Wenn Herr Dr. Voigt seine Stimme abgegeben hat … Es gibt noch eine Stimmabgabe. Hatten jetzt alle die Gelegenheit, die Stimme abzugeben?
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen das Abstimmungsergebnis bekannt geben. Von den 85 anwesenden Abgeordneten haben 71 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja stimmten 7, mit Nein 64 (namentli- che Abstimmung siehe Anlage 3). Damit ist die nach Artikel 83 Abs. 2 der Landesverfassung notwendige Mehrheit von zwei Drittel der Mitglieder des Thüringer Landtags – das sind 61 – nicht erreicht und der Gesetzentwurf abgelehnt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Abgeordnete, werte Gäste! Die deutsche sowie die thüringische Gesellschaft werden religiös durch Massenintegration aus dem islamischen Raum zunehmend heterogener. Dies bringt vielfältige Konflikte mit sich, die insbesondere im öffentlichen Raum virulent werden. Einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste Zweck des Staats ist es, für Frieden, Sicherheit und Ordnung zu sorgen.
Aus den Erfahrungen der deutschen und europäischen Geschichte wissen wir, dass staatliche Neutralität ein hohes Gut ist. Nur einem Staat, der sich nicht religiöser oder weltanschaulicher Symbole bemächtigt und sich säkular legitimiert, kann das Vertrauen all seiner Bürger unabhängig von Religion und Weltanschauung entgegengebracht werden. Besonders in den hochsensiblen Bereichen der Justiz, der Rechtspflege, der Polizei sowie der Schule und Erziehung ist die staatliche Neutralität ein hohes, schützenswertes Gut. Vor Gericht und bei der Polizei begegnet der Bürger Zwangssituationen des Staats, denen er sich nicht entziehen kann, und die durch Hoheitsakte massiv in sein Leben eingreifen. Bereits heute wird der besonderen Neutralitätspflicht des Staats in diesem Bereich durch Roben bei Richtern bzw. Uniformen bei Polizisten Rechnung getragen. In Schulen in staatlicher Trägerschaft kann sich der Schüler durch die Schulpflicht ebenfalls nicht dem Staat, der ihm und den Lehrern entgegentritt, entziehen. In Schulen wie in Kindertageseinrichtungen ist ein Lernen ohne Indoktrination von höchster Bedeutung. Kinder und Jugendliche finden in Erzieherinnen bzw. in Lehrern ganz wichtige Bezugspersonen und sind aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklung leicht formbar. Sie sind in besonderem Maß dem Einfluss der Erzieherin bzw. des Lehrers ausgesetzt, ohne darüber reflektieren und dessen Einfluss kritisch hinterfragen zu können. In den erwähnten Bereichen erscheint es daher verhältnismäßig, während der Dienstzeit für ein Verbot von sichtbaren religiösen und weltanschaulichen Symbolen und von auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücken zu sorgen, die für den durchschnittlichen Betrachter als solche zu erkennen sind. Um dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu genügen, sind Schulen und Kindertageseinrichtungen in freier Trägerschaft explizit vom Verbot ausgenommen, ebenso wie der Religionsunterricht. Auch dem wichtigsten Gebot der Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Genüge getan. Die Gleichbehandlung gehört zu den Leitsätzen in dem jüngsten Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015.
Meine Damen und Herren, bei dem Thüringer Neutralitätsgesetz handelt es sich um einen ausgewogenen, durchdachten und rechtlich abgesicherten Beitrag zur Sicherung des innergesellschaftlichen Friedens und zur Sicherstellung der staatlichen Neutralität. Wir freuen uns auf diese Debatte. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Besucher! Ich freue mich, dass so viele heute Interesse daran haben, die Arbeit hier im Thüringer Landtag zu verfolgen. Ich denke, es macht Sinn, dass wir den von der AfD-Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf zunächst einer kurzen rechtlichen Bewertung unterziehen. In einem zweiten Schritt will ich gern die Auffassung unserer Fraktion dazu vortragen.
Zunächst zur rechtlichen Bewertung: Lohnend und hilfreich ist immer die Rechtsprechung, die aktuell ist, in einer jungen Entscheidung – Kollege Henke hat es ja angesprochen – vom 27. Januar 2015. Dort ging es übrigens um das Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen. Aus diesem Bundesverfassungsgerichtsentscheid möchte ich gern zwei Orientierungssätze kurz ansprechen. Erstens: „Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit [...] gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen des islamischen Kopftuchs der Fall sein kann.“ Zweitens: „Ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen“ – hier geht es, wie gesagt, um § 57 des Schulgesetzes Nordrhein-Westfalens – „durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ist unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist.“ Kurz zusammengefasst, sodass man es auch versteht – bei den Orientierungssätzen des Bundesverfassungsgerichts ist es für Nichtjuristen immer schwierig –: Das bloße Tragen eines islamischen Kopftuchs, also ein pauschales Kopftuchverbot – zu denken wäre im Übrigen auch an die jüdische Kippa oder auch an das christliche Kreuz –, verstößt weder gegen den Schulfrieden noch gegen die staatliche Neutralität und unterliegt somit folgerichtig dem Schutz von Artikel 4 Grundgesetz, sehr geehrte Damen und Herren.
Den rechtlichen Orientierungsrahmen habe ich soeben dargestellt. Ich möchte nun zu unserem Standpunkt kommen. Die dem Staat gebotene Neutralität ist nicht im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern eben als offene, die Glaubensfreiheit aller Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Und das Verbot
die immerhin etwa 30 Prozent der Thüringer Bevölkerung darstellen – ich freue mich, Frau Kollegin Marx, dass Sie das zustimmend zur Kenntnis genommen haben. Sie waren heute Morgen eine der wenigen, die auch die Möglichkeit in Anspruch nehmen, hier vor der Plenarsitzung am Morgengottesdienst teilzunehmen.
Sehr geehrte Damen und Herren, das sogenannte Kopftuchverbot wird bereits, zumindest teilweise, durch verwaltungsrechtliche Vorschriften erreicht, die beispielsweise, Kollege Henke, für die Polizei und für Justizvollzugsbedienstete eindeutige Kleidungsvorschriften vorgeben. Schließlich begegnet der Gesetzentwurf – ich habe es anklingen lassen – auch verfassungsrechtlichen Bedenken. Es erstaunt mich schon, dass die AfD beim Berliner Neutralitätsgesetz abgeschrieben hat, das aus dem Jahr 2005 stammt und zuletzt zehn Jahre später, also 2015, explizit bezogen auf Lehrkräfte an öffentlichen Schulen als nicht mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vereinbar bewertet worden und
folgerichtig auch in diesem Bereich einkassiert worden ist. Wir sagen: Sollte in der Lebenswirklichkeit eine tatsächliche und nicht nur immer eine behauptete konkrete Gefahr des politischen, religiösen oder weltanschaulichen Friedens durch Glaubensoder weltanschauliche Symbole im öffentlichen Dienst vorliegen, müssen eben entsprechende Regelungen, zum Beispiel durch den Erlass von Verordnungen, geschaffen werden. Wichtig ist uns dabei, dass die staatliche Neutralität unter angemessener Berücksichtigung unserer christlich und humanistisch geprägten Tradition auch die entsprechende Beachtung findet.
Sehr geehrte Damen und Herren, damit komme ich zu meinem kurzen Fazit. Der Gesetzentwurf der Retter des Abendlandes blendet gelebte christliche Tradition jedenfalls völlig aus und ist inhaltlich daher von uns abzulehnen. Und letzter Satz – welches Ziel die AfD mit diesem Gesetzentwurf verfolgt, ist doch völlig klar: Die AfD verfolgt das Ziel der religiösen Sterilität und genau das wollen wir nicht und deswegen wird es auch von uns keine Zustimmung zu einer möglichen Ausschussüberweisung geben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, mein Vorredner hat es bereits deutlich gemacht, wohin der Antrag der Fraktion der AfD zielt. Wenn man sich den Gesetzentwurf näher betrachtet, wenn man in den Zeilen liest, wird unterstellt, dass im öffentlichen Dienst im Freistaat Thüringen eine Situation vorherrscht, wo das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den öffentlichen Dienst – namentlich in die hier genannten Bereiche Polizei, Bildung etc. – durch Tragen von sichtbar weltanschaulichen, religiösen Symbolen beeinträchtigt sei. Sie unterstellen damit eine Vielzahl von Fällen, die es überhaupt nicht gibt. Sie machen mit diesem Gesetzentwurf, wie es Ihre Art ist, Angst und zielen eindeutig auf die Werte unserer Gesellschaft ab, die Sie nicht wahrhaben wollen, die Sie verändern wollen. Das ist verachtend, was Sie hier produzieren und genau deswegen wird sich meine Fraktion dem Gesetzentwurf in der Form entziehen, dass wir keine Ausschussüberweisung zulassen. Danke.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Herzlichen Dank, Herr Walk, für Ihre wirklich sehr guten Ausführungen, die den Kern der Sache getroffen haben. Die AfD interessiert sich nicht so richtig für unsere Verfassung und das wird auch in diesem Antrag wieder deutlich. Sie kennt sie anscheinend auch nicht. Ich kann noch einmal wiederholen, was der Kollege Walk schon vollkommen zutreffend gesagt hat und was auch ich hier schon in mehreren Plenardebatten gesagt habe: Wir haben keinen Staat, der neutral ist gegenüber Religion, sondern tolerant gegenüber den verschiedensten Religionen, einen Staat, der sich zu den verschiedensten Religionen und der Freiheit ihrer Ausübung und der Freiheit der Religionsausübung bekennt. Das ist ein verfassungsmäßiges Grundrecht für die verschiedenen Religionsangehörigen. Deswegen ist es nicht erforderlich und auch nicht rechtmäßig, ein äußeres Erscheinungsbild zu untersagen, mit dem
Leute auf ihre Religionszugehörigkeit aufmerksam machen, außer in bestimmten konkreten Bereichen, wo dies stören mag. Beamten und Angestellten des Freistaats soll jetzt aber trotzdem verboten werden, religiöse und weltanschauliche Symbole bei Ausübung ihrer Arbeit sichtbar zu tragen. Das schränkt die Meinungs- und Religionsfreiheit unzulässig ein.
Der Kollege Walk hat schon die Verfassungsgerichtsentscheidung vom 27. Januar 2015 genannt. Vielleicht kann ich auch versuchen, Ihnen das noch einmal zu verdeutlichen, in dem ich Ihnen ausführlich die Erklärungen für die Leitsätze aus der Begründung hier zu Gehör bringe, die Herr Walk eben zitiert hat. Es geht nämlich um die negative Glaubensfreiheit; wenn jemand ein religiöses Symbol zum Beispiel in einer Schule trägt – hier ging es um das Kopftuch –, dann werden Schülerinnen und Schüler nicht beeinflusst. Denn „Schülerinnen und Schüler werden lediglich“ – so heißt es hier in der Entscheidung im Leitsatz bzw. in der Begründung auf Randnummer 105 für die, die es genau nachlesen wollen – „mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit der Lehrkräfte in Form einer glaubensgemäßen Bekleidung konfrontiert, was im Übrigen durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen wird. Insofern spiegelt sich in der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die religiös-pluralistische Gesellschaft wider.“ Ein wichtiger Satz in dieser Entscheidung. Das geht dann auch noch weiter damit, dass man das Gleiche noch einmal ausführt, dass auch die negative Glaubensfreiheit der Eltern hier nicht bedroht ist. Denn auch „die negative Glaubensfreiheit der Eltern, die hier im Verbund mit dem elterlichen Erziehungsrecht ihre Wirkung entfalten kann“ – ich zitiere jetzt wieder – „garantiert keine Verschonung von der Konfrontation mit religiös konnotierter Bekleidung von Lehrkräften, die nur den Schluss auf die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion oder Weltanschauung zulässt, von der aber sonst kein gezielter beeinflussender Effekt ausgeht. Das gilt in Fällen der vorliegenden Art gerade deshalb, weil nicht ein dem Staat zurechenbares glaubensgeleitetes Verhalten in Rede steht, sondern eine erkennbar individuelle Grundrechtsausübung.“ Also lesen Sie es sich selbst noch einmal durch und – noch besser – verstehen Sie es auch. Dann wissen Sie, dass Sie hier auf dem Holzweg sind. Sie konstruieren hier. Das knüpft nahtlos an Ihre Sache mit Burka- und Schleierverbot an, daran, dass man von einem Symbol einer Kleidung schon Angst und Schrecken in der Bevölkerung verbreiten würde. Deswegen sollen alle religiösen Bekundungen verboten werden, auch christliche Bekundungen, also das Tragen eines Kreuzes. Wovor haben Sie eigentlich Angst? Das muss man mal ausprobieren. Es ist wie bei Vampiren, wenn ich jetzt so eine Geste mache, da zischt es bei Ihnen auf den Bänken, das will ich ja nicht.
Es ist ja auch so, dass Schülerinnen und Schüler – die meisten von uns haben selbst Kinder –, Kinder offen, tolerant und neugierig und nicht erschrocken sind und keinen islamistischen Terroristen vor sich sehen, wenn jemand mit dem Kopftuch in der Schule steht, aber Sie wahrscheinlich. Das Grundgesetz hat ein anderes Bild vom Menschen und vom freiheitlichen Staat. Deswegen hat das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2015 auch noch einmal auf die alte Rechtsprechung Bezug genommen und noch einmal ausdrücklich den schönen Satz in die Entscheidung hineingeschrieben – es ist jetzt die Randnummer 109 –, auch die möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: „Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulichreligiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist.“
Auch das noch mal ein schöner Satz, den Sie sich vielleicht in Ihrem Fraktionssaal an die Wand hängen könnten. Wenn Sie sich das alles mal zu Herzen nehmen würden,
dann würden Sie aufhören, hier immer mit Ihren diskriminierenden Vorurteilen zu arbeiten. Wie gesagt, noch einmal auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer: Viele von uns hier in Thüringen sind nicht Mitglied einer Kirche und es muss auch keiner Mitglied einer Kirche sein. Die Religionsfreiheit oder die individuelle Entscheidung, keiner Glaubenszugehörigkeit anzugehören, wird geschützt und selbstverständlich gibt es auch die sogenannte negative Religionsfreiheit, zu sagen, ich kann und will an nichts glauben. Aber ich habe deswegen kein Recht, anderen Leuten die Religionsausübung zu verbieten und schon gar nicht symbolisch, indem sie dann noch nicht mal ein Kreuz um den Hals tragen dürfen oder eine religiös konnotierte, also religiös veranlasste Kopfbedeckung. Ansonsten, dass die Neutralität natürlich gebietet, dass nicht versucht wird, in Schulen oder anderen öffentlichen Einrichtungen jetzt individuell Andersgläubige oder Nichtgläubige zu bekehren, das ist etwas ganz anderes und dieser Verpflichtung unterliegen alle im öffentlichen Dienst beschäftigten Beamten und Angestellten schon lange.
Ja, Frau Marx. Ich habe meine Begründung hier rein sachlich vorgebracht, ohne irgendjemandem Angst oder Motive zu unterstellen. Es geht einfach darum, in der Begründung zu sagen, worum es uns geht. Mit Angst oder Angst machen hat das überhaupt nichts zu tun gehabt.
Aber es geht darum, dass Ihr Gesetzentwurf, Herr Henke, doch von dem Bild ausgeht, dass, wenn jemand beispielsweise mit einem Kopftuch in der Schule steht, eine Lehrerin, dass davon sozusagen eine religiöse Beeinträchtigung des Schülers oder der Schülerin ausgeht und damit das staatliche Neutralitätsgebot verletzt sei. Ich habe Ihnen gerade vorgelesen, dass das eine Schülerin oder ein Schüler hinzunehmen hat, genauso wie das Kreuzchen, das jemand an der Kette trägt, dass man sagt: Aha, da steht jemand vor mir, der gehört der Religion an oder hat den oder den anderen Glauben. Das muss dieser Schüler ertragen, auch die Eltern dieses Schülers, und das können Kinder auch sehr gut ertragen, weil Kinder – anders als ältere Männer, die in Ihrer Partei überwiegend zu Hause sind – die Welt sehr tolerant und offen sehen.