Vorgaben.
Pathetisch könnte man sagen – aber das überlasse ich den regierungstragenden Fraktionen, weil die auch noch ein bisschen was Positives sagen und loben können; das können sie dann vielleicht übernehmen –, dass Deutschlands Kulturlandschaft in der Krise mehr NRW gebrauchen könnte.
Es werden sich aber auch weitere Herausforderungen ergeben, und die darf ich hier ansprechen. Es sind sechs Punkte:
Erstens. Der Kulturhaushalt an sich ist eine schöne kleine Insel, aber sie befindet sich im großen Meer der Kommunalfinanzen, die für die Kommunen klar und sicher sein müssen, bzw. es dürfen nicht erneut neue Lasten auf die Kommunen zukommen.
Der Rettungsschirm des Landes muss auch die Kommunen umschließen; sie sind der wesentliche Träger der Kulturfinanzierung in Nordrhein-Westfalen. Wenn die Kommunen nun nur weitere Darlehn anstatt Ausgleiche bezüglich ihrer Steuereinbrüche erhalten, wird das früher oder später in nicht unerheblichem Maße auf die Kultur drücken. Es ist daher wichtig, dass hier Finanzräume und Schutzräume geplant und eingezogen werden.
Der zweite Punkt ist: Kulturförderkriterien müssen weiterhin dem Krisenstatus angepasst werden bzw.
angepasst bleiben, insbesondere in puncto Mehrjährigkeit, Übertragungsfähigkeit, Ausfallhonorare, Probleme bei Co-Aufträgerschaften mit Kommunen etc. Die Probleme sind allbekannt und eigentlich Dauerbrenner in der Kulturfinanzierung.
Drittens. Das sehr erfolgreiche und in seiner Grundanlage völlig überzeugende Stipendienprogramm, künstlerische Tätigkeit zu bezahlen und nicht Notlagen allein zu alimentieren, läuft Anfang des nächsten Jahres aus. Dies sollte dringend neu aufgelegt werden.
Nun könnte ich beleidigt sein, weil Sie alle meine Änderungsanträge abgelehnt haben. Ich kann uns aber auch allen eine Freude machen, denn während Sie einen stark auf Ästhetik, Pflege und Erhalt ausgerichteten Haushalt vorlegen, haben wir versucht, mit unseren Änderungsanträgen den gesellschaftspolitischen und bildungspolitischen Aspekt der Kultur zu stärken.
Wie gesagt, all das ist abgelehnt worden. Wir werden diesbezüglich nun regelmäßig Anträge zur inhaltlichen Beratung einbringen, und ich bin mir sicher: Im Haushalt 2022 wollen Sie dann genau diese Projekte finanzieren.
Diese gesellschaftspolitischen Themen sind relevanten und gerade in der jetzigen Zeit dringend zu behandeln, da sie geeignet sind, eine notwendige Verortung der Kultur vorzunehmen. Das sind Inklusion, Diversität, Gendergerechtigkeit, Antirassismus, Gerechtigkeit und Schutz auch innerhalb des Kultursystems, Interkultur, Digitalität, Klimaschutz, Nachhaltigkeit und öffentliche Vermarktungsplattformen, aber auch die Frage, inwieweit die Kultureinrichtungen, die durch die Pandemie verursachten und befürchteten Defizite im Elementarbereich der Schulen unterstützend mit ausgleichen können.
All unsere Vorschläge, sich dem insbesondere zum Teil auch wissenschaftlich zu nähern, haben Sie, wie gesagt, abgelehnt. Wir werden daher umfangreich in den Diskurs eintreten.
Dieser erscheint uns wichtig, da derzeit vielerorts – und es wird bei knapper werdenden Budgets bestimmt auch nicht besser – Fragen nach der Relevanz von Kunst und Kultur und deren öffentlicher Finanzierung aufgeworfen werden.
Diese Fragen werden wir nicht alleine aus dem Ästhetikzusammenhang heraus befriedigend beantworten können, sondern eher aus einer Position heraus, welche Kultur auch als Ort von Kultus und Bildung versteht, notwendige gesellschaftliche Transformationsprozesse aufgreift und selbst mit initiiert.
Bevor andere diese Fragen nach der Relevanz für uns beantworten – besonders dann, wenn es nicht in unserem Sinne ist –, schlage ich vor, dass wir das selbst machen. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf direkt zum Antrag kommen: Es bedarf dieses Antrages schlicht nicht. Sie wollen sich als Anwalt der Kulturszene darstellen, aber das wird Ihnen schwerlich gelingen.
Sie haben hier an diesem Pult vor genau 197 Tagen beim Antrag zur finanziellen Existenzsicherung der Künstlerinnen und Künstler Ihr Verständnis von Kulturpolitik klar und präzise dargestellt. Ich darf zitieren:
„Der SPD-Antrag zeigt wieder einmal deutlich, dass die ehemalige Arbeiterpartei für jeden offensichtlich Klientelpolitik reinsten Wassers betreibt. …“
„Die heutige Kunst- und Kulturszene ist linksorientiert. Man könnte fast sagen, die heutige Kunstszene versteht sich zu oft als Vorfeldorganisation einer längst überholten linken bzw. marxistisch begründeten Ideologie: ….“
Damit ist, glaube ich, alles abschließend gesagt.
Lassen Sie mich trotzdem etwas zu den LockdownMaßnahmen insgesamt sagen. Wir hatten bereits vor zwei Tagen eine Debatte über die Existenznöte der Solo-Selbstständigen. Darauf gehe ich nicht ein, unsere Position ist auch hinlänglich bekannt.
Die Pandemie und ihr Infektionsgeschehen: Wir wissen schlicht zu wenig. Wir haben Ahnungen, gewisse Erkenntnisse, Meinungen, die sich auch wieder ändern können. Wir leben in einer verwissenschaftlichten Welt. Wir sind mit unserem täglichen Leben auf die Methoden der Wissenschaft zurückgeworfen, die eben nicht von Anfang an mit sicherem Wissen aufwartet, sondern mit Prognosen, Tendenzen, Annahmen, Hypothesen, Versuchen etc. Das ist nicht schön, aber man kann es derzeit auch nicht ändern.
Für die Politik soll immer etwas anderes gelten, aber das geht schlicht und ergreifend in diesen Zeiten nicht. Auch das müssen wir anerkennen.
Was sich derzeit als sehr wahrscheinlich darstellt, ist, dass es sich um ein sehr gefährliches Virus handelt, das sich besonders dort gut ausbreitet, wo sich viele Menschen in begrenzten und ungelüfteten Räumen begegnen.
Es gibt Leute, die das leugnen. Es gibt aber auch Leute, die versuchen, so viel Schaden wie möglich von so vielen Menschen wie möglich fernzuhalten, die begreifen, dass es sich hier um eine existenzielle Frage des Lebens und Überlebens handelt.
Daher versucht man, Gefahrensituationen zu minimieren und die Beweglichkeit zwischen diesen Räumen einzuschränken. Das ist schmerzhaft, aber wohl unerlässlich.
Umso wichtiger ist es aber auch für Lockdown-Maßnahmen, die Orte eines auffälligen Infektionsgeschehens zu identifizieren. Das haben wir in der Tat bei den Kulturorten so nicht, wir wissen es aber auch nicht genau. Wenn wir dort entsprechende Maßnahmen treffen, müssen wir schon schlüssige Gründe in nachvollziehbaren Vergleichskategorien angeben. In diesem Lichte ist es notwendig, eine entsprechende Verordnung für Kultureinrichtungen vorzunehmen.
Nach unserer Auffassung sind Kulturorte insbesondere auch Bildungsorte. Kulturorte können Orte von Sinnsuche und Sinnfindung sein. Gerade in säkularisierten Staaten übernehmen die Kunst und ihre innenliegende Kraft spezifische Formen der Reflexion und Vergewisserung – besonders in Krisenzeiten.
Kulturorte sind eben nicht in eine Reihe von Amüsierbetrieben und Freizeitangeboten einzuordnen. Sie
sind einzuordnen in die Phalanx von Kultusstätten und Bildungseinrichtungen, und sie müssen dementsprechend und vergleichbar behandelt werden.
Wenn also die Schulen offen sind, müssen auch die Musikschulen offen sein. Wenn die Kirchen offen sind, müssen auch Kultureinrichtungen offen sein. Die Begründung des Gegenteils, dass das in anderen Ländern gemacht wird, ist nicht schlüssig. Es ist auch nicht schlüssig, wenn ein Musiklehrer beim WDR anruft, den Ministerpräsidenten spricht und sagt: „Macht mal die Musikschule auf“, und das passiert dann tatsächlich. Wir brauchen schon verlässliche Kriterien, die auch eine innere Haltung aufweisen.
Wie man auf die Idee kommen kann, gerade in einer Krisenzeit die Bildungsdimension und die gesellschaftspolitischen Komponenten der Kultur infrage zu stellen oder außer Acht zu lassen, ist mir schleierhaft.
Schleierhaft ist mir auch der Gedanke, dass man beispielsweise die geschlossene Bildungseinrichtung Museum für den Schulunterricht nutzen möchte. Das ist für mich ein innerer Widerspruch.
Lassen Sie mich noch etwas zu einem spezifischen „Grillgut der Extrawürste“ sagen: Ich halte diesen Vergleich wahrlich für fehl am Platze, aber das war es dann auch schon. Ich habe die Anfeindungen der Person der Ministerin und die zahlreichen falschen Aussagen über die Mühen und die Leistungen ihrer Person im Netz und in den Medien verfolgen können. Ich möchte hier sehr deutlich sagen: Wir streiten uns mit Sicherheit über viele Inhalte und Sichtweisen. Aber in den Zeiten der Krise sind und waren Sie – Sie werden ihr das mit Sicherheit ausrichten, Herr Staatssekretär – ein verlässlicher Partner der Künstlerinnen und Künstler, ein verlässlicher Partner der Kultur. Dafür darf man selbst aus der Opposition heraus einmal Danke sagen.
Wenn sich alle für Kunst und Kultur so einsetzen würden, wie es die Kulturpolitiker in Nordrhein-Westfalen machen, wie es das Kulturministerium macht, wie es der Kulturrat macht – auch auf der Bundesebene, ob das Herr Zimmermann ist oder hier Herr Baum –, dann wären wir in vielem weiter.
Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. – Dafür streiten wir in der Kulturpolitik. In den letzten Tagen ging es natürlich um die finanzielle Unterstützung der Künstlerinnen und die Lockdown-Maßnahmen. Aber auch in Zeiten der Krise werden sich Kulturpolitiker sicherlich nicht auseinanderdividieren lassen. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zunächst den Grünen für das Stellen der Großen Anfrage und natürlich der Landesregierung für die Beantwortung derselben danken.
Das ist eine wichtige Anfrage. Aber es gibt leider kein schönes Ergebnis, sondern vielmehr eine Antwort, die das ganze Ausmaß und die Gefahr des Rechtsextremismus in NRW darstellt – leider auch, dass die
Gefahr zu- und nicht abnimmt und dass sie immer verästelter und infiltrierender wird und wirkt.
Ich will nicht über die exorbitanten Straftaten reden. Wir kennen sie alle. Ich möchte auch nicht über die Begrifflichkeit von Extremismus sprechen. Das kennen wir ebenfalls. Wir brauchen auch keine Bekenntnisse abzugeben, inwieweit die Extremen nicht auf dem Grundgesetz fußen. Auch das ist uns eigen.
Aber ich möchte darüber reden, wie Grundkriterien des Rechtsextremismus, nämlich zum Beispiel die Grundannahme der Ungleichwertigkeit von Menschen, wie ein schleichendes Gift in unsere Gesellschaft sickern – ein Gift, an welchem sich manche gar genüsslich laben.
Ich möchte über ein Gift sprechen, welches meist noch keine Straftat ist, nicht als herausgehobenes, verabscheuungswürdiges Verbrechen daherkommt und nicht als besonderes Vorkommnis einige Tage die Medienlandschaft bespielt, sondern als scheinbar ganz normaler Begleiter unseres Alltagslebens vorhanden ist.
Ich rede von einem Gift, welches sich Alltagsrassismus, Frauenfeindlichkeit und Sexismus nennt, sich in den verschiedensten Phobien zeigt, in übersteigertem Nationalismus und völkischer Verkleidung, in Antisemitismus und Antiziganismus daherkommt. Man kann die Liste weiter fortführen.
Es beginnt in Bemerkungen, in Distanzierungen, in Liedtexten, in Reden, in Berichterstattungen, in Witzen, in Denkhaltungen und in Zugangsbeschränkungen bei der Teilhabe für spezifische Personen.
Dieses Gift ist so alltäglich, so normal, dass es kaum als toxisch oder auch nur als bedenklich wahrgenommen wird. Wenn man darauf hinweist und darüber zu reden beginnt, wird man oftmals als Kleinkarierter, als Sensibelchen oder als Spaßbefreiter belächelt, und es wird eher auf ein Gefühl, das man dann halt hat, reduziert.
Aber dieses Gift wirkt als strukturelle Diskriminierung. Kollege Panske hat gerade die Richtung hin zum Terrorismus und auch zum Populismus aufgemacht. Wenn man schaut, was vor dem Extremismus kommt, ist man genau in diesem Bereich, den ich gerade zu skizzieren versuche.
Denn es breitet sich dann als Referenzpunkt von Betrachtungen aus. Es wirkt sich als eine Verschiebung grundlegender Denkhaltungen aus, bildet mit das Grundrauschen der Kommunikation und hat Einfluss darauf, durch welche Brille geschaut wird. Es verschiebt sich etwas.
Daher möchte ich an dieser Stelle für eine Achtsamkeit plädieren: hingucken, hinhören, erkennen als das, was es ist.
Wer rechtsextremistisches Denken und insbesondere seine Grundkriterien aufspüren möchte, muss
bei Frauenfeindlichkeit hinhören. Er muss zuhören, wenn Menschenrechte und Menschenwürde abgewertet werden, wenn Minderheitenschutz infrage gestellt wird, wenn Pluralismus und Diversität verächtlich gemacht werden oder auch, wenn unser Staat und seine Einrichtungen, auch seine parlamentarischen Arme, diffamiert und lächerlich gemacht werden – übrigens dann auch die Presse. Auch hier gibt es eine lange Liste, die man fortführen könnte.
Zusätzlich: Wer rechtsextremistisches Denken aufspüren möchte, muss auch darauf achten, dass es oft genug Opfer gibt, die nie berücksichtigt werden – nicht nur Tote, sondern vielfach anderweitig Verletzte, Gemobbte, Diskriminierte, Beleidigte, Zurückgestoßene, Ausgeschlossene und lächerlich Gemachte. Es bräuchte auch einen Bericht über die zahlreichen Opfer.
Und: Wir müssen uns noch viel mehr überlegen, dass wir und wie wir diese Menschen nicht alleinlassen.
Rechtsextremismus lässt sich nicht bekämpfen, wenn man nicht die Erscheinungsformen erkennen möchte oder über sie hinwegsieht. Rechtsextremismus lässt sich auch nicht bekämpfen, wenn man nicht zuallererst immer wieder aufspürt, wo und wie er sich zeigt und was er bei Betroffenen anrichtet.
Die Große Anfrage und die Antworten geben keine Hoffnung auf baldige Heilung. Aber sie sind Grundlage – Grundlage für Tätigwerden, Grundlage für Erkenntnisse, aus denen sich Tätigwerden dann auch speisen kann, aber eben auch Grundlage, im Kampf gegen Rechtsextremismus nie nachzulassen. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich schicke einmal das Gute vorweg: Ich denke, wir sind uns in vielem einig. In einigen Dingen sind wir uns noch nicht ganz nah. Aber der Konsens überwiegt. Auch beim Kern der Forderungen sind wir uns einig. Wir haben auch begriffen, dass wir querbeet alle zusammen Druck ausüben und an der Seite der SoloSelbstständigen stehen müssen. Das tun wir auch.
Ich darf ein bisschen ausholen. Unsere Kultur, also unser bewusstes, geordnetes Zusammenleben, hat wesentlich etwas damit zu tun, dass Menschen sich begegnen und treffen wollen, dass sie zusammenkommen möchten, dass sie sich nah sein wollen und sich durchaus auch berühren möchten, dass Mensch mit Mensch zusammenkommt. Das ist eine Grunderfahrung unserer Sozietät.
In der Regel findet dies aber nicht mehr statt, indem man auf eine Wiese oder in den Wald geht, sich auf einen Holzblock setzt und sich miteinander unterhält. Vielmehr geht man ins Lokal oder ins Kino oder trifft sich in Parks mit zusätzlichen Angeboten, auf Weihnachtsmärkten und bei Schützenfesten. Man trifft sich bei Konzerten, im Theater, auf Tanzveranstaltungen, in Klubs, bei Lesungen oder im Karneval. Ihre Fantasie reicht mit Sicherheit aus, diese Liste noch sehr lange fortzusetzen. Das heißt, dass unsere Begegnungen in einem spezifischen Setting stattfinden.
Um das Treffen der Menschen herum hat sich eine Angebotsstruktur und damit einhergehend eine Veranstaltungswirtschaft – wenn man sie so nennen möchte; auch andere Formen und Anbieter gibt es – gebildet, übrigens von enormer Größe.
Aber der Mensch bedarf nicht nur der sozialen Komponente. Er bedarf auch der Komponente der Bildung, der Selbstvergewisserung, der Reflexion und der Plattformen bei der Suche nach Sinn und Bedeutung. Dafür bedarf es der Lehranstalten, der Orte der Religionsausübung, aber eben auch der Orte der Kultur. Gerade in säkularisierten Staaten übernehmen die Kunst und die ihr inneliegende Kraft unter
anderem auch diese Formen der Reflexion und Selbstvergewisserung, gerade auch in Krisenzeiten. Kulturorte sind dann eben nicht in eine Reihe von Amüsierbetrieben und Freizeitangeboten einzuordnen. Sie sind Bildungsorte, und sie sind Orte von Sinnfindung.
Wie man auf die Idee kommen kann, gerade in einer Krisenzeit die gesellschaftspolitischen Komponenten der Kultur infrage zu stellen, ist mir wahrlich schleierhaft. Mir ist ebenso schleierhaft, wieso man dann auch keine grundlegenden Kriterien beim Lockdown anlegt, beispielsweise für Bildungsorte – dann sind Schulen genauso zu behandeln wie Musikschulen – oder auch Kultusorte. Und wenn man die Frage stellt, ob die Kirchen und Religionsorte geöffnet bleiben, sind auch die Kulturorte hinzuzuziehen. Man kann also nicht nur solche „Schließungshaufen“ nennen, wo wir möglichst viel Bewegung von vielen Menschen ausschließen, sondern muss die dahinter liegenden grundlegenden Gedanken angeben können und berücksichtigen. Ich halte das für äußerst wichtig.
Wie gerade grob skizziert, bedarf der Mensch all dessen. Und diese zahlreichen Angebote werden in der Regel von dem großen Heer der Solo-Selbstständigen sichergestellt. Das merken wir derzeit gerade in der Krise. Vorher wussten wir eigentlich gar nicht, in welchen Verhältnissen diese Menschen gelebt haben; Hauptsache, sie haben ihr Angebot zur Verfügung gestellt.
Es gibt also den Zuckerwatteverkäufer genauso wie die Geigenspielerin, die Gastronomin genauso wie den Tänzer. Es sind die Technikerinnen, Bühnenbauer, Fahrerinnen und Transporteure. Ich gehe nicht auf alle ein. Es sind natürlich auch die Anbieterinnen im Sport- und Gesundheitssektor. Es sind aber auch die Anbieter im Beauty- und Wellnessbereich und, und, und. Bisher haben die Redner, unter anderem Herr Rehbaum, gewisse Aufzählungen vorgenommen. Auch hier reicht unsere Fantasie aus, um diese Liste fortzuführen. Sie wird wahrscheinlich
nicht vollständig sein. Insofern hoffen wir, dass sich diejenigen, die wir nicht erwähnt haben, jetzt nicht ausgeschlossen fühlen. Nein, auch sie gehören dazu.
Noch eines ist wichtig: Die Menschen an sich sind systemrelevant, nicht nur ihre Funktionen. Das sind doch keine Menschen, die sich Extrawürste braten lassen wollen. Es geht meistens um Brot und Wasser. Genau dabei dürfen wir sie nicht sitzen lassen.
Übrigens: Gerade die Künstlerinnen und Künstler, aber auch die anderen Solo-Selbstständigen sind sehr vernünftig, verantwortungsbewusst und diszipliniert mit der Krise und den sie betreffenden katastrophalen Rahmenbedingungen umgegangen. Sie sind
bereit, ihren Beitrag zu leisten und ihre Bürde zu tragen, so wie alle anderen auch. Dann haben sie meiner Meinung nach aber auch ein Anrecht darauf, in puncto Unterstützung so behandelt zu werden wie alle anderen auch.
Wer den Schutz von allen und von Einzelnen besonders einfordert, der muss den entstehenden Schaden dann auch solidarisch tragen und darf die Betroffenen nicht einfach alleine stehen lassen; denn sonst funktioniert Solidarität nicht.
Die Solo-Selbstständigen treffen in der Pandemie auf eine Situation, die ihnen erstens ihre Einnahmequelle abhandenkommen lässt und ihnen zweitens derzeit noch keinen angemessenen und dauerhaft verlässlichen Ersatz dafür bietet.
Sie selbst bieten eine Ware an – Herr Deutsch hat es bereits gesagt –, die Nachfrage erzielen und Einnahmen für sie generieren würde. Aber die Coronaschutzverordnungen unterbinden und verbieten ihnen einen Rahmen, in dem sie ein angemessenes Einkommen erzielen könnten. Sie sind also nicht ein zu alimentierender Notfall, sondern durch staatliches Handeln arbeitslos gestellt. Die Auflagen führen auch auf unabsehbare Zeit dazu, dass es den meisten unmöglich ist, wirtschaftlich zu arbeiten.
Daher ist dies immer sehr stark damit verknüpft, welche Einschränkungen für wen beschlossen werden, aber auch damit, ob für diejenigen dann eine Kompensation als Ersatz für Einnahmeausfälle angesetzt wird. Das ist sicher eine der derzeitigen Kernfragen der Gerechtigkeit.
Deshalb sprechen wir auch nicht primär über soziale Absicherung, die der Staat zu leisten hat, sondern über angemessene Kompensationszahlungen, die der Staat zu leisten hätte, zumindest eine angemessene Grundversorgung jenseits des ALG.
Warum ist das ALG nicht passend? Die Gründe sind vielfach genannt, auch in den Diskussionen und in den Anschreiben. Die Höhe des Schonvermögens, die Anrechnung der Bedarfsgemeinschaften, die Zuverdienstproblematik und die Rettung der Altersvorsorge, aber auch die Arbeitsvermittlungspflicht der Jobcenter spielen hier eine Rolle. Letzteres würde nämlich bedeuten, dass die Jobcenter eigentlich dazu verpflichtet wären, die Künstler in einer Krisenzeit umzuschulen. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Mindestens aber steuerrechtliche und versicherungstechnische Fragen kommen on top hinzu.
Es geht daher eben nicht um die Zugangsbreiten zum ALG. Es geht im Minimum um ein Äquivalent zum Kurzarbeitergeld.
Außerdem geht es um eine sofortige Unterstützung sowie um eine langfristige Absicherung und Einpflege in unser Sozialsystem. Corona hat diese Lücken geradezu aufgerissen und aufgezeigt. Die
Vorstellung der Arbeitslosigkeit von Solo-Selbstständigen war für uns bisher noch nicht unbedingt prägnant. Das heißt: Auch hier muss dauerhaft etwas geschehen.
Sind für die solo-selbstständigen Künstlerinnen und Künstler – ich nehme jetzt einmal diese Gruppe heraus – bereits die Absicherung für das Alter, also die Rentenversicherung, und die Absicherung gegen Krankheit, also die Krankenversicherung, möglich, gibt es für sie keine Absicherung gegen Arbeitslosigkeit, da diese, wie gesagt, zunächst einmal systemfremd erscheint.
Diese langfristig zu lösenden Fragen haben wir im Ausschuss für Kultur und Medien bereits zu diskutieren angefangen. Wir wünschen uns eine noch breitere und weitere Ebenen umfassende Diskussion hierzu. Das ist in der Tat jeglichen Schweiß wert.
Zunächst geht es aber um eine Lösung der derzeitigen prekären und existenzgefährdenden Situation fast aller Solo-Selbstständigen. Hier muss der Staat – Bund oder Land – schlicht eine Kompensation in Form eines Unternehmerlohnes schaffen.
Zunächst wäre der Bund zuständig. Hier sieht es derzeit so aus – ich sage ausdrücklich: auch fraktionsübergreifend –, dass man auf diesem Gebiet im positiven Sinne vorankommt. Wir können uns das alle gemeinsam nur wünschen.
Nur: Wenn der Bund nicht zahlt, dann muss das Land das tun, auch wenn dies, wie dargestellt, große Schmerzen bereitet. Es kann nicht sein, dass ein milliardenschwerer Rettungsschirm gespannt wird, aber die Notleidenden dann nicht darunter Schutz finden. Denn der Rettungsschirm ist für Land und Leute da. Ein guter Schirm zeichnet sich dadurch aus, dass keiner über Gebühr nass wird.
Lassen Sie uns gemeinsam an dieser Thematik arbeiten. Denn das wird langfristig für die Menschen in Arbeitsverhältnissen in einer hybriden Form auch in Zukunft ein Segen sein. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss schon sagen: Ich habe heute von der CDU etwas anderes als oftmals
zuvor gehört. Sie öffnen sich; das finde ich sehr erfreulich. Wenn Sie das in eine Generalkritik an der SPD verpacken müssen, ist das in Ordnung; geschenkt. Hauptsache wir entwickeln uns an der Stelle weiter.
Zur Rede meines Kollegen von der FDP: Wir sind im 250. Jahr nach der Geburt von Hegel. Was Sie hier an Dialektik gebracht haben, macht diesem Geburtsjahr alle Ehre.
Lassen Sie mich feststellen: Insgesamt wäre es gut, wenn wir aufhören würden, ein kritisches Hinterfragen der Exekutivkräfte zu diskreditieren.
Es wäre gut, wenn wir aufhören würden, bei kritischen Fragen bezogen auf die Polizei permanent einen Generalverdacht zu unterstellen.
Es wäre gut, wenn wir aufhören würden, bei Kritik am Fehlverhalten von Polizistinnen und Polizisten den Kritikern zu unterstellen, sie hätten früher nicht genug gemacht, sie hätten alles längst machen können, sie wären – ich darf das Wort nicht nennen – „Klugsch …“
und würden auf die Kolleginnen und Kollegen eindreschen.
Das ist ein typisches Verhalten, das wir mittlerweile bei Kritik permanent erleben müssen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Auch das geht schlicht und ergreifend nicht.
Es wäre auch gut, wenn wir aufhören würden, immer zu erzählen, die Polizei würde in der Öffentlichkeit, hier im Parlament und bei den politischen Parteien mehr und mehr als Gegner gesehen, man würde immer mehr Gegner haben, man müsse daher an allererster Stelle diese verteidigen, weil es sonst keiner mehr mache.
Lassen Sie mich klarstellen: Die Polizei ist nach wie vor eine der angesehensten Einrichtungen. Wir Polizistinnen und Polizisten genießen ungebrochen mit das höchste Ansehen in unserem Staat.
Es gibt keine andere Berufsgruppe, der wir in diesem Plenum häufiger unseren Rückhalt, unseren Dank und unsere Wertschätzung versichert hätten als der Polizei,
und zwar nicht als Lippenbekenntnis, sondern aus vollster Überzeugung. Ich kann mich kaum an etwas anderes erinnern als an diesen Punkt, bei dem wir uns in diesem Haus derart einig sind.
Klar ist aber auch: Dieses Vertrauen und den hohen Respekt müssen wir Polizistinnen und Polizisten uns
immer wieder neu erarbeiten. Er ist nicht mehr automatisch ohne Rückbezug auf die eigenen Handlungen gegeben. Ich glaube, damit haben die Polizistinnen und Polizisten in der überwiegenden Mehrheit auch überhaupt keine Schwierigkeit.
Daher sage ich genau andersherum: Setzen Sie dieses wertvolle Gut, unser gutes Ansehen und den Respekt nicht durch eine Verweigerung einer angemessenen Befassung mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Rassismus aufs Spiel.
In Anlehnung an Ihre Rede möchte ich sagen: Sie machen ja in der Tat etwas. An der Stelle müssen wir uns nicht streiten, sondern uns tatsächlich über das Mehr und das Wie unterhalten.
Es wäre auch gut, wenn wir aufhören würden, allein mit Einzelfalltheorien zu argumentieren und mit pauschalen Abwehrmechanismen zu reagieren. Auch hier gibt es deutliche Entwicklungen und Veränderungen, und das ist auch sehr gut so.
Es geht dabei nämlich eben nicht nur um ein Lagebild, um eine Auflistung von Straftaten. Da sind Sie weiter. Was der Bundesinnenminister liefert, ist schon ein wenig gruselig.
Es geht um das umfangreiche Aufdecken von Strukturen. Es geht um gruppendynamische Prozesse, es geht um ein Entwicklungsgeschehen. Es geht um Bildungsansätze, um Vorgesetztenfunktionen und deren Wahrnehmung oder Nichtwahrnehmung, wie diese Rollen auch ausgefüllt werden.
Es geht um Reflexionsfähigkeit, es geht um die Rolle von Ansprechpartnern, in welcher Art und Weise sie zur Verfügung stehen, aber auch proaktiv möglicherweise auf die Leute zugehen und nicht nur warten, dass jemand kommt.
Es geht auch um Opfer einer jeweiligen Haltung; die lassen wir nämlich häufig genug völlig außer Acht. Rassismus hat schlicht und ergreifend auch Opfer und nicht nur abstrakte Folgen:
Opfer unter den Bürgerinnen und Bürgern, aber häufig genug auch in der Polizei unter unseren Kolleginnen und Kollegen selbst.
Gucken Sie es sich einmal an – Sie haben erklärt, Sie täten das, was ich nur herzlich begrüßen kann –, was an den Schwarzen Brettern hängt. Gucken Sie sich einmal an, lassen Sie sich berichten, wie Gespräche laufen, welche Witzchen gemacht werden, was nicht nur in Chatforen gepostet, sondern auch ganz offen untereinander geredet wird, wie mit Bürgerinnen und Bürgern umgegangen wird, die erkennbar einen Migrationshintergrund haben,
wie mit kritischen Kolleginnen und Kollegen umgegangen wird – auch mit denen, die etwas mitteilen.
Das ist häufig nicht strafbar – da sind wir unterhalb der Strafnorm –, aber es ist oftmals zumindest bemerkenswert und bitte einmal zu beleuchten.
Den demokratischen Grundkonsens zu vergiften, fängt nicht mit Straftaten an, sondern hört mit Straftaten auf. Ich darf Dirk Heidemann von der Deutschen Hochschule für Polizei zitieren, abgedruckt in der neuen Zeitung der Polizeigewerkschaft:
Wir müssen akzeptieren, dass die Trägerin des Gewaltmonopols samt umfassender Eingriffsrechte und Eingriffsmöglichkeiten zu Recht unter Beobachtung steht, denn unsere Demokratie braucht für ihren Erhalt eine Polizei. Sie ist ein zwingendes Fundament einer stabilen Demokratie, aber nur dann, wenn sie für die demokratischen Grundwerte eintritt. Wenn sie dies nicht tut, ist es ein gefährliches Instrument, korrumpierbar in den Händen von Machthabern.
Das kennen wir aus der Geschichte. Das kennen wir übrigens auch ganz aktuell aus zahlreichen Ländern dieser Welt. Daher ist hier eine hohe Sensibilität gefragt.
Als Parlament haben wir daher einen Auftrag, nämlich die Kontrolle. Das ist nicht Herumkrittelei, Besserwisserei, Nestbeschmutzung, Generalverdacht, böse Absicht, sondern in einem demokratischen Rechtsstaat schlicht und ergreifend unsere Pflicht als Parlament.
Sehr geehrter Herr Minister Reul, einem guten Innenminister sollte das längerfristige Fragezeichen manchmal näher sein als das schnelle Ausrufezeichen. Das entbindet Sie ausdrücklich nicht von der Pflicht, auch jetzt schnell und effektiv zu handeln.
Hier gibt die Wissenschaft auch in der längerfristigen Betrachtung deutlich die einen oder anderen Erkenntnisse, aber auch Hinweise, wie es noch besser sein kann.
Einsetzen, Nachfragen und Aufsicht – das ist eben kein Entweder-oder, sondern ein Und. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, können Sie
ausschließen, dass die entsprechenden Beamten aus den Chatforen und Chatgruppen andere Personen vor Strafverfolgung oder vor der Haft bewahrt haben bzw. das versucht haben?
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind hier nicht primär in einem Überbietungswettbewerb, mit welchem noch drastischeren Vokabular wir die Taten benennen. Es kommt auch nicht darauf an, was wir dabei empfinden, was wir dabei denken oder meinen, sondern einzig darauf, was die Kinder schützt und was den Kindern hilft.
Lassen Sie mich vorab aber noch etwas anderes sagen: Homophobie hat mit dem Geiste dieses Hauses nichts zu tun.
Homophobie hat zum Glück auch mit den Haltungen der Menschen im Land immer weniger zu tun, und das ist gut so.
Es ist gut, Kinderschutz jenseits von Reden rechtlich immer weiter zu verankern. Es ist gut, jenseits von Absichtserklärungen, markigen Worten, dem Verweis auf Moral und Selbstverpflichtung Kinderrechte in der Rechtsetzung zu stärken. Es ist gut, auch in alle Winkel zu sehen, und es ist gut, auf breiter Ebene konsequent vorzugehen. Vor allen Dingen ist es gut, den Delikten der sexuellen Gewalt und Ausbeutung von Kindern auch strafprozessual endlich stärker ihren verwerflichen Charakter zuzuordnen.
Aber die Rechtsetzung ersetzt nicht die Rechtswahrnehmung. Setzung und Wahrnehmung gehören eben eng zusammen. Es ist nichts dadurch gewonnen, Regeln zu verändern, ohne sie auch konsequent umzusetzen.
Wir haben uns gestern im Untersuchungsausschuss – Verena Schäffer hat es gerade angesprochen – knapp neun Stunden lang sehr genau angeschaut, dass hier klar strafrechtliche Tatbestände des schweren sexuellen Missbrauchs gegeben waren. Da musste man nur eine kurze Textpassage durchlesen.
Aber es führte zu keinen konsequenten Handlungen im Hinblick auf Inhaftnahme oder Durchsuchung. Man hat richtigerweise das Kind in Obhut genommen, was gut war. Man hat aber nicht gleichzeitig eine Durchsuchung und eine Inhaftnahme durchgeführt. Dies hatte zur Folge, dass der Täter mehrere Wochen Zeit hatte, Beweise zu vernichten, was er wohl auch getan hat.
Das heißt: Die rechtlichen Grundlagen waren hier gegeben. Sie mussten nur entsprechend umgesetzt werden. – Wir dürfen uns nicht in der falschen Sicherheit wiegen, zu meinen, dass gesetzliche Änderungen, wenn wir sie nur herbeiführen, dann auch richtig umgesetzt werden. Auch da müssen wir weiter sehr klar hinschauen. Das zeigt der Fall „Lügde“.
Andere Fälle beschäftigen uns ebenso. Da geht es um eine notwendige Verknüpfung; denn die Feststellung des Besitzes von kinderpornografischem Material geht eng einher mit dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs, wenn sich ein Kind in Zugriffsnähe des Täters befindet. Das ist beispielsweise im Fall „Münster“ so. Auch hier geht es darum, dass wir schlicht und ergreifend Verdachtsmomente und Rechtsgrundlagen, die wir haben, zusammenführen, zusammendenken und tätig werden.
Das zweite Thema ist das der Sexpuppen. Wenn wir annehmen, dass Puppen den realen Missbrauch anregen können, müssen wir das ebenfalls für den Konsum von Kinderpornografie annehmen können – zumindest, dass das sehr nahe beieinanderliegt.
Was die Sexpuppen angeht, so bin ich relativ nahe bei Verena Schäffer; denn bezüglich der Puppen
befinden wir uns in einem Spannungsverhältnis und auch in einem Wissensdilemma, ob es uns passt oder nicht. Ich meine, mir passt es nicht, dass es so ist. Aber man muss zumindest ehrlich sein und sich anschauen, wie die Verhältnisse sind. Denn zum einen könnten die Puppen in der Tat als Ventil dienen. Zum anderen können sie aber ein wesentlicher Schritt in Richtung des tatsächlichen Auslebens der pädophilen Neigung sein.
Um es ganz klar zu sagen: Es gibt leider oder zum Glück – ich weiß nicht, wie man das ausdrücken soll – eine größere Zahl von Menschen mit pädophiler Neigung als Menschen, die als Täter in Erscheinung treten. Das heißt: Zum Glück leben viele diese Neigung nicht aus. – Es ist schon wichtig, sich damit zu beschäftigen, was wir tun können, damit das auch so bleibt, damit also Personen mit derartigen Neigungen nicht reale Handlungen an realen Kindern vornehmen. Auch das ist nötiger und enorm wichtiger Opferschutz.
Welches Argument hier schwerer wiegt, welche Annahme richtig ist, vermag ich leider nicht zu sagen. Das vermögen auch Experten nicht zu sagen. Sie sind insoweit durchaus unterschiedlicher Ansicht.
Auch in anderen Zusammenhängen, beispielsweise bei der Coronadiskussion, sehen wir, wie wichtig wissenschaftliche Arbeiten und Daten sind. Aber wir sehen auch, dass diese falsch sein können oder dass sich Annahmen durch neuere Erkenntnisse verändern. Das ist der Kern von Wissenschaft.
Aber wir Politiker müssen nun entscheiden. Es ist wichtig, dass wir uns dabei bewusst sind, dass unsere Entscheidungen auch falsch sein können.
Daher sind zwei Dinge, glaube ich, sehr wichtig, gerade im Zusammenhang mit diesen Gesetzesvorhaben oder Initiativen, nämlich erstens, tatsächlich auch zu entscheiden und Verantwortung zu tragen und nicht nichts zu machen, und zweitens, die Datenbasis unserer Entscheidungen weiterhin zu beachten und von der Wissenschaft zu fordern, weitere Daten zu liefern. Es geht also darum, ganz konkret auch in dem Feld der Pädophilie weiter zu forschen und die jeweiligen Erkenntnisse immer auch mit einzubeziehen.
Denn auch wenn ich etwas nicht mag, ist es ja dennoch sträflich, wegzuschauen. Wir müssen hingucken. Wir müssen zum Schutz der Kinder auch in diese Abgründe gucken.
Daher entscheiden wir uns heute ganz bewusst dafür, dass die Einfuhr und vor allem auch der Erwerb und Besitz von Sexpuppen, die Kinder, selbst kleinste Kinder, darstellen, unter Strafe gestellt werden; denn wir gehen davon aus, dass die Nutzung der Puppen deutlich eher zur Reduktion der Barriere beiträgt, dass dadurch also noch nicht real tätige Pädophile die Kontrolle über den Triebverzicht verlieren
und sich dann einem realen Opfer zuwenden. Wir neigen dieser Meinung eher zu als der anderen, dass die Puppen der reinen Ersatzbefriedigung dienen und vom lebenden Menschen wegführen.
Zahlreiche Aussagen, gerade von pädosexuellen Männern, die sich in therapeutischer Behandlung befinden, deuten in die erste Richtung, nämlich des schleichenden Verlustes der Kontrolle und damit eines weiteren Schrittes in Richtung lebendes Opfer, also einer echten Vorbereitung für reale Taten an realen Kindern.
Das gilt es zu verhindern. Daher stimmen wir beiden Anträgen zu. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Polizeiarbeit ist häufig nicht leicht, sondern schwierig und fordernd. Polizei wird ja nicht zu Hochzeiten gerufen, um dort gemeinsam fröhlich zu feiern. Polizei wird dann gerufen, wenn Menschen untereinander nicht klarkommen, sich die Menschen von ihrer hässlichen Seite offenbaren, sich auch von ihrer bösen Seite zeigen.
Polizei wird in Situationen geworfen, die ihr nicht nur eine professionelle Bewältigung der aktuellen Situation abverlangt, sondern die oftmals auch psychische Bearbeitungs- und Bewältigungsleistungen erfordern. Polizeiliche Einsätze führen auch und immer wieder in seelische Notfallsituationen der eingesetzten Kräfte. Das ist im Grunde berufsimmanent.
Früher, also vor 30, 40 Jahren, sind wir so damit umgegangen: Bei Bahnleichen hieß „Fürsorge“, zu sagen: Gehe jetzt mal nach Hause, trink dir einen, schlaf dich aus, und morgen bist du wieder da. – Die Spitze der Empathie war es, wenn man dem anderen dabei noch auf die Schulter geklopft hat. Klügeres fällt uns zum Glück mittlerweile ein. Betreuung ist heute anders und muss auch jeweils sinnvoll nachjustiert werden.
Die für viele wohl belastendsten Einsätze sind solche mit Kindern als Opfer. Da willst du nicht hin. Das willst du nicht erleben. Das willst du nicht sehen. Das willst du nicht mit nach Hause nehmen müssen.
Kinder als Opfer – das möchte man verdrängen, nicht an sich heranlassen, nicht denken müssen. Die meisten Menschen dürfen das verdrängen. Wir Glücklicheren dürfen verdrängen. Andere dürfen das nicht. Sie müssen sich für uns alle genau dieser Situation stellen, da sie in den Bereichen der sexuellen Gewalt ermitteln, um Täter zu ergreifen, aber vor allem auch weitere Opferwerdung zu vermeiden.
Zu dem belastenden Moment, das Kind als Opfer sexueller Verbrechen zu sehen, kommen meines Erachtens noch zwei weitere Punkte hinzu:
Zunächst geht der Missbrauch, die sexuelle Gewalt, häufig mit einer Reduzierung des Kindes auf ein Ding einher. Die Tat des Missbrauchs und der Vergewaltigung von Jugendlichen, Kindern, Babys geht häufig mit einer noch niederträchtigeren spezifischen Behandlung des Kindes einher, nämlich der der völligen Entmenschlichung und der Verdingung, also der Reduzierung auf einen Nutzgegenstand.
Es lief einmal ein „Tatort“ im Fernsehen, der das relativ gut getroffen hat. Der Titel hieß „Wegwerfmädchen“. Was sich die Leute hier ansehen müssen, sind quasi die Situationen von Wegwerfkindern. Diese Entwertung des Menschlichen muss zusätzlich zur Straftat an sich angesehen und ertragen werden.
Und noch eines kommt hinzu: die Wirkmächtigkeit der Bilder, die auf die Seele einschlägt und dort hoffentlich keine dunklen Flecken hinterlässt. Worte wirken. Bilder wirken oftmals noch mehr, noch tiefer und noch nachhaltiger. Wenn beides in diesem Bereich zusammenkommt, dann wirkt es umso mehr. Von Worten kann man sich mitunter leichter distanzieren als von Bildern.
Wir dürfen uns an dieser Stelle für diese Arbeit herzlich bedanken. Wir dürfen denen, die diese Arbeit leisten – ich glaube, dies im Namen aller sagen zu dürfen –, Gesundheit wünschen und ihnen zurufen, dass sie einen wichtigen Beitrag für die Kinder leisten, indem sie versuchen, diese Kinder mit ihrer Arbeit aus diesen Höllen herauszuholen. Häufig schaffen sie es auch, sie aus diesen Höllen herauszuholen. Sie leisten also einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft. Insofern ist es wichtig, dass wir das gemeinsam sehen und auch anerkennen.
Es geht aber nicht nur um die Worte – das haben die Vorredner schon gesagt –, nicht nur um das Klatschen, das wir in diesem Jahr an der einen oder anderen Stelle immer wieder mal erlebt haben, sondern es geht auch um eine finanzielle Anerkennung, die allerdings nur einen Teil unserer umfangreicheren Anerkennung ausmacht. Daher ist der Antrag nicht nur völlig richtig, sondern er wird von uns auch vollumfänglich unterstützt. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die pädokriminellen Verbrechen und die Aufarbeitung von Münster – ich werde im Weiteren hauptsächlich auf Münster eingehen – zeigen nach dem, was wir bisher wissen und mitbekommen haben, meines Erachtens, wo wir stehen: Wir sind immer noch relativ am Anfang eines Weges.
Wir sehen in Münster: Sobald Behörden und auch die Polizei den Straftatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs ernst nehmen und sogenannte harte Ausgangsfaktoren anerkennen, verfolgen sie den Sachverhalt konsequent und arbeiten in der Regel sehr professionell. Für den Bereich der Polizei sind wir heute auch dem Innenminister für seine Arbeit sehr dankbar; das sage ich sehr deutlich.
Wo es aber scheinbar nur weiche Hinweise gibt, wo die Verhinderung von Straftaten und die Prävention nicht in den Mittelpunkt rücken, wo kein schwerer Fall des Missbrauchs angenommen wird oder wo bereits Ermittlungsarbeit zu Beginn jenseits einer Technikfokussierung geleistet werden sollte, aber genau das nicht stattfindet, sind wir noch nicht wesentlich weitergekommen. Das zeigt Münster 2020 auf erschreckende Weise; Lügde war da bereits geschehen. Warum erneut diese Formen in Münster?
Niemand hat Verständnis dafür, dass bei einem zweimalig vorbestraften Pädophilen, bei dem erneut der Verdacht besteht, kinderpornografisches Material zu besitzen und zu vertreiben, bei dem eine Durchsuchung und Sicherstellung durchgeführt wurde, bei dem das Handy Mitte des Jahres 2019 ausgelesen wurde, wobei erneut einschlägiges Material, Filme und Fotos gefunden wurden, jenseits der Ausleseversuche von Datenträgern keine anderen Ermittlungen stattfanden.
Niemand hat Verständnis dafür, dass nichts weiter gemacht wurde, obwohl völlig klar war, dass sich dort ein Kind im unmittelbaren Zugriffsbereich des Täters befand.
Ein Jahr nach Sicherstellung, ein Dreivierteljahr nach Auslesen des Handys mit Kinderpornos darauf wurde nichts unternommen. Da hilft auch kein Verweis auf die enorme Datenmenge. Umso mehr müssen dann eben auch andere Ermittlungsmaßnahmen ansetzen und greifen.
In dieser Zeit, in der der Täter bereits wusste, dass die Polizei gegen ihn ermittelt, fanden die brutalen tagelangen Gruppenvergewaltigungen an zwei kleinen Jungen statt. Wie sicher muss sich dieser Täter gefühlt haben?
Warum – so fragen wir uns – wird nicht automatisch ein Verdacht des Missbrauchs und der sexuellen Gewalt angenommen, wenn ein Pädophiler wegen anderer Sexualdelikte gegen Kinder mehrfach auffällig wird und sich ein wehrloses Kind in seinem unmittelbaren Zugriffsbereich befindet?
Dabei geht es nicht um Strafverfolgung, sondern darum, Straftaten zu verhindern. Die Annahme, dass der Missbrauch und die sexuelle Gewalt gegen Kinder und das Anfertigen, Kaufen und Verkaufen dieser abscheulichen Filme und Bilder eng beieinanderliegen, ist doch nun wirklich nahe liegend.
Ebenso wissen wir doch mittlerweile auch, dass die Täter aus dem nahen Umfeld der Opfer stammen und meistens die Väter, Stiefväter oder die Lebensgefährten der Mütter sind.
Wie lässt sich sagen: In Münster gab es keinen Anfangsverdacht auf sexuellen Missbrauch? Musste wirklich erst ein Film gefunden werden, auf dem Täter und Opfer zu sehen waren? Brauchte es das, um dadurch und erst dann einen Ausgangspunkt für Ermittlungen zur sexuellen Gewalt zu erkennen? – Ich glaube, das ist ein Kernpunkt im Fall Münster.
Was wurde dann getan? – Auch das wird doch zu betrachten sein: ein planmäßiges Suchen nach Informationen mittels der zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Ermittlung, beispielsweise Befragungen, Vernehmungen, Observationen, Telekommunikationsüberwachungen, ein weiteres Sicherstellen und Durchsuchen möglicherweise, also ein umfassendes Ausleuchten des Verhaltens und Handelns des Täters.
Die Wohnungen von Opfer und Täter lagen meines Wissens in Sichtweite. Wir wollen schon wissen, warum dort nicht gehandelt wurde.
Insgesamt besteht bei den Behörden – das ist zunächst in einem freiheitlich orientierten Land auch völlig richtig so – eine deutliche Zurückhaltung und Schwierigkeit, wenn es in private Bereiche von Erwachsenen vorzudringen gilt.
Aber auch hier – das sei sehr deutlich gesagt – gilt für uns: Die Rechte der Kinder müssen höherwertig sein und vor den Rechten der Eltern gewahrt werden.
Die Kinder sind die Schwächeren und bedürfen daher größerer Unterstützung.
Eine primäre und aktuelle Betrachtung der Opfergefahr von Kindern und Jugendlichen im aktuellen Zeitalter ist eher lückenhaft; der Blick ist hier nicht scharf. Das Kind als Mittelpunkt der Betrachtung, als potenzielles Opfer gerade auch innerhalb der familiären und nahen sozialen Bezüge zu sehen, ist ein wesentlicher Schwachpunkt derzeitiger Behördenarbeit.
Lassen Sie mich noch etwas zum derzeitigen Untersuchungsausschuss IV hinzufügen. Ein Untersuchungsausschuss dient der parlamentarischen Kontrolle, der Aufdeckung von Sachverhalten, der Suche nach Strukturen als Ausgangspunkt für Verbesserungen.
Er ist selbstverständlich auch das schärfste Schwert der Opposition und ein politisches Kampfmittel. Wir sehen zurzeit leider, dass sich der eine oder andere dessen nicht enthalten kann.
Aber dieser PUA ist dennoch etwas anderes: Er ist ernsthaft von der breiten Überzeugung und dem breiten Willen getragen, Sachverhalte überhaupt erst einmal zu verstehen, aufzudecken, zu lernen, Änderungen anzustoßen.
Sexueller Missbrauch an Kindern ist nun nicht neu; vermutlich ist er so alt wie die Menschheit. Wellenförmig wird das Thema hochgespült und verschwindet dann wieder im Wellental. Wir sorgen im Untersuchungsausschuss auch dafür, dass das eben nicht geschieht, sondern das Thema präsent bleibt.
In der Tat wird das Delikt nicht einfach verschwinden. Es wird das in jeder Stadt immer geben. Jetzt hat man ein, zwei, drei Städte; wahrscheinlich werden alle quer durchs Land irgendwann dazukommen. Wir werden mit Sicherheit nicht in jede Stadt schauen.
Aber wir müssen Dinge in Erfahrung bringen. Wir können nur mittels Repression, Aufklärung, Vorbeugung und Ermittlungen zur Verhinderung versuchen, es stetig zurückzudrängen.
Wir können dringend nötige und stetige Aufmerksamkeit erzeugen und neues Wissen anregen. Wenn uns das in diesen Fällen gelingt, ist das jeglichen Schweißes wert.
Daraus folgt: Wir sind beileibe nicht die besseren Ermittler. Wir machen auch weder Polizeiarbeit noch die Arbeit der Staatsanwaltschaften noch der Gerichte etc.
Aber wir haben jenseits der individuellen Schuldfrage den Blick auf die Rahmenbedingungen und Zusammenhänge: Warum wurde von verschiedenen Personen in den verschiedenen Strukturen so gehandelt? – Das ist schon von höchstem Interesse für uns.
Ich durfte bereits an mehreren Untersuchungsausschüssen teilnehmen. Man stellt sich immer die Frage: Warum macht er oder sie das? Wie passiert so etwas? Ist das Boshaftigkeit? – Eher nicht. Ist das Dummheit? – Ja, mitunter.
Ist das Faulheit? – Ja, auch. Möglicherweise unpassende Haltungen? – Das schon häufiger. Falsche Strukturen? – Ebenfalls häufiger. Fehlendes Wissen und Können? – Auch sehr häufig. Fehlende Netzwerke? – Ebenfalls. Es gibt auch andere Faktoren.
Alles das haben wir in den verschiedenen Untersuchungsausschüssen schon immer herausfinden und wichtige Hinweise für die weitere Arbeit geben können. Das sollten wir in diesem Fall ebenfalls umfassend und auch lang anhaltend tun.
Das sind die Fragen, die uns beschäftigen, damit wir Opfer besser schützen und die Täter früher ins Hellfeld ziehen. Das ist auch der Gedanke, der uns in diesem Untersuchungsausschuss eindeutig eint.
Wir werden zum geeigneten Zeitpunkt einen Antrag zur Erweiterung des Untersuchungsauftrags stellen. Herr Panske, lieber Dietmar, ich darf dir seherische Fähigkeiten an dieser Stelle unterstellen. Wir werden dort genau prüfen, was wir betrachten müssen, damit es nicht zu ausufernd ist. Wir wollen natürlich auch Rücksicht auf laufende Verfahren nehmen und müssen schauen, welche Zeiträume wir abdecken.
Wenn wir uns umfangreicher damit beschäftigen wollen, kann es in der Tat sein, dass der PUA wie jeder Ausschuss der Diskontinuität anheimfällt. Wir sollten dann tatsächlich versuchen, einen Konsens zu finden, diese Untersuchung weiterzuführen.
Noch einmal: Es geht nicht darum, den Untersuchungsausschuss als politisches Kampfmittel zu nutzen oder zu instrumentalisieren, sondern lang anhaltende Aufklärungsarbeit leisten zu können. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorab: Der hier vorliegende Antrag schließt auf treffende und angenehme Weise die auch besonders in unserer heutigen Zeit kontroverse Rückfragen erzeugenden Lücken der Charta. Wir stimmen ihm gerne zu.
Eigentlich muss man über die Charta eine Stunde reden, nicht nur fünf Minuten. Das ist ein wichtiges Dokument. Lassen Sie mich zumindest zwei Gedanken kurz anreißen.
Erster Gedanke. Über Vergangenes kann man mit einer zeitlichen Distanz immer sehr klug, abgewogen und differenziert reden. Man muss aufpassen, dass man dabei nicht vergisst, damaliges Denken, damalige Rahmenbedingungen als Maßstab anzusetzen.
Wer mit unserer heutigen sozialen und liberalen Denkhaltung die Charta betrachtet, der stutzt zunächst einmal. Da verzichten die Heimatvertriebenen auf Rache und Vergeltung. Das mutet erst einmal seltsam an. Denn wieso sollte hier ein Recht auf Rache bestehen, auf welches man dann wiederum verzichten kann?
Aber es war die Denkhaltung der davor liegenden Zeit. Aus einer Niederlage erwuchs bis dato häufig genug die geistige Haltung, die auf Vergeltung, Rache und Wiederholen der Verluste setzte. „Das holen wir uns zurück!“, war der Schlachtruf. Mit dem Verzicht auf Rache, dem Verzicht auf Rückeroberung, dem Verzicht auf Vergeltung – das sind alles sehr beliebte Worte von Chauvinisten – wurde diesem todbringenden Gedanken der vergiftete Stachel gezogen. Es folgte eben kein Anbeten eines Rachegottes mehr.
Der Verzicht auf Rückholung der Vergangenheit, und das gerade seitens der Betroffenen – es waren nicht die Menschen in der Bundesrepublik, die im Rheinland gelebt haben und hätten verzichten können; nein, es waren die Betroffenen, die diesen Verzicht formuliert haben –, eröffnete in einem ganz anderen und friedlicheren Ausmaß die beginnende Zukunft der Bundesrepublik.
Zweiter Gedanke. Wir sehen auch in dem Aufruf der Charta: Die Türen für die Flüchtlinge öffneten sich nicht ohne Weiteres. Es ist eben eine falsche, in den Jahren verklärte Vorstellung, Flüchtlinge seien vor der Roten Armee geflüchtet oder vertrieben worden. Und wenn man dann nur auf deutschem Boden war, ging es einem wieder halbwegs gut. Beileibe nicht! Denn egal, ob es sich um deutsche oder nichtdeutsche Flüchtlinge handelte und handelt: Beim Teilen wird es dann häufig schwierig.
Die Geflüchteten und Vertriebenen wurden nicht mit offenen Armen empfangen. Die Charta ist ja gerade ein beredtes Zeugnis dafür, dass sie ihre Rechte als neue Bürger der neuen Republik nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Wirklichkeit einforderten.
Sie verstanden „heimisch sein“ und „heimisch werden“ – viele verstehen das so – losgelöst von der Scholle als das Recht auf die gleichen Chancen zur Teilhabe an öffentlichen Gütern, an Arbeit, Wohnraum, Sicherheit für Leib und Leben, sozialer Sicherheit, schließlich Demokratie.
Geflüchtete und Vertriebene hatten also nicht nur alles Bisherige verloren; sie wurden auch am neuen Ort oftmals alleine gelassen. So ihrer Werte doppelt verlustig, haben sie ihre enorme spezifische Leistung vollbracht – nicht nur alleine durch diese Charta, sondern als hart Getroffene, die sich und ihren Familien ein neues Leben aus dem Nichts und häufig ohne Hilfe aufbauen mussten und nebenbei einen neuen Staat mit friedlicher Gesinnung mitgeprägt haben.
Wir gedenken – ich glaube, das mache ich im Namen aller – heute nicht nur dieser Charta, sondern vielmehr der Menschen. Wir müssen sie feiern, uns vor der Leistung der Millionen Menschen – oftmals waren es übrigens alleinerziehende Mütter und ihre Kinder – verneigen und dieser Leistung höchsten Respekt und Dankbarkeit zollen.
Zu den Aufträgen, die der Landesregierung in dem Antrag mitgegeben werden, darf ich Ihnen als stellvertretender Vorsitzender der Stiftung GerhardHauptmann-Haus, also quasi der anderen, der entgegennehmenden Seite, sagen, dass wir diese Punkte in unserer Zeit seit jeher jederzeit mit Leben zu füllen bereit sind und daran auch schon lange arbeiten. Denn Flucht und Vertreibung sowie die Erfahrungen als Opfer von Flucht und Vertreibung gehören in das kollektive Gedächtnis unserer Gesellschaft, umso mehr – es wurde angesprochen –, wenn es die Erlebensgeneration eben nicht mehr gibt.
Die Lehren aus der Vergangenheit sind für uns die Verantwortung für die Zukunft. In dieser Tradition sieht sich das Gerhard-Hauptmann-Haus seit Jahren. Dort werden wir selbstverständlich gerne weiterarbeiten. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Lage der arbeitenden und nicht einnahmeerzielenden Solo-Selbstständigen in unserem Land ist in weiten Teilen schlicht bescheiden. Durch Bund und Land werden zahlreiche sehr gute Hilfen geleistet. Wir sind dankbar, dass die Bundesregierung in dieser schweren Zeit erkannt hat, dass Investitionen und Hilfen und nicht das Sparen unsere Zukunft sichern; die Rettungsschirme, das Kurzarbeitergeld, die Unterstützung der Kommunen und vieles andere sind ein Segen.
Wir erkennen aber auch, dass Systeme wie die Versicherung der Existenz nicht für alle Personen in unserem Land passen. Nun zeigen sich deutliche Brüche, und wir sehen viele Solo-Selbstständige, die da heruntergefallen sind oder herunterzufallen drohen. Es liegt an uns, sie nicht abstürzen zu lassen.
Solo-Selbstständige sind nicht arbeitslos, und sie werden nicht entlassen. Sie könnten sich höchstens selbst entlassen. Aber wohin? In die Solo-Arbeitslosigkeit?