Protocol of the Session on December 14, 2018

Das Thüringer Gesetz zur Beseitigung von Wahlrechtsausschlüssen – das ist ein sperriger Titel, aber dahinter verbergen sich Menschen, jeweils einzelne Menschen – und die Frage, wie ernst wir diese Menschen nehmen, auch wenn oder gerade weil sie zu den Schwächsten in der Gesellschaft gehören. Die UN-Behindertenrechtskonvention trägt uns auf – und ich probiere das mal ganz grob zu zitieren –: „Die Vertragsstaaten garantieren Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen“. Gleichberechtigt – da steht nichts drin, dass man das Wahlrecht aberkannt bekommen soll. Und weiter ausgeführt wird dort in einem etwas anders gelegenen Fall, aber der uns zumindest einen Hinweis geben will, wohin die UNBehindertenrechtskonvention hier argumentiert: Die Vertragsstaaten „garantieren [...] die freie Willensäußerung von Menschen mit Behinderungen als Wähler und Wählerinnen und erlauben zu diesem Zweck im Bedarfsfall auf Wunsch, dass sie sich bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen.“ Ich würde mal sagen, zwei relativ starke Indizien dafür, dass die UN-Behindertenrechtskonvention das will, dass Menschen mit Behinderungen, und zwar alle, wählen, wenn sie das wollen. Zudem hat der EuGH im Jahr 2010 noch einmal ausdrücklich festgestellt in einer Entscheidung, dass generelle Wahlrechtsausschlüsse von behinderten Menschen sowie Menschen in gesetzlicher Betreuung und Unterbringung nicht zulässig sind. Vor dem Hintergrund darf man es wirklich und man muss es groben Unfug nennen, was Herr Möller von der AfD hier gerade vorgetragen hat.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Möller hat argumentiert, möglicherweise sind das so wenige Menschen, dass die vernachlässigbar wären. Ich frage mich, wie klein, wie gering die Menge Mensch sein darf, die die AfD vernachlässigen will. Ich möchte keine einzelne Person, keinen einzelnen Menschen vernachlässigen. Deshalb kann die Gruppe gar nicht klein genug sein.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn es auch in Thüringen nur circa 400 Personen betreffen sollte, dann ist doch immer die Frage, wie konsequent wir die Durchsetzung von Grundrechten betreiben. Wollen wir jedem einzelnen Menschen, der noch Schwierigkeiten hat, sein Grundrecht zu verwirklichen, helfen oder wollen wir sagen, interessiert uns nicht, vernachlässigbar, wenige, kann sich ja nicht wehren? Wir von Rot-RotGrün sind der Meinung, dass das nicht so sein soll. Ich habe das glücklicherweise auch bei der CDU so verstanden.

(Beifall DIE LINKE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das bisherige Kriterium, die bestellte Betreuerin oder die

Unterbringung darf nicht zum generellen Ausschluss von der Wahl führen. Das darf es nicht, hat der EuGH festgestellt. Das hätten Sie lesen können. Die Entscheidung liegt seit 2010 vor. Sie hatten schon Zeit.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Sie haben sie nicht gelesen!)

Denn die Betreuerin ist die Beschützerin und nicht die Bestimmerin des betreuten Menschen.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Die machen das doch!)

Und das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Der bestellte Betreuer ist der Beschützer. Sie ist zur Helferin berufen und sie ist nicht dazu da, denjenigen zu bevormunden, zumindest nach unserer Lesart und zumindest nach unserem Menschenbild. Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Deshalb kann es einen Bestimmer gar nicht geben, wie ihn die AfD mit Griff in die hässlichsten Zeiten unserer Geschichte hier bemühen möchte.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Was erzäh- len Sie denn für einen Schmarrn?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir bitten Sie, dieses Gesetzgebungsverfahren durch eine intensive, fachlich qualifizierte Debatte zu unterstützen. Dann werden wir ein Stück weit Gerechtigkeit schaffen und ein Stück weit mehr Grundrechtsbeteiligung ermöglichen können. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es gibt eine weitere Wortmeldung. Frau Abgeordnete Stange.

Frau Präsidentin, ich denke, mit der Rede von dem Kollegen von rechts außen ist der Weihnachtsfrieden arg in Gefahr geraten, der hier im Raum bei dieser Thematik sozusagen geherrscht hat. Ich will einfach noch mal formulieren: Ich denke, es kann und sollte nie wieder in Deutschland die Frage bestehen, gibt es lebenswertes oder unlebenswertes Leben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sollte nie wieder infrage stehen. Was Sie hier formuliert haben, ist zu vergleichen mit der Aktion T4, die in den schlimmsten, dunkelsten Zeiten in Deutschland unterwegs war. Dafür sollten Sie sich schämen.

(Abg. Adams)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Sie sollten sich auch schämen für Ihre Äußerung!)

Und ich sage noch eines an der Stelle: Jede Frau hat ein Anrecht, selbstbestimmt darüber zu entscheiden, ob sie das Kind austrägt oder nicht.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und darum die politische Forderung „Weg mit § 218 und § 219a!“, die wird von uns immer und immer wieder laut und ich kann nur davor warnen, solche Menschen wie Sie in Parlamente zu wählen, denn das kommt raus, was Sie hier gerade gesagt haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Abgeordneter Möller, Sie haben das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst mal zu Ihnen, Herr Adams: Sie haben am Anfang Ihrer Rede etwas Richtiges gesagt.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nehmen Sie bitte Ihren Finger runter!)

Nein, das mache ich nicht, ich mache es jetzt erst recht.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Man zeigt nicht mit dem Finger auf Menschen!)

Ich gucke ja nach da oben, der zielt nach da oben, Herr Adams.

Also, Herr Adams, jetzt hören Sie mir mal zu, jetzt habe ich den Finger hier unten – extra für Sie. Ich habe gesagt: Sie haben am Anfang etwas Richtiges gesagt, nämlich dass Sie meine Rede in Ruhe noch mal hätten anhören sollen, bevor Sie hier in der Emotion irgendetwas behaupten, was ich überhaupt nicht gesagt habe. Wenn Sie mir also unterschieben wollten, ich hätte gesagt, irgendwelche Menschen wären vernachlässigbar, dann für Sie noch mal ganz klar, wo das herkommt: Das ist ein Zitat aus dem Verfassungsgerichtshofsurteil, also von Verfassungsrichtern.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Finden Sie das richtig?)

Und es geht auch nicht darum, dass Menschen vernachlässigbar sind – für Sie noch mal zum Mitmeißeln –, sondern es geht darum, dass die Frage aufgeworfen wird, ob angesichts des Ausnahmecha

rakters der Vollbetreuung die Zahl der Betroffenen noch vernachlässigbar wäre, und zwar in Bezug auf die Frage, ob das noch den allgemeinen Grundsätzen einer demokratischen Wahl entspricht. Diese Frage hat das Verfassungsgericht aufgeworfen, nicht Stefan Möller, nicht die AfD-Fraktion.

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Sie haben von Abtreibung gesprochen!)

Also bitte, bitte mal so ein bisschen die Affekte in den Griff bekommen, die eigenen Reflexe überwachen, dann können Sie auch ganz in Ruhe diese Sachen zu Hause sezieren und sich überlegen, ob das so schlimm ist, wie Sie es verstanden haben.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Es ist schlimmer!)

Das vielleicht mal als Erstes. Und dann noch mal: Also wer es mit T4 oder mit der Nazizeit vergleicht, wenn man die sachlich berechtigte Frage aufwirft, wie man einen Komapatienten wählen lassen möchte, ohne dass man jemand anderem dieses Wahlrecht überträgt,

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Es genügt Trisomie 21!)

meine Damen und Herren, wer so etwas tut, Frau Stange, der hat überhaupt kein Interesse an einer sachlichen Diskussion. Sie haben keine Argumente und deswegen kommt Ihr brutaler Nazivergleich,

(Beifall AfD)

(Unruhe DIE LINKE)

weil Sie keine anderen Argumente haben.

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Das waren Ihre Worte!)

Und wenn Sie erzählen,

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Sie haben von Abtreibung gesprochen!)