Protocol of the Session on April 29, 2015

Da sage ich Ihnen eines: Das Solidarsystem, auf das Sie so großen Wert legen – das ganz zu Recht –, ist im Grundkonzept eines einer geschlossenen Gesellschaft. Es funktioniert nämlich nur, wenn im Wesentlichen diejenigen vom System zehren dürfen, die dieses System auch speisen und alles Weitere ist eine Frage der Solidarität.

(Beifall AfD)

Diese Solidarität kann man auch überspannen. Und wenn man das tut, indem man zum Beispiel auch Migranten entsprechend mit Aufenthaltsrechten versorgt, auch im Sozialsystem aufnimmt, die keinen Flucht- oder Verfolgungshintergrund haben, dann hintertreibt man diese Solidarität und auch die Akzeptanz des Asylrechts.

Thüringen, meine Damen und Herren leistet vieles, Deutschland auch: Wir haben 2013 ungefähr 110.000 Asylanträge hier in Deutschland zu verzeichnen gehabt. Das riesige Land Kanada hingegen will in den kommenden drei Jahren lediglich 13.000 Flüchtlinge aufnehmen. Diese Zahl ist ungefähr vergleichbar mit den 11.000 bis 13.000, die für dieses Jahr angenommen werden, die allein in Thüringen erwartet werden.

Dieser Vergleich – sage ich Ihnen – sollte Ihnen eigentlich klarmachen, wie sehr Sie mit Ihrem Bleiberecht für alle, mit dieser ideologischen Forderung die Akzeptanz des Asylrechts in der Bevölkerung gefährden.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt also Anlass zum Umdenken. Ich will zum Abschluss noch einmal Winfried Kretschmann zitieren: „Um Ungerechtigkeiten auf der Welt zu beseitigen ist Moral notwendig, jedoch nicht hinreichend. In der Politik sind realistische Lösungen gefragt.“ Insofern hoffen wir auf Ihre Einsicht. Danke schön.

(Beifall AfD)

Danke. Es hat nun die Abgeordnete Lehmann für die Fraktion der SPD das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, dass eine sachliche Debatte beim Thema „Flüchtlingspolitik“ nicht immer ganz einfach ist, das zeigt uns zumindest eine der Oppositionsfraktionen hier immer sehr anschaulich.

Ich möchte aber sagen, warum ich finde, dass eine sachliche Debatte bei dem Thema nicht immer ganz einfach ist. Wenn ich an die Tausenden Menschen denke, die auf dem Mittelmeer ertrinken – allein in diesem Jahr waren es 1.750 nach offiziellen Zahlen –, wenn ich an die Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte denke oder an die zahlreichen Demonstrationen gegen Flüchtlinge, die wir dieses Jahr hier in Thüringen erlebt haben, dann ist das für mich ehrlich gesagt immer wieder auch eine emotionale Herausforderung, weil man den Eindruck bekommt, dass man die Zahlen, mit denen wir hier konfrontiert werden, schlicht und ergreifend nicht mehr bewältigen könnte. Sicherlich ist so etwas auch herausfordernd, Sachlichkeit in der Debatte zu behalten, wegen der vielen Geschichten, der vielen Erfahrungen, die hinter den Flüchtenden stehen, der unterschiedlichen Wege und Gründe, auf denen sie nach Deutschland gekommen sind. Es gibt aber eines, was sie eint: Die Erfahrung, aufgrund individueller Notstände ihre Heimat verlassen zu müssen und damit auch die Entscheidung, eine Flucht auf sich zu nehmen. Hier eine Debatte um

(Abg. Möller)

sichere Herkunftsstaaten zu führen, wo Ausgrenzung, Diskriminierung, Perspektivlosigkeit herrschen, das will und kann ich, ehrlich gesagt, nicht begreifen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wenn wir uns darauf verständigen könnten, dass es einen gemeinsamen Grundkonsens gibt – und da bin ich mir eigentlich sicher –, glaube ich, würde das der Debatte guttun, nämlich die Einsicht, dass es diese Gemeinsamkeit gibt. Ich glaube, dass wir diese Klarheit in der Diskussion brauchen. Und ich glaube, dass wir als Politikerinnen und Politiker auch nach außen geschlossen kommunizieren müssen. Das würde der Sachlichkeit in der Debatte guttun. Ansonsten hilft bei mehr Sachlichkeit häufig der Blick auf die Zahlen. Wenn wir uns die Flüchtlingszahlen europaweit oder global betrachten, dann stellen wir fest, dass nur 4 Prozent aller Flüchtlinge nach Europa kommen. Die etwa 300.000 Flüchtlinge, die wir in Deutschland erwarten, und die 8.000 bis 10.000, mit denen sich Thüringen in den nächsten Jahren beschäftigen muss, sind also nur ein verschwindend geringer Anteil. 2014 haben 627.000 Menschen in einem EU-Land Asyl beantragt. Deutschland steht hier auf Platz 8, wenn man sich das Verhältnis von Asylanträgen und Einwohnerzahl anguckt. Schweden zum Beispiel nimmt pro Tausend Einwohner 8,4 Asylanträge auf, Ungarn 4,5, in Deutschland sind es lediglich 2,5. Das zeigt auch, dass kleinere Staaten hier viel mehr leisten, als wir es als Land momentan tun. Wenn man die Zahl der in einem Land lebenden Flüchtlinge ansieht, dann sind wir lediglich auf Platz 17. Was aber sichergestellt werden muss, ist, dass die Menschen, die hier ankommen, gut untergebracht sind. Wenn wir uns die momentane Situation in den Erstaufnahmestellen ansehen – da sind wir uns sicherlich einig –, dann ist das schlicht und ergreifend gerade nicht sichergestellt. Wenn wir in der Erstaufnahmestelle in Eisenberg und in der Außenstelle in Suhl 1.800 Leute unterbringen und das weit deutlich über den Kapazitäten ist, die die Einrichtungen eigentlich haben, wenn Gemeinschaftsunterkünfte als Schlafräume ausgestattet werden und damit kein soziales Leben mehr in den Gemeinschaftsunterkünften möglich ist, dann ist das keine gute Unterbringung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Deswegen bin ich froh, dass sich die Landesregierung auf den Weg gemacht hat und nach weiteren Möglichkeiten für Erstaufnahmestellen sucht. Wir brauchen aber auch mehr kulturelle Kompetenz bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das betrifft sowohl das Küchenpersonal, das betrifft das Sicherheitspersonal, es betrifft das Personal, das jeden Tag mit den Flüchtenden arbeitet, um eben

auch die zu sensibilisieren für die Geschichte, die die Menschen haben, für die Herkunft, die sie haben, um damit eben auch angemessen umgehen zu können. Was sicherlich auch wichtig ist, ist ein Dialog mit den Kommunen, ein Dialog mit den Initiativen und mit den Engagierten vor Ort. Ich glaube, dass dafür der Flüchtlingsgipfel, den wir letzte Woche gesehen haben, ein guter Auftakt war. Wichtig ist sicherlich auch ein Dialog mit den Menschen vor Ort, mit den Bürgerinnen und Bürgern. Es muss aber klar sein, dass es hier nicht um die Frage des Ob geht, sondern um die Frage, wie wir die Aufnahme von Flüchtlingen sicherstellen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Denn Schutz zu bieten – auch das ist meine feste Überzeugung –, ist ein Gebot der Menschlichkeit, dem müssen wir gerecht werden. Da kann man Solidarität schlicht und ergreifend nicht überspannen. Asylrecht ist Menschenrecht und das sollte unsere politische Prämisse sein.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Lehmann, vielen Dank. Das Wort hat nun Abgeordneter Herrgott für die CDU-Fraktion.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste auf den Rängen, wir haben in den letzten drei Monaten wahrlich eine sehr große Bandbreite von Diskussionen zu den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber in Thüringen erlebt. Man suchte eine weitere Außenstelle für Eisenberg und einen Standort für eine komplett neue Einrichtung. Die gesamte Kommunikation zu diesen beiden Projekten war weitgehend – freundlich formuliert – eine Katastrophe voller Nein, Ja, Vielleicht

(Heiterkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Damit kennen Sie sich aus, mit misslungener Kommunikation!)

und mit jeder neuen Woche eine neue Variante, neue Zahlen zur geplanten Belegung. Besonders war dies in Gera-Liebschwitz der Fall.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verwechseln Sie die Tatsachen nicht!)

Hier sollten erst 100 untergebracht werden, dann bis zu 500 und nach Protesten der Anwohner jetzt nur erst 180 Personen. In Mühlhausen war der Fall etwas anders gelagert. Zunächst hieß es, Mühlhausen stehe überhaupt nicht zur Debatte, die

(Abg. Lehmann)

Kreisverwaltung wolle dort einziehen und die benötigte alle Flächen. Weiterhin wurde verlautbart, die Wege nach Mühlhausen seien zu lang und der Standort insgesamt wenig geeignet. Der Ministerpräsident schloss folgerichtig Mühlhausen als Standort aus und man konzentrierte sich auf Rudolstadt mit dem Wissen, dass der Umbau dort mindestens ein Jahr dauern würde. Nun drängte doch die Zeit und nachdem SPD-Landrat Zanker eine Abstimmung verlor und das kreisliche Umzugsprojekt zu wackeln begann, besann sich die Landesregierung. Mühlhausen war nun doch am besten geeignet für eine neue Erstaufnahmeeinrichtung. Wie schnell das plötzlich immer geht hier in Thüringen. Nach einigem Hin und Her zur weiteren Förderung des restlichen Geländes als Industrie- und Gewerbestandort und der wohlklingenden Idee eines Integrationscampus sind wir alle sehr gespannt, ob das Angekündigte wirklich und auch im versprochenen Ausmaß in Mühlhausen ankommt.

Wenn die Halbwertszeit dieses Versprechens genauso lang ist wie die, dass Mühlhausen definitiv nicht als Erstaufnahmeeinrichtung zur Debatte steht, kann die Stadt in drei Monaten wieder selbst auf Investorensuche gehen. Hoffentlich stehen dann die 7 Millionen Euro, die als versprochene Fördermittel dastehen, auch noch zur Verfügung.

(Beifall CDU)

Zusammen mit der Debatte um die Standorte der Erstaufnahmeeinrichtungen diskutieren wir seit Monaten intensiv die weitere Unterbringung und Betreuung von Asylbewerbern in Thüringen. Die Regierung hat sich bemüht, redlich bemüht – wie man im Arbeitszeugnis sagen würde – und nach vier Monaten der Ankündigung hatten wir in der letzten Woche auch einen Flüchtlingsgipfel. Die Ergebnisse und konkreten Aussagen blieben allerdings weit, sehr weit hinter den Ankündigungen und den Erwartungen im Vorfeld zurück. Wir haben viele interessante Ansätze gehört, Arbeitsgruppenergebnisse wurden präsentiert und gute Beispiele gelungener Arbeit mit Flüchtlingen wurden vorgestellt.

Dennoch ist es geradezu zynisch, wenn an dieser Stelle auf dem Flüchtlingsgipfel ein Best-PracticeBeispiel vorgestellt wird, bei dem seit Anfang des Jahres die Finanzierung durch das Land ungeklärt ist. Bei dem Beispiel aus Jena im Bereich der Vermittlung von Sprachmittlern in Thüringen mussten sich die anwesenden Minister und Staatssekretäre sehr deutlich anhören, dass dieses seit zwei Jahren sehr erfolgreich laufende Projekt seit nunmehr fast drei Monaten rein ehrenamtlich mehr schlecht als recht am Leben gehalten wird. Das liegt daran, dass dieses nicht wirtschaftlich zu betreibende Projekt bisher keine Zusage einer Anschlussförderung erhalten hat. Betretene Gesichter in den ersten beiden Reihen auf dem Flüchtlingsgipfel.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Aber nicht bei der CDU!)

Aber von den betretenen Gesichtern kann sich das Jenaer Projekt leider nichts kaufen, meine Damen und Herren.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Das hat ja von der CDU damals so viel Geld be- kommen. Man, man, man, ey!)

So gab es eine Reihe von Themen, zu denen Aussagen an diesem Tag wünschenswert gewesen wären und die Teilnehmer dies auch erwartet haben, beispielsweise Aussagen zur künftigen Förderung von dezentralen Unterbringungen. Diese blieben aber eine nebulöse Ankündigung, frühestens für das Jahr 2016 komme etwas.

Dazu kam aber noch eine kaum beachtete Ankündigung einer Überarbeitung und Neufassung von Standards für die Unterbringung von Flüchtlingen, was ich sehr begrüße. Meine Damen und Herren, um Ihnen zu sagen, dass bei Standards mit Sicherheit keine Absenkung von Quadratmeterzahlen pro Flüchtling, Anzahl von Gemeinschaftsräumen oder ähnlichen Dingen zu erwarten ist, muss ich kein Prophet sein.

Allerdings blieben diese neuen Standards, die erst entwickelt werden, auch wiederum nur eine unkonkrete Ankündigung für die Kommunen, die aktuell hier ein konkretes Problem haben. Vielerorts, wo gerade geplant und gebaut wird, sind diese Standards aber von großem Interesse. Denn die aktuell geplanten und gebauten Einrichtungen entsprechen vielleicht am Ende des Jahres nicht mehr den neuen Standards. Handlungssicherheit für die Kommunen sieht an dieser Stelle anders aus, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Ebenso habe ich konkrete Aussagen zur Sprachförderung außerhalb des schulischen Unterrichts vermisst. Sprache ist nun mal der Grundbaustein für Integration – da sind wir uns, denke ich, alle einig. Hier ist es auch zweitrangig, ob das Asylverfahren am Ende positiv oder negativ beschieden wird, denn sprachliche Bildung von Beginn an – auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen – schadet nichts,

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Ach hör doch auf!)

egal, ob die Person am Ende des Verfahrens anerkannt wird, einen Aufenthaltsstatus hier in Deutschland erhält oder konsequenterweise – wenn das Verfahren negativ ausgeht – unverzüglich wieder in ihr Heimatland zurückkehren muss.

Fazit: Bei den Erstaufnahmeeinrichtungen in Mühlhausen und Gera eine nur auf den ersten, flüchtigen Blick klare Entscheidung, die in der konkreten Ausgestaltung im Nebel des Ungefähren ver

schwimmt. Beim Flüchtlingsgipfel ein später Anfang mit kleinen Ergebnissen und einem unheimlich großen Strauß von enttäuschten Erwartungen, die noch sehr, sehr viel Luft nach oben geben. Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD)

Vielen Dank. Seitens der Abgeordneten liegen mir keine weiteren Redemeldungen vor. Seitens der Landesregierung hat Herr Minister Lauinger das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, werte Gäste, ich hatte schon die kleine Befürchtung, dass die angesetzte Aktuelle Stunde über die Situation der Erstaufnahmeeinrichtungen dazu führt, dass man sich auch mal grundsätzlich über Asyl- und Flüchtlingspolitik unterhält. Meine eigentliche Intention war, ich rede heute hier zu den Erstaufnahmeeinrichtungen. Aber manche der Dinge, die ich jetzt gehört habe, waren so falsch oder auch so bar jeder Sachkenntnis, dass ich zumindest zu drei oder vier Punkten noch kurz Stellung nehmen würde. Erstens zu den sicheren Herkunftsländern als Beleg dafür, dass wir eine wesentlich andere Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen hätten, wenn es mehr sichere Herkunftsländer gäbe. Wenn man sich die Zahlen anschaut, hat es durch die Tatsache, dass es die Ausweisung von sicheren Herkunftsländern gegeben hat, null Veränderung bei dem Zuzug von Menschen aus diesen Ländern gegeben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Glauben Sie wirklich, dass sich irgendein Flüchtling in den Westbalkanstaaten davon abbringen lässt, sich auf den Weg zu machen, weil wir irgendeine Vorschrift über irgendein sicheres Herkunftsland erlassen?