Protocol of the Session on August 17, 2016

Dann stellen Sie sich hier vorne hin und liefern ein perfektes Beispiel dafür, wie politisch instrumentell Sie die Themen angreifen. Beim Kollegen Lauinger sagen Sie: Wir brauchen hier die öffentliche Erklärung, Sachfragen interessieren uns nicht. Sie krakeelen rum, ziehen Themenbereiche in die Öffentlichkeit und sind gar nicht interessiert an der Sachaufklärung, wie tatsächlich die Abläufe waren, weil Sie das politische Theater brauchen. Hier sind Sie möglicherweise von einem politischen Theater selbst betroffen und schreien herum, dass die Sondersitzung des Parlaments, also die Information der Öffentlichkeit, verunmöglichen würde, dass sich Parlamentarier mit der Sache beschäftigen und einzelne Fragen nachklären können. Und den Vorschlag der Koalitionsfraktionen – erst die öffentliche Erklärung, dann die Innenausschusssitzung, um die Fragen, die aus dem Bericht hervorgehen, gemeinsam zu diskutieren – haben Sie einfach missachtet. Sie brauchten den öffentlichen Aufschlag. Sie haben den Innenausschuss gebraucht. Und dann stellen Sie sich nach dem Innenausschuss hin und sagen dem MDR, die ganze Affäre ist doch einfach nur hochgekocht, ein Sturm im Wasserglas, das ist doch heiße Luft. Das haben Sie hier wiederholt. Und dann stellen Sie sich wenige Tage später hier wieder hin und sagen: Der Bericht des Innenministers am Freitag im Innenausschuss war dünn und hat uns nicht befriedigt. Herr Fiedler, Sie müssten doch wenigstens mal versuchen, während einer Rede politisch konsequent

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und stringent zu sein, aber das gelingt Ihnen offenbar nicht. Dann haben Sie einen Antrag vorgelegt, weil Sie an Aufklärung interessiert sind, haben festgestellt, das bedarf der Aufklärung – ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, da kommen Sie nicht nur Ta

ge zu spät, sondern Sie hinken zeitlich inhaltlich hinterher –, und dann richten Sie nach dieser Feststellung, dass es Aufklärung bedarf, vier Fragen an den Thüringer Landtag, die geklärt werden müssen. Diese vier Fragen bemühen sich nicht etwa um die Dienstanweisung –

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: An die Lan- desregierung! So viel Zeit muss sein!)

Sie richten den Antrag an den Landtag, Herr Fiedler, Entschuldigung. Sie stellen doch keine Anträge an die Landesregierung. Sie stellen einen Antrag an den Landtag und der Landtag entscheidet über Ihre Anträge.

Und in diesem Punkt stellen Sie vier Fragen an den Landtag in den Raum, die sich nicht etwa um die Aufklärung unerlaubter Mitzeichnungen von Telekommunikationsinhalten bemühen, sondern um das Agieren des Datenschutzbeauftragen im Rahmen der Aufklärung der Aufklärung.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Na klar!)

Da frage ich mich natürlich: Warum? Erstens scheinen Sie nicht interessiert zu sein an der Aufklärung in der Sache und zweitens habe ich, wenn ich Ihnen so zuhöre und sehr aufmerksam zuhöre und Ihren Antrag lese, das Gefühl, Sie kommen im Untersuchungsausschuss Immelborn nicht weiter und brauchen ein neues Betätigungsfeld, wo Sie den aus Ihrer Sicht möglicherweise ungeliebten Dr. Hasse in irgendeiner Form weiter ins Kreuzfeuer bekommen. Aber dieses politische Schauspiel auf diesem politischen Feld machen wir nicht mit, denn wir brauchen Aufklärung genau aus den Sensibilitäten, die ich genannt habe, in anderer Sache.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Ich will Ihnen eines noch einmal deutlich sagen, weil Sie sagen: Warum hat denn der Staatssekretär, nachdem er im Mai informiert worden ist, nach einem Gespräch mit dem Polizeiabteilungsleiter möglichweise selbst aktiv mit dazu beigetragen, dass einen Monat später diese Aufzeichnungspraxis beendet worden ist? Das erscheint Ihnen als viel zu langer Zeitraum. Ein Monat! Wissen Sie, Herr Fiedler, ich habe in den letzten 16 Monaten Regierungsbeteiligung dieser Fraktion viel gelernt über das Innenministerium. Sie nehmen mir das nicht übel, Herr Innenminister. Ein Monat von einer Problemanzeige im Innenministerium bis zu einer ersten Lösung ist unwahrscheinlich. – Sie haben es mal zitiert – „Schweinsgalopp“.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber sich hier hinzustellen als langjähriger innenpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion und zu fragen: „Herr Poppenhäger, warum sind Sie denn nicht in der Lage, schneller als in einem Monat zu handeln?“, nachdem 15 Jahre unter Ihren Innenminis

tern, die man namentlich gar nicht mehr aufzählen kann, überhaupt nicht agiert worden ist, das halte ich doch schon für ein unverfrorenes Stück. Wenn wir Ihr Niveau politischer Auseinandersetzung in der Causa Lauinger – oder wie Sie es auch immer nennen würden – wirklich zum Anlass nehmen, dann frage ich doch mal tatsächlich hier von diesem Pult: Was wussten denn und haben denn aktiv getan der Abgeordnete Scherer, der Abgeordnete Geibert oder der Abgeordnete Walk? Die könnten doch alle zur Aufklärung beitragen. Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Sie sind interessiert an Aufklärung in der Sache unabhängig der politischen Herkunft, dann aber fragen, was denn der Datenschutzbeauftragte im Jahr 2015 für einen Brief geschrieben hat, dann sage ich Ihnen: Sie wollen überhaupt nicht in der Sache aufklären, was möglicherweise Rechtsverstöße anbetrifft,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

sondern Ihnen geht es auch darum, politisches Schauspiel zu veranstalten.

Meine Damen und Herren, was wissen wir aber in der Sache selbst? Wir wissen, es gibt diese Dienstanweisung aus dem Jahr 1999. Nach Kenntnis dieser Dienstweisung – da rede ich auch in Ihre Richtung, Herr Fiedler – würde ich es mir nicht so einfach machen, dass man sagt, diese Dienstanweisung war vollkommen ohne Probleme. Denn diese Dienstanweisung nimmt eines richtigerweise vor – sie beschreibt die Rechtslage und sagt, es ist eine Straftrat, in die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes einzugreifen, und es gibt sehr hohe Rechtfertigungsgründe, die vorliegen müssen, um in diesen Schutzbereich hinein agieren zu können. Die liegen entweder – wenn ein Personalrat zugestimmt hat – im Rahmen beamtenrechtlicher Maßnahmen, die liegen aber auch vor im Bereich der Notrufleitung, zur Gefahrenabwehr und Nothilfe oder wenn die ausdrückliche Einwilligung vorliegt. Dann macht aber die Dienstanweisung noch etwas anderes. Sie beschreibt unabhängig von der richtig beschriebenen Rechtslage – jetzt zitiere ich aus der Dienstanweisung –: Im Rahmen der automatisierten Aufzeichnung werden „Gespräche über die Nebenstellen 224 und 225“ umfasst. Und diese Formulierung „Gespräche im Rahmen des automatisierten Aufzeichnens“ heißt eben, alle, und es heißt eben nicht mehr, Berücksichtigung der Rechtsnormen, die im Punkt 3 der Dienstanweisung normiert werden, sondern das heißt, alle, und das heißt, abgehende Anrufe genauso wie eingehende Anrufe, unabhängig davon, ob die eingehenden Anrufe tatsächlich Notrufe sind. Es wird vor allen Dingen dann problematisch, wenn das permanent geschieht und damit immer anlasslos und wenn die Angerufenen und Anrufenden darüber nicht informiert werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir auch wissen, ist, dass es 16 Jahre gebraucht hat innerhalb der Thüringer Polizei und des Thüringer Innenministeriums, diese Dienstanweisung und die praktische Umsetzung innerhalb der Polizei sensibel vor dem Hintergrund der geltenden Grundrechtslage zu überprüfen und zu hinterfragen. Da können wir uns alle hier im Raum anschauen und sagen: Warum konnte das sein? Denn wir reden hier nicht über die Dienstanweisung – bei allem Respekt gegenüber den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in Thüringen –, die keiner kannte. Wir reden auch nicht über eine Praxis, die nur ein oder zwei Beamte in Thüringen umgesetzt haben, sondern es gibt im Prinzip eine Vielzahl von Menschen, die mit diesem Vorgang beschäftigt waren und die sich mehrfach hätten die Frage stellen können: Ist das denn wirklich rechtlich korrekt? Es gab in dieser Zeit viele Verfassungsgerichtsurteile zur Wirkung von Grundrechten usw. Es hätten viele Momente bestanden, weit mehr als die, die der Innenminister benannt hat, mal zu hinterfragen: Stimmt die Praxis in Thüringen und überprüfen wir die Dienstanweisung? Dann sage ich, wir haben da auch im Bereich in den letzten 16 Jahren Sensibilitätsprobleme aufgebaut. Dem müssen wir uns auch in ganz unterschiedlichem Maße stellen, vielleicht auch in der Aus- und Fortbildung, aber natürlich auch in zahlreichen Gesprächen. Wir brauchen eine rechtssichere Abwägung zwischen Grundrechtsschutz auf der einen Seite und notwendigen Gefahrenabwehrmaßnahmen auf der anderen Seite.

Es gab natürlich darüber hinaus noch ganz viele praktische Anknüpfungspunkte, wo die Innenminister dieses Landes, aber auch die Abteilungen der Polizei vielfach die Praxis oder auch die Dienstanweisung hätten überprüfen müssen. Sie haben immer die Inbetriebnahme der Landeseinsatzzentrale genannt, die Verlängerung der Dienstanweisung hat der Innenminister genannt, das wären zwei solche speziellen Sachverhalte gewesen. Es gibt aber natürlich noch einen weiteren ganz praktischen Sachverhalt, der zur Überprüfung hätte führen müssen, nämlich die Neuinstallation von Telefonanlagen, wo der rechtliche Vorgang der Dienstanweisung – die bis dahin bestandene Praxis – technisch neu umgesetzt werden musste, also im Prinzip neu angewandt werden musste, neu programmiert werden musste. Da war natürlich auch eine Vielzahl von Beamtinnen und Beamten beteiligt. Der vierte Punkt, womit sich auch ein Innenministerium intensiver hätte beschäftigen müssen, war die Frage, die auch angesprochen worden ist, die Berichtspflicht, die in der Dienstanweisung enthalten ist, die nicht eingehalten wurde. Da muss man auch sagen, da gab es auf der einen Seite im Prinzip Versäumnisse bei der Berichtspflicht der Polizeidienststellen und es gab Versäumnisse beim Controlling durch das zuständige Innenministerium – und das über 16 Jahre. Da sage ich noch mal, Herr Fiedler: Wenn Sie die 16 Jahre einfach negieren und sa

gen, warum handelte diese Landesregierung innerhalb von einem Monat nicht, dann verkennen Sie, glaube ich, tatsächlich Verantwortlichkeit und Bedeutung auch von Zeitverläufen und damit immer auch die Qualität von Grundrechtseingriffen.

Meine Damen und Herren, unstrittig ist, dass die Mitzeichnung der Gespräche, die über die Notrufleitung eingehen, rechtlich zulässig ist und auf einer sicheren Rechtsgrundlage auch fortgeführt werden muss. Unstrittig ist auch, dass Polizeibeamte an bestimmten Apparaten beispielsweise bei polizeilichen Einwahlnummern die manuelle Möglichkeit haben müssen, im Fall von Drohungen, Ankündigungen von Straftaten oder fehlgeleiteten Notrufen eine Aufzeichnung manuell auszulösen, wenn die Rechtsgründe vorliegen. Das setzt rechtssichere Anwendungspraxis voraus. Das setzt natürlich auch die Kompetenz und die Fähigkeit der dort sitzenden Beamten voraus. Ich gehe davon aus, dass das auch ein Beispiel dafür sein wird, gemeinsam noch einmal zu überprüfen, ob die Ausbildungsinhalte in diesem Punkt richtig vorliegend sind. Ich glaube aber, dort lag nicht der Schwerpunkt der Probleme, die wir bislang diskutieren, sondern die lagen im Bereich der automatisierten Mitzeichnung. Unstrittig ist auch, meine Damen und Herren – ich habe es vorhin schon gesagt –, dass die vormalige Landesregierung das Parlament und damit die Öffentlichkeit – zumindest mir zum jetzigen Zeitpunkt nachprüfbar – mindestens viermal falsch informiert hat. Einmal in der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Marx, die der Minister erwähnt hat. Die hat Herr Fiedler auch, glaube ich, noch mal benannt. Einmal in der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Renner, die einen ähnlichen Sachverhalt zum Gegenstand hatte, aber auch Überwachungsmaßnahmen und illegale Datenerhebung zum Gegenstand hatte. Drittens – Herr Fiedler, hören Sie zu –, in der Stellungnahme der Landesregierung zum 10. Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten, der das Thema auf die Tagesordnung genommen hat, zum Gegenstand seines Berichts gemacht hat, und das Innenministerium teilt mit, Ihr Innenminister Herr Geibert teilt mit: In Thüringen ist sichergestellt, dass ausschließlich Drohanrufe und Telefonkommunikation im Rahmen der Gefahrenabwehr mitgezeichnet werden, darüber hinaus keine automatisierte Aufzeichnung erfolgt. Das Vierte – das hatte ich Ihnen bereits gesagt –, im Rahmen der Sitzung des Innenausschusses im Februar 2013 hat ebenfalls Herr Minister Geibert ausgeführt, dass ausreichend Dienstanweisungen existieren, die dies ausschließen.

Meine Damen und Herren, da muss man, wenn Sie die Diskussion tatsächlich so personalisiert suchen, auch mal fragen, das meine ich nicht despektierlich – ich weiß mittlerweile, wie viele Vorgänge Minister bearbeiten; das gilt für Herrn Poppenhäger genauso wie für Herrn Geibert –, aber wenn ich mich als

Minister in einem Ausschuss hinstelle und sage: „Ich versichere Ihnen, unsere Dienstanweisungen sind dafür geeignet und schließen im Prinzip einen Missbrauch aus“, dann muss ich natürlich auch mal in die Dienstanweisung schauen und fragen, ob das denn so ist. Auch Herr Geibert kann nicht jeden praktischen Umsetzungsvorgang in der Polizei kennen. Das gilt für ihn genauso wie für andere Innenminister. Aber es ist natürlich so, wenn ich eine solche grundlegende Darstellung gegenüber dem Parlament und in der Folge auch gegenüber der Öffentlichkeit mache, habe ich auch ein Stück weit Verantwortung, das nachprüfbar zu machen. Denn was wird damit denn tatsächlich öffentlich suggeriert? Es wird so getan, die Bürgerinnen und Bürger des Landes können sich sicher fühlen, wenn sie mit der Polizei kommunizieren, sind ihre Interessen, ihre Grundrechte geschützt. Das ist das Wort eines Innenministers. Ich finde, das hat Bedeutung und das hat Gewicht. Es ist auch richtig, dass es Gewicht hat, und deswegen muss man sich bei solchen grundsätzlichen Aussagen auch wirklich bewusst sein, dass das, was ich ausführe, auch belastbar sein muss. Denn wir brauchen gerade vor dem Hintergrund der von Ihnen beschriebenen Sicherheitslage, die man durchaus unterschiedlich bewerten kann, aber die Anforderungen an die Polizei stehen, genau dieses wechselseitige Vertrauen in die Polizeistrukturen, aber auch der Polizeistrukturen in Bürgerinnen und Bürger andererseits, um mit den Herausforderungen umzugehen. Ich sage noch mal, da steckt auch ein Stückchen Arbeit für uns gemeinsam drin, dort, wo Misstrauen steht, auch wieder Vertrauen zu schaffen.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, was unstrittig ist, ich will Ihnen aber auch sagen, was streitig ist. Ich will vielleicht deutlich werden: Ich will nicht sagen, was streitig ist, sondern – da lege ich mich fest, Herr Minister, das müssen Sie nicht tun, das kann ich als Parlamentarier etwas leichtfertiger tun – ich will auch sagen, was aus meiner Sicht rechtswidrig ist. Die Einbeziehung von Telefonleitungen in automatisierte und damit immer anlasslose Aufzeichnungen, die nicht ausschließlich für Notrufe vorgesehen sind, ist rechtswidrig, weil eben derjenige, der anruft, mit einem völlig anderen Anliegen – egal aus welchen Gründen er genau diese Nummer anruft, die nicht 110 ist, er hat keinen Notruf, er hat nur ein anderes Anliegen – praktisch nicht weiß, dass sein vertraulich vorgetragener Vorgang bzw. seine Anfrage möglicherweise zum Gegenstand von Aufzeichnungen wird und damit praktisch auch einer möglichen Auswertung anheimgestellt wird. Denn er genießt dieses Vertrauen eben nicht mehr, aber in diesem Vertrauen ist er erst einmal praktisch zum Anrufer geworden. Das ist, glaube ich, etwas, was nicht nur rechtswidrig ist, son

dern was tatsächlich dieses Vertrauen erheblich stört.

Das wiegt umso schwerer, wenn von diesen Telefonleitungen auch angerufen wird. Dann ist derjenige nämlich noch gar nicht selbst in der Situation, darüber nachzudenken, rufe ich bei der Polizei an oder rufe ich nicht an, sondern der Polizeibeamte initiiert das Gespräch, was dann zum Gegenstand der Aufzeichnung auf polizeilicher Seite wird. Das heißt, in der Regel ist es ja nicht ganz freiwillig, wenn man angerufen wird. Man geht freiwillig ran, dann hat man die Polizei am Apparat und schon ist man Gegenstand einer Aufzeichnung. So, denke ich, darf Grundrechtsschutz nicht verstanden werden. Und ich glaube, wenn die Dienstanweisung das genauso angelegt hat und es dann zur Praxis wird, ist das der Teil, wo wir über Rechtswidrigkeit reden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich habe auch Probleme nachzuvollziehen, warum es rechtskonform sein sollte, und ich glaube, da ist es auch rechtswidrig, wenn genau für diese eben von mir beschriebenen Bereiche die Möglichkeit eröffnet worden ist, dass Polizeibeamte, über welchen Zeitraum auch immer – und wenn es nur eine Stunde war oder acht Stunden oder 48 Stunden –, die Möglichkeit hatten, über den sogenannten Kurzzeitspeicher auf diese Telefongesprächsinhalte zurückzugreifen, ohne das normale rechtlich notwendige Prozedere tatsächlich einzuhalten. Dann, sage ich, ist das rechtswidrig und erheblich verfassungsrechtlich problematisch. Ich sage aber auch, das trifft nicht zu, und da gebe ich Ihnen recht, wenn jemand in einer Notlage die Notrufleitung anruft, dann muss es der Polizei möglich sein, das auch unmittelbar nachzuhören, wenn das zur Gefahrenabwehr notwendig ist. Ich rede von Anrufen über die Telefonleitungen, die automatisiert mitgezeichnet worden sind, die nicht auf Notrufe beschränkt waren, und insbesondere auch von abgehenden Anrufen.

Meine Damen und Herren, was ist jetzt notwendig? Ich denke, ich habe viel zu Vertrauen und Misstrauen gesprochen. Ich glaube aber, als Gegenstand der Aufklärung müssen einige Fragen sein, die auch schon angesprochen worden sind. Es geht uns auch um die rechtliche Bewertung der Dienstanweisung aus dem Jahr 1999. Es geht um eine Bewertung der Verhältnismäßigkeit im weitesten Sinne der gesamten Dienstanweisung und es geht uns vor allem natürlich auch um die praktische und technische Umsetzung. Ich habe auf die Neuinstallation von Telefonanlagen verwiesen.

Über einen Bereich haben wir in diesem Zusammenhang noch nicht ausführlich gesprochen. Das ist die Frage der Nutzung der erhobenen Daten, also der gespeicherten Kommunikationsinhalte. Auch hier muss Klarheit herrschen. Wir haben heute eini

ge Zahlen gehört zu den Rückgriffen auf den Langzeitspeicher, die im Rahmen von Strafverfahren vorgenommen worden sind. Wir brauchen aber auch Klarheit darüber, ob die tatsächliche Nutzungsanordnung zur Nutzung dieser erhobenen Daten eingehalten worden ist oder tatsächlich auch missbräuchlich beispielsweise bei der Inanspruchnahme des Kurzzeitspeichers genutzt worden ist. Da verweise ich wieder auf die Diskussionen im Jahr 2013, wo wir die Situation von Ermittlungen gegen Personalräte in der Thüringer Polizei thematisiert haben. Da brauchen wir Klarheit und das haben auch die Bediensteten in der Thüringer Polizei nicht nur verdient, sondern sie haben es bitter nötig. Denn Grundlage ihrer Arbeit ist wechselseitiges Vertrauen und auch Vertrauen in die Dienstelle und die Dienststellenleiter.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir brauchen Aufklärung darüber, wie Dokumentations- und Berichtspflichten und auch das Controlling bei den Befugnissen zur Anwendung kommen, bei denen durch Polizei ganz zwangsläufig in Grundrechte eingegriffen wird, weil Polizei nun mal Träger des staatlichen Gewaltmonopols ist, und das heißt, die Möglichkeit zum Eingriff in Grundrechte hat, aus meiner Sicht nicht zwingend, um mit dem Finger auf die Genannten, die ich vorhin schon mal ausgeführt habe, zu zeigen, sondern auch aus der Überzeugung, dass wir genau aus diesem fehlerhaften Controlling, fehlerhaften Berichtswesen möglicherweise Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen müssen, um genau auch Prozesse im Innenministerium anders zu gestalten, die das nämlich wieder ausschließen. Denn ich glaube natürlich schon, dass das polizeiliche Bemühen um Gefahrenabwehr und mehr Sicherheit auch dazu führt, an der einen oder anderen Stelle nicht immer ganz genau trennscharf mit den Befugnissen und mit den Grundrechten umzugehen. Das wird immer mal wieder eine Spannungsfrage sein, das ist ganz natürlich.

Ich glaube, das ist nicht zu kritisieren, aber wir brauchen dabei die Rechtssicherheit und in der Anwendung auch die Praxissicherheit bei Polizeibeamten, diesen Abwägungsprozess immer konkret nachvollziehbar und belastbar gehen zu können. Wir brauchen dafür die Grundlagen. Insofern ist Ihre Ankündigung, die Dienstanweisung zu bearbeiten, um sicherzustellen, dass Gefahrenabwehr einerseits möglich und auch weiterhin gewährleistet ist, aber andererseits auch die Grundrechte von Thüringerinnen und Thüringern jederzeit gewährleistet sind.

Meine Damen und Herren, ich will es gern abschließend noch mal sagen: Ich bin froh über den Bericht. Ich danke Ihnen auch, Herr Poppenhäger, für Ihre Offenheit, Offenheit dahin gehend in zwei

Punkten, dass Sie sagen, dieser Bericht ist ein Zwischenbericht. Damit laufen Sie Gefahr, sich möglicherweise in ein, zwei Wochen an der einen oder anderen Zahl noch korrigieren zu müssen. Ich weiß, das ist nicht immer angenehm. Ich bedanke mich dafür, dass Sie das im Vergleich zum Innenausschuss bei einigen Zahlen heute schon getan haben und damit deutlich machen: Es geht um einen Prozess, es gibt neue Ergebnisse. Aber neue Ergebnisse, wenn sie denn belastbar sind, werden der Öffentlichkeit nicht vorenthalten, sondern werden auch öffentlich dargestellt, wenn sie belastbar sind. Ich glaube, das ist tatsächlich ein Unterschied, Herr Fiedler, zu den vergangenen 16 Jahren: Es gibt einen transparenten Umgang. Jetzt kann man noch darüber streiten, ob man den wenige Tage vorher noch anders gewünscht hätte. Wir sind jetzt im Prozess der transparenten öffentlichen Aufklärung, den sollten wir fortführen. Ich denke, die Entscheidung, einen externen Sachverständigen in diesen Prozess mit einzubeziehen, war richtig. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat Abgeordnete Marx das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, speziell auch die Kollegen von der Polizei, wir haben keinen Abhörskandal, sondern wir haben ein Aufzeichnungsproblem. Das ist schon mal wichtig, um das von irgendwelchen Dingen wie Bespitzelung abzugrenzen. Es ist nicht so, dass sich ungerechtfertigt in Telefongespräche eingeschaltet wurde, dass man Gespräche zwischen zwei Dritten irgendwie auf der Schiene hatte, sondern es geht darum, dass Gespräche bei der Polizei aufgezeichnet worden sind und natürlich auch in den Bereichen, in denen es unentbehrlich ist, aufgezeichnet werden müssen. Das ist vor allem der Notruf, aber es gibt natürlich auch andere Anrufe, die aufzeichnungswürdig sind.

Wir haben nach dem derzeitigen Erkenntnisstand – auch ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei unserem Minister Dr. Poppenhäger für den sehr transparenten und sehr ausführlichen Bericht – eine Differenz von der Richtlinie zur Praxis. Wenn man sich jetzt die Praxis anschaut, wie sie sich in den Jahren entwickelt hat, kann man natürlich auch fragen: Waren bestimmte Probleme in der Richtlinie vielleicht schon absehbar? Wenn zum Beispiel in der Richtlinie auf der einen Seite steht, dass es einen hohen Grundrechtsschutz des gesprochenen Worts gibt, auf der anderen Seite dann aber drinsteht, in

(Abg. Dittes)

irgendeinem Abschnitt habe ich es gelesen, dass so ein Telefonat wie jede andere Erkenntnis zu behandeln ist, da verwischt es sich wieder ein bisschen. Das wäre alles nicht so schlimm gewesen, wenn diese Abwägung und die Eingrenzung für die Speicherzwecke eingehalten worden wären. Wie wir nun aber sattsam wissen, schon oft lesen konnten und auch heute wieder gehört haben, wurde die Vorschrift in Ziffer 6 der Richtlinie, in der es darum ging, technisch praktisch als Handlungsanleitung festzustellen, an welchen Telefonaten, an welchen Telefongesprächen ich aufzeichnen kann, missverstanden. Das wurde – so würde ich das jetzt nach dem derzeitigen Stand einschätzen – flächendeckend missverstanden als eine Vollmacht zur anlass- und erlaubnisunabhängigen automatischen Speicherung aller auf den genannten Geräten ein- und ausgehenden Telefonate. Das sind eben nicht nur die eingehenden Telefonate, es sind ja auch die ausgehenden Telefonate, die dann wohl ausnahmslos mitgeschnitten worden sind. Deshalb oder in dem Zusammenhang ist dann die Ausnahme zur Regel geworden. Also dieses mechanische Zuschalten der Aufzeichnungsfunktion hat dann wohl keine besondere Rolle mehr gespielt, sondern man hatte diese Geräte mit der automatischen Mitzeichnung. Vor diesem Hintergrund ist natürlich die Antwort auf meine parlamentarische Anfrage grob falsch gewesen. Der Minister hat sie ja in seiner Erklärung dankenswerterweise auch schon mal zitiert. Ich hatte konkret nachgefragt: Was gibt es für Aufzeichnungen? Die Antwort, ich wiederhole es noch mal, zu Ziffer 5 meiner Frage war: „Im Bereich der Thüringer Polizei erfolgen Aufzeichnungen generell nur für Fälle des Notrufes und in Fällen erkennbarer Bedrohung bzw. der Ankündigung von Straftaten während des Telefonierens. Durch aktives Handeln des den Anruf entgegennehmenden Beamten wird die Aufzeichnung im Interesse der Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung auf der Grundlage gesetzlicher Ermächtigungen ermöglicht. In der Regel betrifft dies die Einsatzzentralen der Polizeibehörden.“ Jetzt kommt noch ein Satz, den hat der Minister nicht vorgelesen, das ergänze ich jetzt hier noch. Da stand dann noch in der Antwort auf meine Anfrage: „Darüber hinaus sind keine Vorgänge bekannt, in denen die oben genannten Funktionen in der Landesverwaltung genutzt wurden oder werden.“ Das heißt, es wird nicht nur die falsche Antwort gegeben, sondern dann auch noch eine Abgeschlossenheitserklärung nachgeschoben: Also was anderes gibt es auch wirklich nicht. Das hat eben Kollege Dittes, dem ich auch ausdrücklich für seine sehr sachliche und gute Rede danke, ausgeführt, dass es in diesem Zusammenhang dann mehrmals noch falsche Auskünfte gab. Spätestens da muss ein Minister, auch wenn er sich nicht alles aus dem persönlichen Schreibtisch ziehen kann, auch mal nachfragen oder sich selbst Gedanken machen, ob das alles so richtig ist, was er sagt. Das hat Herr

Geibert nicht getan, der jetzt hier leider nicht anwesend ist, den ich eigentlich mal bitten wollte – aber vielleicht kann man es ihm zutragen –, sich vielleicht doch hier in diesem Hohen Haus für die unrichtige oder – besser gesagt – falsche Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage zu entschuldigen. Das fände ich mal einen schönen parlamentarischen Stil.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Voß hat geantwortet!)

Herr Dr. Voß, ja, aber ich meine, Wolfgang Fiedler, wir wissen doch, wie es läuft. Voß hat die Anfrage verantwortlich unterzeichnet, aber die Zuarbeit zu dieser Antwort, was die Polizeitelefone betraf, die kam natürlich aus dem Innenministerium und Herr Voß ist selbstverständlich nicht persönlich ins Innenministerium gelaufen und hat geguckt, ob das alles stimmt. Das wäre doch absurd.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Antwort des Innenministeriums verantwortet am Ende der zuständige Minister. Und es ist keine Petitesse und unser ehemaliger Kollege Heiko Gentzel hat in der 4. Wahlperiode sogar mal den Verfassungsgerichtshof hier in Thüringen angerufen, um feststellen zu lassen, dass auch ihm gegenüber die Beantwortung von Fragen zu Unrecht verweigert worden ist.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Da hat er recht gehabt, der Herr Gentzel!)