Protocol of the Session on December 7, 2016

Sehr geehrte Damen und Herren, vor Kurzem hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales ihre Vorstellungen für die zukünftige Gestaltung der Rente vorgestellt. Frau Nahles möchte eine Haltelinie bei 46 Prozent Sicherungsniveau einziehen und

(Ministerin Werner)

auch die Beiträge bis 2045 nicht über 25 Prozent steigen lassen. Das ist ein erster Ansatz für Schritte in die richtige Richtung, die aber bei Weitem noch nicht ausreichen. Wir brauchen eine Reform der Rente mit einer stabilen und langfristigen Finanzierung, die ein auskömmliches Rentenniveau ermöglicht. Ein weiteres Absinken ist völlig inakzeptabel, da es Armut und erhebliche soziale Folgekosten verursacht. Auch müssen wir dafür sorgen, dass Menschen nicht viele Jahre in der Arbeitslosigkeit verharren müssen und dadurch neben der Erfahrung der sozialen Ausgrenzung zu geringe Rentenansprüche erwerben. Hier sind also dringende Reformen notwendig.

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich ganz zum Schluss etwas zu den Auslassungen der AfD sagen. Heute hat Herr Bernd Höcke mal wieder sein sozialpolitisches Herz entdeckt.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Björn Höcke!)

Björn Höcke. Okay, ich dachte: Bernd Höcke.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Also, heute hat Herr Höcke mal wieder sein sozialpolitisches Herz entdeckt,

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Auf dem rech- ten Fleck hat er es!)

heute hat es mal wieder gepasst, sich gegen Niedriglohn und gegen die Situation der Rentnerinnen und Rentner auszusprechen und das zu beklagen. Ich muss aber sagen, aus meiner Sicht ist das vollkommen unglaubwürdig. Als wir nämlich hier in Thüringen angefangen haben, einen sozialen Arbeitsmarkt aufzubauen, um zum Beispiel Langzeitarbeitslosen eine Perspektive zu geben und einen sozialen Arbeitsmarkt zu schaffen, um genau eben den Verwerfungen, denen Rentnerinnen und Rentner heute ausgesetzt sind, etwas entgegenzusetzen, haben Sie als AfD sich dagegen ausgesprochen.

(Unruhe AfD)

Insofern kann ich sagen, Sie quirlen Ihre Argumente gerade, wie Sie es brauchen, Hauptsache am Ende haben Sie einen Buh-Mann, das kann die EU sein, das können Geflüchtete sein, das können Langzeitarbeitslose sein. Ich finde, das ist unseriös. Das wird aber leicht zu durchschauen sein.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe AfD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich schließe den dritten Teil der Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf den vierten Teil

d) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Perspektiven Thüringens durch eine ‚Charta der Digitalen Grundrechte in der Europäischen Union‘“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/3153

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Frau Abgeordneter Marx, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Was hat dieses Thema in Thüringen zu suchen? Das ist recht einfach erklärt. Wir haben am Montag das erste Mal ein Schirrmacher-Symposium gehabt. Frank Schirrmacher ist der 2004 plötzlich verstorbene Mitherausgeber der FAZ, der sich immer sehr um digitale Grundrechte gekümmert hat. Dieses Symposium stand unter dem englischen Titel „re:claim autonomy!“, also: Rückgewinnung von Autonomie. Dort hat eine Referentin sehr treffend gesagt – das war Yvonne Hofstetter, eine Juristin und Autorin –: Was ist an Industrie 4.0 eigentlich deutsch außer dem Wort? Das fand ich eine sehr gute Fragestellung, denn wir können diese ganzen digitalen Rechte und die Wahrung der Rechtspositionen unserer Bürgerinnen und Bürger und aller Benutzerinnen und Benutzer hier nicht allein in Thüringen regeln und noch nicht mal allein in Deutschland. Vielleicht können wir in Europa gute Ansätze bringen und müssen dann die Global Player mit an unseren Tisch bekommen, um festzulegen, dass sich natürlich auch im Zeitalter der Digitalisierung vollkommen neue Herausforderungen und Anforderungen an den Schutz der Würde des Menschen stellen.

Es gibt nun seit einigen Tagen einen Entwurf von Leuten aus Deutschland, die aber europaweit über eine Digital-Charta für Europa diskutieren, die sehr wichtige Grundsätze niederlegt, über die es sich auch lohnt, hier in Thüringen zu reden, und zwar deswegen, weil alle Bürgerinnen und Bürger aufgefordert sind und sich offen an einer Diskussion über diese Charta beteiligen können, wie sie im Einzelnen aussehen soll. Es gibt ein Internetportal dazu: digitalcharta.eu. Dort kann zu jedem einzelnen Artikel mit diskutiert werden.

Wir haben uns im Landtag eigentlich schon sehr oft und vielleicht sogar mehr als andere Landtage intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Wir haben uns hier in einer parteiübergreifenden Entscheidung zum Beispiel zur Netzneutralität bekannt, einem sehr wichtigen Grundsatz, dass es nicht verschiedene Geschwindigkeiten im Netz geben darf, aber, wie gesagt, die Probleme, die inzwischen zu lösen sind, gehen weit über das hinaus.

(Ministerin Werner)

„Neue Gefährdungen der Menschenwürde ergeben sich im digitalen Zeitalter“, so heißt es auch in dieser Charta, „insbesondere durch Big Data, künstliche Intelligenz, Vorhersage und Steuerung menschlichen Verhaltens, Massenüberwachung, Einsatz von Algorithmen, Robotik und Mensch-Maschine-Verschmelzung sowie Machtkonzentration bei privaten Unternehmen.“ Wir sind lange nicht mehr in der Zeit oder in der Phase, als es noch eine freiwillige Entscheidung war, ob man sich als sogenannter Digital Native oder vorzugsweise junger Mensch in den Sphären des Netzes bewegt, sondern längst ist das Internet eigentlich zur Voraussetzung täglichen, alltäglichen Handelns geworden. Es gibt inzwischen bestimmte Behördenwege, die lassen sich überhaupt nur noch über das Netz beschreiten. Damit ist klar, dass es keinen freiwilligen Zugang mehr zu diesen Netzen gibt, sondern dass die ganze Sorge um die Gestaltung des Netzes eine Frage der Daseinsvorsorge ist. Deswegen müssen wir uns auch hier in Thüringen damit beschäftigen: Wie kann man zum Beispiel im Netz einen pluralen öffentlichen Diskursraum sicherstellen? Wie kann man zum Beispiel im Netz sicherstellen, dass automatisierte Verfahren oder überhaupt die Verwendung von elektronischen Kriterien wie zum Beispiel Algorithmen – das ist jetzt kein Internetproblem, sondern ein Auswertungs- und ein Berechnungsproblem – oder ein automatisiertes Verfahren nicht zur Beeinträchtigung des Lebens führt? Da müssen wir zum Beispiel einen Anspruch auf Offenlegung, Überprüfung und Entscheidung haben. Da heißt es in dieser Charta so schön: „durch einen Menschen“. Auch das ist lange nicht mehr selbstverständlich, denn die sogenannte künstliche Intelligenz ist dabei, maschinell den menschlichen Verstand zu überholen bzw. sie soll das tun, weil sie angeblich neutraler und gerechter wäre. Deswegen finde ich es auch einen sehr wichtigen Vorschlag hier in diesem Charta-Entwurf, dass es heißt: Entscheidungen müssen letztendlich immer noch durch Menschen getroffen werden oder durch echte Menschen überprüfbar sein. Das hört sich vielleicht sehr merkwürdig an, ist aber keineswegs mehr selbstverständlich.

Natürlich gehört zu den ganzen neuen Problemen auch die Frage der Datensicherheit. „Sensible Infrastrukturen“ ist das Stichwort; da ist sehr viel zu tun, um unsere digitale Grundversorgung für uns alle besser und beherrschbar zu machen.

Ja, Datenschutz gehört natürlich auch dazu. Damit haben wir uns in diesem Thüringer Landtag auch schon länger und sehr intensiv auseinandergesetzt. Am Ende noch mal der Appell: Beteiligen Sie sich alle an dieser Debatte, es lohnt sich und es ist wichtig auch für die Bürgerinnen und Bürger in Thüringen! Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster erteile ich Abgeordneter Henfling, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, es scheint ja so eine Art Gewissheit zu sein, dass sich durch die Digitalisierung alles ändert, lieb gewonnene Gewohnheiten, vermeintliche Gewissheiten und hart erkämpfte Standards. Die Ergebnisse zum Beispiel einer Umfrage des DGB zur Digitalisierung und Arbeitsqualität belegen dies und zeigen die Risiken durchaus auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es scheint so, dass einige unserer bisherigen Regelungen nur unzureichend genau solche Problematiken erfassen und Bürgerinnen und Bürger nicht vollumfänglich schützen. In diesen Zustand hinein stößt nun die Charta der Digitalen Grundrechte, die veröffentlicht und am Montag auch im Europäischen Parlament übergeben wurde. Sie versteht sich wahrscheinlich vorrangig als Schwert gegen Großunternehmen und deren Vermachtungsstrategien. Besonders die Ausführungen in dieser Charta zu den Bereichen Gleichheit, Profiling, Algorithmen, Pluralität und Wettbewerb belegen diese Stoßrichtung deutlich. Hier wird versucht, das Individuum zu befähigen und ihm Werkzeug an die Hand zu geben, auch das digitale Leben selbstbestimmt zu gestalten. Einige Einschätzungen stellen der Charta der Digitalen Grundrechte ein eher bescheidenes Urteil aus. Sie verweisen auf unklare Begrifflichkeiten, die reine Made-in-Germany-Attitüde und mangelnde Bindungskraft des Schreibens.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß ja nicht, ob es das ist, was man beklatschen sollte. Aber gut!

(Beifall CDU)

Dabei wird der Projektcharakter des Papiers missachtet. Die Charta versteht sich selber nicht als verfassungsbindendes Papier, sondern als Diskussionsanstoß. Am Ende dieses Kommunikationsprozesses kann eine Verfassungsgebung stehen; das würde sicher auch den Unterstützer Habermas freuen. Auch wir in Thüringen – und das ist ja das, worum es hier heute gehen soll – können von dieser Charta lernen. Die angesprochenen Entwicklungen treffen uns natürlich ebenso und die offenen Fragen der Digitalisierung können wir weder national noch regional lösen. Sie können auch kaum so gedacht werden.

Mit der Europapolitischen Strategie des Landes Thüringen wollen wir auch für den internationalen Ansatz einstehen und uns unter anderem für eine Stärkung des Datenschutzes auf EU-Ebene einsetzen. Doch auch in Thüringen selbst muss vernetzt

(Abg. Marx)

gedacht werden, das wurde bisher leider verschlafen. Unsere Vorgängerregierung hat dazu leider keinen Beitrag geleistet. Das werden wir gerne nachholen. Allen voran brauchen wir eine Digitalisierungsstrategie. Sie muss die zukünftigen Aufgaben einer Digitalisierung erkennen und Lösungen bündeln. Beispielsweise müssen die Novellierungen im Bereich der Kulturgutdigitalisierung für Wissenschaft und Forschung, Archivwesen und Bibliotheken zusammen gedacht werden. Das trifft exemplarisch auf alle Ressorts zu. Bisher wurde da eher nebeneinanderher gearbeitet. Wir müssen Thüringen dazu befähigen, Digitalisierung zusammenhängend umzusetzen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir erwarten dementsprechend auch die Digitalisierungsstrategie mit Hochspannung. Wenn man die Charta ernst nimmt, braucht Thüringen ein starkes Transparenzgesetz, denn auch das Thema „Transparenz“ wird in dieser Charta maßgeblich angesprochen, in dem Satz: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine gleichberechtigte Teilhabe in der digitalen Sphäre.“ Damit Transparenz auch brauchbar ist, braucht es aber konkrete Regelungen. „Die Informationen staatlicher Stellen müssen öffentlich zugänglich sein“, so heißt es in § 9 dieser Charta. Dies darf nicht nur bloßer Selbstzweck sein. Ein tragfähiges Transparenzgesetz muss dafür sorgen, dass die veröffentlichten Dokumente technische Standards erfüllen; auch bei Volltextsuche oder kompatiblen Dateiformaten haben wir noch Reformstau in den eigenen Verwaltungen abzubauen. Das bisherige Informationsfreiheitsgesetz ist in allen diesen Fragen vollkommen ungenügend und muss dringend reformiert werden. Da sind wir dran.

Ich bedanke mich bei der SPD, dass sie dieses Thema hier aufgeworfen und auf die Agenda gesetzt hat. Ich denke, auf der einen Seite können wir uns sicherlich einiges von dieser Charta abschauen. Ich denke, dass es auch für unsere am Montag anstehende Digitalisierungskonferenz hier im Thüringer Landtag eine gute Diskussionsgrundlage ist. Nichtsdestotrotz bleibt aber auch zu sagen, dass einige Sachen in dieser Charta durchaus schwierig sind, über die wir diskutieren müssen, insbesondere im Bereich der Meinungsfreiheit. Von daher freue ich mich auf die Diskussion am Montag und hoffe, dass wir diese Diskussion vor allen Dingen auch in die Häuser der Thüringer Landesregierung getragen bekommen und dass die Kolleginnen und Kollegen die Wichtigkeit dieses Themas deutlich erkennen, um Thüringen auch hier ein Stück weit zukunftssicher zu machen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster hat Herr Abgeordneter Scherer, Fraktion der CDU, das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Zuschauer, ich habe das Plakat mal mitgebracht, damit es auch die Zuschauer sehen: „Wir fordern digitale Grundrechte.“ Das ist von den Verfassern dieser Charta gemacht. Es sind sehr viele Sachen darauf, sehr viel Kleingedrucktes, ich lese nachher noch zwei Punkte vor. Die Idee ist ganz gut, die Idee, Regeln für die Bewältigung rechtlicher Fragen zu schaffen, die durch die zunehmende Digitalisierung unserer Lebenswelt entstehen, die ist richtig. Die ZEIT-Stiftung hat hier sicher einen Impuls gesetzt, auch wenn es zuvor schon andere Initiativen in dem Bereich gegeben hat. Durch die technische Entwicklung brauchen wir in der Tat eine Fortentwicklung des Rechts auf diesem Gebiet in vielfacher Hinsicht. Ich erinnere nur mal an die aktuelle Diskussion, was alles geregelt werden muss, wenn Autos computergesteuert selbstständig fahren. Wer haftet, wenn der Computer einen Fahrfehler macht? Haftet der Hersteller des Autos oder die Firma, die das Computerprogramm entwickelt hat, oder der Fahrer, der nicht eingegriffen hat, oder der Halter, der die Inspektionsintervalle nicht eingehalten hat? Das ist nur ein kleines einsichtiges Beispiel. Schon hier zeigt sich, dass komplexe Regeln notwendig sind, die ausführlich, insbesondere auch wegen ihrer Folgen, diskutiert werden müssen. Das gilt noch viel mehr bei dem Thema „Digitalisierung unserer Lebenswelt“. Es ist sicher zu loben, dass sich namhafte Menschen Gedanken gemacht haben, wie Schutzvorschriften und Rechte für den Einzelnen in diesem Bereich gefasst werden können. Allerdings ist der Diskussionsentwurf einer Charta der Digitalen Grundrechte ein dickes Brett, das da gebohrt werden soll. Meines Erachtens ist das Brett mit dem, was hier auf dem Papier steht, an vielen Stellen zwar leicht angebohrt, aber bei Weitem nicht durchgebohrt. Im Feuilleton der FAZ vom 04.12. – es ist also gerade mal drei Tage her – kommt der Autor Michael Hanfeld zu dem Schluss, dass es sich um wolkige und rückständige Formulierungen und um Gummiparagrafen handele. Das ist in meinen Augen zumindest zum Teil berechtigt, wenn man sieht, was zum Beispiel in Artikel 16 steht. Der ist mit „Netzneutralität“ überschrieben: „Netzneutralität ist zu gewährleisten. Dies gilt auch für Dienste, die den Zugang zur digitalen Sphäre vermitteln.“ Als „wolkig“ kann man das schon bezeichnen. Oder das Nächste: „In der digitalen Welt sind Pluralität und kulturelle Vielfalt zu gewährleisten. Offene Standards sind zu fördern. Marktmissbräuchliches Verhalten ist wirksam zu verhindern.“ Darunter kann man sich vieles vorstellen, was das alles sein

(Abg. Henfling)

soll, aber etwas Konkretes kann man sich darunter schlecht vorstellen. Oder der vorhin schon zitierte Artikel 9: „Die Informationen staatlicher Stellen müssen öffentlich zugänglich sein.“ Das heißt „alle“ Informationen. Wenn hier steht „die“, könnte es etwas schwierig werden in der Umsetzung.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Da haben Sie recht!)

Angesichts dieser Beispiele wäre es aus meiner Sicht besser, wenn man sich tatsächlich mal über ein Digitalgesetz unterhalten würde als über eine Charta der Digitalen Grundrechte, über ein Gesetz, in dem konkrete subjektive Rechte und Ansprüche für den Einzelnen drinstehen. Aber es bleibt dabei, dass der Diskussionsentwurf in die richtige Richtung geht, auch wenn gerade auf EU-Ebene, das will ich noch sagen, die Entwicklung einer Charta „made in Germany“ eher hinderlich sein dürfte. Immerhin hat es schon mehr als ein Jahrzehnt gebraucht, um die EU-Grundrechtecharta, nicht die Digitale, sondern die eigentliche Grundrechte-Charta halbwegs verbindlich zu machen. Im Jahr 2009 ist die verbindlich geworden und auch für EU-Institutionen und Mitgliedstaaten nur dann, wenn sie EU-Recht umsetzen. Wenn es nach vielen Jahren für eine Charta der Digitalen Grundrechte auf dasselbe hinausläuft, dann können sich Facebook und Google noch lange freuen. Danke.

(Beifall CDU)

Für die Fraktion Die Linke hat sich Frau Abgeordnete König zu Wort gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuschauer oder auch Zuhörerinnen und Zuhörer am Livestream! Es tut mir ein bisschen leid, dass ich jetzt etwas kritischer an die Charta der Digitalen Grundrechte in der Europäischen Union herangehen muss und noch mehr an die Perspektiven Thüringens durch eine Charta der Digitalen Grundrechte. Wenn man sich nämlich die Digitale Charta mal konkreter und näher betrachtet, dann entsteht der Eindruck, dass sich da Menschen zusammengefunden haben, die schöne Sätze formulieren. Die lesen sich auch sehr gut, aber mehr ist oft nicht dahinter – das zum Ersten. Zum Zweiten: Die Charta ist in sich widersprüchlich, ist auch nicht unbedingt rechtskonform bzw. wirft doch mehrere Fragen auf, wie das denn nun konkret im Justizbereich umgesetzt werden soll.

Ich will das an einem Beispiel festmachen, wo ich ehrlich gedacht habe: Das kann nicht wahr sein. Und zwar heißt es in Artikel 5 „Meinungsfreiheit und Öffentlichkeit“, ich zitiere die vier Sätze: „Jeder hat das Recht, in der digitalen Welt seine Meinung frei

zu äußern, eine Zensur findet nicht statt.“ Dem stimmen höchstwahrscheinlich alle zu. In Satz 2 heißt es: „Digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrtheit einer Person ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern.“ In Satz 3: „Ein pluraler öffentlicher Diskursraum ist sicherzustellen.“ In Satz 4: „Staatliche Stellen und die Betreiber von Informations- und Kommunikationsdiensten sind verpflichtet, für die Einhaltung von Satz 1, 2 und 3 zu sorgen.“

Dazu muss man als Erstes festhalten, dass damit nicht nur Dienstanbieter im gewerblichen Bereich, große Social Networks usw., gemeint sind, sondern faktisch auch eine Einzelperson, die beispielsweise einen eigenen kleinen Mailserver für Freunde betreibt. Die ist dann per dieser Charta verpflichtet, präventiv Eingriff in die Publikationsprozesse zu nehmen. Und das ist Zensur. Wenn man nämlich im Vorfeld, bevor die Veröffentlichung überhaupt stattgefunden hat, sagt, ich zitiere noch mal aus Satz 2: „Digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf […] ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern.“, dann bin ich ganz ehrlich der Überzeugung, das kann es nicht sein. Es kann auch nicht sein, dass das hier als das Positive herausgestellt und von uns mitgetragen wird. Das mag ein sehr guter Diskursansatz zum Thema „Digitale Grundrechte“ sein, darüber kann man sich mal verständigen, aber definitiv nicht in dieser Form, wenn sozusagen im Vorfeld schon die Zensur steht,