Die Antwort der Landesregierung macht ein Weiteres deutlich, es finden im Bereich des Justizvollzugs keine langfristigen und kontinuierlichen Personalentwicklungen statt. Auch aus Bedienstetenkreisen ist zu hören, dass von einem Personalentwicklungskonzept nichts zu spüren sei. Solche konzeptionellen Arbeiten müssen aber angesichts der Situation der Bediensteten und angesichts der Haushaltslage dringend und in ihren Wirkungen tatsächlich wahrhaft stattfinden. Nicht nur die hier angesprochenen Langzeitprobleme, sondern auch die durch die Föderalismusreform gewachsene Verantwortung Thüringens für den Strafvollzug fordern eine bedingungslose Bestandsaufnahme der Situation und eine geeignete Debatte über entsprechende Lösungen. Die Große Anfrage und die Antwort der Landesregierung zeigen eine Vielfalt von Aspekten auf, über die eine eingehende Diskussion notwendig ist. Um einzelne Probleme, Fragen bzw. Antworten noch einmal ausführlich zu diskutieren und gegebenenfalls Schlussfolgerungen zu ziehen, schließe ich mich natürlich sehr gerne dem Antrag der Kollegin Walsmann seitens meiner Fraktion an und möchte hiermit eine Fortberatung der Großen Anfrage und der Antwort der Landesregierung im Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten beantragen. Danke.
Seitens der Abgeordneten liegen jetzt keine weiteren Redeanmeldungen mehr vor. Doch, Frau Abgeordnete Berninger für die Fraktion DIE LINKE.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, verschiedene Konzepte und Ziele können dem Strafrecht zugrunde gelegt werden. Strafe kann darauf ausgerichtet sein, durch abschreckende Wirkung künftigen Straftaten vorzubeugen, wir nennen das dann negative Generalprävention oder negative Spezialprävention. Dass diese abschreckenden Konzepte aber nicht wirklich wirken, das, denke ich, wissen wir ja. Ein moderner Strafvollzug ist am Ziel einer wirksamen Resozialisierung ausgerichtet. Wirksame Resozialisierung bedeutet, straffällig gewordene Menschen zu einem selbstständigen und vor allem verantwortlichen Leben nach der Haft zu befähigen - ein verantwortliches Leben sich selbst und anderen gegenüber. Ein moderner Strafvollzug verfolgt also das Ziel der sogenannten positiven Spezialprävention. Da nachweislich - und auch aus den Antworten der Landesregierung ersichtlich - die Inhaftierten schon mit immer größeren Sozialisierungsdefiziten ihre Haftzeit antreten,
wird es immer wichtiger, diese Defizite während der Haftzeit zu beheben, weil sich sonst einer Rückkehr in das Leben danach immer mehr unüberwindliche Hürden entgegenstellen. Das gilt nach Aussagen von Leuten, die Einblick in den Vollzugsalltag haben, mittlerweile nicht mehr nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Herr Blechschmidt ist darauf auch schon eingegangen. In der Antwort auf die Große Anfrage werden zwar eine ganze Zahl von Maßnahmen benannt, von der Möglichkeit Schuldnerberatung bis zur Durchführung von Antiaggressionstraining, jedoch stellt sich die Frage, inwiefern diese individuellen Vollzugskonzepte auch tatsächlich wirksam sind im Sinne der Resozialisierung. Es finden sich in der Antwort keine Angaben darüber, in welcher Form eine Evaluierung dieser Wirksamkeit stattfindet und in welchen zeitlichen Abständen eine solche Evaluierung durchgeführt wird. Auch auf eine Anfrage im Justizausschuss hinsichtlich der Maßnahmen für rechtsextreme Jugendliche musste ich feststellen, dass die Landesregierung augenscheinlich keinen großen Wert darauf legt, die Wirksamkeit dieser Resozialisierungsmaßnahmen zu überprüfen. Aus der Anfrage wird auch ersichtlich, dass die Personaldecke hinsichtlich Sozialarbeiter- und Sozialpädagogenstellen sehr dünn ist. Es liegen uns Informationen von Praktikern vor, dass auch Bedienstete aus dem mittleren Dienst inzwischen zum Teil herangezogen worden sein sollen, um bestimmte Angebote an Betreuungsmaßnahmen aufrechterhalten zu können. Diesem Problem muss vor allem im Hinblick auf Justizvollzugsanstalten mit problematischen Unterbringungsbedingungen, wie z.B. Hohenleuben oder Untermaßfeld, nachgegangen werden. Bei der Justizvollzugsanstalt Untermaßfeld fallen uns in der Antwort im Vergleich zu anderen JVAs z.B. auch die hohen Zahlen an Disziplinarmaßnahmen ins Auge. Hier würden wir uns eine genauere Ursachenforschung wünschen.
Ein gravierendes Problem im Blick auf die Resozialisierung ist für uns auch die Tatsache, dass in Thüringen nach Aussagen von Praktikern, aber auch belegt durch Zahlen aus der Antwort ein starkes Missverhältnis besteht zwischen offenem und geschlossenem Vollzug. Wir haben das Problem auch heute Morgen schon besprochen. Wir denken, dass das zum Teil schon an der Ausgestaltung der Haftplätze liegt. Soweit aus den Statistiken, die uns vorliegen, erkennbar ist, sind nur etwa 10 Prozent der Inhaftierten in Thüringen im offenen Vollzug untergebracht. Nach den Vorgaben des Strafvollzugsgesetzes, wenn ich mich nicht irre ist es § 10, gilt aber der offene Vollzug eben im Hinblick auf Resozialisierung als eine vorrangige Haftart. Trotzdem bleiben, soweit aus der Antwort der Landesregierung ersichtlich, von den ohnehin wenigen Plätzen im offenen Vollzug in Thüringen noch Plätze frei. Die von der Landesregierung getroffene Aussage, dass es bei den im geschlos
senen Vollzug Untergebrachten an einer Eignung für den offenen Vollzug fehlen würde, muss ich in dieser Pauschalität bezweifeln. Meine Damen und Herren, ich kann nicht pauschal glauben, dass es in Thüringen im Vergleich zu den anderen Bundesländern so viele so viel schlechtere Strafgefangene gibt. Hier drängt sich mir dann doch der Verdacht auf - und der ist heute Morgen nicht ausgeräumt worden -, dass in Thüringen mehr als in anderen Bundesländern doch einer Art Wegsperrmentalität nachgegangen wird. Als weiteres Indiz für diesen Verdacht, den ich hege, kommt hinzu, dass die vorzeitigen Haftentlassungen rückläufig sind, obwohl nicht nur die Situation in den Justizvollzugsanstalten eher für eine schnellere Resozialisierung sprechen würde. Auffällig ist auch, dass die Quote an Lockerungsmaßnahmen nur im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Ländern geführt wird. Da hätte ich schon auch gerne Zahlen aus den westdeutschen Bundesländern erfahren. Aus den Informationen von Praktikern entnehmen wir, dass die Lockerungsquote in Thüringen im gesamten Bundesvergleich eher schlecht ausfällt. Solche Lockerungsmaßnahmen aber sind im Hinblick auf Wiedereingliederungen nach der Haft von großer Bedeutung. Was die Umsetzung praktischer Maßnahmen mit Blick auf das Resozialisierungsziel angeht, ist neben den oben genannten Beispielen auch als bedenklich zu bewerten, dass laut Antwort der Landesregierung von den drogenabhängigen Inhaftierten nur diejenigen eine Chance auf Therapie haben, die konkret wegen Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt sind. Das Problem ist aber, dass Drogenabhängigkeit immer eine fast unüberwindliche Hürde für die Rückkehr ins normale Leben darstellt, auch wenn die Leute nicht wegen Drogendelikten, sondern wegen anderer Delikte im Gefängnis sind. Deshalb sollten unserer Ansicht nach auch andere Personen als nur nach dem BtMG Verurteilte Möglichkeiten zur Drogentherapie bekommen.
Zur Bewährungshilfe fällt auf, dass laut Antwort der Landesregierung die Fälle, die die Bewährungshilfe zu bewältigen hat, zugenommen haben, dass aber nicht gleichzeitig das Personal in der Bewährungshilfe aufgestockt worden ist. Eine wirksame Bewährungshilfe benötigt aber entsprechendes, ausreichendes fachlich qualifiziertes Personal.
Ich habe heute Morgen schon gesagt, dass die Dinge, die wir zum Beispiel im Jugendstrafvollzug vorschlagen, teuer sind und auch die Dinge, die ich jetzt hier bemängele und die auch Herr Blechschmidt schon angesprochen hat, wenn man die wirksam ändern will, dann wird das natürlich auch Geld kosten. Aber wir sollten hier nicht sparen. Der Preis, den man zahlt, wenn man an diesem Geld spart, ist ein hoher. Das sollten sich vor allem auch diejenigen klar machen, die Strafvollzug als eine bequeme Art betrachten, gesellschaftliche Probleme zu entsorgen.
In unserer Großen Anfrage haben wir auch nach der Situation von Ausländerinnen und Ausländern im Vollzug gefragt. Ich will nicht ins Detail gehen, aber doch einige Dinge benennen und ich hoffe, dass wir auch dieses Thema im Ausschuss dann ausführlich diskutieren können. Der Anteil der ausländischen Gefangenen ist im abgefragten Zeitraum zurückgegangen. Von etwa 18 Prozent am 30. Juni 1995 auf nicht ganz 12 Prozent am 30. März 2005. In absoluten Zahlen ist ein Anstieg von 195 auf 260 Gefangene zu verzeichnen. Bei den Zahlen sind alle Gruppen dabei, Untersuchungsgefangene, Strafgefangene und auch Abschiebungsgefangene. Befragt nach den Gründen für die zahlenmäßige Entwicklung antwortet die Landesregierung, dass sie hier nur vermuten kann, und zwar dass sie die Entwicklung in einer Erhöhung des allgemeinen Ausländeranteils in der Bevölkerung vermutet. Auch hier hätte ich eine konkretere, eine aussagekräftigere Antwort erwartet.
Frau Walsmann, ich möchte noch einmal reagieren auf das, was Sie gesagt haben. Konfliktpotenzial in Strafvollzugsanstalten kann man nicht nur dadurch abbauen, dass man die Ausländer in ihrem Herkunftsland die Strafe absitzen lässt. Es gibt durchaus Mittel und Möglichkeiten, um das auch in den hiesigen Strafvollzugsanstalten abbauen zu können. Das wird aber auch Geld kosten.
Der Landesregierung ist laut Antwort nicht bekannt, ob die Spruch- und Anordnungspraxis von Gerichten und Behörden trotz vergleichbarer Tatsachverhalte zwischen Personen Deutscher und solchen Personen nicht deutscher Staatsangehörigkeit Unterschiede aufweist. Ich hoffe, dass wir auch hierzu in den weiteren Beratungen noch ausführlicher miteinander reden können.
Befragt zu den besonderen Bedürfnissen ausländischer Gefangener hat die Landesregierung nur wenig Konkretes zu berichten. So ist zum Beispiel nicht bekannt, inwiefern das Personal in den Justizvollzugsanstalten Fremdsprachenkenntnisse besitzt. Es wäre aber nicht unwichtig, dass das Personal Fremdsprachenkenntnisse besitzt, wenn man den ausländischen Gefangenen ermöglichen will, sich verständlich zu machen.
Die Landesregierung sieht sich auch nicht in der Lage, die Frage zu beantworten, inwiefern es Beschwerden und Petitionen ausländischer Gefangener in Bezug auf ihre spezifische Situation gegeben hätte. Solche Beschwerden und Petitionen würden nicht statistisch erfasst, so die Aussage in der Antwort. Das, meine Damen und Herren, erscheint mir aber persönlich unglaubhaft. Ich habe selbst eine
ganze Weile in einer Strafvollzugsanstalt gearbeitet und ich weiß, dass dort so ziemlich alle Vorgänge sehr penibel erfasst und dokumentiert werden, ich nehme an, schon aus Gründen der rechtlichen Absicherung. Aber ich kann nicht nachvollziehen, wie die Landesregierung sagt, das könnte man nicht statistisch erfassen.
Ich möchte noch einige Worte zum Thema „Abschiebungshaft“ sagen. Abschiebungshaft ist die Inhaftierung von Menschen, die in Kürze abgeschoben werden sollen. Sie kann bis zu 18 Monate dauern. Die Sicherungshaft zum Vollzug der Abschiebung verstößt aus Sicht meiner Fraktion gegen die Menschenwürde. Nach der Auffassung von Flüchtlingsorganisationen, wie zum Beispiel Pro Asyl, ist die Vollzugspraxis verfassungswidrig. Verfassungswidrig sind auch die Dauer der Haft und die zum Teil eingeschränkte Prüfung durch Haftrichterinnen und Haftrichter. In Thüringen wird die Abschiebungshaft in der JVA Goldlauter durchgeführt. Die Abschiebehäftlinge sitzen hier zum Großteil für mehrere Monate bis zu einem Jahr oder auch länger ein. Immer wieder gibt es Berichte von Flüchtlingen, die in der Abschiebungshaft ernsthaft psychisch erkranken. Fälle von autoaggressivem Verhalten bis hin zu Suizidversuchen sind bekannt. Zur medizinischen und psychologischen Betreuung gibt es keinen gesonderten Fachdienst. Rechtliche Beratung erhalten Abschiebungshäftlinge in Goldlauter nur durch ehrenamtliche Flüchtlingshelferinnen oder durch Anwälte, die sie selbst bezahlen müssen.
Eine der Kritiken ist, Abschiebungshäftlinge sitzen im Gefängnis wie notorische Kriminelle. Das sind sie aber nicht. Sie sitzen im Gefängnis diesmal nicht in dem Land, aus dem sie geflohen sind, vielleicht, um dem Gefängnis zu entgehen, sondern in dem Land, in dem sie um Asyl ersucht haben, in Deutschland. Das katholische Büro des Bistums Erfurt hat schon 2002 in seinen Anmerkungen zum Flüchtlingsbericht geschrieben: „Nach wie vor sind die Abschiebehäftlinge in Thüringen in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht. Einem langjährigen Anliegen der Kirchen, die Abschiebehaft vom Strafvollzug im Interesse der Abschiebehäftlinge zu trennen, wurde bisher nicht entsprochen. Eine Änderung der Zuordnung der Verantwortlichkeit für die Abschiebehaft ist sachgemäß, da diese nicht als Strafvollzug betrachtet werden kann.“ Ich würde sagen, eine Änderung ist sachgemäß, da die Abschiebungshaft nicht als Strafvollzug betrachtet werden darf.
Die Landesregierung schreibt dazu in ihrer Antwort: „In Thüringen wird die Abschiebungshaft im Wege der Amtshilfe für die Ausländerbehörden vom Justizvollzug vorgezogen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 8 Abs. 2 Freiheitsentzugsgesetz“. Dieser lautet folgendermaßen: „Wird Abschiebungshaft nach § 62
des Aufenthaltsgesetzes im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten vollzogen, so gelten die §§ 171, 173 bis 175 und 178 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes entsprechend.“ Dies bedeutet, dass Abschiebegefangene nicht wie Strafgefangene, sondern grundsätzlich wie Zivilhaftgefangene behandelt werden. Den Unterschied der Behandlung von Abschiebungshäftlingen zu Strafgefangenen beschreibt die Landesregierung folgendermaßen: „Da es sich bei den Abschiebegefangenen um abzuschiebende Ausländer handelt, die nicht wegen einer begangenen Straftat oder des Verdachts einer Straftat inhaftiert sind, werden sie in der JVA Goldlauter, getrennt von Straf- und Untersuchungsgefangenen, in einer gesonderten Abteilung untergebracht“. Das ist natürlich ein himmelweiter Unterschied, wenn man in einem Gefängnis, aber in einem besonderen Trakt sitzt. Gefängnis ist Gefängnis und in der Bevölkerung wird nicht unterschieden, ob die Abschiebungshäftlinge in einer extra Abteilung untergebracht werden. Dort sieht man, die müssen ins Gefängnis, also nimmt man an, sie sind kriminell und gehören dorthin.
Folglich kommt die Landesregierung in ihrer Betrachtung der Situation von Abschiebegefangenen nicht überraschend zu dem höchst zufrieden klingenden Schluss: „Die Landesregierung hält Maßnahmen zur Veränderung der Haftsituation von Abschiebegefangenen nicht für angezeigt.“ Wieder einmal ist in diesem Satz der von Ihnen heute Morgen schon betonte grundlegende Unterschied zwischen den Ansichten von CDU und Landesregierung und meiner Fraktion und auch Partei dokumentiert. Wir sagen, Hungerstreiks, Suizidversuche, Todesfälle in Abschiebehaft belegen das schwerwiegende Versagen von verantwortlichen Politikern und Behörden. Sie belegen die dringende Notwendigkeit, hier grundsätzlich Veränderungen durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, seit 1993 sind bundesweit 120 Menschen in Abschiebehaft oder aus Angst vor Abschiebung in den Tod getrieben worden. Das sollte doch als Indiz auch von Ihnen erkannt werden, meine Damen und Herren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, auch für mich war die Große Anfrage von großem Interesse, denn ich bin Mitglied der Strafvollzugskom
mission und beschäftige mich mit den Sorgen und Nöten der Inhaftierten, aber auch der Beschäftigten.
In der Großen Anfrage fand ich, wie schon mehrmals jetzt betont, keine Angaben zu Beschwerden und Petitionen, nur den Verweis auf die Strafvollzugskommission. Das ist mir aber zu einfach. Die Strafvollzugskommission sollte kein Feigenblatt sein. Wer Jahresberichte des Petitionsausschusses und der Strafvollzugskommission liest, bekommt zwar einen sachlichen Überblick zur Situation in den einzelnen Justizvollzugsanstalten, nach wie vor habe ich aber das Gefühl, dass wir dort nur das erfahren, wonach wir auch konkret fragen. Hinterfragen können wir aber nur aufgrund von Informationen, die bekommen wir wiederum von Petenten und Bediensteten zu unseren Arbeitsbesuchen. Deshalb sind unsere turnusmäßigen Besuche in den JVAs und im Maßregelvollzug sehr wichtig. Ich behaupte, die Arbeitsatmosphäre zwischen unserer Kommission und vor Ort in den JVAs hat sich verbessert, besonders im Maßregelvollzug.
Viele Feststellungen sind aber seit Jahren unverändert und das ist auch für mich als Mitglied in dieser Kommission unbefriedigend. Ich will sie mal kurz aufzählen: Es geht um die Belegungssituation, die nach wie vor kritisch hoch ist. Es geht um die Arbeitsbedingungen der Bediensteten, die nach wie vor kompliziert sind. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Resozialisierung reichen nicht aus, wie wir in mehreren Beiträgen schon hörten. Eigene Lösungsvorschläge in den Justizvollzugsanstalten scheitern oft am Geld. Ganz bewusst nenne ich hier die Bemühungen in der JVA Hohenleuben, die schon seit Jahren versuchen, das alte Hafthaus zu sanieren, um auch ihre Belegungssituation zu verbessern.
Weiter: Unverändert sind zunehmende Gefangenentransporte quer rüber und nüber durch Thüringen, die belastend sind für alle Beteiligten. Gelöst werden muss auch die medizinische Betreuung in Tonna, besonders die Nachsorge benötigt Fachpersonal. Auf all diese Punkte hat Abgeordneter Blechschmidt in seinem Forderungskatalog schon hingewiesen.
Schwerpunkt in meinem Redebeitrag soll sein die Möglichkeiten der Interessenvertretungen, aufgeführt unter dem Fragenkatalog II 37: Hier, wie schon betont, finden wir keine Angaben, obwohl auch ich behaupte, sie liegen den Anstalten vor. Es geht um Beschwerden von Gefangenen. Es gibt ja auch gerichtliche Entscheidungen in den JVAs. Kürzlich hörte ich sogar, dass Petitionen reine Beschäftigungstheorie wären und deshalb sogar drei Mitarbeiter im Ministerium beschäftigt werden müssten, um diese abzuarbeiten. Ich stelle hiermit klar: Durch die An
zahl der Petitionen in den einzelnen JVAs zieht die Strafvollzugskommission keine Schlussfolgerungen zur Einschätzung der Arbeit der Beschäftigten. Das sollten die Beschäftigten wissen, dass wir ihnen unseren großen Respekt zollen. Immer wieder erfahren wir, dass die Gesprächswünsche der Insassen in der JVA und im Maßregelvollzug sehr groß sind. Die Beschäftigten haben aber logischerweise gar keine Zeit dafür. Auch die Landesregierung sollte ihre Einstellung ändern: Petenten sind keine Störenfriede. Hier handelt es sich um die Ausübung eines Bürgerrechts. Möglichkeiten zu der Ausübung des Bürgerrechts, die die Gefangenen haben, sind z.B. die Gefangenenmitverantwortung und die Anstaltsbeiräte. Es gibt Rechtsbeschwerdeverfahren, Beschwerden ans Ministerium und letztendlich den Gang ans Gericht.
Dass die Landesregierung in der Großen Anfrage dazu keine Schlussfolgerungen benennen kann, das ist schwach und auch kritikwürdig. In diesem Zusammenhang fordere ich die Landesregierung auf: Nehmen Sie auch die Kritik der Kommission des Europarates zum Anlass für dringende Veränderungen und die nicht nur im Jugendstrafvollzug. Die eigentlichen Probleme liegen augenscheinlich im zwischenmenschlichen und sozialen Bereich, die entsprechende Vollzugs- und Resozialisierungskonzepte in den JVAs erfordern. Das haben meine Vorredner ebenfalls immer wieder deutlich gemacht. Diese müssen wiederum durch entsprechend qualifiziertes und zahlenmäßig angemessenes Personal abgesichert werden. Die Ergebnisse der Kommissionsvisite sind eins zu eins auf den Erwachsenenvollzug übertragbar. Ich bin mir sicher, dass die Abgeordneten, ob im Justizausschuss, im Sozialausschuss oder auch in der Strafvollzugskommission, diesen Prozess besonders kritisch weiterbegleiten werden. Ich mahne auch an, Zusammenarbeit aller Ausschüsse ist hier angesagt. Danke.
Jetzt liegen keine weiteren Redemeldungen seitens der Abgeordneten vor. Minister Schliemann bitte für die Landesregierung.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Umfang der Redebeiträge zu diesem Thema zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der Linkspartei.PDS - Situation und künftige Entwicklung des Thüringer Justizvollzugs - zeigt ein großes Engagement. Dafür bin ich sehr dankbar, denn Justizvollzug ist in der Tat ein schwieriges Kapitel. Wer sich erinnert, mag sich auch daran erinnern, dass
ich ganz am Anfang meiner Tätigkeit in diesem Amt gesagt habe, der Justizvollzug wird einer meiner Schwerpunkte sein.
211 Fragen sind gestellt worden, auf 211 Fragen finden Sie die schriftliche Antwort der Landesregierung in der Drucksache 4/2330, 78 Druckseiten stark. Wenn hier aus Redebeiträgen eben dann immer wieder so anklang, ja hier und da habe man nicht und da könne man doch und da könne die Landesregierung doch noch mehr antworten, so möchte ich darauf zunächst erst einmal sagen, wir verschließen uns keiner Debatte, aber wir haben uns zunächst erst einmal bemüht - und das war schon umfangreich genug - auf die 211 Fragen sachgerechte Antworten zu geben.
Die nächste Frage in der Debatte lautet: Was machen wir mit diesen Antworten, wie gehen wir damit um und welche Nachfragen ergibt es? Das mag dann Aufgabe im Ausschuss sein und ich bin sehr gespannt und auch teilweise durchaus erfreut über das, was ich soeben gehört habe. Natürlich freut es keinen Minister, wenn ihm vorgeworfen wird, er habe zu wenig getan oder es sei zu wenig getan worden oder es sei doch alles so beklagenswert.
Meine Damen und Herren, der große Bericht gleichsam ein Almanach des Justizvollzugs in der derzeitigen Situation in Thüringen mit Blick auf die letzten zehn Jahre plus Zukunft, dieser Bericht macht eines nur deutlich: Wir sind nun einmal in einer misslichen Situation, was Justizvollzugsbaulichkeiten betrifft, aber wir sind auch auf gutem Weg, uns aus dieser Situation langsam, aber sicher rauszuarbeiten.
Wenn ich an die Zahl der Haftplätze denke, dann bitte ich einmal folgende Relation mit ins Auge zu nehmen und mit in Betracht zu ziehen: Wir haben eine in der Tat hohe Auslastung der vorhandenen Haftkapazitäten. Aber immer dann, wenn wir eine neue Haftanstalt bauen, also einen Neubau errichten wie in Tonna, dann entsteht der grundsätzliche Anspruch auf Unterbringung in Einzelzellen. Das bedeutet, ich brauche also viel mehr Platz, Raum und Aufwand, um die Umschichtung zu vollziehen; trotzdem geschieht es. Eine der ganz großen Anstrengungen des Freistaats Thüringen, denke ich, war der Neubau der Justizvollzugsanstalt Tonna - mit zunächst 471 Haftplätzen Ende 2002 in Betrieb genommen und im September 2006 weitere 207 Haftplätze. Die Modernität des Baues wird korrespondiert dann auch zur Modernität der Werkstätten und der Beschäftigungsmöglichkeiten. In Tonna haben wir eine Beschäftigungsquote von über 65 Prozent. Das ist im Bundesvergleich ein absoluter Spitzenwert. Aber es ist nicht die einzige Ursache, sondern es liegt auch daran, welche Gefangenen halten sich denn dort auf und mit welcher Dauer.
Zurück zur Haftsituation: Haftplätze in Suhl-Goldlauter, dort wurden 48 Haftplätze geschaffen, weitere 95 sind im Bau in einer Systembauweise. Es wird ein Hafthausanbau vollzogen. Mitte 2008 sollen die 95 Plätze dann beziehbar sein. Das größte und wichtigste Projekt dieser Legislatur wird aber - ich sagte das heute Morgen schon - der Neubau der Jugendstrafanstalt in Arnstadt-Rudisleben sein, Größenordnung 300 Haftplätze und 40 Arrestplätze. Wenn da der Wunsch, die Anregung oder der Hinweis kam, jedoch bitte dezentrale Unterbringung, dann kann ich sagen, das ist ja alles schön und gut, nur das schwierige an dezentraler Unterbringung ist für uns eine wirtschaftlich adäquate Größe von Haftplätzen in Relation zu Beschäftigungsmöglichkeiten und Arbeitsmöglichkeiten. Das wird immer in bestimmten Relationen gesetzt sein. Aber es ist völlig klar - ich mache daraus gar keinen Hehl-, dass der Bedarf an Justizvollzugsneubauten absolut nicht abgedeckt ist, wir also weiterhin gehalten sein werden, alle Anstrengungen zu unternehmen, um auch auf diesem Feld auf Dauer einen rechtsstaatlich befriedigenden Zustand zu erreichen. Wir sind nicht rechtsstaatswidrig, aber der Zustand ist nicht befriedigend.
Der zweite Punkt, die sozialtherapeutische Behandlung: In Tonna gibt es - das ist mehrfach angesprochen - eine sozialtherapeutische Abteilung mit zunächst 68 und seit der Erweiterung 75 Plätzen. In Relation zur Zahl der Haftplätze liegen wir damit im oberen Bundesdurchschnitt, aber das heißt nicht, dass man sich zurücklehnen darf. Zum Behandlungsteam in dieser Abteilung gehören 3 Psychologen, 5 Sozialarbeiter und weitere 15 Vollzugsbedienstete, die zum Teil schon eine besondere Ausbildung erhalten haben; darüber hinaus 4 externe Psychologen und psychologische Psychotherapeuten. Die Sozialtherapie ist bekanntlich eine besonders stark behandlungsorientierte Form des Vollzugs von Freiheitsstrafen. Die sozialtherapeutische Abteilung in Tonna legt gesteigerten Wert auf Verhaltenstherapie, Rückfallprophylaxe und verfolgt dazu ein besonders Erfolg versprechendes, geltendes integratives Konzept, d.h, sie verknüpft unterschiedliche sozialtherapeutische Ansätze miteinander; Einzelgespräche, deliktspezifische Gruppensitzungen und Ähnliches mehr. Zu den Details werden wir sicherlich im Ausschuss Gelegenheit haben zu sprechen. Wenn ich in diesem Zusammenhang auf die Rückfallstatistik zu sprechen komme - auch uns liegt daran, zu erfahren, ob das, was wir tun, auch wirklich die gewünschte Wirkung hat. Auch für eine Rückfallstatistik bedarf es einer gesetzlichen Grundlage, die haben wir. Jetzt fangen wir an, uns diese im Jugendstrafvollzugsgesetz zu schaffen. Die anderen Dinge werden folgen. Es geht nur nicht alles auf einmal. Auch in Rudisleben, ich sagte es heute Morgen schon, wird es eine entsprechende sozialtherapeutische Abteilung geben und auch bzw. gerade in Rudisleben - so ist ja
unser Gesetzesvorschlag - wird dann die begleitende ständige Evaluierung möglich sein und auch die nachträgliche, ob denn das, was wir tun, Wirkung hat oder verbessert werden kann.
Der Personalbestand, meine Damen und Herren, ist nicht auf der Höhe, die sich der Justizminister wünscht, müsste er nicht auf andere Dinge als Teil und eingebunden in die Landesregierung auch ein bisschen Rücksicht nehmen. Aber es ist schon bemerkenswert, wir verfolgen ein ganz scharfes und nachhaltig durchzusetzendes Reduzierungsprogramm, Personalreduzierung durch Stellenabbau, nur einer der ganz wenigen, in dem wir Stellenzuwachs haben, ist der Justizvollzug. Da sind es nicht nur Justizvollzugsobersekretäranwärter, die ausgebildet und eingestellt werden und das sind gar nicht wenige, die Zahlen können wir gern im Ausschuss noch einmal nachreichen, sondern es ist auch der Aufbau von Sozialarbeit und psychologischen Tätigkeiten. Wenn dann gesagt wird, die schwere Arbeit der Justizvollzugsbediensteten, dann kann ich dem nur beipflichten, es ist eine schwere Arbeit und ich spreche gern auch an dieser Stelle noch einmal meinen Dank gerade gegenüber allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Justizvollzugsanstalten aus.
Das Schwierige an dieser Tätigkeit ist eigentlich das ständige Überwinden von Routine auf der einen Seite und geradezu als Kontraprogramm das ständige Eingehen auf die Situation der Strafgefangenen auf der anderen Seite. Der Justizvollzug ist heute nicht mehr der schlichte Schließer mit dem Schlüsselbund und das war es. Heute werden ganz andere Anforderungen an Justizvollzugsbedienstete gestellt. Ich will nicht sagen, dass das gerade immerzu alles Sozialarbeiter wären, aber sie werden schon in ihrer Ausbildung besonders geschult, aufzunehmen, wo Beschwernisse entstehen, und zu lernen, wie man Hilfen gewähren kann, ohne gleich den ganzen Laden sozusagen durcheinanderzubringen. Die gesetzgeberischen Aktivitäten werden sich nicht im Jugendstrafvollzugsgesetz für Thüringen erschöpfen. Als Nächstes möchte ich gern - und die Zeichen stehen gut, dass es geschehen kann - wiederum länderübergreifend ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz entwickeln lassen in wohl derselben Arbeitsgruppe - vielleicht kommen sogar noch ein bisschen mehr dazu - wie das Jugendstrafvollzugsgesetz.
Das mag für heute genügen. Ich freue mich, wenn wir Gelegenheit haben, das Weitere durchaus kritisch und im Diskurs im Ausschuss dann miteinander zu klären. Vielen Dank.
Ich schließe jetzt die Beratung. Es ist beantragt worden, dass der zuständige Fachausschuss, nämlich der Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten, diese Große Anfrage fortberät, und für die Fraktion der LINKEN hat Herr Blechschmidt bereits signalisiert, dass es dagegen keine Einwände gibt, so dass ich darüber abstimmen lasse, dass diese Fortberatung im Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten erfolgt. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gibt es hier Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist auch nicht der Fall. Damit ist die Fortberatung im Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten möglich. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 9.
Ich habe jetzt zwischen zwei wichtigen Entscheidungen des Ältestenrats abzuwägen, einmal der Entscheidung, um 19.00 Uhr den letzten Aufruf vorzunehmen, und zum anderen, den Tagesordnungspunkt 18 aufzurufen. In der gemeinsamen Beratung mit den Parlamentarischen Geschäftsführern ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass wir den Tagesordnungspunkt 18 noch zügig abarbeiten.