Es liegen keine weiteren Redeanmeldungen vor. Ausschussüberweisung dieses Antrags ist nicht beantragt worden, so dass wir zur Abstimmung über den Antrag der SPD-Fraktion „Landesblindengeld sichern“ in Drucksache 4/1195 kommen. Herr Abgeordneter Buse.
Ich nehme an, es hatte jeder die Möglichkeit, seine Stimmkarte abzugeben. Damit kann das Auszählen beginnen.
Mir liegt das Ergebnis zum Antrag der SPD-Fraktion in Drucksache 4/1195 vor. Es wurden 78 Stimmen abgegeben; mit Ja haben gestimmt 34, mit Nein 44. Der Antrag ist damit abgelehnt (namentliche Ab- stimmung siehe Anlage).
Die SPD-Fraktion hat keine Begründung ihres Antrags beantragt. Das ist korrekt so? Ja. So kommen wir gleich zur Aussprache und ich rufe als ersten Redner in der Debatte für die Fraktion der CDU den Abgeordneten Wetzel auf.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, werte Kollegen, in der Drucksache 4/1199 liegt uns ein Antrag der SPD-Fraktion zum demografischen Wandel in Thüringen vor. Ich denke, die SPD greift damit ein Megathema für die nächsten Jahrzehnte auf,
wenn nicht sogar das Thema des Jahrhunderts, in dem wir leben. Aber wenn sie glaubt, dass sie die Einzigen sind, die sich damit seitdem nun befassen, irrt sie.
Ich denke, die Landesregierung hat in sehr vielfältiger Weise bereits versucht, in den vergangenen 15 Jahren darauf auch zu reagieren. Es passt aber, denke ich, in die Zeitleiste und ich darf vorwegnehmen, dass die CDU-Fraktion heute für eine Überweisung an den Ausschuss für Bau und Verkehr plädieren wird. Eine Verkürzung der Debatte, denke ich, auf das simple Thema „Gebietsreform“ zum Beispiel wird es mit uns nicht geben. Der letzte Satz in der Begründung zielt darauf ab. Ich kann davon nur abraten, die vielfältigen Auswirkungen des demografischen Wandels in so einer kurzen und vielleicht
sogar mit einem Spielfeld politischer Geländegewinne zu versuchen zu untersetzen. Nein, dieses Thema ist zu ernst, ist auch mittelfristig nur in Teilbereichen umkehrbar, als dass man hier leichtfertig damit umgehen sollte. Es ist einfach gelogen, dass sich die Landesregierung bisher damit nicht auseinander gesetzt hat, so wie es im Antrag begründet steht.
Meine Damen und Herren, wie ist die Lage? Partiell hat der Minister in den letzten Ausschuss-Sitzungen, wenn es um diese Thematik ging - und er wird sicherlich heute in der Aussprache auch noch einmal darauf eingehen - die Dinge des demografischen Wandels und seine substanziellen Einzelfelder immer wieder benannt. In 20 Jahren wird jeder dritte Bürger Thüringens älter als 60 Jahre sein. Bis Mitte des Jahrhunderts, wahrscheinlich schon früher, also 2040, wird es bei Beibehaltung der gegenwärtigen Geburtenrate - und, meine Damen und Herren, alle Mütter, die in 20 Jahren Kinder gebären können, sind heute schon geboren -, alle Prognosen gehen davon aus, mehr als doppelt so viele über 60Jährige geben als Kinder bis 20 Jahre.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, neben der Alterung ist in den ostdeutschen Ländern eine Schrumpfung der Bevölkerung durch Wanderungsverlust zu verzeichnen und die Addition dieser Phänomene macht die Situation in den neuen Bundesländern so dramatisch. Dabei gibt es in Thüringen erste Anzeichen eines Rückgangs des Fortzugs aus unserem Bundesland. Während Geburten- und Sterberaten, also die Bevölkerungsalterung, kurz- und mittelfristig nur geringfügig beeinflussbar sind, kann aber dauerhafte Abwanderung nicht als vom Schicksal gegeben hingenommen werden. Ich denke, da ist Politik gefragt, Antworten zu finden und Gegen- und Anpassungsstrategien zu entwickeln. Vor allem die Abwanderungszahlen in den neuen Bundesländern, aber auch in Thüringen haben fatale Folgen, die wir alle im Einzelnen schon diskutiert haben.
In der Kausalität, meine Damen und Herren, der Einzelwirkung liegt aber die eigentliche Sprengstoffwirkung. Hier will ich nur einige Folgen nennen: Die Kommunen nehmen weniger Steuern ein, das Bildungsniveau sinkt, qualifiziertes Personal fehlt, die Investitionsquote der Unternehmen geht zurück, Wohnungen stehen leer, periphere ländliche Räume entvölkern sich zunehmend. Es schließen sich Fragen an: Alarm durch das sinkende Arbeitsangebot wegen immer weniger Personen im erwerbsfähigen Alter für unser Wirtschaftswachstum. Oder: Wie verändert sich die Güternachfrage infolge des Wandels der Konsumgewohnheiten im Alter? Wie sieht die Struktur der Märkte für Güter und Dienstleistungen in den einzelnen Sektoren der Produktion aus? Zuwächse im Gesundheitssektor werden wahrscheinlich durch Rückgänge im Verkehrssektor ausgegli
chen. Welche Möglichkeiten bestehen, um den Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktperspektiven und Zu- und Abwanderung zu beeinflussen oder ist gar eine vermehrte Außenzuwanderung ein Mittel, um den Altersquotienten konstant zu halten? Mit Blick auf die Integrationskraft unserer Gesellschaft eine Möglichkeit. Daraus leiten sich schon häufig diskutierte Fragen nach dem Fachkräftebedarf der Thüringer Unternehmen und Institutionen in den verschiedenen Wirtschaftssektoren sowie nach den vorhandenen und nachgefragten Qualifikationen ab.
Aber auch ganz andere Fragen gewinnen hohe Relevanz für unsere Gesellschaft, zum Beispiel, wie sich die Freizeit- und Reisegewohnheiten der alternden Gesellschaft entwickeln werden. Vom höchsten Interesse für Thüringen und im globalen Maßstab ist auch: Wie werden sich die Preisindizes für Strom, Gas und Brennstoffe für Bevölkerung und Wirtschaft entwickeln? Daran anschließend: Welche Energiepotenziale sieht die Landesregierung in den nächsten Jahren bei privaten Haushalten und in der gewerblichen Wirtschaft? Daran anschließend: Welcher Anteil an nicht fossilen Energieträgern wird für Thüringen für das Jahr 2050 gesehen? Wie sehen die Strategien der Landesregierung aus - Landesplanung, Regionalentwicklung - unter dem Szenarium einer schrumpfenden Bevölkerung? Wie könnten Anpassungsstrategien für ländliche periphere Räume Thüringens mit starkem Bevölkerungsrückgang ausschauen? Wie wird sich der ÖPNV, Straße wie Schiene, unter verschiedenen Szenarien entwickeln im Verhältnis zum Individualverkehr? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der rückläufigen Bevölkerungsentwicklung für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Thüringen? Wird die Landesregierung eine Zuwanderung aus dem Ausland und damit das Wachstum des multiethnischen Segments in Thüringen unterstützen bzw. steuern sowie die Integration in neue Wohnumfelder fördern?
Wer wie wir vorgestern, meine Damen aus der SPD- sowie Die Linkspartei.PDS-Fraktion, zur BFW-Tagung im Radisson-Hotel war, Prof. Gurey von der Bauhaus-Uni in Weimar hat dort ein Szenario durchgespielt, wie Deutschland 2050 aussehen könnte. Dort war auf den Teilen Ostdeutschlands ein relativ blauer See zu erkennen und ein Wachstum nur noch um München, Stuttgart, Köln und um den Frankfurter Raum zu sehen. Seine letzten Worte dazu waren: „Deutschland kann diesem nur entgegensteuern, wenn es bunter wird.“ Wie integrationsfähig, frage ich, wird unsere Gesellschaft dann sein? Welche Konsequenzen ergeben sich aus den geänderten Altersstrukturen der Bevölkerung hinsichtlich unserer Wohnbedürfnisse und den daraus erwachsenden Anforderungen an Infrastrukturen im Wohnumfeld? Und hier betone ich ganz besonders, die CDU-Fraktion, die es in den letzten Jahren auch zusammen mit
der Landesregierung mit nach vorn getragen hat, den Stadtumbau Ost. Ich bitte darum, auch sich zu erinnern: Dass die Bundesregierung 2001 dann dazugetreten ist mit dem Thema Stadtumbau Ost, war letztendlich auf die Forderungen der Freistaaten Sachsen und Thüringen zurückzuführen. Wir sind dankbar und froh, dass bis 2009 dieses Programm steht und dass Wohnungen vom Markt kommen, dass es keine Verslumungen gibt in unseren Plattensiedlungen. Ich denke, hier haben wir hervorragende Erfolge bereits im Stadtumbau diesem Phänomen entgegengehalten.
Wie kann das Zusammenleben der Generationen künftig verbessert werden? Ich denke, der demografische Wandel unter Beteiligung aller Ressorts in Thüringen ist für diesen Tagesordnungspunkt in Zukunft wichtig, und ich würde mir wünschen, wenn wir im Ausschuss Bau und Verkehr in den nächsten Monaten, sicherlich auch im Zusammenwirken mit der Enquetekommission 4/1, solche Dinge zutragen und daraus das nötige wichtige Moment für unseren Freistaat auch herleiten, dass wir keine Fehlentwicklung nehmen in bestimmten Dingen und zum Schluss modernisierte teure Wohnungen wieder abreißen müssen oder modernisierte teure Ver- und Entsorgungsleitungen leer laufen lassen. Dies, denke ich, ist wichtig dabei zu bedenken, und insofern bitte ich dann um Weiterberatung in dem schon von mir erwähnten Ausschuss. Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Gäste! Sehr geehrter Herr Kollege Wetzel, Ihre Worte habe ich wohl vernommen und es ist sehr löblich, dass Sie einer Überweisung an den Ausschuss für Bau und Verkehr zustimmen.
Ich denke, wir werden uns intensiv mit diesem Thema weiter beschäftigen. Insoweit kann ich Ihnen in zwei Punkten zustimmen, dass Sie sagen, Sie nehmen das Thema sehr ernst, das unterstelle ich Ihnen mal. Zum Zweiten sagen Sie, die Landesregierung hat sich mit diesen Fragen auseinander gesetzt, darauf will ich im Einzelnen nachher noch mal zurückkommen. Das Auseinandersetzen ist das eine, aber auch den Inhalt zu vermitteln, zu welchem Ergebnis man letztendlich gekommen ist, ist das andere.
Sie haben auch Grundsätze und Grundzüge formuliert, denen ich durchaus zustimmen kann. Etwas spärlich in Ihren Ausführungen ist sicherlich das politische Handlungsmotiv formuliert worden. Ich denke, insoweit werden wir uns auch im Ausschuss mit dieser Frage weiter beschäftigen müssen.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion war für mich zwar nicht vom Zeitfaktor, aber zumindest vom Inhalt doch etwas überraschend, und zwar in folgender Hinsicht, und da will ich es nicht nur auf die Frage der Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform fixieren, aber auch:
Es existiert, das wissen Sie, meine Damen und Herren, ein Landtagsbeschluss zur Einsetzung der Enquetekommission, welche sich u.a. genau mit dem im Antrag aufgeworfenen Inhalt beschäftigen soll. Im Vorfeld der damaligen Beschlussfassung, das zeichnet mein Unverständnis heute immer noch aus, hat sich die SPD-Fraktion so ein bisschen von der CDU-Fraktion im Innenausschuss überzeugen lassen, weich klopfen lassen. Ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll. Insbesondere der im Beschluss getroffene Zeitplan konnte damals nicht unsere Zustimmung finden. Sie haben, Sie können sich daran erinnern, eine andere Zeitvorstellung damals benannt und im Innenausschuss gab es dann irgendwie die Erkenntnis, dass das doch nicht so zu realisieren sei. Das kann ich bis heute nicht nachvollziehen. Was die Arbeit bis jetzt betrifft, die geleistet wurde oder die nicht geleistet wurde, gibt uns ja, meiner Fraktion, insoweit Recht, dass wir das relativ bedauerlich finden. Bis heute hat sich die Kommission nicht konstituiert. Während einzig unsere Fraktion, Die Linkspartei.PDS, die Vertreter bisher für die Kommission benannt hat, lassen wohl, so sind die Ausführungen, die Zuarbeiten der anderen Fraktionen noch auf sich warten. Insofern ist es schon verwunderlich, dass nun über einen Antrag debattiert wird, welcher ja die Arbeit der Enquetekommission beflügeln soll, ohne dass bisher auch nur eine konstituierende Sitzung der Kommission stattgefunden hat.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag verdient aber trotzdem nach unserer Auffassung heute behandelt zu werden. Schließlich haben wir immer deutlich gemacht, dass nun endlich über die drängenden Fragen des demografischen Wandels und der damit verbundenen Auswirkungen diskutiert wird. Sie haben das ja ausführlich in den Grundzügen, Herr Kollege, hier dargestellt. Möglichst schnell, da unterscheiden wir uns, müssen die Ergebnisse der Enquetekommission auf den Tisch und möglichst schnell muss die Landesregierung damit beginnen, ihre Hausaufgaben zu machen. Insofern ist es nur
folgerichtig, die Landesregierung mit diesem Antrag zu fordern oder zu beflügeln, den geforderten Bericht - dazu haben Sie nichts gesagt, Herr Kollege - im Januar vorzulegen. Ich denke, vielleicht sind wir uns in dieser Frage sogar einig.
Meine Damen und Herren, es gibt ja bereits mehrere Abhandlungen zum Thema demografische Entwicklung. Genannt seien hier stellvertretend die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Prof. Sedlacek von der Uni Jena oder die demografische Zukunft der Nation vom Berliner Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung, welche die Situation aller Landkreise einschließlich Thüringen bewertet, oder auch die Bertelsmann-Stiftung, welche Handlungsgrundsätze für die kommunale Praxis erarbeitet hat.
Meine Damen und Herren, nun stelle ich die Frage an die Fraktion hier in der Mitte dieses Hauses: Welchen Beitrag leistet die Landesregierung? Das haben Sie, Herr Kollege, auch in Ihrem Redebeitrag etwas vermissen lassen. Es kann doch nicht sein, dass Sie durch Ihre Politik der drei Affen - die kennen Sie, nichts sehen, nichts hören, nichts sagen - dieses Thema, diese Inhalte nicht zur Kenntnis nehmen wollen oder nicht können. Letzteres, weiß ich nicht, scheint mir eigentlich nicht der Fall zu sein. Auf dem kürzlich stattgefundenen Tag der Kommunalen Agenda 21 war von einem Vertreter Ihres Hauses, Herr Minister Trautvetter, des Bau- und Verkehrsministeriums, zu hören - und man höre und staune:
1. Es gibt, oder soll man sagen, es gab eine interministerielle Arbeitsgruppe oder Arbeitsgemeinschaft.
2. Seit dem 24.08.2004 existiert ein Kabinettsbeschluss, wonach sich diese Arbeitsgruppe monatlich zu dieser Problematik oder mit dieser Problematik beschäftigt.
3. Es existiert ein Zwischenbericht - aber das unterstelle ich mal -, welcher wieder der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegt, weil er uns nicht zur Kenntnis gegeben wird.
Es seien wohl Handlungsfelder wie Strukturen, Investitionen in die Ressource Mensch unter anderem benannt und bewertet. Es sei wohl festgestellt worden, dass 150.000 Zuwanderungen zu verzeichnen seien, aber eigentlich 500.000 notwendig wären, um Thüringen lebensfähig zu halten, d.h. die Abwanderungs- und Sterbequote auszugleichen. Insoweit, wie gesagt, decken sich ja die Ausführungen, die Sie
Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren Minister - so viele sind nicht anwesend, aber trotz alledem -:
Wird in dem Bericht der politische Handlungsbedarf nach einer Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform drastisch deutlich? Oder warum, welche Gründe gibt es, ist das Ergebnis so schlecht, dass uns diese Erkenntnis vorenthalten wird? Dann stelle ich die nächste Frage: Warum tagt diese interministerielle Arbeitsgemeinschaft oder Arbeitsgruppe nicht mehr? Kollege Matschie hat gestern in der Haushaltsdebatte darauf verwiesen, wie die anderen Bundesländer das sicher politisch brisante Problem lösen wollen. In Thüringen hat sich die CDU, meine Damen und Herren - es gibt da unterschiedliche Aussagen: bis 2009, Herr Mohring, bis 2012, der Ministerpräsident -, gänzlich in den Dornröschenschlaf versetzt und selbst verordnet, was diese Problematik betrifft.
Das ist, meine Damen und Herren, der eigentliche Skandal, dass Sie Kenntnis von der demografischen Entwicklung Thüringens haben, aber selbst nichts politisch unternehmen.
Gestern in der Haushaltsdebatte war aus Ihren Reihen zu hören - auf dieser Seite hier drüben -, warten wir erst einmal ab, was in anderen Bundesländern passiert. Das kann doch wohl nicht ernst gemeint sein, meine Damen und Herren. Das ist letztendlich Stillstandspolitik in Thüringen, die wir nicht brauchen.