Protocol of the Session on September 10, 2004

Die CDU toppt das auf Bundesebene noch, indem alles für stärkere Einschnitte in der sozialen Versorgung unternommen wird und vor Ort mit Krokodilstränen im Vermittlungsausschuss erzwungene, ja erzwungene Resultate bitterlich beklagt werden. Und das geht ja weiter. Sie, Herr Reinholz, haben heute Morgen hier, genauso wie Frau Lieberknecht im MDR, Verbesserungen bei den Leistungen für die Betroffenen gefordert, während noch vor zwei Tagen Ihre Parteichefin im Bundestag hingeht und stärkere Einschnitte für den Fall einer CDU-Regierungsübernahme ankündigt. Ihr sächsischer Parteifreund Milbradt treibt das auf die Spitze und überlegt gar, ob er an den Demonstrationen teilnimmt. Sie machen das nicht, das haben Sie ja angekün

digt. Was da seit Monaten abläuft, ist pure Heuchelei. Wer hat denn die Zumutbarkeitsbedingungen bei der Aufnahme von Arbeit im Vermittlungsausschuss verschärft! Wer wollte denn, dass jeder, aber auch jeder Euro beim Hinzuverdienst angerechnet wird! Wer wollte denn damals mit dem Existenzgrundlagengesetz des hessischen CDUMinisterpräsidenten Koch die Vermögenszugriffe verschärfen! Dieses Bestrafungsgesetz des Herrn Koch war doch Ihre, ja, die Verhandlungsgrundlage der Union im Vermittlungsausschuss.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Ge- nauso war es.)

Und wem ist dann offenbar erst im Sommer dieses Jahres aufgefallen, dass die Lebenshaltungskosten in Ostdeutschland wirklich nicht geringer sind als im Westen? War das während der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss im Dezember 2003 nicht bekannt? Damals wurde von der CDU gezündelt, was das Zeug hält, gezündelt an der sozialen Absicherung Arbeitsloser. Jetzt wird wieder so getan, als habe man nichts, aber auch gar nichts mit den Auswirkungen zu tun. Und seit dem heutigen Bericht ahne ich, was die Strategie dieser Landesregierung mit Blick auf die Monitoringgruppe beim Wirtschaftsminister ist. Es gilt auch hier, sich schnell aus ihrer Mitverantwortung seitwärts in die Büsche zu schlagen, und von dort gilt es, kräftig als Heckenschütze für weitere Verunsicherung zu sorgen.

(Beifall bei der SPD)

Nein, Herr Reinholz, meine Damen und Herren von der Landesregierung, diese gespielte Blauäugigkeit lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Stellen Sie sich doch endlich Ihrer Verantwortung. Arbeitsmarktpolitik ist Sache des Bundes, des Landes und der Kommunen. Deshalb warten Sie gefälligst nicht auf das Haar in der Suppe, sondern setzen sich endlich glaubwürdig ein für die Interessen dieses Landes. Eines kann ich Ihnen versprechen: Wenn es um sinnvolle Thüringer Forderungen und Erkenntnisse geht, wenn es darum geht, abseits von unglaubwürdigen Schuldvorwürfen konstruktiv für die verbesserte Förderung Langzeitarbeitsloser in Berlin zu streiten, dann hat diese SPD-Landtagsfraktion mehr als ein Wörtchen mitzureden und sie wird dies tun. Es wäre gegenüber den Arbeitslosen geradezu sträflich, wenn die Landesregierung ihre Mitwirkungsmöglichkeit in der Monitoringgruppe des BMWA nicht nutzen würde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erkennen Sie doch endlich, wem Sie da mit der Strategie von Zündelei und dem gleichzeitigen Unschuldsgewasche tatsächlich in die Hände spielen - den Demagogen und einer zunehmenden Demokratieskepsis gerade bei jungen

Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Der Herr Ministerpräsident hat doch selbst in seiner Regierungserklärung auf die Gefährdung demokratischer Prozesse in diesem unseren Lande hingewiesen. Spätestens die Ergebnisse im Saarland dürften doch auch Ihnen bei allem Siegestaumel zu denken geben. 40.000 Stimmen weniger auch für den Wahlgewinner CDU, die NPD knapp vor dem Parlamentseinzug und eine miserable Wahlbeteiligung sollten doch wirklich Anlass genug sein, sich politischer Verantwortung so zu stellen, dass die Menschen mitgenommen werden, dass sie sich nicht verraten und verkauft fühlen, sondern Veränderungsnotwendigkeit und persönliche Chancen und Perspektiven erkennen. Also lassen Sie uns endlich Schluss machen mit diesem Hickhack und uns gemeinsam der Realität stellen. Die aber lautet: Arbeitslose Menschen in Thüringen sind keine Faulenzer, sondern sie wollen vor allen Dingen arbeiten, und das nicht irgendwann eines fernen Wachstumstags, sondern möglichst jetzt oder zumindet in absehbarer Zeit. Und da haben wir in diesem Landtag eine politische Mitverantwortung - einen Gestaltungsauftrag. Da ist längst nicht alles getan, was in unmittelbarer Kompetenz dieser Landesregierung zu tun ist. Nachdem wir uns nun mehrfach in dieser und früheren Plenardebatten und der Öffentlichkeit wechselseitig unsere politischen Auffassungen verdeutlicht haben, sollte es nun in einem vernünftigen demokratischen Aushandlungsprozess möglich sein, uns endlich auch um die handwerkliche Umsetzung hier in Thüringen zu kümmern. Das nämlich, was an einigen Stellen mit Recht dem Bundeswirtschaftsministerium und der Bundesagentur für Arbeit bei der Umsetzung vorgehalten wurde und wird, das, meine Damen und Herren, gilt ebenso für die Ebene der Landesregierung. Hier ist endlich eine vernünftige handwerkliche Umsetzung der Landesarbeitsmarktpolitik einschließlich der dafür vorgesehenen europäischen Fördermittel angebracht, nicht nur mit Blick auf das Sozialgesetzbuch II, aber auch und vor allen Dingen. Dieses Gesetz ist nämlich in seinen wesentlichen Inhalten seit Ende 2003 verabschiedet. Seitdem ist viel unnütze Zeit im Lande verstrichen, ohne dass etwas geschehen ist und ohne dass den Kommunen und den freien Trägern geholfen wurde. Nun wird so getan, als bestünde erst mit der Verabschiedung des Optionsgesetzes Handlungsbedarf.

Meine Damen und Herren von der CDU, anlässlich einer kürzlich stattgefundenen Tagung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Neudietendorf hat Ihr CDU-Parteifreund und Landrat des Eichsfeldkreises, Herr Henning, demütige, ich wiederhole, demütige Unterstützung seitens der Politik eingefordert. Er hat da offensichtlich nicht nur den Bund, sondern

auch das Land gemeint. Nun will ich keine demütige Unterstützung, aber ich will,

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Land- kreis Eichsfeld.)

dass unter den gegebenen Umständen und mit den gegebenen finanziellen Mitteln die bestmögliche Förderung für die Langzeitarbeitslosen in Thüringen erreicht wird.

(Beifall bei der SPD)

Denn, meine Damen und Herren von der PDS und von der CDU, bei einem bin ich mir ganz sicher, der übergroße Teil dieser langzeitarbeitslosen Menschen will weder dauerhaft alimentiert werden, noch drückt er sich vor Arbeit. Nein, diese Menschen wollen Arbeit, Arbeit und nichts anderes als Arbeit.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Allerdings eine Arbeit, die ihre Existenz sichert und die sie unabhängig macht von sozialen Transferleistungen. Genau deshalb kann in der Propagierung der Ein-Euro-Jobs nicht der Schwerpunkt aktiver Förderung liegen. Nein, dies muss die letzte Maßnahme sein und dann eine Brücke darstellen, eine Brücke zur Ausbildung, zur Qualifizierung oder zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Dabei gilt es vor Ort in den Regionen eine Vielzahl von Möglichkeiten zu entwickeln, immer getragen von drei Grundsätzen:

1. die bestmögliche Hilfe für jeden einzelnen Arbeitslosen und

2. jedes Förderangebot auszurichten an den Interessen des regulären Arbeitsmarktes und den dort gestellten Anforderungen. Und schließlich

3. darf keine Förderung zu einer Verdrängung auf dem ersten Arbeitsmarkt führen.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das wird aber schwierig!)

Dies zu leisten, meine Damen und Herren, fordert neben den neuen Aufgabenstellungen, neben der Ausweitung von Beratung, neben der Zusammenarbeit von Bundesagentur für Arbeit mit den Kommunen einen erheblichen konzeptionellen und Koordinierungsaufwand in den Regionen. Dort muss eine gemeinsame Bereitschaft aller Arbeitsmarktakteure zur konstruktiven Zusammenarbeit entstehen und gepflegt werden, und das unter den neuen Bedingungen. Dort geht es darum, so viel wie möglich Integrationsangebote bereitzustellen, so viel wie möglich Arbeitsplätze zu entwickeln. Man wird von uns

in den neuen Ländern nicht erwarten können, dass wir das eklatante Arbeitsplatzdefizit aus eigener Kraft bewältigen, aber man wird erwarten können, dass wir eine effektivere, sinnvollere und für die Wirtschaft und die Menschen bessere Arbeitsmarktpolitik gestalten, als dies bisher häufig der Fall war.

Schon im vergangenen Jahr haben wir die Unterstützung der Kommunen beim Aufbau der Jobcenter ergebnislos gefordert. Jetzt rennt uns die Zeit davon. Es ist nicht ohne Grund zu befürchten, dass die zur Verfügung gestellten Mittel zur aktiven Arbeitsmarktförderung des Bundes entweder unzureichend oder wenig sinnvoll eingesetzt werden. Und es ist zu befürchten, dass wegen mangelnder Abstimmungsbereitschaft ESF-Mittel des Landes unzureichend genutzt werden. Dort fehlen nämlich jetzt schon Komplementärmittel des Landes, dort hängen jetzt schon Projekte in der Luft. Vielleicht könnte ja die Agentur für Arbeit aushelfen, wenn, ja wenn es endlich zu abgestimmter Förderung käme und nicht Verwaltungseitelkeiten gepflegt würden.

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, muss ich ja doch einige Worte zu Ihrem Antrag verlieren.

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Das ist nicht notwendig.)

Doch. Parteistrategisch ist es ja vielleicht verständlich, dass Sie kein gutes Haar an der Hartz-IV-Gesetzgebung lassen wollen. Da ist Populismus pur angesagt. Und ich habe zuvor schon gesagt, wer da letztlich politisch begünstigt wird. Es ist aus meiner Sicht ziemlich makaber, wenn Ihr Fraktionsvorsitzender in der "Osterländer Zeitung" Bildungsträgern, Wohlfahrtsverbänden und anderen Arbeitsmarktakteuren unterstellt, dass mit den Mitteln zur aktivierenden Arbeitsmarktförderung angeblich goldene Nasen verdient werden.

(Beifall bei der SPD)

Bei den von Herrn Ramelow angesprochenen 500  in diesem Artikel geht es doch gerade auch um Betreuung und Qualifizierung und daran verdient in Thüringen schon lange keiner mehr eine goldene Nase. Vielleicht reden Sie darüber mal mit den Bildungswerken der Gewerkschaft und der Wohlfahrtspflege einschließlich der Volkssolidarität, die werden Ihnen etwas anderes erzählen.

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Das ist klar!)

Im Detail habe ich durchaus Verständnis für die eine oder andere Ihrer Forderungen und Ihrer Kritik. Ja, auch ich würde mir vieles besser wünschen, aber

Ihnen geht es nicht tatsächlich um Realisierung, auch Sie wollen in die Büsche. Wer im Wesentlichen platt einfordert, Hartz muss weg, der will auch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, dass Sozialhilfempfänger und Langzeitarbeitslose dauerhaft in Arbeitslosigkeit verbleiben.

(Beifall bei der SPD)

Das nämlich wäre die bisherige Realität und das wäre die logische Konsequenz, vor allen Dingen eine bittere Konsequenz für die Sozialhilfeempfänger, die bisher kaum einen Anspruch auf Arbeitsmarktförderung durch die Bundesagentur für Arbeit hatten. Ich kenne mich da bestens aus und weiß, es gab Einzelprojekte "Arbeit statt Sozialhilfe" und es gab die Rolle als Bittsteller bei der Agentur für Arbeit, mehr aber auch nicht.

Ihre Grundsatzkritik wundert mich in diesem Zusammenhang dann schon, denn die Verbesserung für die Sozialhilfeempfänger würde mit einem "weg von Hartz IV" auch dann den Bach runtergehen. Wenn Sie tatsächlich an einer Verbesserung der Förderung für Langzeitarbeitslose interessiert sind, dann müsste Ihnen doch unser Antrag plausibel sein. Sehen Sie sich doch auch den zweiten Teil Ihres Antrags an. Vieles dort und einiges mehr sind Bestandteile unseres Antrags mit dem wesentlichen Unterschied, dass wir die Bundesmittel in den Kommunen für die Wohnungs- und Beratungsabsicherung der Arbeitslosen benötigen. Das sollte doch auch Ihren Intentionen entsprechen, also springen Sie doch endlich mal über den großen Schatten momentaner Popularität und Populismus und tun Sie etwas für die berufliche Integration Langzeitarbeitsloser.

(Beifall bei der SPD)

Selbst Gregor Gysi verkündet ja nun, dass die prinzipielle politische Auseinandersetzung und eine gute handwerkliche Umsetzung zwei paar Schuhe sind.

Liebe Kollegen von der CDU und von der PDS,

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Aber nicht die Volkskontrolle!)

lassen Sie mich zum Schluss nochmals auf die Aufforderung des Landrats im Eichsfeldkreis zurückkommen, für eine gute handwerkliche Umsetzung, für eine konstruktive Mitverantwortung des Landes zu sorgen. Da hat er nämlich zweifelsohne Recht, der Herr Landrat. Der Ihnen vorliegende Antrag bietet all diese Chancen, wenn wir uns im zuständigen Fachausschuss schnellstmöglich damit befassen und wenn die Landesregierung parallel dazu die notwendigen konzeptionellen Vorarbeiten leistet. Wir

möchten, dass nicht nur jeder junge Mensch unter 25 Jahren, sondern möglichst viele der anderen Arbeitslosen ab 1. Januar des nächsten Jahres tatsächlich Unterstützung erhalten, mehr als bisher gefördert werden. Und wir erwarten, dass dazu alle finanziellen Mittel in den Regionen ebenso gebündelt werden wie die Kraft der Arbeitsmarktakteure.

Ohne rhetorische Nebelkerzen gibt es eine gemeinsame Schnittstelle oder Schnittmenge aller Fraktionen dieses Hauses, deshalb noch mal mein Appell: Lassen Sie uns den Antrag im zuständigen Ausschuss beraten und lassen Sie uns unter Nutzung der ESF-Mittel und der Landesarbeitsmarktförderung für eine bessere Qualität der notwendigen Förderangebote Sorge tragen. Lassen Sie uns gemeinsam den Beweis antreten, alles getan zu haben, möglichst vielen der jetzt arbeitslosen Menschen eine tatsächliche Chance für eine existenzsichernde Arbeit anzubieten.

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat sich Herr Günther gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, vorerst danke ich im Namen meiner Fraktion für den umfassenden, klaren Bericht der Landesregierung.

(Beifall bei der CDU)

Er macht unter anderem die politische Grundlinie der CDU-Fraktion sehr deutlich.

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Auch mit der Landesregierung.)

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Es ist aber die CDU!)

Wir tragen das Zusammenlegen der beiden steuerfinanzierten Grundsicherungssysteme grundsätzlich mit. Wir haben dem Bundesgesetz zugestimmt und werden am Umsetzungsprozess konstruktiv mitarbeiten.