Protocol of the Session on September 2, 2016

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Es gibt aber auch noch andere Studien!)

von Irene Demmer-Dieckmann. Ich kann Ihnen gern mal den entsprechenden Link zur Verfügung stellen.

(Staatssekretärin Ohler)

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Ich kann Ih- nen auch eine Liste zur Verfügung stellen!)

Ich kann hier nicht auf alle Studien eingehen. Deswegen nur die wichtigsten Ergebnisse.

(Unruhe CDU)

Die Studien zeigen, dass Kinder mit Förderbedarf im inklusiven Unterricht mehr lernen,

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Selektive Wahrnehmung!)

Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit, liebe Kollegen.

erfolgreicher sind, besser abschneiden als vergleichbare Schülerinnen und Schüler an Förderschulen, weniger von Stigmatisierung betroffen sind, durch die lernreiche Umgebung eher in der Lage sind, einen Schulabschluss zu erreichen, ein positiveres Selbstkonzept entwickeln und bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Es gibt auch noch Studien von zum Beispiel Bless 1995, Haeberlin et al. 1990, Hildeschmidt/Sander 1996, Tent et al. 1991, Wocken 2007. Es gibt zum Beispiel die Bielefelder Längsschnittstudie

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Ach, Bie- lefeld! Hören Sie auf damit!)

zum Lernen in inklusiven und exklusiven Förderarrangements. So viel dazu, dass es keine Studien geben soll. Der renommierte Bildungsforscher Klaus Klemm hat es auf den Punkt gebracht: „Alle Studien zum Lernerfolg zeigen, dass die Mehrheit der behinderten Kinder in der Regelschule größere Fortschritte macht als in der Förderschule – und öfter einen Schulabschluss erreicht, der berufliche Perspektiven eröffnet.“

Sehr geehrte Damen und Herren, zu Punkt 3: Kindeswohl, das beinhaltet das Gefühl der Zugehörigkeit und das beinhaltet die Chance auf einen guten Bildungsabschluss. Beides bietet die gemeinsame Beschulung. Elternrecht ist dienendes Recht. Elternrecht dient der besten Umsetzung von Kindeswohl. Darauf hat die Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte deutlich hingewiesen. Eltern mit Beratungsbedarf steht ein umfassendes Beratungsangebot zur Verfügung. Es gibt die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des TQB, Koordinatorinnen und Koordinatoren für den Gemeinsamen Unterricht, Fachberaterinnen und Fachberater für sonderpädagogische Förderung und es gibt die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. Darüber hinaus können sich Eltern an anderer Stelle bei

spielsweise in sozialpädiatrischen Zentren beraten lassen.

Nun zu Punkt 4: Ich sage es noch einmal: Förderschulen bleiben auch in einem inklusiven Bildungssystem grundsätzlich erhalten – und das gilt auch für alle Förderschwerpunkte. Die überregionalen Förderzentren für Hören und Sehen behalten ihren überregionalen Charakter. Sie werden weiterhin sowohl Schülerinnen und Schüler beschulen, als auch die integrative Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit diesen Förderbedarfen thüringenweit begleiten und unterstützen. Auch die regionalen Förderzentren für geistige Entwicklung werden weiterhin sowohl Schülerinnen und Schüler beschulen, als auch die integrative Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit diesem Förderbedarf begleiten und unterstützen.

Der bereits bestehende Auftrag der Förderzentren für Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung, sich zu regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren zu entwickeln, bleibt auch weiterhin bestehen. So haben wir das im Thüringer Entwicklungsplan Inklusion festgelegt, den wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen – der Entwicklungsplan übrigens, den Frau Prof. Vernooij gemeinsam mit dem Ministerium geschrieben hat.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn Eltern für Förderschulen kämpfen und darauf bestehen, dass ihr Kind dort beschult wird, dann deswegen, weil sie das Beste für ihr Kind wollen. Sie haben Angst davor, dass Lehrerinnen und Lehrer, die nicht sonderpädagogisch ausgebildet sind, ihr Kind nicht richtig unterrichten können. Sie haben auch Angst davor, dass ihr Kind in einer größeren Klasse untergeht. Das nehmen wir sehr ernst. Deswegen brauchen wir die Fachleute im Gemeinsamen Unterricht, deswegen brauchen wir mehr Weiterbildung und deswegen werden auch nicht alle Schulen übermorgen inklusive Schulen sein.

Thüringen ist auf dem Weg und diesen Weg müssen wir gemeinsam gehen – für alle Kinder, mit und ohne Behinderung, mit und ohne deutschen Pass, für Kinder, die in wohlhabenden und jene, die in armen Familien leben, und für Kinder, die als Hochbegabte oft nicht erkannt werden und dann als Störenfriede gelten. All diesen Kindern gerecht zu werden, ist eine große Aufgabe. Aber Bildungspolitik ist dann gerecht, wenn sie sich dieser Aufgabe annimmt und den Kindern die Chance gibt, gemeinsam voneinander zu lernen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Inklusion ist ein Menschenrecht. Ich sage das deutlich und zum Mitschreiben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Denn wenn wir Ihren Antrag lesen, könnte man meinen, Inklusion sei eine Strafe. Das Recht auf In

(Staatssekretärin Ohler)

klusion wurde von Behindertenverbänden erkämpft, so wie einst für die Gleichberechtigung der Frauen gekämpft wurde. Auch die Beschulung von Jungen und Mädchen stieß anfangs auf Widerstand. Ist durch den gemeinsamen Unterricht von Jungen und Mädchen alles besser geworden? Nein, aber die Bildungschancen für Mädchen haben sich deutlich verbessert. So ist das auch mit der gemeinsamen Beschulung von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung.

Sehr geehrte Damen und Herren, eines möchte ich ganz deutlich machen: Das inklusive Bildungssystem ist das Bildungssystem der Zukunft.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das inklusive Bildungssystem will gute Bildung für alle.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Wartet mal ab!)

Ein mindestens genauso wichtiger Aspekt – neben der Bildung – ist die Zugehörigkeit. Wir wollen eine inklusive Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der sich alle zugehörig und aufgehoben fühlen können. Daran arbeiten wir auf Hochtouren. Inklusion ist ein Menschenrecht – das wurde so 2008 in der UN-Behindertenrechtskonvention festgelegt. Wir stehen in der Pflicht, diese Konvention mit Leben zu füllen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Im Juli 2012 hat der Landtag die Landesregierung aufgefordert, einen Entwicklungsplan zur Realisierung eines inklusiven Bildungssystems zu erarbeiten. Das war eine Sternstunde dieses Hauses. Über alle Parteigrenzen hinweg haben damals alle im Landtag vertretenen Fraktionen diesen Beschluss mitgetragen. Der Entwicklungsplan liegt dem Landtag vor. Wir haben also einen weiten Weg vor uns, hin zur Inklusion, einen Weg, den wir langsam, mit Bedacht und Schritt für Schritt gehen wollen.

Das heißt, auch wir wollen die sächlichen, personellen und räumlichen Voraussetzungen schaffen. Wir haben zum Beispiel als einen Aspekt des Schulbausanierungsprogramms die Barrierefreiheit benannt. Und wir werden die Schulen nicht zwingen, in zwei Jahren vollumfänglich inklusive Schulen zu sein. Diesen Weg beschreiten wir gemeinsam mit Gewerkschaften, Trägern, Kommunen, Eltern und Schülern sowie Behindertenverbänden. Wir werden den Gesetzentwurf für eine breitere Diskussion zur Verfügung stellen. Aber wir werden diesen Weg nicht verlassen, sondern dafür sorgen, dass das Menschenrecht Inklusion immer besser verwirklicht wird. Darauf haben wir uns im Landtag 2012 geeinigt und das setzen wir jetzt um. Mein Dank gilt hier all jenen, die diesen Weg mit uns gehen, insbesondere den Mitgliedern des Inklusionsbeirats und unseren Vorgängern im Amt Christoph

Matschie und Roland Merten. Aber besonders danke ich den zahlreichen Lehrerinnen und Lehrern, die sich täglich um Kinder mit besonderen Förderbedarfen kümmern, jenen in den Förderschulen, aber auch und besonders all jenen im Gemeinsamen Unterricht. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe noch zwei Wortmeldungen. Zunächst Abgeordneter Reinholz und dann Abgeordneter Höcke.

(Beifall im Hause)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, eigentlich wollte ich ja nicht mehr an dieses Pult gehen. Aber nachdem ich – Frau Staatssekretärin, nehmen Sie es mir nicht übel – so viel Unsinn gehört habe,

(Beifall CDU, AfD)

muss ich das einfach noch mal tun. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Eine meiner Töchter ist gehörlos und ist zu Beginn an die Schwerhörigenschule in Gotha gegangen, nicht an die Gehörlosenschule in Erfurt, weil wir sie fördern und fordern wollten. Dort hat sie den normalen Realschulabschluss mit sehr guten Noten gemacht. Danach ist sie vier Jahre an ein Spezialgymnasium für Gehörlose nach Essen gegangen und hat dort ihr Abitur erworben, ist danach nach Köln an die Universität und hat Pädagogik studiert, mit dem Staatsexamen abgeschlossen und ist inzwischen Lehrerin. Frau Ohler, alles, was Sie hier vorgetragen haben, hätte sie nie im Leben geschafft, wenn wir sie von Anfang an auf eine ganz normale polytechnische oder Realschule geschickt hätten – nie im Leben!

(Beifall CDU, AfD)

Da können Sie gern mal mit anderen betroffenen Eltern reden. Aus den Kindern, die man zu DDRZeiten und auch zu Beginn der Bundesrepublik in so eine Inklusionsschule geschickt hat, sind Zahntechniker geworden. Zahntechniker, das ist der klassische Beruf für einen Gehörlosen. Ich kenne viele Kinder, die diesen Weg auch gegangen sind. Das werden gute Zahntechniker, das will ich gar nicht von der Hand weisen. Aber den Weg zu einem Studium verbauen Sie ihnen damit ein für allemal. Das sollten Sie sich einfach auch mal vor Augen führen. Danke.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es kommt darauf an, wie die Schule gemacht ist!)

(Beifall CDU, AfD; Abg. Gentele, fraktionslos)

(Staatssekretärin Ohler)

Danke schön, Herr Abgeordneter Reinholz. Als Nächster hat Abgeordneter Höcke für die AfD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne! Herr Kollege Reinholz, ich danke Ihnen sehr für diese persönliche Bemerkung, die Sie hier vorn abgegeben haben. Ich denke, das hat jetzt vielen noch mal wirklich zu denken gegeben. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall AfD)

Herr Wolf, Frau Ohler, repetitio est mater studiorum,

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Jetzt goo- geln!)

und das tut not bei Ihnen. Der Kollege Reinholz hat darauf schon hingewiesen. Es tut wirklich not. Sie haben die UN-Behindertenrechtskonvention zitiert, Frau Staatssekretärin, wenn ich mich recht erinnere, und Sie haben folgendermaßen zitiert: Inklusion ist ein Menschenrecht, wenn ich mich nicht ganz verhört habe. Stimmt es so oder stimmt es nicht?

Nachdem Sie eine Frage gestellt haben, es gibt auch eine weitere Frage aus dem Saal, und zwar des Abgeordneten Fiedler. Lassen Sie die zu, Herr Höcke?

Gleich, Herr Fiedler. Kann die Staatssekretärin mir darauf antworten, Herr Präsident?

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Sie re- den gerade am Mikrofon! Da gibt es keine Antwort!)