Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich erst mal gewundert, Frau Marx, warum wir das Thema überhaupt jetzt noch mal hier als Aktuelle Stunde thematisieren. Aber das ist ja Ihr gutes Recht. Ich will daran erinnern, dass der Bundesrat am 3. Dezember 2013 beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Verbot der NPD nach Artikel 21 Grundgesetz eingereicht hat. Das ist schon ein Stückchen her. Ich will auch daran erinnern, dass die damalige schwarz-rote Thüringer Landesregierung im Bundesrat für das NPD-Verbotsverfahren stimmte und damit einen guten Beitrag geleistet hat. Nunmehr rühmt sich die SPD damit, ebenso wie die Linke und die Grünen, Thüringen habe durch die Abschaltung von V-Leuten das NPD-Verbotsverfahren vorangetrieben. Das erschließt sich mir überhaupt nicht, aber ich werde noch ein paar Sätze sagen. Ob dies in Bezug auf das Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zutreffend ist, vermag ich nicht umfassend zu beurteilen. Darüber entscheiden die Verfassungsrichter. Tatsache ist aber auch, dass Thüringen mit der Abschaltung – und jetzt hören Sie bitte zu – aller V-Leute selbst zur Gefahr wird. Ohne entsprechende Leute in der Szene gehen hier mit der Zeit Stück für Stück Insiderkenntnisse verloren. Ich unterstreiche:
Es geht nicht – damit das nicht vermischt wird – um Führungsleute. Seit vielen Jahren gab es eine klare Entscheidung, dass Führungsleute abgeschaltet werden. Das ist keine neue Erfindung, sondern läuft schon länger. Das wäre fast so, wenn man das jetzt so nach und nach immer mehr abschaltet, als würde man jedem Verfassungsschützer gleich einen Blindenhund oder Blindenstock an die Hand geben. Wer ein Frühwarnsystem bzw. eine Vorfeldaufklärung will, der braucht auch zwingend V-Leute. Anderenfalls können wir den Verfassungsschutz wirklich gleich schließen.
nen. Wer sich immer wieder auf das Thema NSU zurückzieht, vergisst, dass in erster Linie die fehlerhafte Auswertung und die ungenügende Weitergabe der erlangten Informationen das Problem war. Frau Marx, Sie sind da federführend, und meinen, NSU ist alles, was es auf der Welt noch gibt. Schlimm genug, dass es den gab und dass das jetzt so gelaufen ist, aber das ist nicht alles. Und die, ich könnte sagen, Konsequenz der Denkweise, die Sie vielleicht haben, ist, etwas überspitzt gesagt, als würde man auf die Feuerwehr verzichten, nur weil sie bei einem Brand mal Fehler gemacht haben. Das machen wir auch nicht. Wenn der Verfassungsschutz Fehler gemacht hat, brauchen wir ihn deswegen nicht abzuschaffen.
Deswegen muss man schon einmal auf die Dinge hinweisen. Vor allen Dingen möchte ich die Genossen der SPD hier im Hause zudem noch einmal daran erinnern, dass ihre Haltung zur Abschaltung von V-Leuten im direkten Gegensatz zu den Innenexperten der SPD-Bundestagsfraktion steht. Wie Sie wissen, haben sich die SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Eva Högl und Burkhard Lischka in einem Positionspapier mit dem Titel „Für eine echte Reform des Verfassungsschutzes“ klar zum Einsatz von V-Leuten positioniert. In dem Papier heißt es wörtlich: „Da sich gerade gewaltbereite extremistische Milieus häufig konsequent von der Außenwelt abschotten, ist der Einsatz von V-Personen oft das einzige erfolgversprechende nachrichtendienstliche Instrument, um die Beteiligten zu beobachten und zu identifizieren.“ Ich kann Ihnen nur sagen, deutlicher geht es nicht. Sie sollten vielleicht auch einmal in den Bund schauen – die sind wahrscheinlich auch keine Deppen – und mit Ihren eigenen Genossinnen und Genossen einmal reden, dass man hier in Thüringen davon vielleicht lernen kann. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es wichtig, darauf werden wir immer wieder hinweisen, dass es nicht weiter sein darf und kann, dass einige Länder sagen: Thüringen fassen wir mit spitzen Fingern an, wenn es darum geht, Informationen aus den anderen Verfassungsschutzämtern zu liefern. Ich sage bewusst: mit spitzen Fingern anfassen. Wir haben hier eine Verantwortung, dass wir nicht isoliert werden, sondern dass wir umfassend in diesen Gefährdungslagen, die wir im Land haben, darauf achten, dass wir die entsprechenden Informationen bekommen. Ich will es noch einmal abschließend sagen: Führungsleute – ganz klar, aber wir haben so viele extremistische Dinge, die laufen, dass es da sein muss, in dem sogenannten Fußvolk Informanten zu haben. Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Fiedler. Das Wort hat nun Kollege Adams von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Fiedler, ich will Ihnen zum Anfang gleich an mindestens zwei Stellen widersprechen. Einmal will ich Ihnen dazu widersprechen, dass Sie fortwährend versuchen darzulegen, dass Thüringen im Verbund der Verfassungsschutzämter oder unter den Innenministern wegen der neuen rot-rot-grünen Landesregierung und ihrer Position, also der Position der rot-rot-grünen Landesregierung, zu den V-Leuten in der Kritik stehen würde. Das ist nicht so. Thüringen steht seit langer Zeit in der Kritik in diesem Verbund der Verfassungsschutzämter, insbesondere wegen Menschen wie Herrn Roewer, der hier lange Präsident gewesen ist. Das ist lange her, kann man sagen, aber auch wegen des
genau deswegen. Seitdem fasst man uns mit spitzen Fingern an. Das hat nichts mit Rot-Rot-Grün zu tun, sondern das hat eher etwas mit Schwarz-Rot zu tun.
Das Interessante, finde ich, ist, dass Sie das wissen und dass Sie seit Beginn dieser Legislatur immer wieder versuchen, es anders darzustellen.
Der zweite Widerspruch, sehr geehrter Herr Fiedler, ist Ihr Beispiel. Sie haben gesagt: Weil die Feuerwehr einmal versagt hat, schaffen wir nicht die freiwillige Feuerwehr ab. Wir alle wissen, dass das töricht wäre. Aber wenn sich ein Instrument der Feuerwehr als brandbeschleunigend oder als Brandbeschleuniger herausgestellt hat, dann werden wir diesen Brandbeschleuniger nicht wieder einsetzen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht ein dritter Punkt, Herr Fiedler, wo ich Ihnen widerspreche: Ich hatte den Eindruck, dass Sie zumin
dest der Meinung sind, dass sich Rot-Rot-Grün bei der Frage des NPD-Verbots einig ist. Das ist nicht so und das wissen Sie und wir haben darüber auch im Rahmen unseres Koalitionsvertrags intensive Debatten geführt. In den Reihen von Bündnis 90/ Die Grünen wird diese Frage eines Parteienverbots grundsätzlich und solange ich dabei bin, seit Ende der 90er-Jahre, immer mit unterschiedlichen Ausgängen kontrovers diskutiert – immer eine knappe Entscheidung, gerade dafür oder gerade dagegen. Grundsätzlich ist der Stand aber, wir sind zu Recht sehr skeptisch bei einem NPD-Verbotsverfahren. Natürlich wäre es wunderbar, wäre die NPD am nächsten Morgen, wenn wir wieder aufstehen, mit dem Morgengrauen weg, sie wäre einfach nicht mehr da. Aber wer glaubt denn wirklich, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass mit dem NichtMehr-Vorhandensein der NPD auch rechtes Gedankengut aus dem Freistaat Thüringen verschwunden wäre? Das wäre nicht der Fall, nicht einmal – und das gilt es zu befürchten – wären alle Organisationsstrukturen weg,
denn da haben sich insbesondere neue Informations- und Organisationsstrukturen aufgebaut oder können schnell aufgebaut werden.
Und dann ist es wieder am Staat zu beweisen, dass die eine freie Kameradschaft, die sich bemüht, keine Struktur zu zeigen, aber sie natürlich hat, der Unterschlupf geworden ist, oder sich eine neue rechte Partei auf den Weg macht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
deshalb bleiben wir skeptisch, was ein solches Verbotsverfahren angeht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Nichtsdestotrotz, wenn es nun auf den Weg gebracht ist – und da möchte ich Herrn Innenminister Poppenhäger ganz herzlich danken und das war, glaube ich, auch Anlass für die Aktuelle Stunde, dass er alles dafür getan hat, was Thüringen dafür tun kann –, wenn das Verfahren nun mal auf den Weg gebracht ist, dass es auch zum Erfolg kommen kann, es aber zumindest nicht am Thüringer Handeln scheitert. Vielen Dank dafür.
Meine Damen und Herren! Herr Fiedler, eines ängstigt mich wirklich an Ihrem Redebeitrag, nämlich die Ernsthaftigkeit, mit der Sie hier vorgetragen haben, dass der Verfassungsschutz ohne den Rückgriff auf die V-Leute blind sei. Denn wenn unsere Sicherheit in diesem Land tatsächlich davon abhängig ist, dass Neonazis mit Geld davon überzeugt werden müssen, Informationen über ihre Peergroup zu verraten, ohne dass sie sich ideologisch nur ein My verändern müssen, dann macht es mir wirklich Angst.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich, das ist nämlich die Konsequenz, die wir bei der Aufarbeitung des VMann-Systems festgestellt haben, nicht nur in Thüringen, sondern auch im Quervergleich zu den zahlreich zutage getretenen Erfahrungen in anderen Bundesländern und auch in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, den wir ziehen müssen, dass dieses Instrument ein untaugliches und gefährliches Instrument ist. Vor diesem Hintergrund, meine sehr verehrten Damen und Herren der SPD-Fraktion, gebe ich Ihnen den Rat, sich nicht nur bei der Bundestagsfraktion schlauzumachen, sondern auch bei der SPD in Bayern, die mit der Aufforderung, den Verfassungsschutz aufzulösen, in den bayerischen Landtagswahlkampf gegangen ist. Ich gebe zu, ich habe den Verdacht, dass das Landtagswahlprogramm bei der SPD in Bayern möglicherweise etwas anders ausgesehen hätte, wenn es die reale Chance gegeben hätte, dort tatsächlich Regierungsverantwortung zu übernehmen. Umso wichtiger und politisch richtiger ist es, in Thüringen, nachdem dies gelungen ist, auch tatsächlich politische Verantwortung zu übernehmen, diesen Schritt der Abschaffung der V-Leute tatsächlich konsequent in diesem Bereich zu gehen.
Meine Damen und Herren, Herr Adams ist darauf eingegangen, zum NPD-Verbotsverfahren kann man durchaus sehr unterschiedlicher Auffassung sein, insbesondere hinsichtlich seiner gesellschaftspolitischen Wirkung. Denn eines ist das sehr weitreichende, in politische Bürgerrechte eingreifende Instrumentarium des Parteiverbots nämlich nicht: ein politisches Instrument in der Auseinandersetzung mit politisch unliebsamen Gruppierungen und Organisationen. Denn wenn man erreichen will, dass die NPD kein Geld mehr aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhält, wenn man erreichen will, dass die NPD ihre menschenverachtende Ideologie nicht mehr auf der Straße grölend zutage trägt, wenn man erreichen will, dass man während Wahlkämpfen keine rassistischen Plakate mehr im
öffentlichen Bild sehen will, und wenn man erreichen will, dass die NPD als neonazistische Organisation nicht mehr auf den Wahlzetteln steht und mal mehr oder weniger von Menschen in diesem Land gewählt wird, dann muss man sich um die Einstellungen der Menschen in diesem Land bemühen, dann muss man dafür Sorge tragen, dass neonazistische, rassistische Einstellungen keine Anschlussfähigkeit in der Mitte der Gesellschaft haben. Man muss den politischen Boden für Einstellungen entziehen, die regelmäßig und zwingend Voraussetzung auch für Straftaten, insbesondere für Gewalttaten sind. All das, meine Damen und Herren, vermag ein NPD-Verbot nicht zu erreichen.
Es birgt – da bin ich dem Kollegen Adams sehr dankbar, dass er das ausgeführt hat – tatsächlich auch Risiken, nämlich dass mit dem Organisationsverbot das Sichtbarmachen von Einstellungen praktisch verhindert wird und damit auch rechtsextreme, neonazistische, rassistische Einstellungen den gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen entzogen werden, und es birgt natürlich auch das Risiko – und das Beispiel der Partei „Der III. Weg“ ist angesprochen worden –, dass sich Neonazis in Ersatzstrukturen neu organisieren und die Gefahren, denen eigentlich mit einem Verbot begegnet werden soll, weiter fortbestehen.
Eines gilt auch: Wenn die sehr hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für ein Parteiverbot gegeben erscheinen, dann wäre es in der Öffentlichkeit nicht vermittelbar, einen entsprechenden Antrag nicht zu stellen, wie das der Bundesrat – Sie haben es angesprochen – am 3. Dezember 2013 getan hat. Es gehört dann eben auch zu der Konsequenz, dieses Verfahren bis zum Ende zu betreiben, und zwar qualitativ mit dem Ziel, es zum Erfolg zu führen.
Ich will daran erinnern, dass das letzte Verbotsverfahren im Jahr 2003 daran scheiterte, dass eine Sperrminorität von drei Verfassungsrichtern eben nicht mehr der Auffassung war, dass man bei der neonazistischen NPD von einer staatsfernen Organisation sprechen könne. So ist es eben auch ein Thüringer Beitrag durch die Abschaltung von VLeuten in sämtlichen Bereichen der NPD. Da geht es uns nicht nur um die Führungsgremien, die Einfluss auf die Organisationsentwicklung nehmen; es geht auch um die V-Leute, die Einfluss auf die Aktivitäten der NPD, wie beispielsweise am 1. Mai in Weimar, genommen haben, dass die nicht mehr im Sold des Staates stehen, dass der Staat darüber keinerlei Beeinflussung neonazistischer Aktivitäten mehr nimmt, und das ist eben der ernst zu nehmende, wichtige Thüringer Beitrag in diesem NPD-Verbotsverfahren und der unterscheidet tatsächlich dieses Verbotsverfahren von dem Verbotsverfahren 2003, was gescheitert ist, unter anderem auch mit
Hinweis auf einen in Thüringen sehr aktiven und sehr umtriebigen Neonazi Tino Brandt, der im Sold des Staates stand. Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Abgeordnete der Altparteien – ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich Sie heute nicht gesondert begrüße, auch wenn ich den Beitrag für Herrn Brandner halte! Herr Adams, ich möchte mich bei Ihnen für den inhaltlichen und weitgehend sachlich gehaltenen Beitrag als Vertreter der Regierungsfraktionen bedanken. Ich versuche, mich auch sachlich zu halten, im Gegensatz zu manch anderem, Frau Marx.