Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Thüringer Gerichtsvollzieher leisten als Teil der Rechtspflege einen verantwortungsvollen Dienst. Ihr Aufgabenspektrum ist äußerst vielfältig: von Zustellungen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Zustellung von Schiedssprüchen über Verfahren bei der Pfändung, Zwangsvollstreckung, der Herausgabe von Sachen, Zwangsvollstreckung durch Abnahme eidesstattlicher Versicherungen und durch Haft, Vorführung von Parteien und Zeugen bis hin zur Zustellung in Straf- und Bußgeldsachen oder Vollstreckung gerichtlicher Anordnungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, um nur einen kleinen Ausschnitt aus dem umfangreichen Aufgabenbereich zu benennen. Schon deshalb ist es höchst interessant, mehr über die Arbeit dieser Berufsgruppe öffentlich zur Kenntnis zu bringen, zumal die Gerichtsvollzieher nicht selten mit Vorurteilen konfrontiert sind in der öffentlichen Wahrnehmung. Die sehr umfassende und ausführliche Antwort des Thüringer Justizministeriums gibt deshalb informative statistische Einblicke. Was allerdings weniger nachzuvollziehen ist, ist die Tatsache, dass vom Fragesteller Thesen zu Beginn in den Raum gestellt werden, die nicht der Realität entsprechen. Das geht bereits beim Vorspann zur Großen Anfrage los, worin Sie darstellen, dass aus Medienberichten zu entnehmen sei, dass in Thüringen etwa 40 Gerichtsvollzieher fehlen würden, um den bestehenden Arbeitsanfall angemessen bewältigen zu können. Des Weiteren führt die PDS-Fraktion aus, dass die Fallzahlen sich um mehr als 30 Prozent über dem festgelegten Pensum bewegen würden. Außerdem seien in der Vergangenheit Personen aus festen Anstel
lungen mit der Zusage auf Einstellung für die Qualifizierung als Gerichtsvollzieher nach Thüringen angeworben worden, die keine Aussicht auf Übernahme hätten.
Was die fehlenden Gerichtsvollzieher angeht, so mag ein gewisser Mehrbedarf vor zwei Jahren vielleicht bestanden haben. Nach aktueller Rücksprache mit dem Gerichtsvollzieher-Landesverband Thüringen e.V. - und da gibt es für mich überhaupt keinen Anlass, an deren Aussagen zu zweifeln - gibt es derzeit keine Probleme mit der Arbeitsbelastung. Die Personalausstattung werde dem tatsächlichen Bedarf angepasst und ist derzeit auskömmlich. In den letzten zwei Jahren wurden insgesamt 18 Gerichtsvollzieherbewerber in den Landesdienst übernommen. Insgesamt sind somit 138 Gerichtsvollzieher tätig.
Auch die extern angeworbenen Personen sind in den Landesdienst übernommen worden, trotz der Haushaltssituation. Die durchschnittliche Arbeitsbelastung sei ebenfalls kein Problem, so wurde mir Auskunft erteilt, und liegt in einer durchaus zuträglichen Höhe.
Natürlich hat die wirtschaftliche Entwicklung auch Auswirkungen auf den Geschäftsanfall der Gerichtsvollzieher. Veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen wirken sich auf das Angebot von Arbeitsplätzen und damit auch auf die Zahlungsfähigkeit von Menschen aus. Ein Verzicht auf Konsum ist auch in Zeiten der wirtschaftlichen Stagnation nur differenziert festzustellen. Kaufanreize, zudem die Ratenzahlungsangebote, um nur ein alltägliches Beispiel der Gerichtsvollzieherpraxis zu nennen, sind verlockend und werden vom Verbraucher mehr denn je genutzt. Heute kaufen, in sechs Monaten zahlen, so lockt mancher Anbieter.
Der Verlust des Arbeitsplatzes ist dann oftmals der Einstieg in ein Schuldenchaos. Die Verbraucherinsolvenzberatungsstellen bestätigen diese Zusammenhänge. In der Beantwortung zur Frage 11 d) ist dies ausführlich dargestellt. Vorgerichtliche Kosten, Ermittlungsgebühren, Inkasso- und Anwaltskosten, Gerichtskosten, die Kosten der Gerichtsvollzieher sowie die Verzinsung von Kosten und Grundforderungen treiben die ursprünglich in Rechnung gestellte Forderung dann exorbitant schnell in die Höhe. Die Schuldenlast steigt stetig und es wird oft schwieriger, die Forderungen zu erfüllen. Geradezu erschreckend ist die Zunahme des Verschuldens gerade im gewerblichen Bereich, insbesondere bei Kleinunternehmen und Freiberuflern, aber auch im Mittelstand.
Der Schuldner versucht in seiner finanziellen Not, mit allen Mitteln die Vollstreckung hinauszuzögern, und nutzt oftmals unnötigerweise die vom Gesetz
geber vorgehaltene Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen. Eine Verschleppungstaktik, welche mit erheblichen Kosten einhergeht, beginnt. Oft gerät der Schuldner so in den Schuldensog, letztlich bleibt oft nur der Weg in das Insolvenzverfahren. Die Zahl der Bürger, die deshalb Beratungsstellen aufsuchen, steigt an. Aber die Verknüpfung der Situation der Gerichtsvollzieher in Thüringen unter Einbeziehung des Bundesvergleichs mit der Verschuldenssituation der Bevölkerung mit einem kurzen Seitenblick auf Schuldnerberatungsstellen sind für mich in undifferenzierter Weise Themen, die zum Teil in ganz andere Zusammenhänge zu stellen sind.
Die Hartz-IV-Gesetzgebung des Bundes schafft keine neuen Arbeitsplätze. Neue Arbeitsplätze und damit gesicherte Einkommen für Arbeitnehmer können nur durch verbesserte Anreize für Investitionen schaffende steuer- und arbeitsmarktpolitische Rahmenbedingungen entstehen, die für Deutschland insgesamt gelten. Dann könnte zumindest einem Teil des Teufelskreises, dass Arbeitsplatzverlust in die Überschuldung führen kann unter bestimmten Rahmenbedingungen, entgegengewirkt werden. Hinsichtlich der Verbraucherinsolvenzberatung wurde dazu ausführlich im Rahmen der gestrigen Diskussion zum Thüringer Ausführungsgesetz zur Insolvenzordnung gesprochen. Was die Schuldnerberatung anbelangt, so ist diese mit dem vollständigen In-Kraft-Treten der Hartz-Gesetze zum 01.01.2005 nach § 16 Abs. 2 Ziff. 4 Sozialgesetzbuch II eine Leistung zur Eingliederung in Arbeit und eine Maßnahme zur Vermeidung der Hilfsbedürftigkeit über §§ 1 und 3 des SGB II. Das Bundesfamilienministerium hat mit seinen Handlungsempfehlungen für Arbeitsgemeinschaften und optionierende kommunale Träger für die Gewährung von Schuldnerberatung auf der Grundlage des SGB II vom November 2004 festgestellt, dass unter diese Regelung hoch verschuldete bzw. überschuldete ALG I-Bezieherinnen und Bezieher, aber ebenso verschuldete noch Erwerbstätige fallen, die zur Beibehaltung ihrer Erwerbstätigkeit Hilfe zur Bewältigung ihrer Überschuldungsprobleme benötigen.
Die Annahme, mit mehr Schuldnerberatungen bzw. Verbraucherinsolvenzberatungsstellen auf einen personellen Zuwachs an Gerichtsvollziehern verzichten zu können, geht fehl, da damit das umfängliche Arbeitsfeld der Gerichtsvollzieher unzutreffend vereinfacht und reduziert würde.
Von den letztgenannten Betrachtungen aber zurück zur Justizpolitik und der Situation der Gerichtsvollzieher. Die statistischen Angaben lassen deutlich erkennen, dass die Belastung der Thüringer Gerichtsvollzieher in den letzten Jahren geringer als im Durchschnitt der anderen Bundesländer ist. Die Vergleichs
zahlen der anderen Bundesländer können Sie auf Seite 40 der Antwort nachvollziehen. So lag die Belastung eines Gerichtsvollziehers in Baden-Württemberg im Jahr 2003 bei 154 Prozent und im Nachbarland Sachsen-Anhalt bei 147 Prozent, in Thüringen gegenwärtig bei 116 Prozent. Um das zahlenmäßig nachvollziehen zu können, nenne ich Ihnen nur ganz kurz den rechnerischen Durchschnitt der Verfahren, die ein Gerichtsvollzieher in Thüringen zu bewältigen hatte: Das sind 407 vom Gerichtsvollzieher persönlich bewirkte Zustellungen, 407 Zustellungen unter Mitwirkung der Post, 1.707 Zwangsvollstreckungs- und sonstige Aufträge, 7.467 Anträge auf Abnahme der eidesstattlichen Versicherung, 5 Vorpfändungen und 136 Vollstreckungsaufträge der Justizbehörde. Diese Angaben sind auf den Personalbestand zum 31. Dezember 2004 berechnet.
Meine Damen und Herren, im Zuge der kommenden europäischen Rechtsangleichung ist es notwendig, sich über das künftige Berufsbild eines Gerichtsvollziehers auszutauschen, das ein zunehmendes Maß an fachtheoretischer, gesellschaftspolitischer, psychologischer und Sozialkompetenz vermittelnder Kenntnis erfordert. Da stehen Fragen der Ausbildung vielleicht zukünftig in einem Bachelor-Studiengang, hier gibt es Anregungen genug, oder Diskussionen über den zukünftigen Status der Gerichtsvollzieher, vielleicht als mit hoheitlichen Aufgaben beliehener Träger eines öffentlichen Amtes - auch das ist alles in der Diskussion an vorderer Stelle. Doch hier, sage ich mal, wurden von der Justizverwaltung zunächst einmal statistische Angaben auf die Große Anfrage der PDS vorgelegt. Es wäre nach meiner Auffassung jedoch besser gewesen, den Beamten der Justizverwaltung diese Fleißarbeit zu ersparen und ihnen damit Freiraum zu geben, sich den tatsächlichen Fragestellungen, die für die Zukunft wirklich wichtig sind, zu widmen. Danke schön.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, stellen Sie sich vor, es klingelt an Ihrer Haustür und nach dem Öffnen erkennen Sie einen Herrn mit dem berühmten Kuckuck in der Hand. Der Schreck bei den meisten Beteiligten sitzt da für gewöhnlich relativ tief. Ich will damit sagen, die Berufsgruppe - gewiss, eine etwas kleine Berufsgruppe, aber immerhin - gehört nicht zu denen, die nun überall gern gesehen ist, aber dennoch von einer sehr großen Wichtigkeit geprägt. Ich will damit zum
Ausdruck bringen, dass ich durchaus Verständnis dafür aufbringe, dass sich die Fraktion der PDS mit der Situation der Gerichtsvollzieher beschäftigt. Und wenn man eine Große Anfrage formuliert, dann ist das ja in der Regel zumindest damit verbunden, dass man auch eine gewisse Zielrichtung mit dieser Großen Anfrage zum Ausdruck bringt. Dem Text des Antrags kann man entnehmen, dass die Fraktion der PDS auch mit dieser Anfrage gewisse Befürchtungen verbindet. Ich persönlich habe aus meiner Sicht insgesamt vier Befürchtungen, die mit dieser Anfrage verbunden sind, herausgelesen.
Die zweite Befürchtung, die sich daraus ableitet: Gerichtsvollzieher, jedenfalls die, die vorhanden sind, haben zu viel zu tun.
Die dritte Befürchtung wird auch in der Beantwortung durch die Landesregierung sehr deutlich: Die Bevölkerung wird immer ärmer, macht demzufolge immer mehr Schulden und - siehe Befürchtung zwei - die Gerichtsvollzieher haben zu viel zu tun.
Die vierte Befürchtung, ebenfalls abgeleitet aus der dritten: In der Zukunft werden die Gerichtsvollzieher noch mehr zu tun haben.
Wenn man sich nun die Antwort der Landesregierung etwas genauer zu Gemüte führt, dann wird zur ersten Befürchtung, dass es zu wenige Gerichtsvollzieher gibt, deutlich, der Personalbedarf wird zum einen nach einem bundeseinheitlichen Standard ermittelt und diese Zahlen für den Personalbestand der Gerichtsvollzieher in Thüringen waren in den letzten Jahren, um es einmal vorsichtig auszudrücken, relativ konstant. Die Frage, die sich stellt: Reicht die Anzahl für die zu bewältigenden Aufgaben aus? Gespräche mit dem Verband, sozusagen mit der Interessenvertretung der Gerichtsvollzieher, die ich persönlich geführt habe, haben ergeben, dass der Verband durchaus mit der Anzahl der Gerichtsvollzieher zufrieden ist. Auch wurden nach Angaben des Verbandes alle Gerichtsvollzieherbewerber in den letzten Jahren übernommen. Das muss auch ganz deutlich betont werden. Was der Verband allerdings verlangt oder was angemahnt wird - Kollegin Walsmann hat vorhin schon darauf hingewiesen -, ist eine Veränderung in der Qualität der Ausbildung von Gerichtsvollziehern, weil sich natürlich auch deren Job in einem entsprechenden Wandlungsprozess befindet. In dem Zusammenhang wird gefordert, dass an einer Fachhochschule zu diesem Zweck zumindest ein Bachelor-Studiengang eingerichtet werden soll. Dieser Forderung kann man durchaus nahe treten. Ich denke, in der Zukunft, wenn dann im Zuge der - ich sage jetzt mal etwas süffisant - so genann
ten großen Justizreform auch über Veränderungen bei den Aufgaben der Gerichtsvollzieher diskutiert wird, kann man sicherlich auch diesem Qualitätsanspruch an Gerichtsvollzieher Rechnung tragen. So weit zu der ersten Befürchtung, Gerichtsvollzieher gäbe es zu wenige.
Zweite Befürchtung: Sie hätten zu viel zu tun. Nun, da genügt wirklich ein Blick in diese Statistiken, die die Beantwortung der Großen Anfrage ausweist. Die Vergleichszahlen, so interpretiere ich sie zumindest, lassen hier keinen Schluss zu, dass die Gerichtsvollzieher in Thüringen nun von großer Überbelastung geprägt werden. Im Gegenteil, aus meiner Sicht liegen diese ermittelten Zahlen sogar leicht unter dem Bundesdurchschnitt. Auch nach Aussage des Verbandes sind diese Belastungszahlen verkraftbar - immerhin für eine Interessenvertretung eine bemerkenswerte Aussage aus meiner Sicht.
Zur dritten Befürchtung: Da wird es allerdings dann schon etwas anders aufgrund veränderter Arbeitsmarktgesetzgebung, mehr Armut, mehr Schulden. In der Tat wird aus der Beantwortung der Großen Anfrage deutlich, dass hier eine durchaus signifikante Veränderung in den Familieneinkommen zutage tritt. Die Einkommenssituation von Familien, vor allem in unteren Einkommensgruppen, verändert sich, und zwar nach unten. Das hat sicher Ursachen, das hat auch etwas mit der Veränderung von Bezugsansprüchen aus dem Bundesfamiliengeld zu tun. Dadurch hat sich in Teilen die Einkommenssituation von Familien verändert. Was das nun vordergründig mit der Situation der Gerichtsvollzieher zu tun hat, das erschließt sich aus meiner Sicht erst auf den zweiten Blick. Darüber muss man sicher reden. Aber nach meiner Auffassung ist das ein sozialpolitisches Thema und sollte auch in diesem Rahmen entsprechend diskutiert werden.
Viertens und letztens: Die Zahl der Gerichtsvollzieher wird auch in Zukunft nicht ausreichen, weil sie durch die befürchtete Verarmung mehr zu tun haben werden. Ein guter Jurist würde in diesem Zusammenhang zwei Dinge sagen: zum Ersten - das wird man sehen; und zum Zweiten - das kommt darauf an. Was sich evtl. verändern wird im Zuge einer möglichen - ich hatte es angesprochen - Justizreform, das ist sicherlich die Aufgabenstellung von Gerichtsvollziehern, Stichwort Privatisierung. Es ist zwar in den Verhandlungsrunden zu dieser Justizreform noch keine konkrete Vorstellung geäußert worden außer der, dass man in Zukunft auf der Basis von Beleihungen eine solche Aufgabe verrichten könne. Das wird selbst vom Verband der Gerichtsvollzieher nicht in Abrede gestellt. Es kommt natürlich auf eine entsprechende Abgrenzung von hoheitlichen Aufgaben an. Das heißt, was dann hoheitlich tätige Gerichtsvollzieher bzw. die privatrechtlichen dürfen,
Fazit, meine Damen und Herren: Mit Gerichtsvollziehern verhält es sich wie mit Zahnärzten. Keiner will mit ihnen freiwillig etwas zu tun haben, aber dennoch werden sie gebraucht. Beide verursachen Schmerzen. Die einen an der Backe und die anderen im Portmonee. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, allein die jetzige bisherige Diskussion meiner beiden Kollegen hat deutlich gemacht, dass die Große Anfrage ihren Sinn dahin gehend gehabt hat, dass sich mit dieser Problematik und der anstehenden Diskussion in Zukunft - Stichwort Privatisierung von Gerichtsvollzieherwesen - auseinander gesetzt wird und dass es sich gelohnt hat, diese Frage zu stellen. Was den Ausgangspunkt und die damit verbundenen Aussagen seitens des Verbandes angehen, ein kleines Stichwort zur Historie der Großen Anfrage.
Aus dem Pressespiegel vom 9. November 2004, ich zitiere: „Axel Rotschuh vom Verband der Gerichtsvollzieher sagt gegenüber dem MDR-Thüringenjournal, dass aktuell 40 Stellen nicht besetzt seien. Als Konsequenz würden die Vollstrecker etwa 30 Prozent mehr Fälle betreuen als vorgeschrieben.“ Anlass für die Einreichung der Großen Anfrage war dieser Umstand, dass der Thüringer Gerichtsvollzieherverband Anfang bzw. Ende vergangenen Jahres eine Diskussion in den Medien angestoßen hat, dass - ich wiederhole mich - 40 Stellen fehlen, um angemessen den Arbeitsbestand abzuarbeiten. Wenn ein Fachverband eines Berufsstandes sich so relativ vehement zu einer Problematik äußert, wäre es unserer Meinung nach sinnvoll, sich dieser Thematik zuzuwenden. Deshalb haben wir die Arbeitsbedingungen in Thüringen und darüber hinaus nachgefragt in der Großen Anfrage. Dabei musste versucht werden, diese Arbeitsbedingungen in den Kontext der gesamtgesellschaftlichen Situation zu stellen, das heißt, mit Blick auf die Situation der Gerichtsvollzieher auch die Verschuldungs- und Einkommenssituation der Bevölkerung zu betrachten. Da in vielen Fällen der Zwangsvollstreckung der Gerichtsvollzieher Menschen in einer schwierigen sozialen Situation antrifft, stellt sich gleichzeitig die Frage, ob hier die Politik nicht stärker darauf hinwirken kann oder muss,
dass sich für Betroffene andere Wege und Möglichkeiten zu einer Klärung dieser Probleme eröffnen als der staatliche Zwang.
Ein anderer Schwerpunkt der Diskussion um das Gerichtsvollzieherwesen war und ist die Frage nach - ich wiederhole mich - der Privatisierung. Dazu werden verschiedene Modelle seit längerem in der Justizministerkonferenz diskutiert. Auch hier stellt sich die Frage: Was bedeutet das für Betroffene? Werden sich die Arbeitsbedingungen der Gerichtsvollzieher verändern? Welchen Problemen werden die Schuldner ausgesetzt sein? Oder: Ist das Abgeben staatlicher, insbesondere hohheitlicher Aufgaben an Private wirklich das Heilmittel für einen Staat mit klammen Kassen? Dass diese Kassen gar nicht so leer sein müssen, haben wir in den vergangenen Tagen mehrfach diskutiert. Ich will hier gar nicht weiter darauf eingehen, Frau Ministerin. Dies, meine Damen und Herren, stellt die inhaltliche Bandbreite der Problematik Gerichtsvollzieher und ihre Situation mit der Großen Anfrage dar.
Bevor ich zur inhaltlichen Diskussion komme, noch ein paar formelle Anmerkungen zur Beantwortung der Großen Anfrage. Es hat mich schon ein wenig verwundert, dass es zu manchen, eigentlich scheinbar einfachen Fragen doch keine statistischen Daten gibt. Eine Begründung wird es da sicherlich geben. Die Beantwortung der Anfrage konnte für Thüringen zum Beispiel keine Aussage zur Erfolgsquote bei den Vollstreckungen durch Gerichtsvollzieher treffen. Allerdings spricht der Deutsche Gerichtsvollzieherbund in seinen Materialien davon, dass selbst in eigentlich guten Bezirken die Erfolgsquote im Durchschnitt bei 50 Prozent liegt. Nach diesem Bericht liegt Thüringen sogar mit 60 Prozent Erfolgsquote etwas über dem Bundestrend. Diese Information, dass 40 Prozent der Forderungen nicht bedient werden, war als Information des Thüringer Gerichtsvollzieherbunds im Frühjahr dieses Jahres den Medien zu entnehmen. Offensichtlich führt der Thüringer Gerichtsvollzieherbund doch eine Erfolgsstatistik über die Durchsetzung offener Forderungen.
An dieser Stelle ein kleiner Hinweis an das Thüringer Statistische Landesamt: Es ist interessant und wichtig auch für einen Justizpolitiker, welche jährlichen Erntemengen beim Spargel und den Kartoffelernten in Thüringen erzielt werden, aber eine Erfassung zum Beispiel auch von Erfolgsquoten bei Gerichtsvollziehern wäre auch nicht ganz uninteressant.
Meine Damen und Herren, eines der wichtigsten Ergebnisse auf die Antwort der Großen Anfrage der Linkspartei.PDS ist, dass die Gerichtsvollzieher in Thüringen einer sichtlich erhöhten Arbeitsbelastung
ausgesetzt sind. Die Anfrage weist ein Arbeitspensum aus, das nicht nur 100 Prozent Arbeitsbelastung, sondern 127 Prozent des Sollwerts ausmacht. Daher fordert der Thüringer Gerichtsvollzieherverband - meiner Meinung nach logischerweise - etwas mehr Stellen. Da ist natürlich, Kollegin Walsmann, für mich doch interessant, den Begriff „auskömmlich“ interpretiert zu haben; „ausreichend“ kann ich verstehen, aber „auskömmlich“ wäre dann sicherlich schon ganz interessant.
Die bestehende Überlastung wird auch durch eine Information des Deutschen Gerichtsvollzieherbunds bestätigt. Danach können die vorhandenen Gerichtsvollzieher ihre Arbeit nur bewältigen, weil sie im Durchschnitt 60 bis 70 Wochenstunden gearbeitet haben. In manchen Bezirken liegen diese Wochenarbeitszeiten noch darüber. Das hat zum einen mit den in den letzten Jahren gestiegenen Fallzahlen zu tun, allerdings sind diese Zahlen der Neuanträge zurückgegangen, wohl weil Gläubiger zunehmend damit rechnen, keinen Erfolg zu haben. Diese Vermutung stützt sich auch auf die Zahl, dass es immer mehr eidesstattliche Versicherungen gibt. Die Zahl ist von rund 88.000 im Jahr 2000 auf rund 96.000 im Jahr 2004 gestiegen. Das bedeutet, dass für den Abschluss eines Vollstreckungsverfahrens immer zahlreichere „fruchtlose“ Versuche unternommen worden sind, weil bei immer mehr Schuldnern kein verwertbares Vermögen mehr vorhanden ist. Die Situation der Gerichtsvollzieher ist im Zusammenhang mit der Gesamtsituation des Vollstreckungswesens und der wirtschaftlichen und sozialen Gesamtlage zu sehen. Dabei wird deutlich, dass auch in anderen Bereichen des Vollstreckungswesens die Verfahrenszahlen im Zeitraum 2000 bis 2004 zugenommen haben, insbesondere im Bereich der Insolvenz, Unternehmens- wie Verbraucherinsolvenzen. Es ist nahezu eine Verdoppelung zu erkennen. In Thüringen waren in den letzten Jahren vor allem Kleinstunternehmen mit keinem oder nur einem oder zwei Beschäftigten von Insolvenz überproportional betroffen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass weit mehr als drei Viertel aller Betriebe in Thüringen weniger als zehn Beschäftigte haben. Auch ein deutlicher Anstieg der Zwangsversteigerungen ist dabei zu beobachten.
Meine Damen und Herren, und da habe ich scheinbar einen etwas anderen Blickwinkel oder andere Informationen. Alarmierend hat der Geschäftsführer des Thüringer Gerichtsvollzieherbundes im Februar dieses Jahres, Andreas Zedel, in den Medien darüber gesprochen, dass etwa 150.000 Haushalte in Thüringen überschuldet sind. Die Gerichtsvollzieher mussten im Jahr 2004 etwa 221.000-mal zur Zwangsvollstreckung tätig werden. Damit liegt die Zahl aus Thüringen im oberen Drittel der Bundesrepublik Deutschland. Die Ergebnisse der Anfrage machen auch deutlich, dass die Einkommenssituation in Thü
ringen weiterhin hinter den übrigen Bundesländern deutlich zurückbleibt. Die Einkommensdurchschnitte in Thüringen sind etwa 20 Prozent niedriger als im Bundesdurchschnitt. Viele Haushalte müssen ihre Einkünfte aus staatlichen Transferleistungen, wie ALG II, oder niedrig bezahlter Lohnarbeit beziehen. Hier darf man also auf keinen Fall auch den Zahlen aus dem Dritten Sozialbericht unterliegen, die da ausweisen: 80 Prozent der Thüringer Haushalte finanzieren sich aus Erwerbsarbeit. Damit ist überhaupt noch nicht die Frage beantwortet, welches Lohnniveau dabei herrscht. Laut Angabe des Dritten Sozialberichts ist nur in 17 Prozent der Fälle Konsumverhalten der Auslöser für den Gang zur Schuldnerberatungsstelle, in 27 Prozent der Fälle ist der Grund die Arbeitslosigkeit und in weiteren 17 Prozent der Fälle Einkommensarmut. Angesichts von Hartz IV und anderen Sozialkürzungen ist noch eine Ausweitung dieser Problematik zu befürchten.
Meine Damen und Herren, bei den Daten zur Tätigkeit der Schuldnerberatungsstellen wird deutlich, dass die Hauptzahl der Schuldner von mehreren Gläubigern gleichzeitig wieder „belagert“ wird. Für das Jahr 2003 weist die Statistik aus, dass 47 Prozent der Betroffenen zwischen 6 und 20 Gläubigern haben. Gerade für solche Fälle ist das Vollstreckungsverfahren durch die Gerichtsvollzieher, das oft nur bei einzelnen titulierten Forderungen ansetzt, nicht besonders hilfreich. Hier müssen nach unserer Auffassung aus der Großen Anfrage heraus Gesamtlösungen her.
Womit wir beim Thema Lösungsvorschläge wären. Die einfache Neubesetzung von Gerichtsvollzieherstellen bei Fortschreibung der bestehenden Situation, das haben eigentlich auch meine Kollegen vorhergesagt, ist angesichts der genannten Fakten offensichtlich keine befriedigende Lösung. Die Änderung der Situation müsste daher aus unserer Sicht in zwei Richtungen erfolgen: Zum einen im Aufgabenbereich, das ist auch angesprochen worden, der Gerichtsvollzieher und des Vollstreckungswesens selbst; zum anderen in präventiven bzw. vor- und außergerichtlichen Bereichen, denn die Ergebnisse der Anfrage sowie Informationen aus anderen Quellen belegen: Die Arbeitssituation der Gerichtsvollzieher ist eben und bleibt das Spiegelbild der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bevölkerung.
Meine Damen und Herren, als Änderung im System wird von der Justizministerkonferenz die Privatisierung der Gerichtsvollzieher angedacht oder angestrebt. Konkrete Gesetzesänderungen sollten nun im Frühjahr 2006 durch die Justizministerkonferenz veröffentlicht werden. Ein Vorschlag wird dabei sein, dass die Gerichtsvollzieher als Private, mit der Ausführung hoheitlicher Aufgaben betraute, fachlich
beliehene Angestellte werden sollen oder eben nicht mehr angestellt werden sollen. Sie sollen keine zugewiesenen Tätigkeitsbezirke mehr haben, sondern in freien Wettbewerb miteinander treten. Beim Deutschen Gerichtsvollzieherbund stößt ein solches Beleihungsmodell, welches grundsätzlich begrüßt wird, dennoch auf kritische Bemerkungen. Vor allem der freie Wettbewerb wird abgelehnt, das könnte sehr schnell in einen gerade für Schuldner unsozialen Kampf um lebensnotwendige Profite gehen. Der Gerichtsvollzieherbund befürchtet bei einer solchen Privatisierung auch erhebliche Gebührensteigerungen. Die Gebühren sind, verglichen mit anderen Dienstleistungen, eher noch günstig. Nun ist das ja objektiv vielleicht sogar richtig, das Gebühren in Zukunft, bei welchem Modell auch immer, erhöht werden müssen. Aber was hilft dies im Grunde genommen den Betroffenen Schuldnern wie Gläubigern, wenn das betreffende Finanzloch und die bestehende existenzielle schwierige Situation auch noch durch höhere Gebühren belastet werden. Solange in Deutschland solche Steuervergünstigungen für Unternehmen bestehen wie zurzeit, müsste eigentlich auch noch Geld da sein für ein staatlich - ich betone es ausdrücklich - getragenes, steuersubventioniertes Gerichtsvollzieherwesen.
Meine Damen und Herren, der deutsche Gerichtsvollzieher bewertet denn auch die Vorschläge der Justizministerkonferenz, die in diesem Sommer auf der letzten Konferenz diskutiert wurden, „als Systemwechsel, in dem der zukünftige Gerichtsvollzieher als billiger Jacob installiert wird“. Der Berufsverband der Gerichtsvollzieher kritisiert, dass die Konzepte der Justizminister nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeitssteigerung, sondern auch und gerade unter dem Gesichtspunkt der Kostenersparnis für den Staat weiterentwickelt werden sollen. Die Gerichtsvollzieher können sich zwar unter Bedenken wegen Artikel 33 Grundgesetz mit einem Beleihungsmodell anfreunden, verlangen vor allem die Beibehaltung von festen Bezirken, Regelungen zur sozialen Absicherung im Alter und bei Krankheit sowie Maßnahmen zur Verhinderung von Gebührensteigerungen. Sollte die Qualität und Seriosität der Arbeitsleistung keine Einbuße erleiden bei den Gerichtsvollziehern, so spricht eigentlich alles für eine Beibehaltung des jetzigen Systems.
Meine Damen und Herren, nun sollte die Diskussion um Reformen im Gerichtsvollzieherwesen unseres Erachtens nicht nur zwischen den Alternativen Fortschreiben des Bestehens und Privatisierung bzw. Beleihungsmodell verbleiben. Im 4. Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Organisation der Gerichtsvollzieherwesen-Privatisierung“ werden interessante Argumente auch für andere Modelle aufgeführt. So werden für das so genannte Amtssystem positive Aspekte, erhöhte Synergieeffekte zum
Beispiel durch die Bildung von Vollstreckungsbüros mit mehreren Gerichtsvollziehern, aber auch durch bessere strukturelle Verzahnung mit anderen Behörden, aufgezeigt. Ein weiterer Vorteil effektivierterer Arbeitsabläufe bis hin zu besseren Vertretungen im Krankheitsfall werden dabei benannt. Bei einem Blick über den deutschen Tellerrand hinaus zum Thema Gerichtsvollzieher zeigt sich Interessantes in Österreich. Auch dort hat zu diesem Thema vor einiger Zeit eine Reformdiskussion stattgefunden, denn auch Österreich hat ein mit den hiesigen Verhältnissen vergleichbares Mischsystem. Das Ergebnis dieser Reformdiskussion in Österreich war die Rückkehr zum Amtssystem. Gleichzeitig wurde der Aufgabenbereich der Gerichtsvollzieher eindeutig erweitert.
Meine Damen und Herren, für wirksame, sachgerechte Lösungen machen die Gerichtsvollzieher seit langem schon zahlreich sehr bemerkenswerte Vorschläge. So werben sie für die Einführung eines Abwendungsverfahrens, das Gläubigern und Schuldnern erlaubt, in Abweichung vom formellen Vollstreckungsverfahren und an dessen Stelle den Konflikt mit Abschluss einer Art Abwendungsvereinbarung zu lösen. Sehr positive Erfahrungen mit vergleichbaren Modellen gibt es in anderen europäischen Nachbarländern, zum Beispiel Frankreich, Belgien oder Niederlande.
Meine Damen und Herren, zum Schluss: Schon jetzt fungieren ja Gerichtsvollzieher auch, und das haben meine Kollegen vorab gesagt, nach eigenen Angaben notgedrungen als Moderatoren in sozial schwierigen Situationen, ohne dass sie bisher wirklich das passende Handwerkszeug bzw. Verfahrensgestaltung dazu in die Hände bekommen haben. Die Moderationsfunktion von Gerichtsvollziehern sollte aber über das Abwendungsverfahren hinaus auch gestärkt werden. Das heißt, dass Möglichkeiten zur Aufstellung und Durchsetzung von Schuldentilgungsplänen ausgebaut werden. Um Gerichtsvollzieher angemessen für diese Moderationsfunktion zu befähigen, und das ist auch genannt worden, müsste dazu das entsprechende Wissen vermittelt werden. Also, wir sprachen gestern zum Beispiel bei Insolvenz über die Mediation. Das sollte auch umfassender Bestandteil der entsprechenden Ausbildung sein, auch ist der DGVB in seiner Forderung zu unterstützen, dass die Ausbildung zum Gerichtsvollzieher in Form einer entweder Fach- oder Hochschulschulausbildung erfolgen muss, insbesondere wenn es zu einer Privatisierung der Gerichtsvollzieher kommen sollte. Eine sehr große Bedeutung für die Lösung der Verschuldensproblematik und im Bereich der Prävention haben Schuldnerberatungsstellen. Dazu möchte ich keine weiteren Ausführungen machen.