Protocol of the Session on March 30, 2006

Bei aller Ernsthaftigkeit will ich am Schluss meines Debattenbeitrags eines auch vorweg nicht verschweigen: Wir sind wirklich gewillt, wenn ein zwingender Novellierungsbedarf in unseren Sicherheitsgesetzen vorliegt und dem per Mehrheit hier in dem Haus nicht nachgekommen wird, vor das Landesverfassungsgericht zu ziehen, um dort Klarheit herzustellen.

(Beifall bei der SPD)

Ansonsten bedanke ich mich ausdrücklich für Ihre Aufmerksamkeit.

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Kölbel zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Abgeordnete, in Drucksache 4/1809 hat die SPD-Fraktion diesem hohen Hause einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das bestehende Thüringer Polizeiaufgaben

gesetz und das Thüringer Verfassungsschutzgesetz aktuell fortschreibt. Das ganze Artikelgesetz wurde überschrieben mit dem Titel „Thüringer Sicherheitsgesetz“,

(Beifall bei der SPD)

dessen erste Lesung wir heute haben. Ausgangspunkt sind zahlreiche - wie schon von Herrn Gentzel gesagt worden ist - aktuelle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der Landesverfassungsgerichte, die auch für den Freistaat Thüringen verbindlichen Handlungsbedarf beinhalten.

Aus den anderen deutschen Bundesländern liegen bereits aktuelle Verfassungsgerichtshofsentscheidungen vor, die, wie es heißt, zumindest als Anhalt für Thüringen dienlich sein können.

Welche Dinge werden dort angesprochen, welche sind berührt? Es geht um ausgewogene Festlegungen zwischen - wie es kurz gefasst gesagt werden kann - grundrechtlich gesicherten Freiheitsgewährleistungen und der Pflicht des Staates, die Rechtsgüter seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Angesprochen werden - Frau Präsidentin, ich zitiere - „die Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln, die Überwachung des Fernmeldeverkehrs und der Telekommunikation, die sonstigen Datenerhebungen mit technischen Mitteln, die ereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrollen, die Beobachtung organisierter Kriminalität sowie die Beobachtung völkerverständigungswidriger Bestrebungen.“ Weil die verfassungsgerichtlichen Vorgaben nicht nur den Polizeibereich berühren, sondern auch den Thüringer Verfassungsschutz, hat die SPD-Fraktion diesen gleich mit in diesem Artikelgesetz verarbeitet, was deren Kontrolltätigkeit betrifft, einbezogen. Die SPD-Fraktion möchte mit ihrem Gesetzentwurf, schlussfolgernd aus den letzten Jahren und aus den Geschehnissen in der Arbeit des Thüringer Verfassungsschutzes, zur Verbesserung der Tätigkeit beim Landesamt beitragen, wie eben vorgetragen worden ist, aber auch die, falls notwendig, Beobachtung von Abgeordneten des Thüringer Landtags in ganz engen Grenzen halten - so habe ich Sie verstanden.

Wie aus den Urteilen des Gerichts hervorgeht, will die SPD Eingriffe der Polizei in den Kernbereich des persönlichen Lebensbereichs nur zulassen, wenn konkrete Anhalte von vorhersehbaren Straftaten zu erwarten sind, diese zeitlich befristen, unter Richtervorbehalt stellen, Beendigung und Löschungspflichten festlegen, Verwertungsverbote auferlegen. Die bestehenden Regelungen zur Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln sollen auf einen eng begrenzten Umfang festgelegt werden und in Angemessenheit zur Schwere der zu erwartenden Straftat stehen. Für alle angewendeten Maßnahmen

bedeutet dies, Schritte müssen dokumentiert, überprüfbar gestaltet, nachverfolgbar festgehalten werden und vieles andere mehr.

Nun zu einigen Punkten des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes. Hier geht es mir um das Ob und das Wie, z.B. warum die organisierte Kriminalität nun nicht mehr beim Verfassungsschutz überwacht werden darf - vor Jahren ist sie ja erst dorthin zugeordnet worden -, ist mir noch nicht ganz erklärlich. Ich verstehe wohl das aus der Verfassung abgeleitete Trennungsgebot von Verfassungsschutz und Polizei, sehe aber auch Zusammenhänge.

Die Möglichkeit der Verbesserung der Tätigkeit der Parlamentarischen Kontrollkommission ist mir schon sehr nahe liegend - ich möchte aber an dieser Stelle nicht über Interna ausführen -; über das Wie werden wir uns noch beraten müssen. Dass feste Regelungen, was den Umfang betrifft, was von Abgeordneten wie zu überwachen ist, beschlossen werden müssen, und dies in Gesetzesform, da waren wir uns ja in diesem hohen Haus wohl schon einig. Ich habe es ja in der Berichterstattung (Verfassungs- schutzbericht) unter anderem zitiert, wie das Land Sachsen dies handhabt. Andererseits kann ich einen Ausnahmestatus eines Abgeordneten auf Anhieb nicht sehen. Die ausführliche Berichterstattung und deren Wahrheitsgehalt vor der Parlamentarischen Kontrollkommission müssen abgesichert sein, das steht ohne Zweifel. Es kann aber nicht angehen, dass es aufgrund des Rufs „Sicherheit von Bund und Land in Gefahr“ dann nur zu Bruchteilen eines umfassenden Berichts zukünftig noch kommt. Dabei bin ich für Ausgewogenheit schon in der Ausformulierung in der Gesetzgebung. Eine Reihe von Änderungen zum Thüringer Verfassungsschutzgesetz habe ich meines Erachtens wiederentdeckt, die bereits bei der letzten Novellierung anstanden, dort aber keine Mehrheit in diesem hohen Hause fanden.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Es ist viel passiert seitdem, Herr Kölbel.)

Ja, ja, aber es sind wieder die alten Dinge, die erneut hier in Ihrem Gesetzentwurf stehen.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Die blei- ben aber auch richtig.)

Namens der CDU-Fraktion dieses hohen Hauses beantrage ich Überweisung an den Innenausschuss federführend und mitberatend an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten. Sicher wird die bereits angekündigte Gesetzesinitiative der Landesregierung in gleicher Sache ein unmittelbares Abwägen für die Abgeordneten Punkt für Punkt ergeben bzw. zulassen. Dann erst werden wir zur

Beschlussfassung kommen.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Wir sind lernfähig.)

Persönlich darf ich in dieser Angelegenheit bemerken, dass die hier behandelte Materie verfassungsrechtlich, sicherheitstechnisch bis datenschutzrechtlich eine nicht unkomplizierte ist, also keine Sache so im Schnelldurchgang. Man muss jeden Passus sorgfältig beraten, abwägen - also ein schwieriges Stück Arbeit steht hier an. Daran sollten wir uns stets erinnern und hiermit möchte ich schließen und danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der Linkspartei.PDS hat sich der Abgeordnete Dr. Hahnemann zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, heute unternimmt eine Oppositionsfraktion schon den zweiten Anlauf für verfassungskonforme Polizeiaufgaben- und Verfassungsschutzgesetze in Thüringen. Insofern, Herr Gentzel, haben Sie nicht Ihre Aufgaben gemacht, sondern deren. Vor fast genau zwei Jahren behandelte der Landtag einen entsprechenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion und einen etwas weitergehenden Antrag der Linkspartei.PDS-Fraktion auf eine Art Generalrevision der Thüringer Sicherheitsgesetze. Anlass war damals ein aktuelles Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff. In der Debatte stellte mein damaliger Kollege Steffen Dittes fest - Zitat: „Die Vorschriften in § 35 Polizeiaufgabengesetz als auch in § 7 des Verfassungsschutzgesetzes sind, gemessen an den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März, verfassungswidrig.“ Seitdem ist nicht viel passiert. Der Vollzug der verfassungswidrigen oder verfassungsrechtlich bedenklichen Regelungen ist ausgesetzt, aber noch immer sind die betreffenden Thüringer Gesetze nicht auf den Boden der Verfassung gestellt. Wir sind im Grunde genommen heute am gleichen Punkt wie vor zwei Jahren. Damals hat man uns unnötige Eile vorgeworfen und Herr Kollege Fiedler hat beschwichtigend und in bewährter Art ausgeführt - Zitat: „Es ist noch genügend Zeit, dass die Landesregierung mit Ruhe alles durchforsten kann, was auch in dem Urteil steht.“ Seitdem haben wir hin und wieder eine Meldung oder Information vernommen, die Landesregierung sei nach wie vor beim Durchforsten. Wenn aber das Durchforsten zu lange dauert, dann muss man offenkundig den Waldarbeitern Beine machen. Insoweit ist der

neuerliche Anlauf der SPD-Fraktion aller Ehren wert.

Zum Gesetzentwurf: Wir nehmen erfreut zur Kenntnis, dass die SPD-Fraktion mit der Gesetzesvorlage dem Umstand Rechnung getragen hat, dass die Ermächtigungen zum Abhören im Thüringer Polizei- und Verfassungsschutzgesetz noch weit reichender sind als die durch das Bundesverfassungsgericht angegriffenen Befugnisse in der Strafprozessordnung. In Thüringen war bisher das Abhören per Wanze oder Richtmikrofon auch dort erlaubt, wo nicht gerade Rechtsgüter von überragender Bedeutung gefährdet waren. Bisher reichte dafür z.B. die Prognose einer Gefahr für Sachen oder Tiere, deren Erhalt im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Nachdem wir unlängst vernehmen konnten, wie ein späterer Gewährsmann des Verfassungsschutzes sich um die Rettung und Rückführung von Erni- und Bert-Figuren verdient machen konnte, haben wir so eine gewisse Vorstellung, was alles im öffentlichen Interesse liegen und ggf. tief eingreifende polizeiliche Maßnahmen rechtfertigen kann. Anerkennen muss man auch, dass die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion inzwischen weiter gehen und nicht nur die akustische Wohnraumüberwachung, sondern auch die Telekommunikationsüberwachung in Thüringen den verfassungsrechtlichen Grundlagen näher bringen wollen. Schon im April 2004 hatten wir zu bedenken gegeben, dass das Abhören von Kontakt- und Begleitpersonen bei einer fast schon ebenerdigen Eingriffsschwelle sehr wohl Persönlichkeitsrechte und das Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzt.

Kritik von Verfassungsexperten und Bürgerrechtlern an den Thüringer Sicherheitsgesetzen ging aber schon immer und geht auch heute noch weiter. Daran gemessen genügen die hier heute zur Debatte stehenden Regelungsgegenstände den Anforderungen nicht. Man entnimmt dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion das Grundanliegen, den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund eines solchen Anspruchs ergeben sich einige Fragen: Was ist mit den polizeilichen V-Leuten, den verdeckten Ermittlern und den nicht offen ermittelnden Polizeibeamten? Diese entziehen sich der parlamentarischen wie der juristischen Kontrolle und wir dürfen wohl annehmen, dass auch diese ihre Sensorien in den Kernbereich privater Lebensgestaltung ausstrecken.

Revisionsbedarf sahen und sehen wir auch hinsichtlich der Schleierfahndung. Seit Jahren gibt es hier dringende Hinweise aus Urteilen von Verfassungsgerichten, die wenigstens Modifikationen bei den ereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrollen nahe legen. Sie haben es gesagt, Herr Gentzel. Was Sie hier aber vorschlagen, halten wir für eine Art Placebo. Was versprechen Sie sich von einem Bericht

zu solchen Maßnahmen gegenüber dem Landtag? Glauben Sie wirklich, Behörden würden sich von einer jährlichen Drucksache nachhaltig beeindrucken lassen oder gar Selbstbeschränkung beim Einsatz dieser Maßnahme üben? Doch wohl kaum! Mit anderen Behörden haben wir ja genau das Gegenteil erlebt.

Ähnlich verhält es sich in der Novelle mit den Benachrichtigungsmodalitäten gegenüber Betroffenen polizeilicher Maßnahmen. Eine Ausnahmeregelung, nach der die Unterrichtung unterbleibt, wenn eine Maßnahme von angeblich geringer Eingriffsintensität war, ist mehr als schwammig und bleibt fragwürdig.

Unsere volle Unterstützung haben Sie bei dem Bemühen um Durchsetzung des Gebots der Trennung von Verfassungsschutz und Polizei und ihrer Aufgaben. Insofern ist die Streichung der organisierten Kriminalität aus dem Aufgabenkatalog des Verfassungsschutzes mehr als konsequent. Auf der anderen Seite unterlassen Sie aber, auch das Polizeirecht von entsprechenden nachrichtendienstlichen Methoden zu befreien. Spitzel im Dienst der Polizei gehören ebenfalls auf den Index.

Meine Damen und Herren, zu einem weiteren Komplex: Nicht aus eigener Betroffenheit, sondern wegen des Grundrechtsschutzes sind wir für ein generelles Verbot der Beobachtung von Abgeordneten durch das Landesamt für Verfassungsschutz. Eine Vorabinformation an die PKK halten wir vor dem Hintergrund unserer Einschätzung von deren politischem Charakter und ihrem rechtlichen Wesen für untauglich. Zudem wird das „Ausschnüffeln“ von frei gewählten Abgeordneten dem besonderen verfassungsrechtlichen Rang eines Mandats nicht gerecht. Zu unseren grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Kontrollmöglichkeiten durch eine solche Kommission haben wir uns im letzten Plenum hinreichend klar geäußert. Für uns kann eine Information an die PKK lediglich, im Sonderfall sogar gefährlichen kosmetischen Einfluss auf geplante Überwachungsmaßnahmen haben.

Die Forderung nach Beauftragung eines externen Sachverständigen allerdings weist wieder in die richtige Richtung. Warum aber einen solchen lediglich per Zweidrittelmehrheit berufen? Das scheint uns parlamentsrechtlich nicht ausreichend. Nur wenn in dieser Frage ein Minderheitenrecht vorgesehen wäre, könnte die Regelung ja überhaupt Wirkung entfalten. Welche rechtlichen Chancen allein auf gleiche Möglichkeiten der Durchsetzung eines Sachverständigen wären denn mit einer solchen Regelung gegeben und dazu noch eines unabhängigen?

Unsere Fraktion bleibt dabei, das Verfassungsschutzgesetz muss - und es muss nicht nur in diesem Punkt - umfassend demokratisiert werden. Die zentrale Forderung dabei ist die Umkehrung des RegelAusnahme-Verhältnisses hinsichtlich der Beratungen. Die Sitzungen sollten öffentlich sein und nur in begründeten Ausnahmefällen geheim stattfinden. Das geht, andere Länder haben es. Außerdem wären wir für umfassende Kompetenzen zur Sachverhaltsermittlung durch Beweiserhebung, einen selbständigen Zugriff auf Beweismittel, das Recht auf Zeugeneinvernahme und ungehinderten Akten- und Behördenzugang. Wir fordern das Recht auf Hinzuziehung von Mitarbeitern für erforderliche Bewertung und unterstützende Arbeiten. Die Verschwiegenheitsvorschriften müssen dabei aber natürlich beachtet werden. Im Übrigen bin ich vorhin gar nicht so sehr sicher gewesen, Herr Gentzel, ob Sie den Verschwiegenheitsvorschriften, denen Sie eigentlich unterworfen sind, entsprochen haben.

Wenn dies realisiert würde, was ich eben gesagt habe, dann könnte man im nächsten Schritt über eine Verpflichtung von Zeugen zur Wahrheit und danach auch über Strafandrohung bei Falschaussage nachdenken. Aber das wäre ein zweiter Schritt. Dieser hätte nur Sinn, wenn zuvor der erste gegangen würde, nämlich die generelle Demokratisierung der Regelungen über Charakter und Tätigkeit der PKK.

Insgesamt bleiben die vorgeschlagenen Regelungen zur so genannten Stärkung der PKK aus unserer Sicht und nach unserer Erfahrung so etwas wie parlamentarischer Selbstbetrug. Herr Gentzel, als Sie vorhin davon gesprochen haben, wie doch die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, dass man mit der PKK „Hutzebutz“ - das haben Sie, glaube ich, gesagt - treibt, dann kann ich Ihre Erregung in der Beratung über den Bericht der PKK nicht mehr verstehen.

Meine Damen und Herren, sollten wir im Innenausschuss Gelegenheit bekommen, über dieses Gesetz zu beraten - das weiß man ja bei Ihnen nicht immer so genau -, in dem Falle hat Herr Kollege Kölbel aber die Beratung nach meiner Erinnerung selbst beantragt, würden wir eine solche Möglichkeit gern zur intensiven Beratung auch der soeben genannten Aspekte nutzen. Auf jeden Fall sollte eine mündliche und öffentliche Anhörung stattfinden, die vorurteilslos Gelegenheit für nicht immer vorurteilslose Stellungnahmen von Experten aller Couleur gibt. Danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Mir liegen keine weiteren Redewünsche mehr vor. Für die Landesregierung hat sich Innenminister Gasser zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, zunächst einmal, Herr Hahnemann, Herr Gentzel, kein Grund zur Unruhe, ich habe die Presseerklärung vom 19.01.2006 von Herrn Matschie gelesen und ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin kurz einen Auszug zitieren: „Die Untätigkeit der CDU-Landesregierung", bezogen auf das Polizeiaufgabengesetz und das Landesverfassungsschutzgesetz, "angesichts der Verfassungswidrigkeit bestehender Regelungen ist unerträglich.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Wir wollen, dass Grundgesetz und Thüringer Verfassung wieder ernst genommen werden.“ Das sagt der SPD-Vorsitzende, so ist er hier zitiert, Herr Matschie.

Nun muss man sagen, erstens verstehe ich diese Presseerklärung nicht und zweitens die Kritik nicht. Ich habe, unmittelbar nachdem ich das Amt übernommen habe, in verschiedenen Gesprächen verschiedenen Vertretern von Verbänden, Journalistenverband, aber auch Rechtsanwaltskammer, Notarkammer usw., zugesichert, dass bis zu einer Überarbeitung des Polizeiaufgabengesetzes und des Gesetzes über den Landesverfassungsschutz keine Maßnahmen der Polizei diesbezüglich durchgeführt werden, wo Berufsgeheimnisträger betroffen sein könnten. Deswegen, muss ich sagen, ist mir das nicht so ganz klar, warum diese Eile jetzt von Ihnen vorgesehen ist. Wie ich gehört habe, haben Sie auch viel Geld ausgegeben für die Erarbeitung des Gesetzentwurfs - aber das ist Ihre Sache, wofür die Fraktion ihr Geld ausgibt.

Jetzt zur Sache, zu dem Gesetzentwurf: Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD-Fraktion liefert nach unserer Auffassung, abgesehen von dem Geplappere, bevor er da war, den Beweis dafür, dass bei den zu regelnden hochkomplexen Themenbereichen des Polizei- und Sicherheitsrechts einer durchdachten und in sich schlüssigen Gesamtkonzeption eindeutig der Vorrang vor politisch motivierten Schnellschüssen einzuräumen ist. Sorgfalt geht vor Schnelligkeit.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das ist prinzipiell richtig.)

Danke schön, Herr Höhn. Grundsätzlich ist festzuhalten - und jetzt kommt etwas Positives -, dass der Novellierungsbedarf des Polizeiaufgabengesetzes und des Verfassungsschutzgesetzes durch die einschlägige verfassungsrechtliche Rechtsprechung zum Großteil fest umrissen ist. So ist völlig unstreitig, dass zum einen die Tatbestandsvoraussetzungen von Wohnraumüberwachung und präventiver Telekommunikationsüberwachung vor allem im Bereich der Straftatenverhütung anzupassen sind, darüber hinaus auch der Umfang des Kernbereichsschutzes und damit zusammenhängend des Berufsgeheimnisträgerschutzes zu bestimmen ist und schließlich, dass die Regelungen zur nachträglichen Benachrichtigung von Betroffenen verdeckter Datenerhebungen ebenso zu überarbeiten sind wie die Bestimmungen zum Umgang mit den verdeckt erhobenen Daten. Insoweit stimmt die Landesregierung mit der SPDFraktion überein. Der Entwurf leidet allerdings nach meiner Auffassung an einigen zum Teil gravierenden Schwächen, über die natürlich dann im Innenausschuss nachgedacht werden muss. So ist die Forderung problematisch, mit der vorgesehenen Neuregelung der Tatbestandsvoraussetzungen für die präventiv-polizeiliche Telekommunikationsüberwachung die Möglichkeit zur Abwehr von Gefahren für hochwertige Rechtsgüter aufzugeben. Die Abwehr von Gefahren ist der eigentliche Zweck des Polizeiaufgabengesetzes und bildet, wie die Landesregierung im Übrigen regelmäßig im Zuge der Berichterstattung mitgeteilt hat, auch den Schwerpunkt der präventivpolizeilichen Telekommunikationsüberwachung in Thüringen. Wenn ich Ihren Entwurf richtig verstanden habe, wollen Sie eine Eingrenzung vornehmen hinsichtlich dessen, dass Sie hier den Begriff der besonders schweren Straftat einfügen. Das bedeutet aber - und das ist der Punkt, der mir Bauchschmerzen bereitet; nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts ist von der besonderen Schwere einer Straftat dann auszugehen, wenn das Strafmaß fünf Jahre übersteigt -, dass bei allen anderen Straftaten, die ein niedrigeres Strafmaß aufweisen, die Polizei praktisch untätig bleiben müsste. Dieses erscheint mir ebenfalls zumindest problematisch.

Meine sehr verehrten Damen und Herren der SPDFraktion, würde Ihr Vorschlag Gesetz, wären künftig weder Standortbestimmungen zur Rettung von Personen in Notlagen möglich, noch könnten Ortungen zur Verhinderung von Selbstmorden erfolgen. Das kann man vielleicht durch eine Klarstellung ausräumen; aber nach dem derzeitigen Entwurf wäre das nicht möglich.

Aufgabe der Polizei ist es, die Handlungen, die zur Verletzung eines Rechtsguts führen können, zu unterbinden. Insoweit entspricht Ihr Entwurf geradezu dem Grundgedanken des Polizeiaufgabengesetzes. Darüber hinaus sind auch die vorgesehenen Regelungen

zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht unbedenklich. Bereits die Definition des Kernbereichs widerspricht zum Teil der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Folgte man dem Entwurf, wären Gespräche in Geschäftsräumen niemals, Gespräche in Privaträumen hingegen immer dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen. Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht im Lauschangriffsurteil durchaus differenzierter gesehen. Auch die vorgesehenen, für alle verdeckten Maßnahmen undifferenziert geltenden Regelungen des Kernbereichsschutzes lassen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts teilweise außer Acht. Dieses hat im Urteil zur präventiv polizeilichen Telekommunikationsüberwachung in Niedersachsen deutlich ausgeführt, dass bei der Telekommunikationsüberwachung anders ausgestaltete Schutzvorkehrungen vorzusehen sind als bei der Wohnraumüberwachung. Begründet wird dies damit, dass der Bürger zur vertraulichen, höchst persönlichen Kommunikation auf die Telekommunikation nicht in demselben Maß zur Wahrung seiner Menschenwürde angewiesen ist wie auf die Wohnung als Rückzugsraum.

Meine Damen und Herren, für die Landesregierung stehen bei der Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes deutlich mehr Themen auf der Agenda, als sie der vorliegende Entwurf behandelt. Wir werden uns beispielsweise auch damit auseinander setzen müssen, welche Änderungen sinnvoll und notwendig sind, um die Handlungssicherheit der Polizei beim Umgang mit häuslicher Gewalt zu erhöhen. Daneben werden wir auch die Frage erörtern müssen, ob und in welchem Umfang wir die Befugnisse der Polizei erweitern müssen, damit diese ihre Aufgaben effektiver erfüllen kann.