Protocol of the Session on September 27, 2020

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich zu unserer heutigen, 102. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern an den Bildschirmen.

Für die heutige Sitzung haben sich zehn Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

(Präsident André Kuper tritt an das Redepult.)

Nachruf auf den verstorbenen Ministerpräsidenten a. D. Wolfgang Clement

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wolfgang Clement ist am 27. September 2020 im Alter von 80 Jahren in Bonn verstorben. Mit ihm verliert unser Land einen Menschen, der die demokratische Kultur mit Gestaltungswillen und politischer Streitlust über viele Jahre bereichert und geprägt hat.

Sein Werdegang als Sohn einer Maurerfamilie aus Bochum in höchste politische Ämter bleibt ein beeindruckendes Stück deutscher Nachkriegsgeschichte und ein Beispiel für Chancengleichheit.

Neun Jahre, von 1993 bis 2002, war Wolfgang Clement Abgeordneter in diesem Hause. Sein persönlicher Lebensweg ist mit dem Landtag NordrheinWestfalen noch über eine weitaus längere Strecke verbunden. Als Journalist und Chefredakteur hat er das politische Geschehen zunächst beobachtend und kommentierend begleitet. Später erfolgte sein Wechsel in die gestaltende politische Rolle als Chef der Staatskanzlei und Minister für besondere Aufgaben in den Jahren der deutschen Wiedervereinigung, als Minister für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr und schließlich, in den Jahren 1998 bis 2002, als Ministerpräsident dieses Landes.

Mit dem Amt des Superministers für Wirtschaft und für Arbeit erreichte sein politisches Streben auf der Bundesebene seinen Höhepunkt.

Wolfgang Clement hat sich in seinem politischen Engagement nie gescheut, kontroverse Positionen nach bestem Wissen und Gewissen zu vertreten.

Noch vor wenigen Jahren hat er in einem Interview gesagt: „Die Möglichkeit, Dinge zu verändern, hält mich wach.“

So werden wir ihn in Erinnerung behalten. Wolfgang Clement war ein wacher, zur Veränderung bereiter Demokrat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich im Gedenken an Wolfgang Clement von Ihren Plätzen zu erheben.

(Alle Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Ich danke Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den ursprünglichen Tagesordnungspunkt 8 – Antrag der Fraktionen von CDU und FDP mit dem Titel „Innovationsschub für NordrheinWestfalen – Den Fördermitteleinsatz des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) neu ausrichten“ Drucksache 17/10980 – mit dem ursprünglichen Tagesordnungspunkt 9 – Antrag der Fraktionen von CDU und FDP mit dem Titel „Partizipation an EU-Programmen sicherstellen – Die Landesregierung darf die Kommunen nicht im Stich lassen!“ Drucksache 17/11177 – zu verbinden. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf:

1 Gesetz über die Feststellung des Haushalts

plans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2021 (Haushaltsgesetz 2021)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/11100

erste Lesung

Und:

Finanzplanung 2020 bis 2024 des Landes Nordrhein-Westfalen

Drucksache 17/11101

Zur Einbringung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2021 und der Finanzplanung erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Lienenkämper das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In vielerlei Hinsicht gleicht die Coronakrise einem weltweiten Unwetter, das alles durcheinanderwirbelt. Die Ökonomen sprechen von einem exogenen Schock. Die Finanzen bleiben nicht verschont.

Wie für so viele Bereiche unseres Lebens derzeit gilt auch hier in dieser außergewöhnlichen Zeit: Mit Routine lässt sich eine solche Krise nicht bewältigen. – Gerade deshalb merken wir, wie wichtig ein stabiles Grundgerüst ist, sei es das soziale Umfeld, sei es die Familie, oder sei es ein finanziell leistungs- und

handlungsfähiger Staat. Wo ein solcher Stabilitätsanker fehlt, weht der Sturm alles um.

Als wir im Sommer 2017 die Regierungsgeschäfte in Nordrhein-Westfalen übernahmen, konnte niemand einen solchen Sturm erwarten, wie er keine drei Jahre später in Form der Coronakrise auch über unser Land hinwegzog. Es liegen auch – um im Bild zu bleiben – immer noch dichte Wolken über uns.

Aber eines lässt sich heute mit ein wenig zeitlichem Abstand sicher feststellen: Die neue Haushaltsarchitektur hat ihren ultimativen Krisentest als stabiles Grundgerüst bestanden. Nordrhein-Westfalen blieb zu allen Zeiten finanziell handlungsfähig und auch finanziell handlungsbereit, und zwar, ohne den Sinn für Maß und Mitte zu verlieren und ohne das Ziel aufzugeben, wieder ein Aufsteigerland für alle zu werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Beides – eine Haushaltspolitik mit Maß und Mitte auf der einen Seite und das Ziel, wieder mehr Aufstieg für jede und jeden in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen, auf der anderen Seite – sind keine Widersprüche. Ganz im Gegenteil: Beides bedingt einander. Beides bleibt auch Markenzeichen unserer Haushaltspolitik.

Das gilt in Krisenzeiten umso mehr. Schon vor 2.500 Jahren wusste Konfuzius, dass sich der Weise auch in der Krise nicht ändert. Wenn sich das Grundgerüst im Sturm bewährt hat, dann sollte man es stärken und nicht abreißen.

Deswegen sollten wir zwei Dinge voneinander unterscheiden. Das eine ist die langfristige Entwicklung unseres Landes. Für diesen Bereich gilt: Wir werden nicht nachlassen, Nordrhein-Westfalen wieder zum Aufsteigerland zu machen. Wir haben dieses Land 2017 in einem bedauernswerten Zustand übernommen. Das gilt es Schritt für Schritt zu verbessern, auch und gerade in der Krise, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das andere sind die kurzfristigen direkten und indirekten Folgen der Epidemie. Hier gilt für die Haushaltspolitik eigentlich das Gleiche wie für andere Politikfelder und Lebensbereiche, nämlich frei nach Loriot: Der Intelligente sucht nach Lösungen, der Idiot sucht nach Schuldigen – so wie im Übrigen viele kleine Ladengeschäfte oder Restaurants Lösungen gesucht haben, kurzerhand ihre Dienstleistungen online oder mit Lieferdiensten angeboten haben, so wie viele in Nordrhein-Westfalen flexibel reagiert haben.

Deswegen bleibt Zupacken in der Krise das Gebot der Stunde.

Daher bin ich froh darüber, dass wir in diesem Haus keine Zeit vergeudet haben und gemeinsam innerhalb weniger Tage und Wochen mit breiter

parlamentarischer Unterstützung einen bis zu 25 Milliarden Euro großen Rettungsschirm über NordrheinWestfalen aufspannen konnten. Das Gegenteil von Routine war gefragt, und das gesamte Parlament hat in Einmütigkeit diese Lösung schnell gefunden.

Zu ganz Nordrhein-Westfalen kann man sagen: Wie immer in unserer Geschichte hat dieses Land enormes Improvisationsvermögen an den Tag gelegt. Insgesamt rund 6,8 Milliarden Euro konnten als schnelle Hilfe für diejenigen mobilisiert werden, die über Nacht vor existenziellen Problemen standen. Als es darauf ankam, stand unser Land auch in den Fragen der Finanzen zusammen.

Das war richtig so. Denn so konnten in der Hochzeit der Krise wichtige wirtschaftliche, soziale und kulturelle Strukturen erhalten bleiben – mit einem maßgeschneiderten Nordrhein-Westfalen-Programm, das gemeinsam mit dem Bund durch zusätzliche konjunkturelle Wachstumsimpulse ergänzt werden

konnte; Gesamthöhe für Nordrhein-Westfalen: 8,9 Milliarden Euro.

Deshalb schlagen wir als Landesregierung jetzt vor, den mit dem Nachtragshaushaltsgesetz 2020 bewährten Rettungsschirm zur Finanzierung aller direkten und indirekten Folgen der Bewältigung der Coronakrise in den nächsten beiden Jahren fortzuführen, um auch künftig flexibel und zeitnah auf die sich ergebenden Herausforderungen reagieren zu können.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, um es deutlich zu sagen: Es darf in dieser Situation keinerlei Zweifel daran entstehen – und wir werden dafür sorgen, dass das auch nicht passiert –, dass wir alles Verantwortbare tun werden, um diese Krise zu überwinden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber die Not sollte keinen Vorwand dafür liefern, auch gleich auf allen anderen Gebieten erfinderisch zu werden – vor allem dann nicht, wenn sich die Kreativität immer nur auf mehr Ausgaben und weniger Transparenz richtet, nie umgekehrt. Wer das tut, der legt die Axt an die Stabilität unseres haushalts- und finanzpolitischen Grundgerüsts.

Das unterscheidet uns übrigens auch ein Stück weit vom Bund. Der Bund hat die Kreditaufnahme in den Jahren 2020 bis 2024 jeweils deutlich über den erwarteten Steuermindereinnahmen geplant. Allein im nächsten Jahr, 2021, sieht der Entwurf von Finanzminister Scholz eine Nettokreditaufnahme von mehr als 96 Milliarden Euro vor, obwohl die erwarteten Steuermindereinnahmen – in Anführungsstrichen – „nur“ bei rund 42 Milliarden Euro liegen sollten. In einem einzigen Jahr klafft also beim Bund eine Lücke zwischen coronabedingten Steuermindereinnahmen und neuen Kreditaufnahmen in Höhe von über 50 Milliarden Euro. Bis einschließlich 2024 rechnet Herr

Scholz mit deutlich höheren Schulden im Verhältnis zu den Steuermindereinnahmen.

Im Vergleich dazu: Nordrhein-Westfalen plant in den Jahren 2021 und 2022 Schulden für den Rettungsschirm. Diese werden aber niedriger sein als die Steuermindereinnahmen. Für 2021 planen wir eine Verschuldung des Schirms von 5,1 Milliarden Euro bei Steuermindereinnahmen von 5,5 Milliarden Euro.

Wir trennen auch, wie ich gesagt habe, die coronabedingten Ausgaben transparent vom Rest des Haushaltes. Der Rest des Haushaltes ohne coronabedingte Sondereinflüsse ist, wie wir das immer versprochen haben, ohne jede Verschuldung geplant.

(Beifall von der CDU und der FDP)