Protocol of the Session on January 27, 2016

Es ist tatsächlich so, dass die Statistiken uns lehren – schon seit Jahren und auch schon bevor es Flüchtlinge gegeben hat –, dass es bestimmte Situationen und gesellschaftliche Anlässe gibt, bei denen solche Übergriffe massenhaft stattfinden. Wahr ist auch, dass sich sehr viele Frauen – ob das jetzt auf dem Oktoberfest, beim Fasching oder auf einem Rockfestival ist – davor scheuen, Anzeige zu erstatten, weil dann gesagt wird: Die Beweislage ist schwierig. Die Frauen müssen sich immer noch die Frage gefallen lassen: Was haben Sie selbst dazu beigetragen? All das ist Alltag – leider immer noch – in der Bundesrepublik Deutschland, egal aus welchem Bereich die Tätergruppen kommen und wo diese Taten passieren.

Wie schaffen wir dann Platz dafür, dass sich alle sicher fühlen können und auch Frauen vor sexualisierten Übergriffen besser geschützt werden? Der Begriff „Angsträume“ – das ist natürlich ein bisschen fatal – wurde ja von Ihnen von der AfD das erste Mal verwandt, als Herr Höcke hier draußen vor dem Landtag stand und gesagt hat, die Angsträume für blonde Frauen werden größer. Da habe ich natürlich ein Problem. Ich hätte anstelle von Frau Herold auch ein Problem, Frau Herold ist ja auch nicht blond. Ich will aber hier keine Witze machen. Das Thema ist zu ernst. Dieses Bild von den blonden Frauen, die von den migrantischen Männern in Horden angegriffen werden, hat auch

(Abg. Fiedler)

Frau Festerling vor kurzem bei der neuen PegidaDemo in Leipzig wieder aufgegriffen und gesagt, blonde und weiße Frauen sind Gegenstand von Angriffen. Da muss man natürlich in der Tat aufpassen, ob so eine Pauschalisierung nicht gefährlich ist. In Thüringen haben wir diese Übergriffe zum Glück nicht gehabt, die es in der Silvesternacht an viel zu vielen Orten in der Bundesrepublik gegeben hat. Darüber können wir froh sein. Aber wenn wir jetzt gucken, wie wir in Thüringen Angsträume vermeiden, dann ist der letzte Angstraum, der mir hier einfällt, der Bahnhof der Stadt Erfurt nach der letzten Demonstration der AfD,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

als gewaltbereite Nazihorden, die Sie mit Ihrer Demonstration angelockt haben – ob absichtlich oder nicht –, mit Elektroschockern angefangen haben,

(Zwischenruf Abg. Herold, AfD: Was ist mit Connewitz, Frau Marx?)

am Erfurter Bahnhof, Körperverletzung zu begehen. Gut, da ist jetzt nicht die Thüringer Polizei unmittelbar zuständig. Das ist Ägide der Bundespolizei, aber das ist ein Angstraum erster Güte gewesen.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Hatten Sie Akteneinsicht, Frau Marx, oder wissen Sie mehr als andere?)

Ich bedanke mich – das ist doch öffentlich berichtet worden. Dazu gab es Posts und Zeitungsberichterstattung.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Wissen Sie mehr als wir alle?)

Das ist doch schön. Mehr zu wissen als Sie, dafür ist ja auch nicht viel erforderlich.

(Heiterkeit DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sollten wir – und ich habe mich hier wirklich um Sachlichkeit bemüht, dachte ich – genau hingucken: Wo sind die Angsträume und wo wird Ursache und Wirkung verwechselt? Dann soll keiner von uns allen hier solche wirklich schlimmen Vorfälle, wie das auch in Köln ein schwerer Vorfall war, für seine Zwecke missbrauchen. Trotzdem ist vor der Vorurteilslage zu warnen. Ich habe neulich einen schönen Post gelesen. Da hieß es: Wenn Mohammed eine deutsche Frau angrapscht, ist es ein Migrant. Wenn Bernd eine Frau angrapscht, ist es Bernd. Über diesen Satz kann man ja vielleicht noch mal ein bisschen länger nachdenken, auch wenn Bernd vielleicht Björn heißt.

(Heiterkeit DIE LINKE)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich der Abgeordnete Adams zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kollegen! Liebe Gäste hier im Thüringer Landtag, Rassismus ist keine Antwort auf sexualisierte Gewalt. Das ist der einzige Satz, der in der Debatte um Köln und die schlimmen Vorkommnisse in Köln hier noch fehlt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Brandner, Sie haben Wahrheit eingefordert. Die Wahrheit ist doch, dass in der fünfminütigen Rede von Frau Herold nicht ein Thüringer Angstraum benannt wurde. Nicht ein Übergriff in Thüringen wurde benannt, der sich als wahr herausgestellt hat.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Von Frau Herold selbst wurde dargelegt, dass Ihr Popanz, den Sie aufbauen um die Schweigespirale, nicht stimmt. Wir haben zu Recht endlich eine Debatte in der Bundesrepublik Deutschland über sexualisierte Gewalt nach Köln. Und wir haben im Thüringer Landtag im Gleichstellungsausschuss eine Anhörung nach den Vorkommnissen, die ein Bundeswehrsoldat, ein Bundeswehroffizier beschrieben hat, durchgeführt. Wer schweigt denn hier? Sie erzählen den Leuten eine Lüge nach der anderen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frage ist: Was sind Angsträume? Die Wissenschaft versucht, darauf Antworten zu geben. Eine davon ist nachzulesen bei Oberwittler, der in Freiburg tätig ist. Er endet in seiner Definition, die im Wesentlichen – hier auch schon genannt – auf Parks, Unterführungen, Bahnhöfe usw. eingegangen ist. „Vergleicht man die Statistiken der polizeilich erfassten Verbrechen mit den Hitlisten von Angsträumen, findet man meist wenig Übereinstimmung.“ Dennoch haben unsere Kommunen viel gegen Angsträume getan, haben Stadtgestaltung auch unter diesem Aspekt durchgeführt. Profitiert haben davon zuerst Frauen, ältere Menschen und vor allen Dingen auch Kinder. Das ist gut so. Vielen Dank an die gute Arbeit in unseren Kommunen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie mit Angsträumen aber Orte hoher Kriminalität meinen, dann empfehle ich Ihnen, doch mit uns gemeinsam darauf zu warten: Der Thüringer In

(Abg. Marx)

nenminister wird sicherlich in wenigen Wochen – im Frühling ist das dann immer so weit – die polizeiliche Kriminalstatistik vorstellen. Dann schauen wir uns das genau an. Dann wissen wir, worüber wir alle reden und werten jeden Punkt aus, aber wir müssen nicht im Nebel stochern. Sie fordern – zumindest legt das Ihr Thema nahe –, das Recht durchzusetzen. Ich antworte hierauf ganz einfach mit den Worten von Winfried Kretschmann, baden-württembergischer Ministerpräsident: „Das Recht gilt.“ – Punkt! Das Recht gilt – kein Fragezeichen, wie Sie es machen,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

sondern: Das Recht gilt – Punkt! Und wer darstellen will oder darstellen muss, dass Recht an irgendeiner Stelle oder in irgendeinem Fall nicht gilt, muss das sagen, aber man muss es auch begründen können. Man darf es nicht nur behaupten, man muss es auch belegen können, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wenn man es nicht belegen kann – und da habe ich von Frau Herold nichts gehört –, dann muss man das auch mal zur Kenntnis nehmen. Ansonsten gilt der Dank von Bündnis 90/Die Grünen der Thüringer Polizei. Ja, wir statten die Polizei personell und sachlich besser aus. Da kann man leicht sagen, das ist noch nicht genug – d’accord, ist nie genug –, aber wir gehen diesen Schritt. Ihr Vorwurf, wir würden hier nicht genug machen, tritt ins Leere, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie vieles, was die AfD behauptet und darstellt.

Sie hinterfragen, fordern oder verwerfen eine Sicherheitsgarantie der Landesregierung. Ich meine, darauf kann man nur mit einem Satz antworten: Diese Landesregierung garantiert Sicherheit, auch durch Polizei- und gute Justizarbeit. Wer jedoch – lieber Herr Fiedler –, so wie die AfD es nahelegt, eine garantierte Sicherheit verlangt, ist einer Fiktion aufgesessen und verfügt nicht über hinreichend gesunden Menschenverstand.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alles in allem, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat die AfD aber doch eigentlich nur eines gewollt: Sie wollte Flüchtlinge stigmatisieren, sie wollte Flüchtlinge kriminalisieren, sie wollte Menschen, die bei uns Schutz suchen, für alle ihre Probleme verantwortlich machen. Sie sind nicht an Problemlösungen interessiert. Sie haben einfach nur wieder eine dumme Argumentation versucht. Danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Minister Poppenhäger für die Landesregierung.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich bedanke mich für die engagierte Debatte. Ich will auch Dirk Adams ausdrücklich für seine Worte zur Polizei und zur Sicherheit in Thüringen danken. Ich werde hier nichts, Herr Abgeordneter Fiedler, zu dem völlig abwegigen Thema „Linksextremismus“ in diesem Zusammenhang sagen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Weil Sie es nicht sehen wollen!)

In diesem Zusammenhang sehe ich in der Tat das Thema „Linksextremismus“ als völlig abwegig an.

Ich werde nachher allerdings etwas zu den bereits angesprochenen Schutzwesten für die Polizei sagen. Aber lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen Folgendes voranstellen: Der von der AfD gewählte Titel „Angsträume in Thüringen“ geht fehl, denn er will Unsicherheit, er will Angst und Misstrauen in unserer Bevölkerung erst schüren. Hierfür gibt es im Übrigen keinen Grund, denn unsere Heimat zählt zu den sichersten Bundesländern. Die Thüringer Aufklärungsquote bei Straftaten liegt seit Jahren über 60 Prozent. Im Jahr 2014 waren es 63,9 Prozent und nur Bayern ist manchmal geringfügig noch besser.

Übergriffe wie zum Jahreswechsel in Köln, Hamburg und in anderen deutschen Großstädten gab es in Thüringen nicht. Die aktuelle Flüchtlingssituation stellt uns alle vor schwierige Aufgaben – ja –, sie ist für uns alle auch ungewohnt. So weit ist nachvollziehbar, dass Bürgerinnen und Bürger Fragen haben, um Informationen, auch Aufklärung bitten. Dem wollen wir auch entsprechen, denn die Bürger haben auch das Recht dazu; fehlende Information führt häufig zu Misstrauen und Angst und diese wiederum lässt sich leicht missbrauchen. Mit dem Titel dieser Aktuellen Stunde soll eben genau auch dies erreicht werden. Deshalb setzen wir Aufklärung, Information und Teilhabe dagegen. Wir wollen kein ängstliches Thüringen, wir wollen ein Thüringen, das aufgeschlossen ist, das mutig in die Zukunft schreitet und diese selbstbewusst angeht. Unsere Thüringer Behörden leisten daher eine intensive Arbeit, um mit den bestehenden Herausforderungen und den betroffenen Menschen auch gut umzugehen. Bereits im August letzten Jahres habe ich an dieser Stelle ein Fünf-Punkte-Programm vorgestellt, um auf die sich stellenden Herausforderungen im Bereich der Sicherheitspolitik reagieren zu können. Dazu zählt auch, dass wir unseren Bürgerinnen und Bürgern allen notwendigen Schutz für ihre Sicherheit zukommen lassen. Durch die Landespolizeidirektion ist noch im August 2015 daraufhin der Rahmenbefehl „Asyl“ erstellt und in Kraft gesetzt worden, der aktuelle Ereignisse mittlerweile aufgreift, analysiert und konkrete Handlungsanwei

(Abg. Adams)

sungen umsetzt. Bis heute erfolgt jeweils eine Anpassung unter Berücksichtigung aktueller Lageentwicklungen. Deutlich betone ich in diesem Zusammenhang auch – ich verweise auch auf die gemeinsame Pressekonferenz letzte Woche mit dem Ministerpräsidenten und dem Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz –, es ist klar, dass es in Thüringen keine rechtsfreien Räume gibt und geben wird. Die Thüringer Polizei und die Thüringer Justiz werden das verhindern. Ich will einige Beispiele nennen, die das auch belegen.

Wir schweigen nicht in Thüringen, auch nicht zu schwierigen Themen, sondern wir handeln. Ich erinnere an das rasche und zielgerichtete Vorgehen der Polizei und Justiz im Zusammenhang mit den Ausschreitungen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl, die uns in der Nacht vom 19. und 20. August sehr beschäftigt haben. Hier konnten seinerzeit nach intensiver Ermittlung 68 Tatverdächtige festgestellt werden. Im Weiteren ergingen 20 Haftbefehle, von denen 18 auch vollstreckt worden sind, und 17 Tatverdächtige sitzen derzeit noch in Untersuchungshaft.

Ein weiteres Beispiel dieser konsequenten Linie zeigt sich auch nach mehreren Wohnungseinbrüchen in Gerstungen. Auch hier konnten durch die Kriminalpolizeistation in Eisenach im Juli 2015 fünf männliche tatverdächtige Asylbewerber aus dem Kosovo bzw. Albanien im Alter zwischen 20 und 33 Jahren vorläufig festgenommen werden.

Drittens verfolgt mein Haus darüber hinaus eine sukzessive Verbesserung der Ausstattung der Polizei. Die ab dem Jahr 2017 geplante Ersatzbeschaffung von ballistischen Schutzwesten mit Stichschutz wird aufgrund der aktuellen einsatztaktischen Herausforderungen vorgezogen auf dieses Jahr.

(Beifall AfD)

So ist beabsichtigt, die Thüringer Polizei bereits in diesem Jahr und im nächsten Jahr vollständig mit neuen Schutzwesten auszustatten. Und zur Verbesserung der Schutzausstattung ist zunächst auch geplant, zusätzlich in den kommenden Jahren 700 Einsatzschutzhelme für die Polizei zu beschaffen.

Viertens wurden durch das Bildungszentrum der Thüringer Polizei innerhalb kürzester Zeit mehrere Seminare zum Thema „Flucht und Asyl“ sowie zur Schulung interkultureller Kompetenz vorbereitet und auch bereits durchgeführt.

Und fünftens, meine sehr verehrten Damen und Herren, habe ich frühzeitig den geplanten Stellenabbaupfad bei der Polizei verlassen. Die Polizei muss die innere Sicherheit Thüringens trotz gestiegenen Aufgabenspektrums weiter gewährleisten können. So wurde auch der Stellenabbau von

102 Stellen für 2016 ausgesetzt. Der Doppelhaushalt sieht das nun vor.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch feststellen, dass es in Thüringen keine rechtsfreien Räume gibt und sich die Rechtsanwendung in Thüringen auf alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer Nationalität erstreckt. Straftäter müssen in Thüringen ebenfalls unabhängig von ihrer Herkunft mit konsequenter Strafverfolgung, Haft und gegebenenfalls je nach Schwere der Taten danach auch mit Abschiebung rechnen. Die Sicherheitsbehörden des Freistaats Thüringen sind auf die bevorstehenden Herausforderungen vorbereitet und werden ihre Aufgaben mit Entschlossenheit und auch mit hoher Qualität erfüllen. Die politische Führung des Innenministeriums wird sie dabei nach Kräften unterstützen. Vielen Dank.